top of page
  • Facebook - White Circle
  • Instagram - White Circle
  • YouTube - White Circle

NEUESTE
BEITRÄGE:

Laibach - „Opus Dei"-Tour - Christuskirche Bochum - 20.10.2024

  • Autorenbild: Christoph Lorenz
    Christoph Lorenz
  • 30. Nov. 2024
  • 22 Min. Lesezeit

Veranstaltungsort:


Stadt: Bochum, Deutschland


Location: Christuskirche


Kapazität: ca. 500


Stehplätze: Nein


Sitzplätze: Ja


Homepage: http://www.christuskirche-bochum.de Einleitung I:


Es ist der 20.10.2024, ein leicht verregneter Abend mitten im Herbst. Allzu viel gibt es dieses Mal vorab eigentlich gar nicht zu berichten, außer vielleicht, dass wir für ein Konzert am Wochenende ganz schön spät dran sind, aber irgendwie hat uns die Sonntagsmüdigkeit nicht eher loslassen wollen. Sei‘s drum. Etwa gegen 19.20 Uhr fahren wir auf den erstaunlichen leeren Parkplatz der benachbarten Musikschule und machen uns dann auf den erfreulich kurzen Weg, denn die Christuskirche liegt praktisch gleich gegenüber und ist damit keine fünf Minuten entfernt. Als wir schnell am Hinterausgang vorbeigehen, vor welchem ein großer Nightliner in Schwarz parkt, sehen wir aus der näheren Entfernung daneben tatsächlich Milan Fras, der in seinem Bühnen-Outfit konzentriert einige Schritte auf und ab geht, während er gedankenverloren eine Zigarette raucht.  Wir umrunden die halbe Kirche und stehen nur wenig später auch schon vor dem geöffneten Eingang, der Einlass ist bereits vorüber. Nach einer kurzen Kontrolle der Tickets finden wir uns im kleinen, hellen Foyer wieder, wo wie üblich der relativ große Merchandise-Stand aufgebaut ist. Neben dem aktuellen Tour-Shirt gibt es hier noch weitere zum „Opus Dei“-Motto sowie ein paar klassische Motive aus den Vorjahren, einen Hoodie, einige Alben auf CD und Vinyl. Sogar das streng limitierte „Revisited“-Box-Set ist zu einem guten Preis zu erstehen. Darüber hinaus sind ein paar hochwertige Pins, Socken im „Love Is Still Alive“-Design oder eine Mütze in der vorderen Auslage zu sehen. Durch die hölzerne Doppeltür gelangen wir in den Saal, der bereits mächtig voll ist: Nahezu alle Bänke sind bereits sehr gut besetzt und auch an der langen Theke ganz hinten ist ordentlich etwas los, sodass das zahlreich vorhandene und wirklich engagierte Personal alle Hände voll zutun hat, den Bestellungen nachzukommen. Nachdem ich die Christuskirche, die „Laibach“ nun seit 2016 erfreulicherweise relativ regelmäßig beehren, während der „The Sound Of Music“-Tournee 2019 überraschend wenig besucht vorgefunden habe, war ich in den Folgejahren jedes Mal wieder erfreut, dass sich dahingehend anscheinend ein Aufwärtstrend abzeichnete und sich der NRW-Spielort damit hoffentlich auch in Zukunft als lohnenswerte Station für die Slowenen erweist. Heute Abend dürfte das aber definitiv der Fall sein! Wer meine vorherigen Konzertberichte zu „Laibach“ noch nicht gelesen hat, jedoch gerne ein wenig mehr zu Hintergründen und Motivation der Band erfahren möchte, ist hiermit sehr herzlich dazu eingeladen, die ergänzende Einleitung in Augenschein zu nehmen. Alle anderen springen direkt zum aktuellen Bericht darunter - Viel Freude damit! 

Einleitung II:


