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BEITRÄGE:

AutorenbildChristoph Lorenz

This Morn' Omnia - Kiberspassk - Blutengel (2021)



This Morn’ Omnia - The Roots Of Saraswati (2021)


Genre: Electro / Ambient / Alternative


Release: 26.03.2021


Label: Dependent (Alive)


Spielzeit: 76 Minuten

Fazit:


Mit „The Roots Of Saraswati“ fügen „This Morn‘ Omnia“ ihrem beeindruckenden Werk eine neue, dunkle Facette hinzu. Das aktuelle Album der belgischen Tribal-Industrial-Pioniere lässt sich sowohl als Fortsetzung ihres bisherigen Schaffens als auch als äußerst gelungene Verbreiterung ihrer stilistischen Palette sehen. Zu der Erweiterung ihrer musikalischen Möglichkeiten hat auch Scott Fox beigetragen. Der aus Edmonton stammende Kanadier ist in der Band „Ivardensphere“ für Elektronik und Schlagzeug zuständig und hat bei „This Morn‘ Omnia“ Karolus Leroq ersetzt. Mit neuen Soundelementen in seinem Gepäck finden sich im Vergleich mit dem Vorgänger „Kundalini Rising“ aus 2017 eine verstärkte kompositorische Tiefe und eine dunklere Atmosphäre in den aktuellen Songs. Die organischen Strukturen der Tracks betonen die Tribal-Ausrichtung der Belgier, während ihre auf den vorherigen Alben aufblitzenden Psychedelic-Trance-Einflüsse hörbar zurückgestutzt wurden. Auch die feingeschliffene Produktion von „The Roots Of Saraswati“, die treibend-atmosphärische Elektronik und organische Percussion nahtlos miteinander verschmilzt, lässt die Ohren spitzen. Inhaltlich bleiben „This Morn‘ Omnia“ auf „The Roots Of Saraswati“ ihrer Faszination für die spirituellen Traditionen des indischen Subkontinents treu. Im Hinduismus steht der Name „Saraswati“, wörtlich übersetzt „die Fließende“, nicht nur für die Göttin der Weisheit, Kunst und Erkenntnis, sondern auch für einen geheimnisvollen Fluss, aus dem Wissen, Inspiration und göttliche Gnade entspringen. In der hinduistischen Lehre bezeichnet „Saraswati“ zudem Gelehrte oder Wahrheitssuchende. All diesen Aspekten ist ein Element der fließenden, tiefgründigen Transzendenz gemeinsam, die das neue Album inhaltlich definiert und sich außerdem sowohl im Artwork als auch musikalisch widerspiegelt. Natürlich finden sich auf „The Roots Of Saraswati“ wieder hypnotische Club-Kracher wie „The Mongoose King“ und „The Nothing Space“, die direkt ins Tanzbein fahren. Aber nach mehreren Durchläufen verschiebt sich der Fokus auf die rohe perkussive Kraft und das große Kopfkino von Mid-Tempo-Nummern wie „Vadavighni (The All Consuming Fire)“ oder „Nepenthe“. Als Sahnehäubchen könnte der ruhige Schlussakkord mit „Song Of Elo'im“ sogar aus einem John-Carpenter-Soundtrack stammen - natürlich mit einem Schuss Industrial... „This Morn‘ Omnia“ haben sich mit „The Roots Of Saraswati“ eindrucksvoll weiterentwickelt und legen ein ebenso abwechslungsreiches wie hypnotisches Tribal-Industrial-Prachtstück vor. „The Roots Of Saraswati“ erscheint am 26.03.2021 via Dependent Records als CD im klassischen Digipak, 2-CD im sechsunddreißigseitigen Hardcover-Buch inklusive Bonus-Disc mit sieben exklusiven Tracks und auf Doppel-Vinyl im 7"-Format.

