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BEITRÄGE:

AutorenbildChristoph Lorenz

Joachim Witt - Hämatom - Lord Of The Lost (2022)



Joachim Witt - Rübezahls Reise (2022)


Genre: Rock / Alternative


Release: 25.02.2022


Label: Sony Music


Spielzeit: 47 Minuten


Fazit:

2018 veröffentlichte Joachim Witt das Album „Rübezahl“ und zeigte darauf einmal mehr seine Liebe für Sagen, Märchen und romantischen Naturalismus. Die Fortsetzung „Rübezahls Rückkehr“ kam 2020 und kletterte bis auf Platz 14 der deutschen Charts. 2022 macht er das Triple komplett: „Rübezahls Reise“ heißt die neue Platte des 72-jährigen deutschen Sängers und Schauspielers, das insgesamt sein 19. Studioalbum und der letzte Teil der „Rübezahl“-Trilogie ist. Wie bereits bei den Vorgängern startete Witt auch für „Rübezahls Reise“ eine Crowdfunding-Kampagne, um unabhängig von Dritten an seinen musikalischen Visionen arbeiten zu können, aus denen hier erneut lyrische Erzählungen im orchestralen Doom-Gewand resultieren. „Rübezahls Reise“ bildet den krönenden Abschluss der „Rübezahl“-Trilogie: Nach seinem 2020 erschienenen letzten Album „Rübezahls Rückkehr“, das mit orchestralem wild-romantischen Doom-Rocksound überzeugte, präsentiert der Berggeist nun sein Nachfolger Release: „Rübezahls Reise“ - den dritten und letzten Ausflug in seine monumentalen Klang- und Emotionswelten. Der Abschluss dieser Soundreihe, die einen Blick tief in die Seele des Erlebens gewährte, ist dabei nicht als Rübezahls Ende zu sehen. Vielmehr steht das neue Album für die metaphorische Reise und fortdauernde gedankliche und tatsächliche Weiterentwicklung des Ausnahmekünstlers Joachim Witt. „Rübezahls Reise“ zeigt die ganze Gefühlsextreme auch auf diesem Album. Doom-Metal-Anleihen durch schwere Gitarrenriffs und walzende Drum-Rhythmen spiegeln Rübezahl als den ambivalenten Widerspruchsgeist, das vielgestaltige Wesen, das er ist. Spirituell und sich hinterfragend, rigoros und trostspendend, impulsgebend für andere und stets ganz nah bei sich. Auch „Rübezahls Reise“ entstand in bewährter Kooperation mit dem „Lord of the Lost“-Mastermind Chris Harms. Bereits zum dritten Mal prägt der aus Hamburg-St. Pauli stammende Dark-Rock-Visionär Rübezahls Klangwelt. Sein doomig-monumentaler Sound vermischt sich äußert stimmig mit Rübezahls ureigenster Art zu komponieren. Melancholisch, magisch und dunkel, eine musikalische Reise ins Gebirge, zu Riesen und Berggeistern. „Rübezahls Reise“ erscheint am 25.02.2022 via Sony Music als Download, CD im klassischen Digipack, Doppel-LP in den Farben Schwarz und Orange und limitiertes Fan-Set in einer speziell gebrandeten Holz-Box inklusive Ledertasche, Taschenmesser und einer Bonus-CD im Cardsleeve mit dem exklusiven Track „Mein Leben“.