„Laibach“ erwachte einst im Jahr 1980 in der zentralslowenischen Stadt Trbovlje zum Leben und ist neben den Malern „IRWIN“, sowie der Theatergruppe „Gledališče Sester Scorpion Nasice“, heute bekannt als „NOORDUNG“, der musikalische Teil des interdisziplinären Kunstzusammenschlusses „Neue Slowenische Kunst“, kurz „NSK“. Noch im Gründungsjahr arbeitete das Kollektiv am multimedialen Projekt „Eine Alternative zur slowenischen Kunst“, welches jedoch schon weit im Vorfeld von der Regierung verboten wurde. Schon allein der bloße Name an sich ist eine reine Provokation, galt die deutschsprachige Nennung der slowenischen Hauptstadt Ljubljana, übersetzt „geliebte Stadt“, im ehemaligen, titoistischen Jugoslawien als unsittlich und verboten. Frei abgeleitet aus dem Slawischen, war jene Titulierung vor allem 1804 unter dem Kaisertum von Österreich gebräuchlich. Ihr Logo ist das schwarze Kreuz von Kasimir Malewitsch, der als russischer Maler und Begründer des Suprematismus bekannt war. Der bewusst konstruierte Ärger war perfekt geplant und somit vorprogrammiert. So kam es etwa 1982 während eines laufenden Konzerts in Zagreb zu einem der ersten Skandale, als gegen 05.00 Uhr am frühen Morgen der gesamte Veranstaltungsort von der jugoslawischen Armee und kroatischen Polizei gewaltsam geräumt wurde. Der Grund: Eine parallel zur musikalischen Darbietung abgespielte Videoprojektion, die aus Szenen des Films „The Future Continues“, sowie einem Porno bestand und somit den kürzlich verstorbenen Staatspräsidenten im direkten Zusammenspiel mit einem männlichen Geschlechtsteil zeigte, woraufhin „Laibach“ sofort die Republik wieder verlassen musste. Ein anderes Mal erschien die Band etwa in SS-Uniformen zur Neueröffnung eines Kaufhauses in Ljubljana, um die Kernelemente und Säulen des Kapitalismus intensiv auszuloten. Diese regelmäßige Grenzüberschreitung führte gerade zur Anfangszeit zu Auftrittsverboten in der Spanne von 1983 bis 1987, wie gleichermaßen zahllosen Indizierungen, die Musiker waren fortan als staatsgefährdende Provokateure gebrandmarkt. Erste mediale Bekanntheit erlangte man dann durch eine Teilnahme an der Fernsehshow „TV Tednik“, wo man die Massen durch das martialische Auftreten weiterhin spaltete. In 1985 erschien unter ŠKUC Records das Debüt, welches bezüglich des Verbots keinen Bandnamen enthielt. Noch im selben Jahr folgte dann „Rekapitulacija 1980-1984“ über das Label Walter Ulbricht Schallfolien, was den Slowenen einen Auftritt auf dem Neu Konservatiw Festival in Hamburg und eine Tournee durch weitere deutsche Städte ermöglichte. Der Aufhänger: „Die erste Bombardierung - Laibach über dem Deutschland“. Auch die Musik, allen voran die augenöffnenden Neuinterpretationen bekannter Welthits, erhöhten die Aufmerksamkeit zunehmend. So wurde „Life Is Life“ von den Österreichern „Opus“ zum symphonisch militanten Bombast-Epos „Leben Heißt Leben“ oder „One Vision“ der berühmten Rock-Legende „Queen“ plötzlich zur inhaltlich fragwürdigen „Geburt Einer Nation“. Das strikte Konzept und dessen wirkungsvolle Strategie beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Konzerte allein, sondern setzt sich auf beim öffentlichen Auftreten, dem verwendeten Artwork, den raren Interviews und selbst dem angebotenen Merchandising-Sortiment fort, welches beispielsweise mit „Anti-Semitism“ bedruckte Kondome oder Pflegeprodukte mit der Aufschrift „Schwitz Aus!“ führt. Die Mitglieder fielen nie aus ihrer Rolle, was ihnen schnell den Ruf geistiger Brandstifter und die Unterstellung der Verwendung rechten Gedankengutes einbrachte. „Laibach“ galten als eine der umstrittensten Formationen weltweit. Auf die vielfachen Vorwürfe äußerten sie sich knapp mit den Worten: „Wir sind so sehr Faschisten, wie Hitler ein Maler war.“. Obgleich von Beginn der eigene Anspruch an ein vielschichtiges Gesamtkunstwerk bestand, wurde man im Laufe der Zeit viel eher als Band wahrgenommen, deren Musik sich aus verschiedensten Einflüssen wie (Neo-)Klassik, Metal, Techno oder Pop zusammensetzt. So steht das Kollektiv heute als Pionier für Avantgarde, Industrial und EBM, inspirierte einst unter anderem sogar die berühmten Berliner von „Rammstein“. Bei ihrem gesamten Schaffen berufen sich „Laibach“ nicht etwa auf das Praktizieren von Ironie, Satire oder Parodie, sondern machen sich die Methodik der affirmativen Über-Identifikation zu Eigen.

Diese definiert sich durch die Aneignung, Kopie und dem Gebrauch politischer, ideologischer und symbolischer Ästhetik aus Diktatur, Faschismus oder eines totalitären Regimes und übersteigert die Simulation derer Mittel in erhöhtem Maße bis hin zur Reizüberflutung. Dazu greift man auf ein Höchstmaß akustischer und visueller Elemente zurück, um die Faszination und Anfälligkeit jedes Einzelnen dafür aufzuzeigen und jene Instrumente als das zu demaskieren, was sie letzten Endes sind: Schall und Rauch. Dieses Vorhaben soll zur intensiven Auseinandersetzung des Rezipienten mit den jeweiligen Inhalten führen, wodurch das System eigens in Frage gestellt und von innen heraus in seinen Grundfesten angegriffen wird. Wenngleich „Laibach“ nie wirklich massenwirksam oder salonfähig geworden sind, öffneten sie sich im neuen Jahrtausend schließlich auch anderen Themen und sind heute nicht nur ein kulturelles Phänomen, sondern auch ein absolutes Aushängeschild für ihr Land. So begründeten sie sogar einen „NSK“-Staat, in dessen Zuge eigene Konsulate und Botschaften in Ljubljana, Moskau, Berlin oder Mailand für die offizielle Ausgabe von Ausweispapieren eröffnet wurden, auf den eigenen Konzerten kann zudem das Parteibuch erstanden werden. Weiterhin wurden man zur Expo 2000 in Hannover geladen, um im slowenischen Pavillon aufzutreten. Die Ausstellung „Laibachkunst 1980-2010 - Red District + Black Cross“ in Trbovlje, eine umjubelte Aufführung samt Aufzeichnung in der Tate Gallery of Modern Art zu London und die Arbeit am Soundtrack zur vielbeachteten Science-Fiction-Komödie „Iron Sky“ waren weitere Schlüsselpunkte auf der Agenda, die mit der „Liberation Day“-Tournee auf dem Höhepunkt gipfelte. Am 19. und 20.08.2015 bereisten „Laibach“ die demokratische Volksrepublik Nordkorea und gaben im Rahmen des Gwangbokjeol-Feiertags, anlässlich des siebzigsten Jahrestags des Endes der japanischen Besatzung, dort als erste westliche Band ein Konzert im abgeriegelten Pjöngjang. Das Ergebnis dieses Unterfangens ist die Dokumentation „Liberation Day“, welche im vergangenen Jahr erschien. Wie schon mit dem 1989 über Mute Records erschienenen „Macbeth“, welches für die Inszenierung von Peter Zadek im Hamburger Schauspielhaus verwendet wurde, nahm man sich mit „Also sprach Zarathustra“ zuletzt einer weiteren Literaturvorlage an. Ursprünglich für die Theaterproduktion, welche ab März 2016 im Anton Podbevšek Teater zu Novo Mesto seine Uraufführung fand, von Regisseur Matjaž Berger geschrieben, veröffentlichten „Laibach“ im Herbst 2017 das gemeinsam mit dem RTV Slovenia Symphonic Orchestra eingespielte Stück zum gleichnamigen Werk von Friedrich Nitzsche. Dieses gilt als das erste Nicht-Sachbuch des bekannten Philologen und handelt vom fiktiven Denker Zarathustra, der darin seine Lehren vom Übermenschen in vier Teilen propagiert. Einst als Bewohner der Berge, ging er zum Markplatz, um seine Weisheiten zu teilen. Doch erntete er nur Spott und zog anschließend aus, auf der Suche nach Geistesverwandten. Interessant ist dabei der Bezug und die Reflexion auf die eigenen Theorien Nitzsches: So seien vor Gott zwar alle gleich, doch gäbe es nach dessen Tod eine Chance für eine neue Inkarnation der Gesellschaft. „Der Mensch ist etwas, was überwunden werden will.“, heißt es. Neben den erstrebenswerten Tugenden, wie dem Vertrauen in seine Fähigkeiten und Selbstliebe, solle nach Zarathustras Ideal aber auch der individuelle Wille als einziger Maßstab gelten und der Mut zur Härte bei der Durchsetzung aller Ziele vorherrschen. Obwohl es zwischen den Aussagen des Autoren und der Kunstfigur zu unterscheiden gilt, ließ die sozialdarwinistisch geprägte Intention einige Missverständnisse zu und wurde beispielsweise von den Nationalsozialisten als Vorbild für die Herrenrasse missbraucht. Ein Umstand der zeigt, dass Nietzsche seiner Zeit damals voraus war und es auch heute, viele Jahre später, wahrscheinlich noch immer ist. Sein Wunsch nach Lesern, die des gleichen Pathos befähigt sind, dürfte daher noch immer bestehen, wie auch der Untertitel „Ein Buch für Alle und Keinen“, somit deutlich zeigt. 

