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BEITRÄGE:

AutorenbildChristoph Lorenz

Priest - Welle:Erdball - Herumor (2020)


Priest - Cyberhead (2020)

Genre: Electro / Alternative

Label: Blue Night (H'Art)

Spielzeit: ca. 43 Minuten

Fazit:


„Cyberhead“ ist das mittlerweile zweite Studioalbum des von Kritikern hochgelobten Electro- und Synthpop-Acts „Priest“. Die dunkle, mysteriöse Band aus Schweden, welche unter anderem aus ehemaligen Mitgliedern von „Ghost“ besteht, wird euch auch dieses Mal geradewegs in die schillernde Neonlicht-Atmosphäre der Achtzigerjahre, vermischt mit Science-Fiction und Gothic-Sound-Welten, katapultieren. Seit ihrer ersten Veröffentlichung in 2017 haben „Priest“ an Millionen von Streams, eine stetig wachsende Fan-Base und weltweite Anerkennung für ihre bisherigen Releases „New Flesh“ und „Obey“ erhalten. Weiterhin tourte die Band bereits mehrmals quer durch Europa und wurde somit zu einem der wohl vielversprechendsten Elektronik-Acts überhaupt. Macht euch für das nächste Kapitel bereit! Das zweite Studioalbum namens „Cyberhead“ erscheint via Blue Night am 13.11.2020 als digitaler Download, CD im Digipak oder (wahlweise farbige) Vinyl, im offiziellen Shop der Band sind zudem exklusive Bundles mit Patch, Pin und T-Shirt zu beziehen.