Die Klänge einer stark verzerrten, schwer metallisch tönenden Harfe geben, kurz angerissen und dabei immerzu von grollend angedeuteten Riff-Salven durchzogen, in ihrer einschüchternden Melodiösität einen ersten Ausblick auf alles bald Kommende. Ohne, dass hier auch nur der leiseste Zweifel Bestand haben könne, sich in zartbesaiteter Sicherheit wiegen zu dürfen. Recht so, denn schon wenig später verdichten sich die Elemente zu einer schwarzen Gewitterwolke von unbändiger Kraft: Das wild paukende Schlagzeug marschiert mit festem Schritt gestreng voran, gefolgt von dicht walzenden Gitarrenwänden und verfeinernd gesäumt durch die unheilschwanger köchelnden Keyboard-Flächen, welche jetzt schnell eine maximal packende Atmosphäre aufbauen, die Ihresgleichen sucht. Hörbar gänzlich in der Rolle der Trilogie-Titelfigur versunken, agiert Joachim Witt plötzlich zu unheimlich reduzierten Piano-Tupfern und elektronischem Flackern mit seiner wandelbaren Intonation so dermaßen überzeugend wie eh und je. Bewegt sich zwischen Verzweiflung, Wut und Wahn. Gefürchtet von seinen Mitmenschen. Gemieden und ausgestoßen. Allein. Missverstanden. Und immer wieder dazwischen: Laut tobende Shouts, die in diesem Quasi-Intro anstelle eines Refrains stehen, was ihre Wirkung nur umso mehr intensiviert. „Rübezahl“. Witt. Eine Urgewalt. Unverstanden, geächtet und „In Einsamkeit“ flüchtet sich Rübezahl bereits innerlich in die weite Ferne. Das gesamte Arrangement birgt eine gewisse Schwere durch seine behäbig walzenden Drums, das gewichtige Saitenwerk und die pompösen Choräle, sodass man fast schon von einem gewissen Doom-Charakter sprechen könnte. Doch allein ist Joachim Witt in diesem Fall wiederum nicht, denn als Feature-Gast tritt „Lord Of The Lost“-Kopf Chris Harms stimmlich in Erscheinung, der den Großmeister mit kraftvollen Shouts abwechselnd in den Strophen und auch im Refrain unterstützt. Es ist gerade jene enorm kontrastreiche, doch nicht minder harmonische Dualität, die hier maßgeblich zur fließenden Dynamik zwischen verletzlicher Fragilität und rasendem Zorn beiträgt. Mit „So Fern“ macht sich dann, ganz getreu des Titels, wahres Fernweh beim Hören breit. Der großflächige Aufbau ist zunächst eher langsam und bedacht, wodurch das breite Instrumentarium graduell einwirken und sodann Momente in cineastischem Ausmaß erschaffen kann. Dazu noch die poetisch-verschachtelten Worte von Witt, die, wie so oft, nachdenklich stimmen und mit ihren kleinen Selbstzitaten sowie einer gewissen Prise Romantik und Weltenschmerz versehen sind. Darauf folgt mit dem ganz fantastisch inszenierten „Shandai Ya“ dann einer der unverkennbaren Höhepunkte des neuen Albums, der zudem noch eine verknüpfte Fortsetzung zu „Zora“ vom Vorgänger aus 2020 darstellt. Das enorm epochal geratene Stück wird maßgeblich durch die traditionellen Gesänge des bekannten Vokal-Kollektivs „The Mystery Of The Bulgarian Voices“, dem das eigentliche Original der hiesig witt‘schen Adaption gebührt und das zuletzt beispielsweise auch schon mit Lisa Gerrard von „Dead Can Dance“ für „BooCheeMish“ zusammenarbeitete, bestimmt und getragen, sodass es hier eigentlich keinerlei übriger Instrumentierung mehr benötigt hätte. Dafür leiten die einnehmenden Stimmen des Frauenchors das gesamtheitliche Geschehen einfach schon zu hervorragend eigenständig. Dadurch bedingt rückt die meistenteils ohnehin zurückhaltend ursprüngliche, spirituelle Note an Weltmusik unbewusst in den Hintergrund. „Die Wölfe Ziehen“ bedient sich eingangs einem ähnlich geerdeten, doch weitaus archaischer bedarftem Duktus, der sich aus angedeutetem Kehlkopfgesang und exzessiv treibender Tribal-Percussion speist, wodurch der wirkungsvolle Einstieg frappierend an den alt-nordischen Folk der Genre-Meister „Wardruna“ erinnert… Vielleicht sogar ein wenig zu sehr, mag man erst denken, bis man der tatsächlichen Kollaboration mit der deutsch-dänischen Ritual-Folk-Trio „Heilung“ gewahr wird, die jedoch keine gesondert hervorgehobene Erwähnung erfuhr. Einmal mehr sticht neben der erhabenen Gestik vor allem die ungemein überzeugende Intonation von Witt ganz besonders heraus, die einem verschwörerischen Raunen gleicht, wenn Rübezahl als versinnbildlichter Leitwolf seinem geistigen Gefolge von Aufbruch und Zusammenhalt in Zeiten zerklüfteter Werte kündet, doch auch Ausblick auf Besserung gewährt… Endlich legt Rübezahl auf seiner Reise kurze Rast ein und lässt dafür von der bisherigen Getriebenheit, dem Zorn und all der Verzweiflung für einen Augenblick ab, was sich auch musikalisch dementsprechend in dieser Halb-Ballade äußert. Stattdessen hält er inne, wenn die Sonne am Himmel allmählich schwindet, es dunkel wird und einzig sanfter „Abendwind“ die kühle Luft erfüllt. Ein auditiver Moment der Ruhe und Innigkeit, ganz bei sich selbst und im Einklang mit der Natur, die ihm zeitweiligen Frieden verspricht. Auf diese Oase der Eintracht folgt der erneute Aufbruch und so holt das