Nur ein Jahr später erschien mit „The Sound Of Music“ dann das Studioalbum zum 2015 vorausgegangenen Konzert in Pjöngjang, bei welchem die Band gleich mehrere Songs aus dem Soundtrack des erfolgreichen Hollywood-Musikfilms Films von 1965 spielte, der nicht zuletzt auch als einer der bekanntesten und beliebtesten Filme in der gesamten Volksrepublik gilt. Darauf folgte die endgültige Fertigstellung und Veröffentlichung des lang gehegten „Revisited“-Projekts mit allerhand aufwändigen Neuaufnahmen des Debüts nach heutigen Standards, weiteren Klassikern, ausgewählten Live-Versionen und dem ausführlichen Buch „Terror Of History“ mit reichlich Artwork-Material und einem ausführlichen Essay des slowenischen Autoren und Journalisten Marcel Štefančič Jr. Den vorerst letzten Streich markierte 2020 die auf den Schriften von Heiner Müller basierende Theaterproduktion „Wir Sind Das Volk“, welche im sogenannten Hebbel am Ufer, kurz HAU, in Berlin uraufgeführt wurde, bevor die weltweite Pandemie dem Vorhaben dann plötzlich einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machte. Erst ab März 2022 konnte die Inszenierung mit weiteren Spielorten fortgesetzt werden. Ende Oktober des gleichen Jahres startete die „The Coming Race – Love Is Still Alive“-Tournee, auf welcher Bochum als dritter Spielort in Deutschland angesetzt war. Die zugehörige EP mit acht hauptsächlich instrumentalen Tracks und rund vierzig Minuten Spielzeit lud nur wenig später am 20.01.2023 zu einer interstellaren Reise ein. Ferner wurde im zweiten Akt eine Handvoll bis dato unbekannte Songs des kommenden Albums „Sketches Of The Red Districts“ präsentiert, das am 10.03.2023 veröffentlicht worden ist. Ab Mai 2024 ist das slowenische Kollektiv unter dem „Opus Dei“-Banner wieder auf den Straßen unterwegs, wobei die neue Tour an bisher neunundzwanzig Terminen unter anderem in die Schweiz, nach Deutschland, Schweden, Finnland, Norwegen, Polen, Österreich, die Niederlande, Frankreich und weitere Länder führt. Man darf gespannt sein, was danach folgt, denn „Laibach“ sind bekanntlich immer für eine Überraschung gut…

Laibach - Part I:


Das vom ikonischen Cover des diesjährigen zu betourenden Studioalbums „Opus Dei“ bekannte Konterfrei des Sängers, welches an diesem Abend übergroß auf die fünfeckigen Seitenwände projiziert wird, schaut aus starrenden Augen mit mahnendem Blick vom altehrwürdigen Mauerwerk der Christuskirche Bochum herab. Irgendwie kommt man sich dadurch sonderbar beobachtet vor… Dazu dröhnen die ersten paar Sekunden des unverwüstlichen „Opus“-Schlagers „Live Is Life“ in einem nicht enden wollenden Loop aus den Boxen. Das knackige, rhythmische Drum-Muster hallt unangenehm penetrant in den Saal hinein und alsbald von den hohen Wänden wider. Immer und immer wieder. Passenderweise scheinbar in der Live-Version. Jedenfalls ist aus dem Hintergrund herauszuhören, wie das Publikum fröhlich im Takt klatscht. Immer und immer wieder. Würde man sich während des Wartens auf den Beginn nur allzu sehr darauf konzentrieren, könnte diese Form der Quasi-Hirnwäsche beinahe nerven. Sehr sogar. Vor allem, als ich aus einem kurzen Gespräch der neben mir sitzenden Gäste erfahre, dass das alles nun schon seit einer guten Stunde, also seit Einlass, so geht. Wie gut, dass wir aus Versehen nicht pünktlich waren. Egal, ob das sirenenartige, unablässig anschwellende Rauschen auf der „Also Sprach Zarathustra“-Tour, die ländliche Bilderbuch-Idylle aus hell klingelnden Kuhglocken, gackernden Hühnern und mähenden Schafen bei den „The Sound Of Music“-Shows oder das mächtige Orgelwerk „Toccata und Fuge in d-Moll“ von Johann Sebastian Bach, welches der ungewöhnlichen Weltraumreise der „The Coming Race - Love Is Still Alive“-Konzerte vorausgeschickt wurde: „Laibach“ verstehen es ganz vortrefflich, allein mit solcherlei atmosphärischen Sound-Kulissen auf die jeweilige Thematik des Abends einzustimmen und wie nebenbei die starke, unterschwellige Wirkung von audiovisuellen Inhalten unter Beweis zu stellen. Etwa jetzt, wenn man sich selbst zufällig dabei ertappt, wie man unbewusst mit dem Fuß rhythmisch mitwippt. Zumindest so lange, bis pünktlich um 20.00 Uhr urplötzlich das warme Licht gelöscht wird und es schlagartig stockfinster in der Christuskirche wird. Nur wenige Sekunden darauf betritt die vierköpfige Live-Besetzung, bestehend aus Schlagzeuger Bojan Krhlanko, den beiden Keyboardern Luka Jamnik und Rok Lopatič sowie Gitarrist Vitja Balžalorsky, fast unbemerkt im Schutze der Dunkelheit die Bühne. Als sich schließlich alle Musiker hinter ihren jeweiligen Instrumenten positioniert haben, suchen sich die blutroten Strahlen vereinzelter Scheinwerfer einen Weg durch die dichten Schatten und lassen so zumindest die Schemen der Akteure erahnen. „Vier Personen!“, ruft das Quartett jetzt mehrmals aufrüttelnd und beginnt passenderweise mit dem gleichnamigen Stück vom 1985 erschienenen „Nova Akropola“. Während eine Vocoder-Stimme knarzend die Namen jener rezitiert, werden die Gesichter von Eber, Saliger, Dachauer und Keller, den „Four Horseman of the Apocalypse“, simultan dazu an die hohen Mauern geworfen. „The state is responsible for the elevation and exploitation of the forests. The state is responsible for the physical education of the people particularly of youth to raise the standard of national health and the national working and defensive capabilities. It is becoming more and more lenient all freedom is allowed. Authority here belongs to the people!“, erscheinen danach einige Zeilen in plakativ großen Buchstaben auf der Leinwand und weiter geht es mit dem ebenfalls rein instrumentalen „Država“. Das Stück, welches aus dem Slowenischen übersetzt „Der Staat“ bedeutet, erschien 1985 auf dem Debüt und wurde 2020 für das „Revisited“-Box-Set neu aufgelegt. Darin enthalten die Rede des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito, in welcher die Brüderlichkeit der Nation beschworen wird. So sei viel Blut für diese und die Einheit der jugoslawischen Nationen vergossen worden und es werde nicht zugelassen, dass jemand sie von innen zu zerstören versuche. Dazu flimmern im Hintergrund zahlreiche Propaganda-Aufnahmen in Schwarz-Weiß umher, die Szenen aus dem Alltag der Bürger, von Sportveranstaltungen oder aus der Industrie zeigen.