Wer kennt sie bitte nicht, die ominöse wie auch äußerst beliebte Metal-Band „Ghost“, welche mit ihren erstklassigen Songs schon seit einigen Jahren die Szene gehörig aufmischt und seitdem vollkommen gerechtfertigt auf einer schier gigantischen Welle des Erfolgs schwimmt? Die Formation um Mastermind Tobias „Papa Emeritus“ Forge ist nicht mehr aufzuhalten und wird vielerorts als der neue Messias ihres Genres gelobt, doch zuletzt verdichteten sich zunehmend dunkle Wolken über dem aufstrebenden Kollektiv, als einige der sogenannten „Nameless Ghouls“ neben ihrem Ausstieg just einige Informationen über die aktuelle Besetzung bekannt gaben. Einige der Ex-Mitglieder wandten der Musik folglich jedoch nicht etwa den Rücken. Im Gegenteil, sie wagten einen bravourös geglückten Neuanfang und das in einer gänzlich anderen musikalischen Sparte. So entstand mit dem im Herbst 2018 veröffentlichten „New Flesh“ und einem hochkarätigen Produzententeam aus Alpha und Air im Hintergrund, ein fürwahr vielversprechendes Debüt der Extraklasse, mit welchem man schnell von sich Reden machen konnte, unter anderem auf ersten Festival- und Support-Gigs von „Aesthetic Perfection“ oder „Blutengel“. Einige nur allzu signifikante Parallelen zum vorherigen Betätigungsfeld können und sollen dabei jedoch nicht verleugnet werden, welche sich nicht nur allein in den extrem eingängigen Songs, sondern insbesondere auch in der gesamten, ästhetischen Präsentation mit all ihren visuellen Aspekten zeigen, die sich stets dramaturgisch inszeniert der mystischen Zuhilfenahme von völliger Anonymität und okkulten Symboliken bedienen. Doch auch „Priest“ sollten leider nicht vor unaufhaltsamen Unstimmigkeiten verschont bleiben und so gab man kurz vor dem im März 2019 stattfindenden e-Tropolis-Festival Oberhausen bekannt, dass der bisherige Sänger, Tom Åsberg, aufgrund nicht näher ausgeführter Differenzen ausgestiegen sei. Aufgrund dessen kam es zu internen Besetzungswechseln, die anfangs für so einige Furore im erschütterten Fan-Lager sorgten, doch sich glücklicherweise mit der Zeit wieder etwas legen konnten. Nach dem fast schon beiläufig erfolgten Release der noch unter dem ursprünglichen Line-Up aufgenommenen, grandiosen EP „Obey“, herrschte dann erst einmal gnadenlose Stille, bis schließlich die Arbeiten am mit viel Spannung erwarteten Zweitwerk bekanntgegeben wurden. Parallel zur neuen Inkarnation des abermals unbekannten Sängers, Mercury 2.0, welcher das selbsternannte „Tria Prima“ aus Schweden seitdem tatkräftig am Mikrofon unterstützt, erfolgt nun auch eine weitere Ära mitsamt einem zum Vorgänger differenzierten Stil, der sich sowohl optisch als auch musikalisch zeigen soll... Glockenklare, hell schillernde, harmonische Synthie-Spitzen stechen sphärisch und zugleich doch sonderbar vertraut plötzlich aus dem Nichts heraus. Fast so, wie himmlische Chöre, die nicht von dieser Welt oder aus diesem Universum zu stammen scheinen. Schon bald darauf ertönt die sanfte, dezent gepitchte Stimme des neuen Sängers, bevor mit leichtem Nachdruck der funkig groovende Rhythmus mit überdeutlichem 80er-Einschlag greift, der sich rigoros in das anvisierte Setting einfügt und den Opener „Xpander“ fortan im gediegenen Mid-Tempo trägt. Im catchy Refrain prallen dann die durch hintergründige Trommelschläge stark befeuerte Epik und geschmeidig-ohrwurmiger Retro-Pop direkt aufeinander. Das kann während der ersten Hördurchgängen zuweilen noch merkwürdig glatt und unerwartet konform wirken, entfaltet später aber doch eine überraschend sichere Sogwirkung. Etwas ganz ähnliches könnte man sicher auch über den ersten Single-Release „Dead Ringer“ schreiben, welcher den gewohnten „Priest“-Style mit seinem finster pulsierenden Beat, den beunruhigend beschwörenden Lyrics und der düsteren Grundstimmung zwar von Beginn an offensichtlich transportiert, anfänglich jedoch eher handzahm und dabei fast schon unauffällig daherkommt. Auch wenn der Song streckenweise sogar extrem tanzbar ist, liegt dennoch kein typischer Club-Hit mit schnell pumpenden Rhythmen oder einem aggressiv hämmernden Bass vor. Im absoluten Gegenteil, denn die hörbar immer länger werdenden Schatten kommen hier größtenteils auf leisen Solen geschlichen. Ein echtes Highlight ist aber der bemerkenswert facettenreiche Gesang des wandelbaren Mercury 2.0, der in den Strophen erst leise lockend flüstert, nur um anschließend in der markanten Bridge dann voller Inbrunst gänzlich neue Höhen mit seinem Organ zu erreichen und den Hörer so in einen hypnotischen Bann zu ziehen. „I Believe In You“ schlägt danach wohl am ehesten die Brücke zwischen Alt und Neu, wenn schnell naheliegende Vergleiche zu „Obey“, „Neuromancer“ oder auch „Vaudeville“ wach werden. Der Track ist eine der wenigen Up-Tempo-Nummern, wenn nicht streng genommen sogar die Einzige. Auf den von allerlei stimmungsvollen Effekten beladenen, technoid flirrenden Power-Beat legt sich alsbald schon aufrüttelnd die beschwörende Stimme des geheimnisvollen Sängers, welche die ermutigenden Zeilen jetzt wie ein Mantra immerzu intensiv wiederholt. Zugegeben, hinsichtlich des weitreichend eher abwechslungsarmen Textes, besteht hier vergleichsweise viel Luft nach oben, der Fokus liegt deutlich auf dem instrumentalen Unterbau, der sich trotz abermals hoch dosiertem Pop-Appeal doch weitaus weniger geschliffen gestaltet, als noch beim ersten Lied von „Cyberhead“. Das mit einer Spielzeit von knapp dreieinhalb Minuten nur unwesentlich kürzere „Decay“ erzeugt ob seiner zunächst fast schon unauffälligen Machart eher das Gefühl eines atmosphärischen Interludiums, das durch seinen steten Fluss direkt zum nächsten Track geleitet. Verspielt blubbernde, leichte Electronica schweben experimentell angehaucht herbei und tragen die abwechslungsreich bearbeitete Stimme von Mercury bis hin zur zuletzt veröffentlichten, neuen Single „Thieves“, die auch sogleich mit einem äußerst knackigen, geheimnisvollen Beat aufwartet. Der übergreifende Sound bleibt weitestgehend griffig und modern, gemahnt mit seinen vielen kleinen, definitiv nicht zu verleugnenden Kernelementen zuweilen aber dennoch sehr an den prägenden, ikonischen Stil der Achtzigerjahre. Dennoch wohnt dem packenden Sound ein gewisser Touch an verführerischer Dunkelheit inne, welchen man im weiteren Verlauf der Tracklist jedoch zumeist vergeblich sucht. Auch der wirklich ganz hervorragende Chorus fügt sich ungemein schlüssig vor dem extrem lässig groovenden Hintergrund ein und weiß durch seine leidenschaftliche Intonation definitiv zu punkten. Ein weiterer Höhepunkt folgt mit dem ebenfalls vorab ausgekoppelten „Time Traveler“ sogleich darauf: Die von einsam pfeifenden Synthies begleitete Power-Ballade zeichnet sich durch ihren dramaturgisch perfekt ausgestalteten Aufbau bis hin zur elegischen Melancholie-Explosion aus. Und wieder einmal ist es der großartige Gesang, der hier einen Löwenanteil an der puren, reinen Emotion hat, wenn Mercury in den Strophen erst nachdenklich und verzweifelt agiert, in späteren Electro-Bombast-Refrain dann aber voller Schmerz und Leidenschaft zum rigorosen Befreiungsschlag ansetzt. Die wundersam warmen Klänge eines „Beacon Of Light“ bewegen sich mit ihrer harmonischen Dynamik und bittersüßen Note in einem sehr ähnlichen Segment, die nebulös wavende Gitarre Keytar im Solo und die markanten E-Drums reichern den Cyber-Pop dezent mit neuen, frischen Ansätzen an. Eine überdeutlich futuristisch geprägte und von manch kleinen Feinheiten durchsetzte Ballade, die ohne Zweifel auf Heavy Rotation im Radio laufen könnte und deren entscheidender Unterschied dazu die spürbar authentische Leidenschaft und Substanz ist. Dieser Ansatz findet sich danach auch in „Hysteria“ wieder, welches wieder etwas kraftvoller tönt. Flirrende Synthies bestimmen erst zurückhaltend den Hintergrund, dazwischen erklingen immer wieder süßliche Background-Vocals und resultieren kurz darauf einmal mehr in einem eingängigen Power-Chorus zum Mitsingen. So weit, so erwartbar, so solide, so unspektakulär. „Indestructible“ ist abermals sanftmütiger melancholischer 80er-Pop in seiner reinsten Form und besticht durch eine schöne Bridge samt gelungenem Refrain, während das betörend schwelgerische „Star Maker“ jene inspirative Zeitreise nochmals klar intensiviert. In den Strophen blubbert die Elektronik verspielt und spannt mit dem zauberhaft smooth schwebenden Sound sodann einen wunderbar ergreifenden Bogen zum verträumten Refrain. Das alles erinnert ein wenig an „Erasure“ in ihren Sternstunden und streift dabei sogar leicht die äußersten Anfänge elektronischer Musik à la „Kraftwerk“, ehe die Space-Odyssee mit einem hauchzarten Quasi-Outro endet und das Raumschiff schlussendlich wieder sicher in der „Mother Base“ landet... „Cyberhead“ bietet der Hörerschaft vermutlich exakt das, was diese angesichts des Konzepts der neuen-alten Ära zum Großteil auch erwartet haben dürften: Analoge Synthesizer, knarzende Vocoder, restroeske Beats, catchy Harmonien, 100% Nostalgie und einen zu (fast) jeder Zeit stringent choreografierten 80‘s-Vibe. Ein überraschendes Highlight und der größte Pluspunkt des sowohl mit viel Spannung als auch nicht minder viel Skepsis erwarteten