aufpeitschende „Das Leben In Mir“ den Hörer wieder schnell auf den vor ihm liegenden und noch zu beschreitenden Pfad zurück. Und zwar geht es mit schwerem Schlagwerk und brettharten Gitarren in doomiger Metal-Manier über Geröll, Felsen und Berge, durch grüne Wälder und tiefe Täler. Wo ein Wille, da ein Weg. Die Zusammenarbeit mit Claudia Uhle von „X-Perience“ ist wiederum ein wackeliger Kandidat in der Tracklist und hat es angesichts der bis jetzt vorgelegten Qualität deutlich schwer: „Stern“ erweicht die bis dato kalte, raue, zuweilen melancholische und ernsthaft reflektierte Atmosphäre als lupenreine Ballade und ist im gesamtheitlichen Kontext und Ausführung fast schon zu poppig geraten, womit sie leider arg deplatziert wirkt. Zu groß klafft die Lücke zwischen dem zarten Duett und den restlichen Songs, die hörbar authentischerer Natur waren. Natürlich soll das Feature den emotionalen Aspekt dieser Reise hervorheben, ebenso den inneren Wunsch Rübezahls nach Nähe, Wärme und Ankommen unterstreichen und damit einen hoffnungsvoll schimmernden Gegenentwurf darstellen… Doch dazu ist der verkitschte Text zu unpassend und lyrisch vor allem im Refrain zu unvorteilhaft gereimt, womit das Lied negativ auf- und unsanft aus dem konzeptuellen Rahmen fällt. Etwas schade, dass hier die Chance auf einen gelungenen Ruhepol verwirkt wurde. „Die Seele“ gemahnt hinsichtlich des Gesangs dann leicht an vergangene NDW-Tage. Stark gefiltert und wie durch einen Vocoder gejagt, weit weg und doch merkwürdig nahe am Hörer. Ein unruhiges, überraschend elektronisch vibrierendes Zucken liefert sich zunächst ein ungleiches Zusammenspiel mit donnernder Percussion, welche die allgegenwärtige Spannung anschwellen lässt. Unterdessen sucht sich ein zerrendes Riff verwaschen aus dem Hintergrund seinen Weg, wird immer vehementer und geht dann gestärkt daraus hervor, um sich mit dem Chorus schließlich in fantastischem Bombast aus elegischen Streichern und perfekt nuancierten Keyboard-Einflüssen, die hier eine hervorragend elegante Verquickung zur sich parallel fortsetzenden Dringlichkeit des Intros beibehalten, zu ergeben - Wow! Eingeleitet durch eine breite Klangkulisse aus einem tiefen Horn, kleinen Effekten, Percussion und beschwörenden Gesängen wird der vorletzte Song namens „Bernstein“. Die durch und durch erhabene, majestätische Atmosphäre trägt sich durch die Strophen hinweg und gipfelt sodann in einem nicht minder eindrucksvollen Refrain, welcher seine pure Kraft dann aus der stimmlichen Brillanz Witts in nahtloser Symbiose mit dem Spiel der metallisch Instrumente schöpft. Das Finale beherbergt mit „Ich Spüre Die Liebe In Mir“ nicht nur das letzte, sondern gleichzeitig auch ruhigste Stück des ganzen Albums. Dieses lebt insbesondere von der grandiosen Dynamik aus organischen Sounds und der Grundierung sphärischer Elektronik, die hier einen fast schon meditativen Charakter verströmt, ehe sie sich dann ab dem Mittelteil mit Einsatz der Blechbläser und Gitarren ein letztes Mal voller Wehmut und Sentimentalität zu epischen Ausmaßen aufschwingt. So wird die Ruhe und der innere Frieden, den jetzt auch Rübezahl als erhellende Essenz seiner langen Reise finden kann, für den Hörer förmlich greifbar. Endlich im Gleichgewicht mit seiner Umwelt, seinem Schicksal und Leben, vor allem auch mit sich selbst. Endlich im Einklang. Endlich angekommen. Der Weg ist das Ziel… Ob Neue Deutsche Welle, Neue Deutsche Härte, melancholischer Pop, minimalistische Introspektion, symphonischer Bombast oder ganze Konzeptalben inklusive ihrer Fortsetzungen: Joachim Witt beherrscht sein Handwerk. Ob man den mittlerweile zweiundsiebzigjährigen Hamburger und seine Werke höchst unterschiedlicher Machart nun mag oder nicht, so muss man ihm doch zumindest den höchsten Respekt dafür zollen, stilistisch niemals auf der Stelle getreten zu sein und stattdessen immer wieder den Mut für die Erkundung neuer Einflüsse gehabt zu haben. Über all die Jahre hat Witt dabei sowohl lyrisch und gesanglich als auch musikalisch einen beachtlichen Reifeprozess durchlaufen, vor dessen Hintergrund er zudem seine schiere Wandlungsfähigkeit beweist. Auch „Rübezahls Reise“ bildet da keinerlei Ausnahme und gliedert sich lückenlos in den starken Diskographie-Abschnitt der letzten Jahre ein. Besonders schön ist der Fakt, zusammengenommen mit den zwei vorherigen Alben eine ungemein runde Trilogie vor sich zu haben, deren roter Faden vor allem in ihrem Finale hörbar nachvollziehbar ist. Musikalisch orientiert sich Witt natürlich zwar an den beiden Vorgängern um ein homogenes Gesamtbild zu erschaffen und doch gelingt es ihm, dem Sound durch seine voluminöse Ausrichtung immer wieder neue und bereichernde Facetten aus Rock, Doom-Metal und Weltmusik mit Ethno-Charakter abzuringen, wofür ihm großer Respekt gebührt. Es darf also schon mit berechtigter Spannung erwartet werden, wohin es Joachim Witt auf seiner musikalischen Reise als Nächstes verschlägt!