Erst jetzt betritt auch Sänger Milan Fras zum dritten Song, „Boji“, unter viel Applaus die in blutrotes Licht eingetauchte Szenerie. Elegant in einen schwarzen Anzug gekleidet und die obligatorische Haube auf seinem Kopf, beginnt er mit abgrundtief kehliger Stimme die ersten Zeilen auf herauszupressen, die sofort durch Mark und Bein gehen. Dabei wird der slowenischsprachige Text auf der Leinwand parallel zum Gesprochenen ins Englische übersetzt: „These are not our fights! And we would like to be our own!“. Danach wendet sich Fras ab und dreht dem Publikum den Rücken zu, um den Fokus der Zuschauer auf die Visuals zu lenken: Hohe Türme aus alten Fernsehgeräten zeigen derweil Bilder von großen Straßenaufständen, Wasserwerfern und roher Polizeigewalt, die sich mit zunehmender Spieldauer rot färben, während stroboskopisches Licht die Sicht mit grellen Blitzen blendet. Mit dem rund achtminütigen „Mi Kujemo Bodočnost“ geht es anschließend wieder etwas gediegener zu: Die Bühne wird in blaues Licht gehüllt, fein gebündelte Scheinwerferstrahlen flackern zum metallischen Ticken sekündlich auf und erlöschen dann wieder, im Hintergrund ziehen rostige Stahlbalken in Negativoptik vorbei. Über weite Strecken offenbart das Stück nahezu balladeske Züge und wiegt damit schon beinahe in Sicherheit, erst im Mittelteil folgt dann eine krachig aufrüttelnde Eruption. Wobei „Krach“ das falsche Wort ist, denn alle Musiker sind sichtlich absolute Könner an ihren Instrumenten. Jeder noch so improvisiert oder gar zufällig wirkende Ton hat seinen festen Platz, alles ist minutiös durchgetaktet, nichts wird bei den experimentellen Kakophonie-Auswüchsen dem Zufall überlassen. So bearbeitet Balžalorsky die Saiten seiner Gitarre etwa virtuos mit einem Geigenbogen oder Krhlanko tritt im mittleren Part von „Smrt In Pogin“, dem einzigen Stück des aktuellen Studioalbums „Sketches Of The Red Districts“, hinter seinem Schlagzeug hervor, um einen stählernen Schlauch vor dem Mikrofon zu rotieren, wodurch diesem ein metallisch-sonores Röhren entlockt wird. Auch dieser Song kommt wieder weitestgehend ohne Gesang aus, weswegen Fras erst danach wieder ins Rampenlicht treten wird. Dafür ist nun die noch immer pausierende Mina Špiler zu sehen, wenn auch nur via Leinwand, welche dem Stück über den Kampf zwischen den Kommunisten und jugoslawischen Nationalisten „ORJUNA“ in Trbovlje aus dem Off ihre Stimme leiht. Anschließend kehrt der Sänger zum wuchtigen „Anti-Semitism“ vom 2000 erschienenen „WAT“ wieder zurück, bis für das Cover des Bob-Dylan-Songs „Ballad Of A Thin Man“ erstmalig Sängerin Marina Mårtensson im weinroten Kleid samt schwarzer Überjacke und streng hochgesteckter Frisur hinzutritt und das Ensemble damit komplettiert. Die helle, engelsgleiche Stimme der Schwedin harmoniert dabei ganz hervorragend mit dem tiefen Organ von Fras und bietet einen enorm gelungenen Kontrast zu diesem. Mit dem elegischen „Brat Moj“ gibt es nun noch einen weiteren Klassiker zu hören, welcher durch Aufnahmen von behänden Turnübungen am Barren begleitet wird, bis mit der energiegeladen treibenden Interpretation des „Deutsch Amerikanische Freundschaft“-Hits „Alle Gegen Alle“ das grandiose Finale des ersten Akts folgt: Der manisch marschierende Takt peitscht unablässig voran, während nun die gesamte Band ihre Stimmen zu einem eindringlichen Chor bündelt, der immer lauter und fordernder wird. Würde das gebannte und dabei nicht minder begeisterte Publikum auf den nunmehr rhythmisch bebenden Kirchenbänken sitzen, würde jetzt zu einem zünftigen Pogo-Pit vermutlich nicht mehr allzu viel fehlen. Als sich die Stimmung gerade auf dem Siedepunkt befindet, unterbrechen „Laibach“ jedoch den so entwickelten Flow und verlassen wortlos die Bühne. „Maybe We‘ll Be Back“ ist nun auf der Leinwand zu lesen und ein Countdown zählt fünfzehn Minuten herunter. Das Licht geht wieder an. Vom Band setzt erneut der Drum-Loop von „Life Is Life“ ein. Pause…