Saraswati oder auch Sarasvati, was übersetzt in etwa so viel wie „die Fließende“ bedeutet, ist die Göttin der Weisheit und Gelehrsamkeit. Sie zählt zu den wohl Bekanntesten unter den indischen Gottheiten und genießt im Tantra, welches verschiedene Strömungen der indischen Philosophie bezeichnet, eine hohe Verehrung. Sie gilt als sogenanntes „Shakti“, als weibliche Kraft, des Gottes Brahma und als Personifikation des Urgrundes Brahman. Die Mythologie stellt sie sowohl als Tochter als auch Schöpfung und Gattin von Brahma, dem sie untergeordnet scheint, dar. Hinsichtlich des tatsächlichen Glaubens gilt die meiste Verehrung jedoch hauptsächlich ihr allein. Als „Vac“, so eine andere Bezeichnung für sie, verkörpert sie das Wort und die perfekte Rede. So gilt sie als Patronin des Lernens, der Sprache und Wissenschaften, der Künste, Dichtung, Literatur, Schrift und Weisheit, aber auch des Tanzes, Gesangs und der Musik. Sie gilt als Erfinderin des Sanskrit-Alphabets und der Devanagari-Schrift, wird von Schülern, Studenten, Philosophen und Intellektuellen verehrt. In den Apri-Liedern, eine Textform des Rig Veda, bildet sie zusammen mit Ida und Bharati eine Trinität. Ursprünglich als Natur-Göttin beschrieben, wird sie auch heute noch mit reinem Wasser in direkte Verbindung gesetzt und verkörpert den heiligen Fluss, der dem Himmel entspringen und durch das Triloka, also alle drei Welten, fließen soll. Ihre Stimme ist der Wasserfall und könne Berge sprengen, heißt es. Doch nicht nur im Hinduismus wird Sarasvati verehrt, sondern ebenso im Jainismus und Buddhismus, wo ihr Name in den Schriften in etwa ab dem elften Jahrhundert auftauchte und Wandmalereien in den Tempeln auf sie schließen ließen. Das alles sei, wie auch schon im oben stehenden Pressetext, eingangs zum grundlegenden Konzept des neuesten musikalischen Outputs der einst 1996 in Belgien gegründeten „This Morn’ Omnia“ erwähnt. Vier lange Jahre hat es nun also gedauert, bis der erfolgreiche Vorgänger, das furiose Konzept-Doppel-Album „Kundalini Rising“, eine mehr als nur würdige Ablösung erfährt und erneut soll sich die längere Durststrecke für die Fans gelohnt haben, wartet hier doch ein weiteres Mal eine ungeheuer vielschichtige und durchdachte Fusion aus sehr atmosphärischen Ambient-Anleihen, sperrigem Noise, peitschenden Industrial-Salven und rituell treibendem Tribal, die den Status als eine der größten Ikonen des Genres weiterhin zu sichern vermag. „The Roots Of Saraswati“ bietet in der Standard-Version zehn Songs, in der Deluxe-Ausführung hingegen ganze sieben Stücke mehr, erschafft aber in beiden Varianten denselben umfassenden Klang-Kosmos aus deftigem Dark Electro, schamanistischen Einflüssen und spirituell behafteten Elementen, der schon nach kurzer Spieldauer einem gar ruhelosen Fiebertraum ekstatisch wilder und daraufhin doch wieder friedvoll-sphärischer Klänge mit erheblicher Sogwirkung gleicht. So bildet sich zunehmend ein wahrlich vielschichtiges, dichtes Geflecht diverser konkurrierender und dennoch im absoluten Einklang miteinander stehender Versatzstücke, Stimmungen und daraus resultierender Harmonien, welche ihrem thematischen Kern trotz der schieren Fülle an Eindrücken den notwendigen Raum zur sich immerzu steigernden, endgültigen Entfaltung lassen. Das hier allen Liedern lose übergeordnete Konzept wird allein durch die starke und schlüssige Gesamtpräsentation der instrumentalen Komponente jederzeit pointiert präsentiert und detailliert umgesetzt, woraus der überbordende Bombast resultiert, der sich einen vereinnahmenden Schlagabtausch zwischen undurchdringlicher, erdrückender Düsternis und fast schon entspannten Momenten liefert. Der Inhalt der gesamten Tracklist verbleibt ob der vorerst sehr plakativen, fordernden und einschüchternden Bedrohlichkeit oft schwer greifbar und kryptisch, während die punktgenau nuancierten, psychedelischen Versätze aus allerhand thematisch abgestimmten Gesängen, Samples und Sounds ihre Wirkung ungleich effektiv entfalten und vollends ins Schwarze treffen. Angefangen bei der einleitenden Eröffnungszeremonie durch das mächtige „Nadisti Sukta“ mit seinen minimalistisch eingewobenen Sound-Samples, der ekstatisch umher wirbelnden Tribal-Percussion und einschüchternd epochalem Bombast oder der rastlos treibenden Ankunft des weitaus clubtauglicher geratenen „The Mongoose King“ in Entität mit viel drückendem Bass, zuckenden Beats und organisch geerdeter Note, über die düster-bedrückenden, hektische tänzelnden „Naoús“ oder „1000 Cuts (Lingh Chi)“, bis hin zu deutlich gediegeneren Sphären in „Vadavigni (The All Consuming Fire)“ mit einem um ein Vielfaches entschleunigenderen Grundtenor aus unheimlich verqueren Chorälen und unberechenbaren Breaks, lädt man fortan zu einer psychedelische Reise durch alle Sinne ein... Die extrem reiche Variation ist faszinierend überbordend, fast schon erschlagend und scheinbar grenzenlos! Der Verlust des langjährigen Mitglieds Karolus Leroq wird durch den famosem Neuzugang des Kanadiers Scott Fox, bekannt als Drummer der Noise- und EBM-Verfechter „iVardensphere“, mehr als würdig aufgefangen, sorgt das somit erfrischend erweiterte Spektrum des Klang-Experten aus Edmonton doch für enorm viel Dynamik und Eigenständigkeit, die zu „This Morn‘ Omnia“ hervorragend passt. Für ein hohes Maß an Abwechslung ist in den hauptsächlich instrumental angelegten Stücken in jedem Fall gesorgt, wenn sich in „The Nothing Space“ und „Blood Oath“ etwa Elektronik zu unheilvollem Ambient aufschwingt und dann die klare Oberhand gewinnt oder sich bei „Nepenthe“ und „(A) Song of Eloi’im“ die Trommeln, Klangspiele und allerhand exotisches Instrumentarium zur akustischen Mystik verdichten und eine schier unbändige Sogkraft entfalten. Nahezu alles Songs auf „The Roots Of Saraswati“ begünstigen sich spirituell und konzeptionell, peitschen auf und beruhigen sich, durchbrechen klassische Motive und wirken extrem intensiv auf den Hörer ein. Ein absolutes Wechselbad der Superlative, auf welches es sich definitiv einzulassen lohnt!