Informationen:


http://www.joachimwitt.de


https://www.facebook.com/joachimwittmusik/

 

Hämatom - Lang Lebe Der Hass (2022)


Genre: Metal / Alternative


Release: 04.11.2022


Label: Anti Alles (rough trade)


Spielzeit: 34 Minuten


Fazit:

Das ist es: Das achte „Hämatom“-Studioalbum. Nennt es die logische Fortsetzung, nennt es das fehlende Puzzleteil oder schlicht und einfach den zweiten Teil einer emotionsgeladenen Dilogie. Zu viel hat sich in den letzten beiden Jahren aufgestaut. Zu viel, was unbedingt raus und verarbeitet werden musste und in musikalische Formen gebracht werden wollte. Also sperrten „Hämatom“ sich wieder in ihrem Studio ein und schrieben einfach wie wild vor sich hin. Manchmal muss man die Muse einfach volley nehmen und versenken. „Hämatom“ sind auf großen Festivals wie dem Wacken Open Air oder Summerbreeze nicht mehr wegzudenken. In diesem Jahr haben sie beim W:O:A sogar ein Triple gespielt: Donnerstag ihre Show zum „Berlin“-Album, Freitag ein Überraschungsauftritt gemeinsam mit „Saltatio Mortis“ im Rahmen ihrer grandiosen „Metal FightClub“-Challenge und am Samstag ihre Show zu ihrem „Die Liebe Ist Tot“- und kommenden „Lang Lebe Der Hass“-Album. „Hämatom“ überraschen immer wieder neu: Keine andere Metal- / Rock-Band zeigt aktuell größeres Wachstum. Nach ihren Erfolgen mit „Bestie Der Freiheit“, „Wir Sind Gott“ und nicht zuletzt „Die Liebe Ist Tot“ erscheint im November 2022 die Fortsetzung „Lang Lebe Der Hass“, sozusagen als Soundtrack für einen unvergesslichen Herbst. „Hämatom“ schreiben weiter Geschichte! Das neue Album „Lang Lebe Der Hass“ kommt am 04.11.2022 via Anti Alles als Download, Digipack und natürlich auch limitierte Freak-Box, dieses Mal allerdings im Gym-Bag im Stil des aktuellen Cover-Artworks inklusive Magnet, Lebkuchenherz und Teddybär auf den Markt.