Opus Dei:


Die Veröffentlichung des Studioalbums „Opus Dei“ in 1987 via Mute Records ließ dem bereits seit seinen Anfängen stark umstrittenen Künstlerkollektiv, welches vier Jahre zuvor mit der „Occupied Europe“-Tournee damit begonnen hatte, unter anderem auch in England, Polen, Ungarn, Österreich, den Niederlanden und Deutschland allmählich von sich Reden zu machen, erstmals eine merklich gesteigerte, globale Aufmerksamkeit über den Tellerrand der einschlägigen Szenen hinaus zuteil werden. Natürlich nicht, ohne damit gleichzeitig für entrüstete Aufschreie bei all jenen Empörten zu sorgen, die sich mit den Interpreten nicht näher auseinandergesetzt hatten und ihre vorschnelle Verurteilung damit auf einem oberflächlichen Blick bauten… Fast vierzig Jahre später wird am 10.05.2024 einer der wohl kultigsten und ikonischsten Achtziger-Meilensteine der Avantgarde jetzt in aufwändig remasteter Form sowohl digital als auch auf Vinyl und CD mit einigem Bonus-Material wiederveröffentlicht. Zusätzlich folgt noch im Dezember eine weitere Ausgabe aus der „Revisited“-Reihe dazu, welche komplette Neuaufnahmen und -interpretationen dieser Stücke enthalten wird. Im Kontrast zu den drei vorausgegangenen Publikationen der Frühphase, einschließlich des direkten Vorgängers „Nova Akropola“ aus 1985, welche allesamt von abgrundtief finsteren und hochkomplexen Klang-Collagen aus industriell-experimentellem Lärm geprägt waren, wurde der Sound ab „Opus Dei“ über all die Jahre des Bestehens hinweg und damit bis zum heutigen Tag zugunsten vieler neuer Einflüsse mehr geöffnet. Jedoch nicht etwa im Zuge einer in blumigen Pressetexten gerne und oft skandierten, schnöden Weiterentwicklung, sondern stets unter Prämisse der behandelten Thematiken, welche jene Impulse zur authentischen Auseinandersetzung und gewünschten Darstellung geradezu zwingend erforderlich machen. Es ist also weitaus weniger reiner Selbstzweck als viel mehr mutige Dualität, das eigene Schaffen den entsprechenden Motiven bis zu einem gewissen Grad unterzuordnen, sich diese gleichzeitig dennoch zu Eigen zu machen, sie dabei umzuformen und beinahe spielerisch mit ihnen zu arbeiten. „Laibach“ brechen seit jeher auf diese Weise die Grenzen, obgleich sie selbst sich niemals zwischen ebendiesen haben einpferchen lassen, äußerst geschickt auf und lassen sie allmählich verschwimmen, bewegen sich dabei aber immer mit gänzlich unverkennbarer Handschrift in ihrem ganz eigenen Kosmos weiter fort. Auch für das „Werk Gottes“ blieb das Kollektiv dieser Linie treu, rückte den Blickpunkt dieses Mal jedoch von offensichtlich politischen oder autobiografischen Themen ab und verschob diesen stattdessen in Richtung der direkten Einwirkung von Kunst auf den Rezipienten und ihre möglichen Folgen. So wird Bekanntes fast unbemerkt dekonstruiert und in einen unerwarteten, zunächst gegenteilig erscheinenden Kontext gesetzt, was die schleichende Bewusstwerdung über die im Verborgenen liegenden Muster und etwaigen Intentionen zur Folge hat und damit am Ende umso erschreckender nachwirkt… Weil es funktioniert. Was bleibt, ist das kritische Hinterfragen. Jedoch nicht mehr länger allein jenes politischer oder religiöser Strukturen, sondern suggestiv geprägter Mechanismen und Strategien vor dem Hintergrund der (Pop-)Kultur als psychologisch geschickt eingesetztes Vehikel zur Mobilisierung. „Laibach“ stellten sich und ihren Hörern anno 1987 also die intelligente Frage: Wie viel Manipulation und Totalitarismus ist wirklich im Spiel, wenn massenwirksame Medien als Träger, hier am Beispiel von stadiontauglicher Mitmach-Musik, eingesetzt werden? Exakt dann, wenn die tobende Menge auf großen und eindrucksvollen Live-Konzerten wie eine gleichgeschaltete und scheinbar willenlose Einheit die jeweiligen Texte als immer lauter werdender Chor unreflektiert skandiert, zeigt sich bei genauem Hinschauen überdeutlich, mit welch simplen Mitteln das glorifizierte Idol die kollektive Identität beeinflussen kann. Ebenso veranschaulichen die Slowenen hier, wie allein durch die Veränderung von kleinsten Nuancen bestimmte Inhalte in ihrer Aussage gänzlich verschoben oder auch verborgen werden können. Somit sind Kunst und Kultur nicht immer, vielleicht sogar selten bis niemals, ein wertfreier Befreiungsschlag, sondern können in den falschen Händen viel mehr ein ästhetisiertes Werkzeug zur Bildung und (Ver-)Formung von Meinung und Gesinnung ihrer Adressaten sein. Es ist die von Obrigkeiten erwartete, ja, wenn nicht sogar erzwungene, völlige Unterordnung des Individuums. Antrieb und Interesse von „Laibach“ ist hingegen auch bei „Opus Dei“ der Widerstand gegen das Kollektiv. Das eigenständige Denken, anstatt der Fremdsteuerung. Die klare Unterscheidung zwischen Propaganda und Kunst sowie die Freiheit jedes Einzelnen. So steht am Ende die stille Aufforderung, nicht allein die angewandten Werkzeuge, sondern insbesondere auch sich selbst immer kritisch zu hinterfragen. 