Nachfolgewerks der Schweden, ist zweifelsfrei die formvollendete Metamorphose der Figur des Mercury 2.0, dessen einzigartige Stimme zwar oft genug elektrisierend nachbearbeitet und dabei mit allerlei Auto-Tune, Pitch- und Hall-Effekten angereichert wurde, aber dennoch warm und jederzeit unglaublich leidenschaftlich durch die Songs trägt. Zudem grenzt sich der Neue hinter dem Mikrofon gegenüber dem oftmals dunklen, klassisch geschulten, ja, fast schon operettenhaften Timbre des ersten Sängers gelungen ab. So setzt er zwar auf eine gewisse, artverwandte Wahrung des Charakters, bringt jedoch ausreichend viel Eigenständigkeit mit ein, anstatt sich krampfhaft an einer möglichst originalgetreuen Nachahmung des bekannten „Originals“ abzumühen, getreu dem Motto „Kein Blick zurück“. Auch spielen „Priest“ hier nicht mit falschen Erwartungen und spielen mit offenen Karten, denn was die digital publizierten Vorgeschmäcker andeuteten, bewahrheitet sich letztendlich auf Basis des endgültigen Longplayers: Das grundlegende Feeling unterscheidet sich im direkten Vergleich zu „New Flesh“ und „Obey“ doch deutlich. Der Grundtenor der aktuellen Ausrichtung ist nunmehr viel weicher, handzahmer und weitaus weniger düster, dadurch aber auch merklich weniger treibend und ohne Druck. Insbesondere die meisten Melodien und Refrains wurden auf ein absolutes Maximum an Eingängigkeit gebürstet. Dieser Fakt ist die größte Stärke und zugleich Schwäche von „Cyberhead“, das jetzt kaum mehr einen schwarzen Goth-Anstrich oder druckvolle Club-Kracher bietet und daran auch eher wenig interessiert scheint. Besonders schade, dass die hohe Hit-Dichte und der perfekt ausgewogene Retro-Charme der ersten Hälfte, bei welcher gefühlt jeder einzelne Titel eine Single hätte sein können, sich gegen Ende in der Gleichförmigkeit des beabsichtigten Wohlgefallens verliert und somit völlig ohne Risiko oder Kontraste in Spielart und Stil auskommt. Damit kommen wir nämlich zum größten Kritikpunkt des Zweitlings, denn nur zwei, drei schnellere Nummern im Industrial- oder EBM-Segment hätten „Cyberhead“ zugunsten eines ausgewogenen Grades irgendwo zwischen anmutigem Melancholie-Pop und der Härte donnernder Beats wirklich extrem gutgetan. Das beweisen die beiden bereits bekannten Veröffentlichungen, die nie zu stoisch und kompromisslos, aber eben auch nicht zu glatt und brav daherkamen. Nichtsdestotrotz ist das Update auf 2.0 doch sehr gelungen und wirklich alles andere, als der nach dem Ausstieg von Mercury von vielen Fans befürchtete Totalausfall. „Priest“ haben nach wie vor definitiv ein unglaublich gutes Gespür für sehr eingängige, griffige Melodien und eine besondere Atmosphäre in all ihren Songs, was sie auch bei ihrem mittlerweile dritten Release unter Beweis stellen. Beim nächsten Mal darf es gerne wieder etwas mehr Mut zu Ecken und Kanten sein, dann steht einem weiteren Aufstieg zu einem neuen Stern am Electro-Himmel ganz bestimmt nichts mehr im Wege!


Informationen:


https://www.airghoul.com


https://www.facebook.com/priestofficial

 

Welle:Erdball - Engelstrompeten & Teufelsposaunen (2020)

Genre: Klassik / Alternative

Release: 20.11.2020

Label: Oblivion (SPV)

Spielzeit: 106 Minuten

Fazit:


Hallo, hier spricht „Welle:Erdball“! Wir begrüßen Sie recht herzlich zur Übertragung der Sendung „Engelstrompeten & Teufelsposaunen“. Es spielt für Sie das Funkhaus-Orchester unter der Leitung und dem Arrangement von Conrad Oleak. Die „Welle:Erdball“-Klassiker, einige Geheimtipps und sogar exklusives, neues Material - das Ganze gespielt von einem vierzigköpfigen Orchester im Rahmen der neuen „Welle:Erdball“-Sendung „Engelstrompeten & Teufelsposaunen“! Können Sie sich denn vorstellen, wie ein Titel, der mit einem einzigen Commodore C=64 (also mit nur drei Stimmen!) komponiert wurde, von einem Orchester umgesetzt wird? Können Sie sich denn vorstellen, zur musikalischen Interpretation eines Orchesters Ihr Tanzbein zu schwingen? Können Sie sich denn vorstellen, wie die Streicher eines Orchesters mit den 8-Bit-Sprachphonemen des C=64 harmonieren? Wie der beliebte Minimal-Electro aus dem Funkhaus im rein klassischen Gewand klingt, erfahren die gespannten Hörer des berühmten Senders schon am 20.11.2020, wenn „Engelstrompeten & Teufelsposaunen“ als Download, Doppel-CD und Doppel-Vinyl via Oblivion (SPV) erscheint.