Der extrem feierwütig daherkommende Opener, „Es Regnet Bier“, ist das Produkt des diesjährig eigens initiierten „Metal Fight Club“ im augenzwinkernden Battle mit den befreundeten Mittelalter-Rock-Kollegen von „Saltatio Mortis“ um die beste Festival-Hymne des Sommers, wozu sich entsprechender Song tatsächlich auch perfekt eignet. Selbst wenn die deutlich zugkräftigere und zahlenmäßig hoffnungslos überlegene Fan-Base der Gegenseite das Rennen am Ende mit dem auf aktuelle Trends schielenden „Electric Callboy“-Verschnitt „Still Alive“ für sich entscheiden konnte, so muss aus neutraler Sicht doch zugestanden werden, dass die vier maskierten Himmelsrichtungen hier die wohl deutlich passendere und partytauglichere Nummer aufgeboten haben. Dieses Urteil befreit den knackigen kurzen Up-Tempo-Hammer natürlich nicht von seiner (bewusst) ausgelebten Stumpfsinnigkeit in Melodie und vor allem auch Text, immerhin ist der spaßige Titel hier Programm und soll selbst bei hohem Pegel noch auf den Campingplätzen dieses Landes sicher mitgesungen werden können! Wenn man so möchte, liegt hier nämlich nicht mehr als eine pumpende Quasi-Oktoberfest-Nummer nach typischer Thrash-Metal-Art mit schrill dröhnendem Kirmes-Techno und Ballermann-Beats vor, die mit ganz viel guter Laune punktet und der Lust am hochprozentigen Exzess frönt. Einen hohen Ohrwurm-Faktor in feuchtfröhlichen Stunden kann man der Hopfen-Hymne freilich nicht absprechen, auch wenn diese sich als Eröffnung für ein Album mit gewollt kritischem Unterton eher weniger eignet… Sei’s drum. Das mit unter zweieinhalb Minuten sehr kurz geratene „GAGA“ beginnt im leicht trashigen 80’s-Pop-Gewand ähnlich elektronisch fokussiert, präsentiert sich zusammen mit dem knallenden Drumming und schreddernden NDH-Gitarren sogar als durchaus tanz- und natürlich vollkommen rockbar. Nicht wirklich spektakulär oder gar erfrischend anders, aber doch ziemlich launig und solide. Lyrisch setzt es die gewohnte Kost, wenn man sich zynisch in der Rolle des Outlaws als nicht der Norm des langweiligen Spießertums entsprechenden „Geisteskranken“ feiert und die so erlangte Freiheit in vollen, nonkonformen Zügen genießt. Zugegeben, es ist mit diesem Doppel schon ein relativ beliebiger und vor allem musikalisch gleichförmiger Einstieg, den „Hämatom“ ihren Fans bis jetzt vorgesetzt haben, welcher es in gleich mehrerlei Hinsicht nicht einmal ansatzweise mit Großkalibern der Marke „Die Säulen Des Wahnsinns“, „Wir Sind Gott“, „Zeit Für Neue Hymnen“ oder „Dagegen“ aufnehmen kann. Ein Stil, der sich leider in der folgenden halben Stunde weitestgehend durchziehen soll. Freunde der ernsten und sozialkritischen Töne mit ordentlich rauer Saiten-Power gingen bislang leer aus, was sich mit dem Titeltrack zumindest etwas ändert. Hier stehen von Anfang an die straight rockenden Gitarren im Vordergrund, es geht hörbar geradlinig und auf die wesentlichen Stärken bedacht zu. Auch inhaltlich bleiben sich die Oberfranken treu und zeigen ihren ständigen Kritikern einmal mehr den musikalischen Mittelfinger, um klar zu untermauern, dass man sich zugunsten der öffentlichen Meinung niemals verbiegen lassen wird - Gut so! Der trotzige Refrain erinnert jedoch frappierend an die Band-Hymne „So Wie Wir“ vom direkten Vorgänger und irgendwie verlässt einen das Gefühl, das alles schon mal viel besser gehört zu haben, auch beim ganzen Rest des Stücks nicht. Auch „Keinen Bock Auf Menschen“ schlägt verstärkt in die metallische Kerbe und macht sich mit viel Unlust und zynischen Kommentaren reichlich Luft über die Egomanie der aktuellen Gesellschaft, proklamiert stattdessen inneren Frieden und Ruhe im Einklang mit sich selbst. Vor allem der mehrstimmige Gesang weiß zu gefallen und regt in manchen Zeilen zum Schmunzeln an. Das namentlich persiflierend an eine bekannte Deutsch-Rap-Crew angelehnte „Strassenbande 666“ gliedert sich danach erneut eher beim anfänglich aufgenommenen Spirit ein und kokettiert dabei zu maximal hirnrissigen Lyrics absichtlich mit allerhand lächerlich in Szene gesetzten „Bad Boy“-Klischees zum Fremdschämen und der bewährten „Fuck Off“-Attitüde. Immerhin knallt der wuchtige Sound mit seinem fordernden Schlagzeug und den bretthart walzenden „All You Need Is Love“-Gedächtnis-Riffs hier wieder ordentlich, anstelle wie zuvor nur mit angezogener Deutsch-Rock-Handbremse zu fahren. Das hat Druck und macht beim Hören so richtig Laune, dazu werden zuweilen grelle Synthie-Sounds mit den stilistisch vollkommen überdrehten Hip-Hop-Vibes gepaart, was für eine rundum dreckige Atmosphäre sorgt. Also schon wieder ein Song aus der Fun-Trash-Ecke, allerdings schön griffig und rau arrangiert. „Nobody‘s Perfect“ kommt da sowohl textlich als auch instrumental weitaus weniger ausgefallen und fast schon unspektakulär daher, wenngleich die bissige Persiflage auf Oberflächlichkeit, Narzissmus und Schönheitswahn durchaus ihre kleinen Momente hat. Das als Single ausgekoppelte „SOS“ im Feature mit „Vivjan“ weiß hingegen deutlich mehr zu gefallen und spricht mit den respektvoll ausgearbeiteten Themen Mobbing, Depression und Suizid zudem ein äußerst wichtiges Thema an. Ganz anders dann wieder „Ein Freund“, welches wieder voll und ganz auf den eskalativen Party-Kurs geht, was allerdings auch hervorragend in den inhaltlichen Kontext passt. Das wütende „Räche Sich Wer Kann“ im Duett mit Ex-„Equilibrium“-Frontmann Robert „Robse“ Dahn holt dann nochmal den massiven Metal-Prügel hinter dem Rücken hervor und drischt unbarmherzig drauf los. Endlich ist der Sound von Schlagzeug und Gitarre präsenter, was der martialisch-metallischen Schwere hörbar zugute kommt, wenngleich es im mächtigen Track auch um einiges behäbiger zugeht. Auch der namhafte Gast kann seine Stärken zur aggressiven Brutalität der Lyrics voll ausspielen. Mit „Olympia“ gibt es zum Schluss noch den idealen Closer voller epischem Bombast und großer Hymnenhaftigkeit, die hier insbesondere durch die dramaturgisch schöne Einbindung eines sehr beliebten Stilmittels, nämlich der Streicher, zum Tragen kommt und on top einen perfekt in Szene gesetzten Klimax bietet. Das ist ganz großes Kino für die Ohren, dem man durch die eingewobenen Kollektiv-Shouts zusätzlich einen automatisch implementierten Live-Charakter beistellt. Auf diese Weise entlassen die maskierten Vier ihre Fans mit großer Geste und reichlich (passendem) Pathos aus dem neuesten Werk. „Die Liebe Ist Tot - Es Lebe Der Hass“! Während der letztjährig veröffentlichte Vorgänger noch weitestgehend ernstere Töne anschlug und sich auch musikalisch teils ziemlich derb und facettenreich präsentierte, beleuchtet das jüngste Werk völlig konträr dazu vornehmlich die verrückte Spaß- und Party-Seite der vier Himmelsrichtungen. Das grundlegende Vorhaben eines Quasi-Doppelalbums der Gegensätze scheint also durchaus geglückt… Und wäre wahrscheinlich noch sehr viel besser aufgegangen, wenn man es von Vornherein auch als solches herausgebracht oder die jeweiligen Songs zugunsten von mehr Ausgewogenheit zumindest verteilt hätte. So ruht der Fokus dieses Mal fast ausschließlich auf dem knallbunten Mix aus polterndem Metal, schrillem Electro und oftmals erstaunlich plumper Lyrik auf Maximal-Pegel-Niveau bei schwankender Qualität. Nicht falsch verstehen: Das ist überhaupt nicht schlimm und kann - in gewissen Dosen - durchaus riesig viel Spaß machen, wie in der Vergangenheit beispielsweise schon „Circus Maximus“, „Halli Galli“, „Ficken Unsren Kopf“ in Kooperation mit den „257ers“ oder das gesamte Cover-Album „X“ gezeigt haben. Hier scheinen „Hämatom“ den Bogen allerdings etwas überspannt zu haben. Vor allem auch deswegen, weil es auf der anderen Seite nur wenig zum Ausgleich gibt. Dazwischen findet sich etwas härterer Deutsch-Rock, mal rotzig, mal sozialkritisch, mal hymnisch. So weit, so bekannt. Leise, nachdenkliche oder melancholische Töne gibt es auf „Lang Lebe Der Hass“ (fast) ebenso wenig, wie spannende Experimente oder außergewöhnliche Überraschungen. Echte Hit-Qualitäten mit erinnerungswürdigem Klassiker-Potential zeigen sich kaum, dafür stechen die meisten Songs leider viel zu wenig aus dem Pool heraus, sind zu handzahm und haben eher guten B-Seiten-Charakter inne. Zumindest dann, wenn man die Band am weitestgehend hochwertigen Output der letzten Jahre misst. Trotzdem muss man den sympathisch-verrückten Maskenmännern zugute halten, dass sie es nach wie vor meisterlich beherrschen, jegliche Thematiken von ernsthaft bis absurd in ein stets kurzweiliges, angenehm eingängiges und oft eben extrem feierwütiges Gesamtpaket zu verpacken, ohne sich jemals in eine feste Genre-Schublade voller Konventionen stecken zu lassen… Und diese im heutigen Musikbusiness selten gewordene und dadurch umso lobenswertere Freiheit hört man definitiv! Alteingesessene Hardcore-Freaks greifen hier sowieso zu, alle Interessierten hören vorher rein. Denn wenn man sich auf die hier ausgelebte Seite von „Hämatom“ einlässt, in der richtigen Stimmung ist und keine zukünftigen Klassiker erwartet, kann man definitiv einige Freude mit dem neuen Album haben, das vor allem live zünden dürfte.