Laibach - Part II:


Wie bereits in den Vorjahren sollte der auf der großen Leinwand stetig einsehbare, erbarmungslos ablaufende Countdown durchaus ernst genommen werden, denn einen zeitlichen Aufschub für eventuelle Nachzügler gibt es nicht. Exakt um 21.05 Uhr beginnt der zweite Akt des Abends und „Laibach“ sind auf die Minute pünktlich. Im Gegensatz zu den vorherigen Konzertreihen, bei welchen im ersten Teil zunächst das Tournee-Motto aufgegriffen und im zweiten Part dann ein Potpourri aus ausgewählten Klassikern, aktuelleren Songs und der ein oder anderen Rarität geboten wurde, ist es dieses Mal genau umgekehrt. Und so wartet Bochum nun sichtlich gespannt auf die große Aufführung des legendären „Opus Dei“, welches sich auf dieser Tour in spezieller „Revisited“-Form präsentieren wird: Das Kollektiv hat im Mai nicht nur eine vollständig remasterte Edition des Originals aus 1987 veröffentlicht, sondern das Mammutwerk unter dem Titel „Opus Dei Revisited“ zudem einer auditiven Frischzellenkur unterzogen, die noch zum Ende diesen Jahres am 13.12.2024 erscheinen wird. Dabei wurden insgesamt acht Songs nicht nur vollständig neu aufgenommen, sondern zudem achtsam reinterpretiert und modernisiert, ohne den ursprünglichen Geist der Vorlage vermissen zu lassen. Auf diese Weise bietet man den Hörern eine alternative Perspektive darauf, wie „Opus Dei“ heute und damit fast vierzig Jahre später in einem frischen und an den aktuellen, technischen Standards orientierten Sound-Gewand klingt. Während eine Orgel elektrisierend die prägnante Melodie spielt und langsam rhythmische „Hey! Hey!“-Choräle laut werden, kehren die Musiker und auch Mårtensson, welche die schwarze Jacke über dem Kleid und auch ihre Haarpracht jetzt offen trägt, zurück auf die Bretter und beginnen sodann damit, das Stück anzustimmen. Im Hintergrund rotiert ein aus vier zusammengebundenen Äxten geformtes Hakenkreuz zum Beat im Uhrzeigersinn. Dabei ziert das Gebilde nicht nur das Artwork des entsprechenden Albums, sondern ist ein Werk des deutschen Künstlers Helmut „John Heartfield“ Herzfeld aus dem Jahr 1934, der mit dieser und anderen Fotomontagen für die kommunistische Arbeiter-Illustrierte-Zeitung vor der Propaganda des Nationalsozialismus warnte. Dabei sollten die entsprechenden Äxte ihrer Zeit an vier Kommunisten gemahnen, die kurz vor Veröffentlichung des Kunstwerks in Hamburg unschuldig zum Tod verurteilt und enthauptet worden waren. Im weiteren Verlauf werden die Visuals dann noch um Szenen aus dem zugehörigen Musik-Video in Negativ-Optik angereichert. Erst ab der Hälfte des Songs und nach dem Gitarren-Solo von Balžalorsky tritt auch Sänger Milan Fras wieder hinzu, der jetzt einen grauen Anzug zu weinrotem Hemd und gleichfarbiger Haube trägt, auf welcher ein „Laibach“-Logo-Pin befestigt worden ist. Die wahrlich großartige Live-Inszenierung verfehlt ihre beabsichtigte Wirkung jedenfalls nicht und schürt so das Gefühl, hier etwas Erhabenes und Großes zu erleben. Zum eindringlich stampfenden „Leben – Tod“ werden auf der Leinwand einige Sportler beim Kugelstoßen oder Bauchpressen gezeigt. Zudem flackern am seitlichen Mauerwerk immer wieder kurze Aufnahmen einer kaum erkennbaren, jungen Frau auf, die das Publikum scheinbar zum Klatschen animieren will. Mårtensson tut es ihr jetzt gleich. Mit eher wenig Erfolg. Ob es daran liegt, dass die Gäste das Konzert auf Kirchenbänken sitzend verfolgen oder sich eingeschworene „Laibach“-Fans von solcherlei Praktiken generell wenig beeindrucken lassen, bleibt offen. In zweitem Fall wäre also durchaus ein Lob angebracht, würde das Verhalten doch davon zeugen, dass die Sensibilisierungsversuche der Musiker für Massenmanipulation durchaus fruchten. Zum technoid flimmernden „Trans-National“ positioniert sich die Sängerin im Zentrum der Bühne und zitiert die Textzeilen eindringlich aus einem aufgeschlagenen Buch. Im Hintergrund sind dabei unter anderem ihre Worte oder wild flackernde Bilder eines Sportlers beim Stabhochsprung zu sehen, die von der Art der Wiedergabe her glatt einem Zootrop entstammen könnten. Ein Schnittgewitter, das die Sinne überfordern kann. Zu Beginn von „F.I.A.T.“ sind schwarz-weiße Aufnahmen einer Reihenhaussiedlung auf der Leinwand zu sehen. Ein Mann steht vor dem Spiegel, rasiert und frisiert sich. Anschließend frühstückt er und verabschiedet sich mit einem Kuss von seiner Ehefrau, bevor er das Haus durch die Eingangstür verlässt und sich mit dem Auto auf den Weg macht. Viele andere Männer der benachbarten Häuser tun es ihm gleich. Sie alle stehen Schlange an der Stempeluhr und beginnen dann, zu arbeiten. Auf dem Fließband werden der Reihe nach Automobile von zahlreichen Maschinen zusammengesetzt, welche die Aufnahmen der Arbeiter immer mehr zu verdrängen scheinen. Mensch gegen Maschine? Zeitgeist? Der typisch laibach‘sche Umgang mit Doppeldeutigkeit ist definitiv auch hier nicht zu verleugnen. Fras spricht die wenigen Zeilen im Mittelteil mit beschwörender Stimme, während Mårtensson dazu das Tamburin spielt. Insbesondere „How The West Was Won“ profitiert dann erneut sehr vom starken Kontrast der beiden Singstimmen, dazu versinkt die Christuskirche schon bald in einem schrillen Gewitter aus schnell geschnittenen Clips und grellem Licht. 