Bereits vor drei Jahren und auch gleich zu Beginn des letzten Jahres habe ich mit dem Release von „Live At The Neues Gewandhaus Leipzig“ der englischen Synthpop-Band „Mesh“ und „Refugium“ von Joachim Witt auf diesen Seiten schon einmal zwei Veröffentlichungen rezensiert, die während des „Gothic meets Klassik“-Festivals entstanden sind. Für all jene, die gerne ganz genau wissen möchten, worum es bei dieser Veranstaltung eigentlich geht, zitiere ich mich hier aus diesem Grund nochmals selbst: Leipzig hat wahnsinnig viel zu bieten! Die bekannte Großstadt, die dem Freistaat Sachsen angehört, ist mit ihren vielen Möglichkeiten zum ausgiebigen Sightseeing nicht nur ein stets beliebtes Ziel bei Touristen, sondern seit weit über zwanzig Jahren auch Gastgeber und gleichzeitiger Austragungsort für das berühmte WGT, dem weltweit wohl größten Zusammentreffen der nationalen und internationalen schwarzen Szene. Das einzigartige Event, zu welchem jährlich extra tausende Gäste aus aller Welt anreisen, steht jedes Mal wieder im Fokus der interessierten Medienlandschaft und ist damit nicht nur der allgemeinen Erhöhung des örtlich florierenden Tourismus zuträglich, sondern auch für das ausgeprägte, schwarze Kulturangebot in den übrigen Monaten mitverantwortlich, was die weltoffene Stadt zu einer der absoluten Hochburgen macht. Wem die mehrtägige Zusammenkunft im Frühjahr, die vielen Einzelkonzerte namhafter Acts oder spezifischen Motto-Partys dennoch nicht ausreichen, hat seit insgesamt acht Wintern einen Grund zur hellen Freude mehr und damit auch gleich einen weiteren Termin, den es sich fortan jeden Herbst wieder im Kalender rot anzustreichen galt. „Gothic meets Klassik“, heißt das spezielle Event und hätte nach einer ungemein erfolgreichen Erstauflage im Jahr 2012 dieser Tage folglich zum nunmehr ingesamt neunten Mal stattfinden sollen. Wie der Name schon vermuten lässt, steht die Veranstaltung für die furiose Verschmelzung zweier gänzlich verschiedener Welten. Es ist die Fusion aus der dunklen und dabei nicht selten harten Musik der schwarzen Szene mit der anmutigen Zerbrechlichkeit der Klassik. So gaben sich in der Vergangenheit unter anderem schon wahre Urgesteine und echte Größen ebenjener wie etwa Peter Heppner, Joachim Witt, „Mono Inc.“ und die Folk-Metaller von „Subway To Sally“ die Klinke in die Hand, deren bisheriges Schaffen für dieses Unterfangen nahezu prädestiniert ist. Doch auch die Klänge aus dem elektronischen Sektor sollten zurecht ihre Chance erhalten, in gänzlich neuem Gewand erstrahlen zu dürfen. Neben beliebten Formationen wie „VNV Nation“, „Solar Fake“ oder „Frontline Assembly“, standen sogar schon die unbarmherzigen Industrial-Berserker von „Combichrist“ und Future Pop-Legende „Covenant“ mit orchestraler Begleitung auf den Brettern des altehrwürdigen Gewandhauses. Natürlich hätte es auch in diesem Jahr eine Fortsetzung des andersartigen Spektakels und das Line-Up konnte sich in der Tat mehr als nur sehen lassen: Am 20. und 21.11.2020 hätten unter anderem mit Indie-Newcomer „Drangsal“, dem Electro-Quintett „In Strict Confidence“ und den extrem erfolgreichen Hamburger Dark-Rockern von „Lord Of The Lost“ abermals äußerst vielversprechende Künstler auf der Bühne stehen sollen, die Hoffnung dafür bestand bis zuletzt. Der Termin wurde aus bekannten Gründen leider abgesagt und konnte dafür ersatzweise auf den 12. und 13.11.2020 verlegt werden. Fast schon seltsam unauffällig hat sich dabei ein doch sehr bekannter Name mitten ins Line-Up geschlichen, der schnell aufhorchen lässt und in puncto „Neugierde“ alles anderen Acts für einen Moment gnadenlos überschattet: „Welle:Erdball“. Obwohl die altgedienten Niedersachsen, wie bereits erwähnt, schon lange nicht mehr das erste, elektronische Projekt im Rahmen der beliebten Klassik-Interpretationen sind, zählen sie aber wahrscheinlich dennoch zu den bisher wohl interessantesten Kandidaten aus der Szene für dieses Unterfangen überhaupt! Der sonst so reduziert treibende, tanzbare Minimal-Electro, dessen allerlei piepende, knarzende, klackende und bewusst limitierte Töne nicht selten aus nur einem einzigen Commodore 64 oder anderer Technik gespeist werden, in einem ausladend bombastischen Orchester-Gewand!? Kann das überhaupt funktionieren oder wird hier etwa doch nur krampfhaft versucht, auf den großen Erfolg eines sich immer mehr Beliebtheit erfreuenden Projekts aufzuspringen? Wer den passionierten Chef-Moderator Hannes „Honey“ Malecki des unglaublich kreativen und mittlerweile seit dreißig Jahren stetig aktiven Senders kennt, muss es definitiv besser wissen, denn so dermaßen wandelbar, facettenreich und innovativ sind wohl nur die Wenigsten. So dürfen es neben schlüssigen Konzeptalben auch gerne mal Live-Shows mit gigantischen Aufbauten und stundenlangen Wahl-Setlisten, ein interaktives Songwriting zwischen Publikum und Band, ein Musical oder sogar ein eigener Film sein. Jetzt ist es also soweit und der Sender bereit für die nächste Stufe: Vor dem Hintergrund der oben erwähnten, geplanten Show im Gewandhaus Leipzig entstanden unter der Leitung und dem feinfühligen Arrangement von Conrad Oleak gemeinsam mit einem vierzigköpfigen Orchester alternative Klassik-Versionen von insgesamt zwölf ausgewählten Stücken aus verschiedenen Epochen des Funkhauses. „Kommt doch und hört mal meinen Sound... Hört Engelstrompeten und Teufelsposaunen. Ihr seid eingeladen!