Informationen:


http://www.thismornomina.com


https://www.facebook.com/thismornomina/

 

Kiberspassk - See Bear (2021)

Genre: Electro / Alternative

Release: 09.04.2021

Label: Out of Line Music (Rough Trade)

Spielzeit: 44 Minuten

Fazit:


In den langen Nächten der sibirischen Taiga hat eine Band sich zusammengeschlossen, um die Kälte und die Dunkelheit ihrer Heimat in harten Electro zu einzufangen. Ihre Umgebung hat „Kiberspassk“ inspiriert - sie bereichern Industrial mit russischer Folklore und kreieren so einen einzigartigen, angstbesetzten Sound mit einer völlig frischen, atmosphärischen und aufregenden Art von Industrial und bringen einen schneidend frostigen Biss in ein Genre, in dem echte Innovation heutzutage eine Seltenheit ist. Die Frontfrau Baby Yaga sagt über das Album „See Bear“ und das Musikvideo: „Das war einer der ersten Songs, die für dieses Album geschrieben wurden und im allgemeinen war es dieser Song, der mir geholfen hat, den Charakter und den Sound des gesamten Albums zu definieren. Es ist ein Lied über meine Heimat, Sibirien, ein großartiges und schönes Land, das seine ursprüngliche Schönheit und Erhabenheit bewahrt hat, trotz der aktiven Industrialisierung und der eher unaufmerksamen Haltung der modernen Menschen ihm gegenüber. Es ist ein wunderschönes Land mit einer reichen Geschichte und einer alten, einzigartigen Kultur, und davon handeln mein Lied und das dazugehörige Video.“. Dreh- und Angelpunkt der speziellen Musik von „Kiberspassk“ ist Sängerin Baba Yaga, eine wahnsinnige Powerfrau mit einem Stimmspektrum, das von heiseren Flüchen über glockenklare Melodien bis hin zu mongolischem Kehlkopfgesang reicht. Baba Yaga gibt uns tiefere Einblicke in ihre besondere mongolischen Kehlkopfgesangs-Technik, die überwiegend eine reine männliche Gesangstechnik ist, aber auch von Frauen beherrscht wird: „Ich praktiziere eine Kehlkopfgesangstechnik namens „Kargyraa“. Kargyraa ist eine tiefe, growlende und untertonreiche Gesangstechnik, die einen Tonhöheneindruck von einer Oktave unterhalb der Modalstimme erzeugt, indem sie die Ventrikularfalten oder Aryepiglottisfalten neben den Stimmbändern in Schwingung versetzt. Im Allgemeinen ist diese Gesangstechnik natürlich überwiegend männlich, aber auch eine Frau kann sie beherrschen. Ich habe nach einem individuellen Programm studiert, das von meinem Mann, der diese Technik auf professionellem Niveau beherrscht, für mich entwickelt wurde. In der Tat gibt es viele Substile, oder Verzierungen, des Kehlkopfgesangs, die verschiedene Aspekte der Darbietung und ihrer Umgebung widerspiegeln. Die Substile des Kargyraa können zum Beispiel Merkmale der Landschaft andeuten, die Laute von Tieren imitieren, den Teil des Körpers angeben, der benutzt wird, um einen bestimmten Klang zu erzeugen, oder den Schöpfer des Substils identifizieren. Schamanen verwenden Kargyraa als einen Klang der Ruhe, der die Aufmerksamkeit oder das Bewusstsein einer Person schärft, er vertreibt böse Geister und heimtückische Parasiten und unreine Kräfte aus dem Körper, weil Kargyraa mit den Kräften der irdischen und himmlischen Geister in Verbindung gebracht wird.“. Es ist ihre Performance, die dem Industrial seine spezielle, dunkle Atmosphäre verleiht. „Ich singe über die dunkle Seite der slawischen Mythologie.“, beschreibt sie ihre Inspiration. „Kikimora, Domovoy, Baba Yaga, Liho - diese Sagengestalten kennt bei uns jedes Kind. Hier, wo die alten Siedlungen langsam verschwinden, sind der Geist und die Seele Sibiriens nach wie vor lebendig.“. Dass die Musik ein einsames und verlassenes Element hat, ist kein Zufall: „Wir haben uns nach dem sterbenden Dorf Kiberspoassk benannt, das nur fünfzehn Kilometer von uns entfernt ist. Dort haben auch die Dreharbeiten für den „Derevna“-Clip stattgefunden. Da ich mich seit langem fachlich mit Folklore beschäftige und von Industrial-Musik sehr inspiriert bin, habe ich beschlossen, etwas Neues zu schaffen, vor allem für mich selbst. Dieses Album ist wie eine Form der Selbstverwirklichung. Frei von Grenzen und Bedingungen mache ich das, was ich selbst will und wie ich diesen kreativen Teil von mir verwirklichen will. Und ich kann mit Sicherheit sagen, dass eine Fortsetzung folgt!“, ergänzt Baba Yaga. Das ambitionierte Debüt namens „See Bear“ erscheint am 09.04.2021 über Out Of Line Music als digitaler Download oder klassische CD im Jewelcase, welche im Label-Shop überdies auch in einem exklusiven Bundle mit einem handgefertigten Lederarmband erhältlich ist.