Die übergeordnete Ästhetik dieser Konzertreihe besteht aus diversen Film-Sequenzen aus Alltag, Industrie, Politik, Propaganda, Sport sowie eigenen „Laibach“-Videos und düsteren Visuals in Sepia- oder Negativ-Optik, die allesamt hauptsächlich in Schwarz-Weiß und tiefen Rottönen gehalten sind, was ebenso für die Beleuchtung gilt. Das bedrückende Konzept wirkt somit zwar wie aus einem Guss, ist für die Sinne auf die Dauer jedoch ziemlich anstrengend und überfordernd, was es auch sein soll. So auch jetzt, wenn bei „The Great Seal“ viele Bilder aus dem zweiten Weltkrieg gezeigt werden. Ein weiterer von vielen Fans lange herbeigesehnter Höhepunkt im heutigen Set ist die Aufführung der berüchtigten „Queen“-Adaption mit Titel „Geburt Einer Nation“, welche mit dem zu erwartenden Bombast inszeniert wird und so seine majestätische Wirkung vollumfänglich entfalten kann: Die treibende Percussion durch das kernige Schlagzeug kommt einmal mehr extrem druckvoll daher, die hymnischen Synthie-Fanfaren schallen so laut wie gleichermaßen klar durch die Christuskirche und hallen vom hohen Mauerwerk eindrucksvoll wider. „Ein Fleisch, ein Blut, ein wahrer Glaube… Ein Ruf, ein Traum, ein starker Wille… Ja, gebt mir ein Leitbild!“, ruft Fras mit finsterer Stimme in den Saal. Im Hintergrund gibt es derweil Nahaufnahmen von martialisch marschierenden Stiefeln und weiteren Szenen des offiziellen Musik-Videos - Wow! Zum Abschluss des regulären Sets muss zuletzt natürlich noch der übermächtige Titeltrack „Opus Dei / Leben Heißt Leben“ folgen: Auf der Leinwand zeigt sich der aus sämtlichen „Laibach“-Kunstwerken bekannte Hirsch vor ländlicher Idylle, Trommeln werden stoisch geschlagen und eine vierteilige Axt-Swastika rotiert über die seitlichen Mauern der Kirche. Im ruhigen Spoken-Word-Part von Mårtensson in der Mitte des Stücks ziehen dann rot eingefärbte Landschaften vorbei, bis zum Ende hin alles im grell zuckenden Strobo-Feuer untergeht, während die Band das Publikum unterdessen mit einheitlichen Rufen und Bewegungen zum Mitklatschen auffordert, was jedoch erneut nur vereinzelt gelingt. Erneut verlassen die Musiker die Bühne und geben den Bochumer Fans damit für einige Minuten die Möglichkeit, die soeben vollendete Gesamtaufführung des ikonischen Werks kurz zu verdauen. Doch noch gehen die Lichter nicht wieder an und die Christuskirche liegt weiterhin im schummrigen Halbdunkel. „Applause please!“, ist jetzt plötzlich auf der Leinwand zu lesen. Und nur wenig später dann: „We are not a funeral… Yet.“ - Keine Frage, der trockene und extrem schwarze Humor der Slowenen ist einfach immer für einen kleinen, auflockernden Schmunzler zwischen den alles andere als lustigen Thematiken gut. Natürlich wird es auch dieses Mal wieder die ein oder andere Zugabe geben und so dauert es nicht allzu lange an, bis sich „Laibach“ erneut die Ehre geben und das sogar gleich für vier Songs! Den Anfang macht nun die im Herbst des Vorjahres rein digital veröffentlichte Standalone-Single „The Engine Of Survival“, welche ihrer Zeit den letzten Song der „The Coming Race – Love Is Still Alive“-Konzerte bildete und in einem wirklich schönen Duett zwischen Mårtensson und Fras vorgetragen wird. Dazu wird das minimalistisch gehaltene, doch nicht weniger eindrucksvolle Video abgespielt, in welchem die Sängerin selbst und dann ein bärtiger Mann zuerst von brutal am Hals zupackenden Händen gegriffen und danach mit schwarzer Farbe beschmutzt werden. Das Jeanne-Moreau-Tribute „Each Man Kills The Thing He Loves“ schließt sich direkt an, in den Visuals gerinnt Blut auf der Haut. Im Folgenden gibt es eine große Überraschung und das gleich in mehrerlei Hinsicht, denn obwohl „Laibach“ üblicherweise kaum bis gar nicht durch persönlich adressierte Ansagen mit dem Publikum interagieren, wendet sich jetzt Marina Mårtensson mit einigen warmen Worten an die Zuschauer: „Vielen Dank dafür, dass ihr heute Abend hier wart! Es ist wirklich großartig zu sehen, wie ihr alle trinkt, lacht und tanzt. Als Nächstes ein Song, der uns im Bus während der letzten Tour begegnet ist, „when love was still alive“…“, lächelt sie und verweist auf das Motto der vergangenen Konzertreise. „Dies ist die letzte Chance, noch einmal zusammen mit uns zu singen, also bitte seid nicht schüchtern… Dankeschön!“, ermutigt sie die Fans, die nun alle gespannt auf das soeben angekündigte Stück warten. 