“, lautet das bekannte Zitat aus dem kontroversen Film „Clockwork Orange“, welches auch schon im kritischen „Eine Neue Zeit“ auf „Der Kalte Krieg“ von 2011 als einleitendes Sample seine wirkungsvolle Verwendung fand. Das verträumte „Funkbereit“ besticht sogleich mit rhythmisch sanfter Percussion, gleißend hellen Violinen und majestätischen Blechbläsern, schwingt sich auf elegante Art und Weise zu einer schwelgerischen Ouvertüre auf. Der ideale Einstieg! Ein Auftakt, der sich bei der ikonischen, romantisierend aufgezogenen Modell-Liebeserklärung an den „VW-Käfer“ nochmals umso mehr ausbreitet und so fast schon zu einer zauberhaft kitschigen Nostalgie-Hymne ansteigt, welche genauso gut der klanglichen Idylle eines alten Hollywood-Films entsprungen sein könnte. Zuckersüß schweben die sanften Harmonien herbei und schüren unweigerlich Fernweh, Reisefieber und den Wunsch nach einer nicht immer unbedingt besseren, doch einfacheren Vergangenheit, grandios aufleben. Ein ohnehin schon ganz wunderbar vertontes Lebensgefühl, jetzt noch greifbarer! Nicht weniger groß inszeniert dann auch die wahnsinnig charmante Horror-Klischee-Ballade „Mumien Im Autokino“ von der aktuellen EP „Die Unsichtbaren“, die im vergangenen Jahr bereits einen kleinen Vorgeschmack auf die nächste, vollwertige Sendung „Film, Funk & Fernsehen“ bot, die vermutlich schon 2021 veröffentlicht wird, wenn auch die gleichnamige Tournee dazu stattfinden soll... Hoffentlich. Die faszinierend getragene Synergie aus höchstmöglicher Dramaturgie und cineastisch behafteter Epik passt ganz hervorragend und packt beim Hören einfach sofort! Das betörende „Deine Augen“ gestaltet sich anschließend so herzerwärmend wie eh und je. Die fröhlich flirrende Elektronik weicht nun einem eher gediegenen und balladesken Grundton, dennoch wohnt dem Arrangement unterschwellig ein gewisser Touch Dunkelheit inne, der einen merkwürdigen, aber sehr wirkungsvollen Kontrast zur lyrischen Harmonie setzt. Die gegensätzlichen Stimmungen greifen gelungen ineinander und sorgen so für einen dichten Aufbau, der sich über die gesamte Spielzeit sicher hält. Natürlich gibt es im Folgenden noch viele weitere Klassiker und unverzichtbare Gassenhauer, sogar ganz neue Songs, wie „Nur In Meinem Traum“, oder eher unerwartete, kleine Raritäten sind in der Tracklist dabei. Zum Beispiel das verbitterte „Gib Mir Mein Gefühl Zurück“ vom vierten Album „Der Sinn Des Lebens“, dessen finstere, abgeklärt kühle Stimmung hier mit vehementem Vocoder-Einsatz und verheißungsvollen Glockenschlägen viel mehr ins tragisch Ergreifende verkehrt wird, wodurch man jetzt plötzlich eine gänzlich andere Perspektive auf das Geschehen erhält. Eines der absoluten Highlights: „Starfighter F-104G“, welches für die neueste Sendung ganz unauffällig zu „Starfighter F-104K“ umgemodelt worden ist, erzählt bekanntermaßen die tragische Geschichte des Joachim von Hassel, einem Piloten der Bundeswehr, der bei einem tragischen Unfall in seiner Maschine ums Leben kam. Der unter langjährigen Fans beliebte Club-Favorit wird durch die differenzierte Instrumentierung so einnehmend und bewegend, wie nie zuvor und verschiebt die Aufmerksamkeit fast nebenbei mehr gen Emotion, denn nur purer Tanzbarkeit. Doch auch die Stücke aktuelleren Datums, quasi die Evergreens von morgen, werden hier selbstverständlich nicht außen vor gelassen: Das märchenhafte „1000 Engel“ wirkt in seinem neuen, süßlich schwebenden Gewand sogar weitaus weniger verkitscht und damit fast schon passender, als die elektronische Originalvorlage. Mit „Ich Bin Nicht Von Dieser Welt“ und „Das Muss Liebe Sein“ von „Tanzpalast 2000“ folgen auch schon gleich die nächsten Höhepunkte, die sich die neugewonnene, klangliche Übermacht eines echten Orchesters fantastisch arrangiert aneignen und mit einer derart passionierten Streicher-Offensive auffahren, dass es rasch zu Tränen rühren kann. In besonderen Momenten wie diesen entfaltet sich der einzigartig berührende Zauber jener Klassik-Veredlungen, wenn lange schon lieb gewonnene Melodien plötzlich im formvollendeten Gewand erstrahlen und einfach nur überwältigen. Dass selbst rauer EBM in klassischer Manier bestens funktionieren kann, wenn nur die eigentliche Grundlage dafür stimmt, beweist danach der gefeierte Szene-Kracher „Arbeit Adelt!“, welcher hier mit gar mächtig donnernden Pauken und aggressiv sägenden Streicher ausgefüllt wird. Die gnadenlos peitschende Melodie scheint wie gemacht für die Anreicherung durch symphonisch befeuerten Bombast, sodass man fast meinen könnte, wüsste man es nicht besser, es sei nie anders gewesen. Das große Finale ist mit dem ohnehin schon für Gänsehaut sorgenden „Die Computer Verlassen Diese Welt“ nicht minder perfekt und atmosphärisch ungemein dicht inszeniert: Der breite, volle Klangteppich setzt wehmütige, melancholische und zugleich epochale Akzente, die beim Hören wohlige Schauer über den Rücken jagen. Also zurück zur Eingangsfrage: Minimal-Electro im Tausch gegen ein Symphonie-Orchester - Kann das überhaupt funktionieren? Ja, es kann! Die neuen Arrangements der insgesamt zwölf auserwählten Stücke entlocken den ohnehin schon grandiosen Original-Kompositionen von „Welle:Erdball“ nochmals ganz andere, nie zuvor gehörte Facetten. Durch den Umstieg von Elektronik auf Klassik, also den Fakt, plötzlich an keine technische Limitierung oder zwanghafte Reduktion des Instrumentariums mehr gebunden zu sein, bestehen keinerlei Grenzen mehr und lassen so die volle, ungeteilte Konzentration auf die Melodien zu, die nun nochmals umso voluminöser nachwirken und erst in dieser Form ihr ganzes Potential ausschöpfen. Nicht „Monoton & Minimal“, sondern ganz großes Kino! Ganz so, als hätte es schon immer so sein sollen. Wer hätte gedacht, dass man Perfektes noch besser machen kann? „Engelstrompeten & Teufelsposaunen“ liefert einmal mehr den eindeutigen Beweis aus dem legendären Funkhaus. Sendeschluss? Noch lange nicht, denn „Welle:Erdball“ waren, sind und bleiben allzeit funkbereit!