Schwer knarzende Sounds bäumen sich im gleichmäßigen Rhythmus immer wieder auf. Ein quälendes Ächzen aus den tiefsten Abgründen, stets durchsetzt von angespannt knisternden Electro-Salven. Kurz darauf von metallischer Percussion und einem sirenalen Kreischen angereichert. Das simpel betitelte „Opening Theme“ kommt zwar nur mit unter einer Minute Spielzeit daher, macht seiner Funktion als Intro allerdings große Ehre, denn die Atmosphäre ist schon jetzt ungemein bedrohlich, klaustrophobisch und intensiv. Die Spannung steigt... Und wird sogleich mit dem sich nahtlos anschließenden „Kikimora“, einer der vorausgegangenen Singles, endgültig entfesselt. Ein schneidend scharfes Geräusch verhallt im Nichts und lässt an rituelle Klangschalen oder einsame Windspiele denken. Irgendwie einsam und unwirklich, irgendwie deplatziert und gespenstisch. Metall auf Metall. Stahl auf Stahl. Nach nur wenigen Sekunden wird die mystische Stimmung urplötzlich von Baba Yagas erschreckend kratziger Stimme durchbrochen, mit der sie „Kargyraa“, eine spezielle Form des traditionellen Kehlkopfgesangs, praktiziert. Schnell, unnachgiebig, ohne Pause. Es reißt einfach nicht mehr ab, was die ungewöhnliche, exotische Intonation kurzerhand unmenschlich und dadurch nur umso beängstigender wirken lässt. Bitterböse Sounds, abgründig dröhnende Effekte und harsch peitschende Beats vor einem extrem wummernden Bass gesellen sich schon sehr bald dazu und regieren fortan für die nächsten fünf Minuten, während Yaga ihre Zeilen keift. Das alles wird nun immer wieder von winzig kleinen Ruhepausen akzentuiert, die jedoch kaum mehr wahrnehmbar sind und praktisch nur dazu dienen, den nächsten Donnerschlag des fortschreitenden Exzesses vorzubereiten, welcher dann umso härter trifft. Dazwischen springt das vorgegebene Tempo so ungestüm wie gleichermaßen unberechenbar hin und her, alles gleicht einem einzigen, hinterlistigen Überraschungsmoment. Die Energien fließen zusammen, das Mantra dreht sich unbarmherzig kreiselnd um die eigene Achse. Immer schneller. Bis zum Schwindel. Bis zum Kollaps. Keine Grenzen mehr. Schon jetzt. Doch für eine Rast, einen kurzen Moment der Klarheit, bleibt keine Zeit, denn mit „Bury Me“ bricht sogleich das nächste, pechschwarze Gewitter über den Hörer herein: Yaga agiert hier zwar mit einer weitaus weniger stark verfremdeten Stimme, greift sie nun nämlich nicht auf die befremdliche Technik zurück, dennoch ist ihre Art des Gesangs alles andere als clean zu nennen. Viel mehr ist es ein schrilles Kreischen, welches daraufhin unheimlich-verquere Choräle aus der gedoppelten Stimme der Frontfrau selbst im engen Zusammenspiel mit treibender Percussion als prompte Antwort erhält. Minimalistisch angelegter Electro trifft hier auf traditionsreiche Folklore, die in ihrem Ansatz verstärkt im Vordergrund steht und sich bei zunehmender Spieldauer nur umso mehr verdichtet. Der charmant benannte Titeltrack „See Bear“ kokettiert nicht nur allein phonetisch mit der Herkunft des hochambitionierten Projekts, sondern