Während der ersten Sekunden denken sicher nicht wenige Gäste ob der speziellen Instrumentierung sofort an „Wonderful Life“ von Colin „Black“ Vearncombe. Sicher kein Zufall. Aber womit dann wohl niemand gerechnet hätte: Hierbei handelt es sich stattdessen um den berühmten „Foreigner“-Hit „I Want To Know What Love Is“ von deren 1984 veröffentlichtem Nummer-Eins-Album „Agent Provocateur“! Auf der Leinwand fliegt das Duo in feinster Retro-Videospiel-Optik auf einer pinken Rakete sitzend durch das weite All, überall ploppen Pixel-Herzen auf. Heavy-Rotation-Schlager auf „Laibach“-Art? Dass das absolut hervorragend funktionieren kann, haben in der Vergangenheit unter anderem schon die am heutigen Abend dargebotenen „Geburt Einer Nation“ und „Leben Heißt Leben“ bewiesen und so fügt sich diese wirklich wundervoll arrangierte Nummer nicht nur extrem stimmig neben eben genannten Klassikern, sondern darüber hinaus auch in das thematische Konzept der Tournee ein! Ja, auch „Laibach“ beherrschen die manipulativen Methoden des massenwirksamen Pop, denn mit viel augenzwinkernder Catchyness und einigen Kniffen gelingt es ihnen dann doch, das Publikum zum kollektiven Mitmachen zu bringen: „I wanna feel… What love is!“, haucht Milan Fras mit dunkler Stimme ins Mikrofon und sofort bricht tosender Beifall aus, doch ist der Song wider Erwarten noch nicht zu Ende: Nun gibt es einen von der Band geschickt initiierten Singalong-Part und plötzlich stehen so ziemlich alle Fans nacheinander von ihren Plätzen auf, stimmen überraschend in den eingängigen Ohrwurm-Refrain ein und klatschen tatsächlich im Takt. Wer in diesem Moment jedoch etwas genauer auf seine Umgebung achtet, wird bemerken, dass viel des mutmaßlichen Live-Chors als vorgefertigte Aufnahme aus der Konserve kommt, was übrigens auch bei großen Arena-Shows ein gängiges Mittel ist, um die Stimmung zu entfachen oder weiter zu intensivieren. Schnell wirkt die kleine Augen- und Ohrenwischerei ihren Zauber und sorgt damit für einen schönen Dominoeffekt: Angesteckt vom vermeintlichen Gemeinschaftsgefühl lässt sich der Löwenanteil der Besucher jetzt schnell mitreißen und machen beherzt mit. Egal, wie sehr man eben vielleicht noch mit der kruden Vorstellung fremdelte, einen schnulzigen Pop-Song auf einem „Laibach“-Konzert zu singen, tut man es nun doch… Denn wenn es selbst der Nebenmann und eigentlich auch sonst jeder um einen herum macht, kann es doch gar nicht falsch sein, oder? Massenpsychologie. Herdentrieb. „Laibach“ liefern somit live und in Farbe direkt den Beweis, ohne dass es großartig bemerkt würde. Mårtensson greift zum Handy, schreitet dann von links nach rechts über die Bretter und filmt von der Bühne aus in die ersten Reihen und den gesamten Saal hinein, was wiederum als Live-Übertragung auf der großen Leinwand gespiegelt wird, sodass sich Bochum nun selbst beim Singen zuschauen kann. Selbst als die Band bald darauf die Bühne verlässt, bleiben die stehenden Ovationen noch lange bestehen. Die Fans rufen nicht nach einer Zugabe, sondern singen einfach immer weiter. Ein bisschen Radio-Kitsch gefällt uns irgendwie doch allen, oder? Nun, ein guter Song bleibt ein guter Song. So schön harmonisch könnte der Abend jetzt gerne enden und alle Gäste würden von einem guten Gefühl beseelt nachhause gehen. Könnte… Tut er aber nicht. Für die eigenwillige Interpretation von „Strange Fruit“ der Sängerin Elionora Harris, den meisten wohl besser als „Billie Holiday“ ein Begriff, kehrt die Band nämlich noch ein allerletztes Mal zurück, allerdings ohne die Beteiligung von Marina Mårtensson. Milan Fras singt die Zeilen viel weniger als das er sie nun langsam und bedrohlich spricht, während im Hintergrund erst erschreckende Bilder aus dem zweiten Weltkrieg und danach nicht minder verstörende Impressionen aus augenscheinlich aktuellen Krisengebieten vorbeiziehen… Krieg bleibt immer gleich. Zum Schluss lässt es sich Fras mit den letzten Zeilen dann nicht nehmen, dem Publikum einen unvermittelten Schrecken einzujagen: „Here is a strange and bitter…“, beginnt er und brüllt urplötzlich „…crop!“. Viele Fans zucken verblüfft zurück. Kurze Stille. Dann bricht lauter Applaus los und „Laibach“ verlassen wortlos die Bühne. Auf der Leinwand steht „The end“, nur wenige Sekunden später „See you next time…“ und anschließend „… in hell!“. Mit diesem finalen Eindruck endet der Abend schließlich gegen 22.10Uhr. Zu den wummernden Bässen des „Kraftbach“-Remix von „Geburt Einer Nation“ verlassen die Gäste gesittet den Saal und strömen noch schnell zum Merchandising-Stand oder hinaus in die kühle Herbstnacht.

Setlist:


01. Leben Heißt Leben (Intro)

02. Vier Personen

03. Država

04. Boji

05. Mi Kujemo Bodočnost

06. Smrt In Pogin

07. Anti-Semitism

08. Ballad Of A Thin Man (Bob Dylan Cover)

09. Brat Moj 

  1. Alle Gegen Alle („Deutsch Amerikanische Freundschaft“ Cover)

  2. Leben Heißt Leben („Opus“ Cover)

  3. Leben - Tod

  4. Trans-National

  5. F.I.A.T.

  6. How The West Was Won

  7. The Great Seal

  8. Geburt Einer Nation („Queen“ Cover)

  9. Opus Dei / Leben Heißt Leben („Opus“ Cover)

  10. The Engine Of Survival

  11. Each Man Kills The Thing He Loves („Foreigner“ Cover)

  12. I Want To Know What Love Is („Foreigner“ Cover)

  13. Strange Fruit (Billie Holiday Cover) Impressionen:  


    Patrick Lambertus - Kamerakunst


    https://www.kamerakunst.com/ https://www.facebook.com/Kamerakunst.Fotografie/ https://www.instagram.com/kamera.kunst/

© 2024 - PROUDLY CREATED BY ROGGENFAENGER

  • Facebook - White Circle
  • Instagram - White Circle
  • YouTube - White Circle
bottom of page