Informationen:

https://www.welle-erdball.info


https://www.facebook.com/WelleErdball

 

Herumor - Eine Liebe Nicht Weniger Tief (2020)

Genre: Folk / Alternative

Release: 20.11.2020

Label: Trios Music Group (Soulfood)

Spielzeit: 60 Minuten

Fazit:


Viele Jahre mussten die Fans warten, denn Geschichtenerzähler Asp Spreng ließ sich Zeit mit dem ersten Album seines Story-Folk-Projektes „Herumor“. Nicht nur musikalisch zeigt sich der Songwriter von einer anderen Seite, sondern auch weniger dunkel und im Schauerroman verhaftet als bei seiner Band „ASP“. „Herumor“ bewegt sich im Zwielicht, der Dämmerung, zwischen ewigen Wäldern und geheimnisvollen Anderswelten. Der Hörer erfreut sich dabei an Erzählungen von Elfen, Trollen, durch die Wälder streifenden Knochenmännern und allerlei anderen Fabelwesen. Doch auch für knisternd-erotische Romantik und für tragische Liebesgeschichten ist Platz auf „Eine Liebe nicht weniger tief“: Emotional, geheimnisvoll, aber nie die Kitschgrenze überschreitend. Die Klangdimension lädt ebenso zum Träumen ein, wie die gesungenen Geschichten selbst und für die Songs konnten absolute Ausnahmemusiker gewonnen werden. Das Warten hat sich gelohnt. Die Pforte zu einer anderen Welt ist immer einen Spalt geöffnet! Das sehnlichst erwartete Fulltime-Debüt von „Herumor“ erscheint am 20.11.2020 als digitaler Download, CD im Digipak, handnummerierte Doppel-Vinyl in klassischer Gatefold-Verpackung oder auch exklusiv über den Band-Shop erhältliches und individuell zusammenstellbares Bundle, bestehend aus Poster, Aufnäher persönlicher Widmung, hochwertigem Bildband mit Zeichnungen von Timo Wuerz und einem exklusiven Kunstdruck via Trisol Music Group.