bemüht sich auch ansonsten redlich, die eisig kalte Stimmung Sibiriens perfekt einzufangen. Bis zur Gänze verfremdete Vocals verschwimmen mit herrlich kaputtem Electro, der mechanisch pumpend und kühl getaktet immer weiter vorantreibt. Im konträr gestalteten Mittelteil kann Yaga die scheinbar unzähligen Facetten ihres beeindruckenden Stimmvolumens dann vollkommen ausreizen, was gerne mal von einem heiseren Krächzen bis hin zu klaren, mehrstimmigen Gesängen reicht. Insbesondere vor dem Hintergrund der zuweilen bewusst recht kargen, rein instrumental in die Stücke eingeflochtenen Parts, die stellenweise nicht viel mehr als eine reduzierte Form des dunklen Ambient sind, fungiert die einzigartige Stimmgewalt der so mysteriösen wie gleichermaßen vor Energie sprühenden Power-Frontfrau praktisch als ganz eigenes Instrument, welches auch die ekstatischen Melodiebögen eines schräg polternden „Derevna“ oder rasenden „Babai“ eigenständig auszufüllen weiß. So bekommt der knüppelharte, teils doch etwas chaotisch überladene Industrial mit Cyber-Einschlag einen wunderbar uniquen Stempel aufgedrückt, wenn inmitten wild fiepender, bedrohlich knarrender Sounds und nervenaufreibend flimmernder Beats schließlich die slawischen Sagenwelten mit all ihren Dämonen und Monstrositäten im okkulten Liederreigen zwischen Vergangenheit und Moderne auferstehen. Dazwischen stehen immer wieder wirkungsvolle Interludien, wie zum Beispiel „Liho“ mit seinen ängstigenden Spoken-Word-Passagen vor beunruhigend knisternder Kulisse oder auch das sonderbar zerrissene, fast schon horroresque „50“. Danach legt das abwechslungsreiche „Domovoy“ wieder ordentlich nach, schnellt unbarmherzig voran und hält unerwartet für wenige Momente inne. Das hauptsächlich elektronisch getriebene „Grai“ ist für das ungeschulte Gehör wohl noch das bekömmlichste Stück auf diesem Album und entspricht fast gängigen Club-Standards, worauf mit dem gespenstischen „Feet“ wieder ein atmosphärischer Aufbau vor dem Finale durch das fiebrige „Ebn“ folgt - Was für ein verrückter Trip! Gar kein Zweifel: Mit „See Bear“ liefern „Kiberspassk“ um Gründerin und Sängerin Baba Yaga ein in vielerlei Hinsicht wirklich beachtliches, da sehr mutiges, Debüt ab. Der abenteuerliche Mix aus mystischer Folklore, finsterem Ambient und knallenden Dark-Electro-Salven besticht durch seine Einzigartigkeit und gefällt gerade wegen seiner ungestellten Authentizität. Ist der teils monotone, zuweilen wirre Electro-Industrial allein in weiten Teilen zu wenig melodiös und erinnerungswürdig, stolpert ebenso der Gesang von Baba Yaga trotz seiner variantenreichen Fülle über zu viel Ambition. Zusammengenommen entsteht so jedoch eine erfreulich exotische Mischung, die zwar mit Sicherheit erst einige Durchläufe zur Entfaltung benötigt, aber trotzdem frisch und interessant genug bleibt, um langfristig zu unterhalten. Alle Freunde von Musik, die gerne fernab des Üblichen wildert, können sich bedenkenlos trauen und finden so Abwechslung im sonst so berechenbaren Electro-Einerlei.