Informationen: http://www.haematom.de https://www.facebook.com/haematommusic

 

Lord Of The Lost - Blood & Glitter (2022)


Genre: Metal / Alternative


Release: 30.12.2022


Label: Napalm Records (Universal Music)


Spielzeit: 51 Minuten


Fazit:


Die deutschen Genre-Visionäre „Lord Of The Lost“ beenden das Jahr 2022 mit einem großen Knall und veröffentlichen am 30. Dezember quasi über Nacht ihr achtes Studioalbum „Blood & Glitter“. Im Anschluss an ausgedehnte Touren im gesamten Jahr, unter anderem als Special Guest von „Iron Maiden“, und dem großen Erfolg ihres letzten Albums „Judas“ (Platz #2 in den offiziellen deutschen Charts), legt die Band thematisch und visuell eine 180-Grad-Wende hin. Nach den mythologisch und theologisch geprägten Vorgängeralben verleiht die Band auf „Blood & Glitter“ ihrer Liebe für den Sound der 80er und die Optik des frühen 70er-Glam-Rock Ausdruck, ohne dabei auf einschlägige Metal-Elemente zu verzichten. Das Album kommt sofort auf den Punkt und zieht von Anfang bis Ende voll durch - so wird komplett auf Balladen verzichtet. „Blood & Glitter“ verkörpert die Energie einer „Lord Of The Lost“-Live-Show und kann als Gesamtwerk auf die Bühne gebracht werden. Die Texte der durchgängig im Up- und Midtempo gehaltenen Songs sind direkt, ehrlich, aktuell, politisch, kritisch und urban… Und oft überraschend wütend oder sehr persönlich. Musikalische und lyrische Kontraste ziehen sich wie gewohnt als roter Faden durch das Album, das wieder einmal mit sehr vielen Veränderungen zum vorherigen Werk aufwartet. Neben den Hamburger Chameleon Studios wurde „Blood & Glitter“ in den Sonic Pump Studios in Helsinki produziert und aufgenommen. „Blood & Glitter“ ist 100% „Lord Of The Lost“ - 100% „gewohnt anders“ als zuvor! Inspiriert wurde „Blood & Glitter“ vom gleichnamigen Werk des berühmten Musikfotografen Mick Rock, bekannt als der Mann, der die musikalischen Siebziger fotografierte - ein Großteil aller Fotos der originalen Glam-Rock-Ära stammt von ihm. „Lord Of The Lost“ tauchen visuell in das Lebensgefühl dieser Epoche ein und kombinieren es mit dem Wave- und Pop-Sound der Achtzigerjahre, aufbauend auf dem eigenen, gewohnten Dark-Metal-Fundament. Das Ergebnis: Eine glamouröse Party mit kritischen und unverblümten Botschaften. Chris Harms zum Albumrelease: „In einer Zeit, in der der Marketing-Wahnsinn für jedes Album immer länger zu werden scheint, in der bereits das halbe Album oder gar mehr, bereits sechs Monate im Voraus durch Vorab-Singles bekannt ist, damit durch die hohen Vorverkäufe zur Veröffentlichung ein möglichst hohes Chartergebnis erzeugt wird, geht das, worum es eigentlich gehen sollte, immer mehr verloren: Die pure Magie des ersten Hörens eines neuen Albums der Lieblingsband. Dieses „Wie Früher“-Gefühl möchten wir durch diese unvorbereitete Veröffentlichung transportieren! Scheiß auf die Charts, Playlist-Pitchings und 1.000 sinnlose Reviews im Vorfeld. Wichtig ist, was ein Album auf lange Sicht zu bedeuten hat, nicht wie hoch sein „Wert“ am Tag der Release ist.“ Während der Titeltrack „Blood & Glitter“ das Album sofort eingängig eröffnet ist „Leave Your Hate In The Comments“ ein starkes Statement gegen die gedeihende Hass-Kultur in sozialen Medien. Auf „The Future Of A Past Life“ ist mit „Heaven Shall Burn“-Sänger Marcus Bischoff der erste Gast des Albums zu hören. Auf „Reset The Preset“ wirkt Andy LaPlegua von „Combichrist“ mit, während die Band bei „Save Our Souls“ von „Subway To Sallys“ Ally Storch an der Violine unterstützt wird. Das Album endet mit „One Last Song“, zu dem Chris Harms sagt: „Ich habe mich gefragt, welchen Song ich als letztes singen wollen würden, bevor ich sterbe und festgestellt, dass es diesen Song noch nicht gab. Hier ist er also. Vermutlich der wichtigste Song, den ich je geschrieben habe.“ Als Bonustrack gibt es das „Roxette“-Cover „The Look“ mit niemand Geringerem als dem deutschen 90er-Popstar „Blümchen“ als Duett-Partnerin. „Blood & Glitter“ ist 100% „Lord Of The Lost“. Die Band geht einmal mehr ihren eigenen Weg und veröffentlicht ohne großen Vorlauf ein Album, das mit allen Klischees, Vorurteilen, Genrenormen und Konventionen bricht und setzt dabei inhaltlich starke Statements! „Blood & Glitter“ wird nur einen Tag vor der kommenden Jahreswende, am 30.12.2022, über Napalm Records als digitaler Download, CD im Digisleeve, Doppel-CD im Mediabook inklusive der zugehörigen Instrumentals und Box-Set in roter Stülpschachtel, die neben dem erwähnten Mediabook noch eine DVD mit der Videographie und ein goldenes Logo-Amulett enthält.