Was lange währt, wird endlich gut? Um der 2008 erstmals erfolgreich aufgeführten „Dunkelromantische Herbstabende - Von Zaubererbrüdern, schwarzen Schmetterlingen und anderen Nachtgestalten“-Unplugged-Reihe in dieser Konstellation ein beständiges Zuhause zu geben, gründete der „ASP“-Mastermind Alexander Frank Spreng unter dem eindeutigen Banner „Asp‘s Von Zaubererbrüdern“ im Jahr 2012 schließlich das neue Nebenprojekt, welches fortan losgelöst neben der Gothic-Novel-Rock-Musik existieren sollte. Mit einem starken, namhaften Ensemble aus Percussionist Carlos Serrano del Rio, Multiinstrumentalist Thomas Zöller, Cellistin Katharina Kranich, Violinistin Ally Storch und den beiden Gitarristen Ralph Müller und Andreas „Tossi“ Gross war ein hervorragendes Fundament gelegt worden. „Das Akustik-Projekt von der Rockband „ASP“ abzusplitten, ist naheliegend und folgerichtig. Es haben sich viele Songideen, die beim Rock-Projekt einfach nicht gut aufgehoben wären, entwickelt. Ich freue mich schon, dass all diese Ideen ein eigenes Zuhause finden werden und das Projekt als akustischen kleinen Bruder zu „ASP“ auf eigenen Füßen stehen und schließlich laufen lernen zu sehen.“, freute sich Spreng in einem News-Beitrag auf der eigens für das Projekt eingerichteten Homepage. Weiterhin versprach er, dass die Band „ASP“ selbst darunter selbstverständlich nicht leiden, sondern nur profitieren würde und es dahingehend keinen Grund zur Sorge gibt. Trotzdem wolle man bei den Shows einige „ASP“-Songs im Akustik-Programm lassen, um so unter anderem Geschichten aus dem „Krabat-Liederzyklus“ innerhalb diesem erzählen zu können. Neben vereinzelten, raren Festival-Gigs auf dem Burg Folk, Schlosshof Festival oder sogar dem M‘era Luna, gab es unter dieser Flagge zwei Konzertreisen: „Dunkelromantische Frühlingsnächte“ im Jahr 2014, während denen drei der erwähnten, neuen Songs gespielt wurden und die „Zwielichtgeschichten“-Tournee in 2015, die insgesamt ganze sechs der nun vorliegenden Stücke erstmals einem breiteren Publikum präsentierte. Zwischen der Uraufführung von „Schneekönigin, Wohin?“ auf der „Dunkelromantische Winternächte“-Reihe 2010 und der Veröffentlichung des selbigen liegen mittlerweile unglaubliche zehn Jahre! Kurz vor der vorerst letzten Sommer-Show ereilte die stetig wachsende Fangemeinde dann jedoch ein offizielles Statement, das all der Euphorie über neue Musik einen ordentlichen Dämpfer versetzte: „Ich möchte und muss mich im kommenden Jahr so gut es geht auf meine Rockband „ASP“ konzentrieren. Viele faszinierende Pläne nehmen momentan Gestalt an, für die ich viel Zeit und Energie haben möchte. Ich freue mich sehr darauf! Leider bedeutet das aber auch, dass ich das wundervolle Zweitprojekt „Asps Von Zaubererbrüdern“ nicht mit der nötigen Intensität verfolgen kann, wie ich es gerne täte und wie es der tollen Musik gebührt. Auch die anderen Zaubererbrüder und -schwestern verfolgen sehr spannende und zeitintensive Projekte und Arbeiten. Aber wenn man so etwas Schönes macht, dann möchte man es nicht halbherzig, sondern mit vollem Einsatz machen. Wer weiß, was die Zukunft bringen mag, aber vorerst machen wir Pause.“, ließ Spreng die ernüchternde Botschaft verlauten und ab da an herrschte Stille... Etwa zeitgleich zu den Live-Aktivitäten zum im Frühjahr 2016 veröffentlichten zweiten Teil des „Verfallen“-Epos, erschien überraschend ein Bilderbuch im Hardcover-Format mit einer zugehörigen CD und vielen Illustrationen von Fabia Zobel: „Der Knochenmann, Das Vöglein Und Die Nymphe“. Ein sehr schönes Gesamtkonzept, welches sich in den Folgejahren mit „Das Lied Von Den Zwielichtgestalten“, „Nie Am Tage“ und „Die Ballade Vom „Treuen Troll““ weiter fortsetzen sollte. Dazwischen wurde im Juni 2017 plötzlich die Beendigung des Projekts „Asp‘s Von Zaubererbrüdern“ bekanntgegeben, alle beteiligten Akteure hätten viel terminlichen Druck und könnten sich daher nicht mehr länger mit dem notwendigen Einsatz einbringen. Ein Ende für den Fantasy-Folk bedeutete dies jedoch nicht, wie sich bald darauf herausstellen sollte. Spreng setzte seine Reise zielstrebig fort, nun jedoch unter einem neuen, anderen Namen: „Herumor“. Das vollumfängliche Ergebnis liegt nun nach unfassbar vielen Jahren der Widrigkeiten, Veränderungen und Neu(er)findungen endlich mit dem sehnsüchtig erwarteten Debüt „Eine Liebe Nicht Weniger Tief“ vor... Die wohlig wärmenden Akkorde einer rein akustischen Gitarre nehmen die fast schon verschüchtert zurückhaltende, sanft aus dem Hintergrund einwirkende Percussion zusammen mit der leidenschaftlichen Weise einer wehmütig-sanften Flöte an die Hand, um gemeinsam die geheimen Tore zu einer vor nur allzu neugierigen Augen lange verborgenen, gar märchenhaften Welt aufzustoßen. Schon sehr bald darauf legt sich die ungemein charismatische, zarte Stimme von Alexander Frank Spreng auf jenen wohldosierten, musikalischen Unterbau und erschafft mit ihren Worten kurzerhand gewohnt immersive Bilder vor dem inneren Auge, während nun auch eine elegisch schwebende Violine erklingt. Die mystische, zauberhafte Atmosphäre ersteht überraschend schnell aus dem Nichts auf und rankt sich sodann wie sich immerzu rasch verdichtender Efeu um alle aktivierten Sinne, den aufmerksamen Rezipienten behutsam immer tiefer in das sagenumwobene, geheimnisvolle Dickicht hinabzuziehen. Die grundlegende Stimmung wiegt trotz ihrer immensen, stark präsenten Sogwirkung doch niemals zu schwer oder erdrückend, sondern tänzelt stattdessen mit verblüffender Leichtigkeit durch die wie im Fluge vergehenden sechseinhalb Minuten und lädt die gespannte Hörerschaft so in die Welt der immergrün Jungen und unendlich Alten, des Nachtvolks, der „Zwielichtgestalten“ ein. Beim anschließend nachfolgenden „Der Knochenmann, Das Vöglein Und Die Nymphe“ pocht die sogleich einnehmende Rhythmik der fordernden Percussion dann schon deutlich vehementer und nachdrücklicher zum mehrstimmig arrangierten Auftakt, bevor das fidele Geigenspiel von Nikos Mavridis sofort bedingungslos mitreißt. Die wortwörtliche, wunderbar geschriebene Bilderbuch-Geschichte von einem „hohlen Knochenkasten“, der einen kleinen Singvogel in seinem Brustkorb aufnimmt und sich in des Wassermanns Tochter verliebt, porträtiert die oftmals so schnell verschwimmenden Grenzen zwischen Hoffnung und Verzagen, Freud und Leid. Ganz besonders ist hier wohl die ungleich einprägsame Lead-Melodie mit ihrem irischen Einschlag hervorzuheben, die sofort in die Beine geht, schnell zum Tanzen einlädt und einfach nur gute Laune bringt. Im extrem eingängigen Refrain ist zudem noch Patty Gurdy beim Background-Gesang zu hören. Folk und Storytelling at it‘s best! Der instrumentale Einstieg zum nächsten Stück dürfte langjährige Fans mit dem einsam wehklagenden, dramatisch anschwellenden Dudelsack sofort frappierend an die Live-Darbietung von „Betteljunge“ aus „Zaubererbruder - Der Krabat-Liederzyklus“ erinnern und dennoch ist es ein anderer alter Bekannter, welchen es jetzt erstmalig als Studio-Version zu hören gibt. So bereiten eingangs die gezupften Saiten einer Mandoline, behutsame, aber bestimmte Percussion durch Handtrommeln und die signifikante Akustikgitarre eine reduziert getragene Melodie für diese romantische Ballade, in welcher sich zwei Liebende aus Worten, Bekundungen und Schwüren gegenseitig jenes beständige „Rüstzeug“ weben, das sie fortan als Schutz vor allen äußeren, weltlichen Einflüssen, Narben und Schmerzen des alltäglichen Kampfes schützen soll. Eine wunderschöne Versinnbildlichung und einfach nur ergreifend! Ein wahres Epos von überdurchschnittlicher Spiellänge darf selbstredend auch bei „Herumor“ nicht fehlen und so wartet „Die Ballade vom „Treuen Troll““ mit fast zwölf Minuten Dauer auf! Der Titel nimmt sich durch seinen umfassend ausgestalteten Text alle Zeit für einen gewaltigen, monumentalen Aufbau und überrascht dazwischen sogar kurzzeitig mit einem überraschenden Ausbruch aus donnernd walzendem Drumming und peitschenden E-Gitarren! So wandeln „Herumor“ für wenige Sekunden fast auf brachialen Metal-Pfaden, nur um kurz darauf wieder zum Eingangsprinzip zurückzukehren und die Erzählung des zum Mahnmal versteinerten Riesen weiter zu vertiefen, ehe das angenehm beschwingte „Windrad“ danach wieder leichtere Töne aus betörendem Folk beschwört. Grundsätzlich verbleibt Spreng bei fast allen Stücken in der eher getragene Grundstimmung mit melancholischer Note und bricht nie zu sehr aus diesem Rahmen aus, was zwar einerseits ein wenig schade ist, aber für eine beständig schöne, rund wirkende Konstante im gesamten Sound sorgt. Dass sich das Thema „Liebe“ in all seinen unterschiedlichen Facetten quasi wie ein roter Faden durch das ganze Album zieht, unterstreichen danach auch das von einem nebulösen Harmonium getragene „Nie Am Tage“, das die tragisch aussichtslose Romanze zwischen einem Mensch und einer Vampirin thematisiert, oder das dringlich treibende „Achte Meiner Liebe Nicht“, welches neben der sehnsüchtigen, wirklich ergreifend schönen Melodie zudem mit diversen Tempowechseln und sanftem Nachdruck aufwartet. Obwohl die Hit-Dichte auf „Eine Liebe Nicht Weniger Tief“ extrem stark ist und in der Tracklist kein einziger Song im Schatten eines anderen steht oder gar hinten abfällt, da wirklich ausnahmslos jedes Stück auf seine ganz eigene Art zu überzeugen weiß, folgt mit der zerbrechlichen Ballade „Schneekönigin, Wohin“, welche sich über all die Jahre zu einem wahren Fan-Liebling stilisiert hat, an dieser Stellen der wohl am sehnsüchtigsten erwartete Höhepunkt des ganzen Albums... Zurecht. Sowohl die einfühlsame Instrumentierung als auch die pointierte Intonation erschaffen hier eine dermaßen anrührend herzzerreißende Stimmung, dass es kaum zu glauben ist und einfach selbst gehört werden muss! Mit dem „Happy End Für Alte Knochen“ gibt es zum Schluss dann noch die endgültige Auflösung über das einst traurige Schicksal des Knochenmannes, das als zweiter Teil natürlich recht nahe am Stil des eigentlichen Haupt-Songs gehalten ist und ein sehr versöhnliches, beruhigendes Ende für das einsame Gerippe bereithält, bei welchem wohl niemand als „hohler Knochenkasten“ zurückbleiben wird... Braucht die Welt wirklich ein weiteres Nebenprojekt? Nicht selten bieten die zweiten, dritten oder gar unzähligen Betätigungsfelder bekannter Musiker nämlich nur mehr vom Gleichen. Die Antwort ist in diesem speziellen Fall jedoch mit einem überdeutlichen „Ja“ zu beantworten, denn „Herumor“ ist fraglos der klare Gegenentwurf zum oft so düster-melancholischen Kosmos von „ASP“. Ganz anders, als bei den Gothic-Novel-Rockern gibt es hier kein umfassendes, übergeordnetes Gesamtkonzept im klassischen Sinne, unter welchem (fast) ausnahmslos alle Songs in Verbindung zueinander stehen und in mehr oder minder chronologischer Reihenfolge eine zusammenhängende Geschichte erzählen. Die unverkennbare und einzigartige Handschrift von Mastermind Alexander Frank Spreng ist dabei selbstverständlich nicht zu leugnen und schwebt, ebenso wie seine unglaublich signifikante Stimme, stets omnipräsent, doch angenehm dezent über allen neun Liedern. Jedoch ohne wie eine Kopie seiner selbst zu wirken oder sich in Lyrik und Musik auffällig zu wiederholen. Das kleine Wörtchen „Novel“ bleibt der DNA des erfrischenden Debüts natürlich dennoch erhalten, denn auf „Eine Liebe Nicht Weniger Tief“ gibt es dafür viele kleine, spannende und entspannende Erzählungen mit allerhand unterschiedlichen Charakteren an eigenständigen Schauplätzen zu hören und vor allem zu erleben. Es sind durchweg fantasievolle Kurzgeschichten in traditioneller Manier, die unter anderem von Feen, Waldgeistern, Trollen, Nymphen, lebendigen Skeletten, Vampiren und anderen Fabelwesen, die hier mit der Kraft aus Sprengs Worten zum Leben erweckt werden. Rein musikalisch mit einem sicher nicht unbedingt innovativen, dafür aber umso schöneren, vor lauter Leichtigkeit und Leben brillierenden Unterbau aus Flöten, Schalmei, Drehleier, Geige und Akustikgitarre versehen, werden dem Hörer die Melodien sorgsam, pointiert und äußerst liebevoll ausgearbeitet dargebracht. Mal federleicht und fröhlich tänzelnd, dann wieder nachdenklich und introvertiert, aber immer wunderbar melodiös arrangiert, perfektionistisch geschrieben und hochgradig emotional packend klingend. Mit dem im offiziellen Pressetext kommunizierten „Story-Folk“ hat man nicht nur die wohl am ehesten passende Umschreibung für diese Art der Musik gefunden, sondern zugleich abermals ein neues Genre aus der Taufe gehoben, welches in Zukunft mit Sicherheit einiges an Inspiration streuen und neben neuen-alten Interessierten, Freunden und Fans ganz bestimmt auch den ein oder anderen Imitator finden wird. Vor allem werden es wahrscheinlich aber Erstere sein, die ihre helle Freude mit dem spätherbstlichen Output der nimmermürden Szene-Koryphäe haben dürften, sofern sie denn schon die bisherigen Unplugged-Ausflüge von Asp und seinen treuen Mitstreitern zu schätzen wussten. Das Material entführt aus dem grauen Alltag in seine ganz eigene Welt ohne Sorgen und Schmerz, dafür aber mit umso mehr kleinen Abenteuern, die sofort zielgerichtet ins Herz treffen und etwas Verborgenes auslösen, was in Zeiten voller Belastung und Hektik leider oftmals längst verloren gegangen scheint: Kindliche Faszination, unbeschwerte naive Freude und grenzenlose Fantasie. So ist die Musik von „Herumor“ eine gar märchenhafte Auszeit von fast meditativer, wohlig warmer, seliger Natur, die ihre Hörer einerseits behutsam erdet und jene gleichzeitig doch auch für viele, schöne Minuten gedanklich davon treiben lässt. Ein Urlaub für die Seele eben und ganz gewiss „Eine Liebe Nicht Weniger Tief“.


Informationen:


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