Informationen:


https://kiberspassk.bandcamp.com


https://www.facebook.com/kiberspassk

 

Blutengel - Erlösung - The Victory Of Light (2021)

Genre: Electro / Pop / Alternative

Release: 16.07.2021

Label: Out of Line Music (Rough Trade)

Spielzeit: 68 Minuten

Fazit:


Ein neues Zeitalter bricht mit „Erlösung - The Victory Of Light“ für „Blutengel“ an. „Blutengel“ und ihre Musik ist ein eigenes Lebensgefühl, ein Glaubensbekenntnis - fast schon eine eigene Religion! Noch nie gab es so viele deutsche Songs auf einem „Blutengel“-Album, wie dieses Mal. Hand in Hand mit dem Artwork von Stefan Heilemann („Heilemania“) werden „Blutengel“ euch ganz in ihre Welt verführen. Nach dem Licht kommt die Dunkelheit und nach der Dunkelheit das Licht. Ein ewiger Kreislauf, der in „Erlösung - The Victory Of Light“ entflammt und die Hörer in das Reich von „Blutengel“ entführt. Schon in der packenden ersten Singleauskopplung - gesungen auf Deutsch und Englisch - „The Victory Of Light“ weist das Licht uns den Weg. Elektronischer Sound, rau, futuristisch - in Kombination mit dem unwiderstehlichen Tanzcharakter und episch mitreißenden Refrains offenbart das Album ein wahres Hymnenpotenzial. Bis wir das Album ganz genießen können, heißt es „Repeat“ für die Single(s), die gerade in dieser Zeit die Botschaft vermittelt. „Wir sind das Licht! Das Licht wird siegen!“, so „Blutengel“-Mastermind Chris Pohl. „Das Licht kann auch als Erlösung im Sinne von Tod gedeutet werden - du siehst das Licht, in das du dann gehst...“, berücksichtigt man dies, beschreibt Chris hier den gemeinsamen Übergang in die Unendlichkeit... So oder so: Am Ende ist das LICHT! Das brandneue „Blutengel“-Album „Erlösung - The Victory Of Light“ erscheint am 16.07.2021 weltweit via Out Of Line Music als Download, Einzel-CD im Jewelcase und Doppel-CD im Digipak mit acht Bonustracks. Für Schallplattenliebhaber wird es eine Doppel-Vinyl in den Farben Türkis und Transparent geben. Als Sahnestückchen kommt die Doppel-Vinyl als 180g „Glow in the dark“ (leuchtet im Dunkeln) und ist exklusiv im Out-Of-Line-Shop erhältlich. Die Vinyls kommen inklusive Downloadcode und sind streng limitiert. Zum allerersten Mal wird es ein „Blutengel“-Album auch auf einer limitierten Kassette (MC) geben. Für das authentische Kassetten-Retro-Gefühl (und den Kampf gegen den Bandsalat), gibt es einen bedruckten Bleistift dazu (ebenfalls exklusiv im Out-Of-Line-Shop erhältlich). Das Highlight ist ein limitiertes Boxset: Neben der Doppel-CD im Digipak enthält die Box die exklusive Bonus-CD „A World Beyond“, das Foto-Buch „Erlösung - The Complete Story“, ein Buch mit den kompletten Lyrics und exklusiven Bildern von Annie Bertram) im DIN-A5-Format, einen Schlüsselanhänger mit LED-Taschenlampe sowie einen ganz besonderen Hologramm-Sticker mit „Blutengel“-Schriftzug.