„Blood and glitter, sweet and bitter. We're so happy we could die…“. Mit diesen konträren Zeilen beginnt „Blood & Glitter“, das nunmehr achte und reinrassige Rock-Studioalbum des unaufhaltsam immer weiter aufstrebenden Hamburger Quintetts „Lord Of The Lost“. Dabei gibt der klug auf der ehrenvollen Startposition platzierte, gleichnamige Titeltrack schon mal sogleich einen äußerst anregenden Vorgeschmack auf weite Teile der folgenden Ausrichtung, denn bereits hier bewegen sich Sänger Chris Harms und seine Mannen sehr stilsicher in dem gewählten Konzept-Rahmen und verweben ihren etablierten Dark Rock konsequent mit signifikanten Achtziger-Wave-Sounds des klar perlenden Keyboards und kühnen Glam-Riffs zu einem vereinenden Genre-Hybriden irgendwo zwischen der schillernden Vergangenheit einer prägenden Ära und erfrischender Gegenwart: Da reihen sich plötzlich grelle Screams an synthetisch-sphärische Klang-Sprengsel, da treffen das metallisch voluminöse Schlagzeug und verzerrte Gitarren auf vom sanften Piano harmonisch getragene Abschnitte, kernig rockende Headbang-Passagen und einen hymnischen Mitsing-Refrain. Das alles wirkt tatsächlich sehr organisch und schlüssig, nicht wie ein zu sehr gewollter, aber nicht gekonnter Flickenteppich, was natürlich nicht zuletzt im ausgeklügelten Profi-Arrangement begründet liegt, das keinerlei Zufälle duldet. Doch berechenbar sind Harms und Co. auch dieses Mal nicht, denn schon „Leave Your Hate In The Comments“ ist da ganz anders und nimmt ab der ersten Sekunde keinerlei Gefangenen, denn bei diesem wuchtigen Metal-Brett ballert es sofort zu 100% aus den Boxen. Der druckvoll satte Sound heftig peitschenden Drummings, zwischengelagerter Samples, aggressiver Intonation und harter Riff-Power, dürfte die Köpfe der aufmerksamen Hörer bis zum groß tönenden Chorus recht heftig kreisen lassen, wenn sich „Lord Of The Lost“ inhaltlich Hassrede und Mobbing im Schutz der scheinbaren Anonymität des Internets annehmen. Durchaus ein Thema, mit welchem sich die Fünf in der Vergangenheit auch schon oft konfrontiert sahen und ihren Kritikern hier mit ganz viel rabenschwarzen Humor die Stirn bieten. „Absolute Attitude“ legt seine spacig groovende Grundnote schon gleich von Beginn an offen, wenn in den eher ruhigen Mid-Tempo-Strophen monoton marschierende Drum-Rhythmen auf helle Retro-Synthies treffen. Der Refrain ist dann typisch „Lord Of The Lost“ und besticht insbesondere durch die pure Harmonie des packenden Gesangs, der metallische Charakter bleibt hingegen fast gänzlich außen vor und blitzt lediglich vor dem Finale kurz auf. Der betont catchy 80’s-Pop ist charmant, wirkt streckenweise jedoch zu gewollt und etwas arg plakativ aufgesetzt. Auch die ermutigende Message des Songs, die den Hörer dazu bekräftigt, trotz aller Widrigkeiten den Kopf oben zu halten und sich dem Sturm immer erhobenen Hauptes entgegenzustellen, ist lange bewährt, wenn auch schön umgesetzt. Bedeutend eindrucksvoller ist da schon „The Future Of A Past Life“, für welches man sich Marcus Bischoff von „Heaven Shall Burn“ als Partner zur Seite gestellt hat. Direkt zum Einstieg liefert sich fiepende Elektronik einen erbitterten Kampf mit den harten Gitarren vor epischer Kulisse, die sehr getragen intonierten Strophen werden dabei von sphärisch wabernden Keyboard-Flächen wirkungsvoll ausgefüllt, denen dieses Mal nur ein feiner Hauch der Achtziger im spannungsgeladenen Klimax innewohnt. Bischoff verdingt sich mit seinen harschen Shout-Einlagen dann als perfekte Ergänzung kurz in der Bridge und konterkariert Harms immer wieder im erhabenen Power-Chorus, der in all seiner Intensität einem echten Befreiungsschlag allererster Güte gleichkommt - Wow! Mit „No Respect For Disrespect“ wird sofort kernig gerockt, auch das Keyboard ist nun zwischenzeitlich wieder sehr präsent, während das kernige Riff besonders auffällt. Der Refrain reißt in gewohnter Manier schnell mit und weiß sich ebenso zügig in die Gehörgänge zu fräsen. Jetzt ist es an der Zeit für Eskalation pur! Für das großartige „Reset The Preset“ haben sich die Lords nämlich einmal mehr äußerst tatkräftige Unterstützung ins Boot geholt, heuer in Form von „Combichrist“-Mastermind Andy LaPlegua und das hört man auch: Hier gibt es extrem tanz- und feierbaren Industrial-Metal par excellence auf die Ohren, den man so vielleicht nicht unbedingt erwartet hätte. Schon die bedrohlich flimmernden Synthies geben anfänglich einen direkten Fingerzeig auf alles Weitere, bis heftige Drums und sägende Gitarren in absoluter Höchstform über jede Stille walzen und LaPlegua mit brutalen Shouts einsetzt. Der folgende Aufbau ist so ungewöhnlich wie genial, denn passend zum vorgelegten Tempo, steigern sich die brodelnden Strophen zum tobenden Riff-Massaker geradezu sekündlich bis ins explosive Chaos hinein. Das Gipfeltreffen von Harms und LaPlegua setzt der ekstatischen Eskalation dann endgültig die Krone auf! Das sich anschließende „Destruction Manual“ nimmt die gerade eben aufgebaute Energie und führt diese logisch fort, denn musikalisch gesehen gibt es hier nach dem stylischen Glam-Einstieg ein erneutes Brett, welches vor allem Schlagzeug und Bass gelungen in Szene setzt. „Dead End“ und „Leaving The Planet Earth“ könnten