Die Töne eines tief gestimmten Pianos verhallen langsam in der Dunkelheit. Nochmals. Und dann erneut. Immerzu zerrissen durch schrille, sirenale Soundeffekte und kryptische Samples, die daraufhin von bruchstückhaften Beats und stark verfremdeten Vocals abgelöst werden. Der Auftakt mit „Illuminate My Soul“ zeichnet sich durch ein finsteres, beunruhigendes, sehr atmosphärisches Vorspiel aus und lässt sich damit ungewohnt viel Zeit für einen längeren Aufbau der allgemeinen Spannungskurve, was weite Teile des ersten Stücks mehr einem Intro, einer instrumentalen Einführung, gleichkommen lässt, welche erst nach rund zwei Minuten in den eigentlichen Song übergeht... Und dessen Ausrichtung könnte wohl klassischer nicht sein: Helle Glockenschläge, prägnant-kraftvolle Percussion und viel elektrische Schlagseite mit kleinen Zwischenspielen und gewollt epischem Hymnen-Potential, darüber die leicht verzerrte Stimme von Chris Pohl. Recht überraschend das multilinguale Arrangement, das in der Bridge durchkommt, wenn von Englisch zu Deutsch geswitcht wird und etwas Abwechslung beschert. „Wir Sind Das Licht“ ist die letzte der einst vorausgeschickten Singles und geht, wie sollte es auch anders sein, zügig ins Ohr. Der moderne (Mainstream-)Industrial-Beat ist sehr tanzbar und gewohnt catchy, geht aber zumindest für „Blutengel“-Verhältnisse angenehm rough nach vorne und gesteht sich kleinere Ecken und Kanten ein. Ist also nicht so betont rund und überzogen poppig, wenngleich hier natürlich immer noch von „Blutengel“ die Rede ist und keine Komplexe, experimentelle Avantgarde erwartet werden darf. Der harsche Rhythmus gefällt jedenfalls und setzt sich auch im Gesang und in den Strophen fort, nette Details und kleine Variationen im Sound tun ihr Übriges. Der erwartbare Refrain, der Miteinander und Zusammenhalt in dunklen Zeiten beschwört, driftet hingegen leider in längst bekannte, fade Gefilde ab und ist demnach arm an Überraschungen... Schade. Nicht minder typisch, um nicht zu sagen berechenbar, dann auch „We Are Not Dead“, was mit ebenfalls treibender Rhythmik und der durchaus facettenreich instrumentierten, leicht überladenen Melodie doch zu gefallen weiß und darüber hinaus einige nette Alleinstellungsmerkmale, wie beispielsweise ein akustisches Gitarren-Solo, bereithält. Das Tempo ist hoch, der Kurs positiv powernd und energetisch, was mit dem einmal mehr einfach gehaltenen Text gut Hand in Hand geht und die Nummer im Stil eines „You Walk Away“ umso einprägsamer macht. Waren die vorherigen Nummern noch überdeutlich im Club-Segment verankert, so folgt mit „Seasons“ dann der erste ruhige Song mit leicht balladesken, nachdenklichen Anleihen. Die gespenstisch-hypnotische Synth-Melodie im schwer schleppenden Tempo hat durchaus etwas Eindringliches an sich und erinnert manches Mal an einen verqueren Goth-Walzer auf einem bizarren Jahrmarkt. Die introvertierte Grundnote der Lyrics kommt so leider wenig zur Geltung und wird zu sehr von der zwar recht gelungenen, doch dominanten Fassade überschattet, wenn Pohl über die Jahreszeiten des Lebens sinniert. Den völligen Kontrast dazu bietet „Wer Ist Dein Meister?“ mit seinem aggressiven, knarzigen und minimalistischen Sound, der mit den Vorgängern so fremdelt, dass er fast wie ein Remix wirkt. Hier steht launiger Düster-Techno mit für die Szene stereotypen Text-Prinzipien auf dem Programm. Die Shout-Einlagen im Chorus nach dem bekannten Call-and-response-Prinzip wirken wiederum etwas deplatziert. Solide, aber eben nicht viel mehr. Ganz anders danach „Deine Dämonen“, welches nun erstmal ein etwas längeres Instrumental als eigenes Intro spendiert bekommt. Das maßgebliche Arrangement ist trostlos, dunkel und wirkt nicht zuletzt auch durch Pohls wirkungsvolle Intonation, die hörbar verzweifelt und dennoch etwas unbeholfen daherkommt, sehr getragen, klart dann jedoch zunehmend auf. Die starke Dramaturgie des rund siebenminütigen und damit ungewöhnlich langen Epos trägt zur Entfaltung bei und stimmt wirksam auf den Punkt. Elektronik trifft auf orchestralen Sound, wenn von einer toxischen Beziehung unter einem Narzissten gesungen und der Tiefe Schmerz spürbar wird. Trotz viel Pathos sehr intensiv und wohl eines der besten „Blutengel“-Stücke seit sehr langer Zeit. Ein finsteres Klangspiel eröffnet „I Am The Darkness“, das von einem schwarz funkelnden Szene-Beat mit verdammt viel Club-Potential angetrieben wird und stellenweise sogar an „Terminal Choice“ erinnert, wie auch so manch anderer Song auf diesem Album... Ulrike Goldmann zeigt erhöhte Präsenz, liefert während der Bridge einen Kontrast und hält auch danach noch als engelsgleicher Part gegen Pohl im Refrain, was für eine schöne Dynamik sorgt, wie auch beim Quasi-Titeltrack „Erlöse Mich“. Viel Mitsing-Charakter, viel gefälliger Goth-Groove! Goldmann ist es auch, welche das folgende „Wie Sand“ mit ihrer wunderbaren Stimme veredelt. Wie schon seit einigen Werken aus der jüngsten Vergangenheit der blutengel‘schen Diskographie bekannt, zählen ihre Solo-Stücke nämlich immer zu den unumstrittenen Hochkarätern in den Tracklisten und das soll hier wahrlich nicht anders sein! Dunkelschön schillernder Synthie-Pop mit einem mystischen Touch und anschmiegsamen Retro-Feeling lässt in enger Verbindung mit ihrer leidenschaftlichen Vertonung keine Wünsche offen. Musik und Gesang sind hörbar on point und fungieren als geschlossene Einheit in purer Harmonie - Sehr schön! „No Religion“ wohnt weitaus weniger Substanz inne, wie bereits allein der uninspirierte Titel klarmacht, gehört die plakative Kritik mit dem Holzhammer an Glaube und Religion doch mittlerweile zu den beliebtesten der oberflächlichen Lyrik-Themen aus dem ach so schwarzen Klischee-Katalog. Im pubertären Gothic-Wunderland nichts Neues und bei „Blutengel“ erst recht nicht, wenngleich selbst Chris Pohl es in der Vergangenheit schon besser umzusetzen wusste. Dafür reißt die eingängig tänzelnde, nett verpoppte Melodie hier viel heraus und macht erheblich mehr Laune, als der Text. Gleiches gilt für „Darkness Awaits Us“, ein elektrisierender Mid-Tempo-Stampfer im gelungen dargebrachten Dark-Electro-Style, der abermals viel von der gesanglichen Dualität lebt und positive Vibes zu Tage fördert. Sehr tanzbar, sehr eingängig... Aber auf die gute Art. Auch „We Fall“ überzeugt mit eigenständigen Ideen und stellt jene mit seinem hintergründig schwebenden Gitarrenspiel sowie dezenten Wave-Anleihen heraus, wohingegen das bereits bekannte „The Victory Of Light“ ordentlich Druck macht und den Adrenalinspiegel nach oben schnellen lässt: Rasante Beats zucken in düsterer Manier auf, prallen auf schrille Sounds und verzerrten Gesang. Dem relativ starken Text wohnt dabei eine authentisch behaftete Melancholie inne, die sich zunehmend ausbreitet und gerade im Chorus sehr passend powert. Lediglich das an Effekten zu überladene Arrangement könnte hier negativ angekreidet werden, wird aber durch das wirklich schöne Finale mit dem gefühligen „Hand In Hand“ wieder wettgemacht. Jenes steht in bester Tradition eines „Monument“, wenn ein kurzes, sich immerzu wiederholendes Mantra in cineastischem Aufbau auf orchestralen Bombast aus Streichern und Chor sowie viel Emotion trifft. Sowohl Fans als auch Kritiker dürften es bereits im Voraus geahnt haben: „Blutengel“ bleiben „Blutengel“, ihrem Stil und somit auch sich selbst treu... Das kann als Lob oder Kritik verstanden werden. Fakt ist jedoch, dass das erfolgreiche Berliner Duo sein Handwerk nach wie vor bestens versteht und Liebhabern dementsprechend genau das liefert, was sie erwarten. Wer dem nach wie vor auf schnelle Eingängig- und Clubtauglichkeit getrimmten Mix aus Pathos und Pop noch nie etwas abgewinnen konnte, wird seine Meinung auch dieses Mal vermutlich nicht ändern. Sympathisanten und Fans dürften mit „Erlösung - The Victory Of Light“ hingegen ihren vorzeitigen, heiligen Gral des schwarzen Mainstream gefunden haben, gehört der aktuellste Output von Pohl doch mit zum Besten, was „Blutengel“ in den letzten Jahren veröffentlicht haben! Nicht ohne Grund, denn mit scheinbarer Leichtigkeit decken die zwei Hauptstädter hier (endlich wieder) nahezu alle Aspekte ab, welche das Projekt seit jeher so sehr ausmachen und bieten verschiedenste Facetten in gewohnter Qualität. Positiv anzumerken ist, wie schon beim Vorgänger „Un:Gott“, das merkliche Abweichen vom seichten Pop und der Mut zu kleinen Experimenten, der sich stellenweise erfreulich auf die eigenen Wurzeln beruft. So kann es gerne weitergehen!


Informationen:


https://blutengel.de


https://www.facebook.com/BlutengelOfficial/

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