mit ihren opulenten Arrangements voller Bombast-Orchestrierung und dem melancholischen Unterton auch genau so gut von einem der beiden Vorgänger stammen, wären da nicht die immerzu aufblitzenden Keyboard-Sounds voll wohlig wärmender Nostalgie, die sofort Hand in Hand mit dem Lord-Spirit geht. Letzterer ist dann gleichsam auch das ruhigste, nachdenklichste und emotionalste Stück des gesamten Albums mit verschärft kritischem Unterton hinsichtlich des aktuellen Weltgeschehens, dem man eine gesunde Prise gewissen Pathos nicht absprechen kann. „Forever Lost“ erinnert mit seinem instrumentalen Retro-Flashback-Intro aus flackernden Synthie-Linien vehement an die Blockbuster-Scores der Achtziger, bevor es plötzlich erst überraschend düster weitergeht, um dann im anmutig schwelgerischen Refrain wieder deutlich aufzuklaren. Eine ganze Spur härter wird es nochmal mit „Save Our Souls“, dessen erklärtes Highlight neben einem elektrisierenden Geigen-Solo von Ally Storch einmal mehr der Hauptteil ist, dem man sich in all seiner vereinnahmenden Eingängigkeit nur wahrlich schwer entziehen kann. Wenn man einen Musiker fragen würde, welches wohl der letzte Song sein sollte, den er kurz vor seinem Tod zum Besten geben möchte, so würde vielen verständlicherweise die Beantwortung sehr schwer fallen, wenn sie denn überhaupt eine hätten. Auch Chris Harms hat sich diese Frage gestellt und mit „One Last Song“ die Antwort darauf gefunden. Kurzum: Eine hochmelodiöse, episch-emotionale Hymne an die Musik, die Band und natürlich nicht zuletzt auch die Fans! Als kleinen Bonus gibt es abschließend noch eine wirklich nette Überraschung in Form einer charmanten Kooperation, die man so nicht unbedingt erwartet hätte: Wer sich in der Vergangenheit eventuell schon mal ein wenig näher mit der Band, ihren inspirativen Einflüssen und nicht zuletzt auch Sänger Chris Harms beschäftigt hat, dürfte um seine musikalischen Idole wissen. Eines davon ist das Pop-Duo „Roxette“ und was läge da also näher, als nach den „Backstreet Boys“ und „Lady Gaga“ nun auch die Schweden mit einem Tribute zu bedenken? Allerdings nicht etwa mit „Sleeping In My Car“, welches schon live auf Tour im Jahr 2013 zu hören war, sondern mit dem Mega-Hit „The Look“, das man sogleich zu Anfang am Signature-Riff erkennt. Als Gastsängerin fungiert Jasmin „Blümchen“ Wagner, die als Rockröhre tatsächlich eine ziemlich gute Figur macht. Ein unfreiwillig komischer Trash-Song ist das gelungene Cover damit keineswegs geworden, sehr viel Eigenständigkeit bietet es dafür aber auch nicht. Eine schöne Zugabe eben… Überraschung gelungen! Dass man auch in der heutigen Zeit durchaus noch sehr erfolgreich mit Musik sein kann, ohne vorab über lange Wochen und Monate eine riesige PR-Maschinerie einzusetzen, um ja nicht aus den Köpfen zu verschwinden und die Zahlen hochzuhalten, haben „Lord Of The Lost“ hier einmal mehr eindrucksvoll bewiesen. Das funktioniert zumindest dann, wenn man eine starke Fan-Base im Rücken hat und natürlich das, was man da tut, gut ist… Und das ist „Blood & Glitter“ allemal. Sehr sogar. Dass längst nicht alle Song so dermaßen überraschend, frisch und anders klingen, wie man aufgrund des Pressetextes zunächst vielleicht denken mag, fällt dabei kaum störend ins Gewicht. Im Grunde genommen ist der Last-Minute-Release 2022 nämlich ein reinrassiges „Lord Of The Lost“-Album, wie es sich die treue Hörerschaft wünscht und vermutlich auch irgendwo erwartet, denn nach dem mythologisch fundierten „Thornstar“ und dem ausladenden Doppel-Epos „Judas“ kommt „Blood & Glitter“ nun wieder sehr viel kompakter daher. Die dreizehn Stücke sind allesamt doch sehr on point, kurzweilig und eingängig geraten. Komplexe Thematiken mit einem übergeordneten Leitfaden, ungewöhnliche Arrangements oder gar größere Experimente gibt es bis auf den stylischen Achtziger-Sound, dem in den letzten Jahren schon wahrlich viele Szene-Künstler verfallen sind, nicht. Dieser wirkt zwar an manchen Stellen etwas zwanghaft übergestülpt und platt, wird dafür bis auf wenige Ausnahmen jedoch relativ dezent nuanciert als kleines Versatzstück eingesetzt und ist damit nie zu aufdringlich oder störend. Die besondere Stimmung jener Ära wird also nicht authentisch eingefangen, was wohl auch nicht das eigentliche Ziel war, sondern Bekanntes ergänzend angereichert. Ansonsten gibt es die gewohnte Kost aus dunklem Rock und härteren Metal-Passagen in exakt richtig austarierter Balance mit großen Melodien, verdammt viel Catchyness und einprägsamen Refrains zum Mitsingen. Die Hanseaten wissen eben ganz genau, was sie tun. Das kann, insbesondere im Hinblick auf den sehr aufwändigen Vorgänger, im ersten Moment zwar (unberechtigterweise) etwas unterwältigend wirken, ist für alle langjährigen Fans des Fünfers aber vermutlich ohnehin eher irrelevant. So ist „Blood & Glitter“ zwar nicht mehr, aber definitiv auch nicht weniger, als ein weiterer Eintrag in der lückenlos hochklassigen Diskographie der sympathischen Band, der durchaus seine Berechtigung durch ziemlich kompetente Songs hat. Der Erfolg gibt ihnen wieder einmal Recht.

Informationen:


http://lordofthelost.de


https://www.facebook.com/lordofthelost/

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