Joachim Witt - Der Fels In Der Brandung (2023)
Genre: Pop / Alternative
Release: 15.09.2023
Label: Warner Music International (Warner)
Spielzeit: 43 Minuten
Pressetext:
Trotz seiner stolzen 74 Jahre macht Joachim Witt weiterhin keine Anstalten, kürzer zu treten oder leiser zu werden. Im Gegenteil: In den letzten Jahren zeigt sich der Hamburger Musiker so produktiv wie nie zuvor. Sein neues Album »Der Fels in der Brandung« ist der vorläufige Höhepunkt dieser kreativen Hochphase und knüpft an den Top-10-Erfolg des Vorgängers »Rübezahls Reise« an.
Seit über 40 Jahren steht Joachim Witt als erfolgreicher Musiker auf der Bühne und hat in den Jahrzehnten seine Wandelbarkeit bewiesen: Von seinen Hits wie »Der goldene Reiter« in der Zeit der NDW, seinem unglaublichen Comeback in den 90er-Jahren mit »Die Flut«, seinen Auftritten auf dem Wacken Open Air oder auch seiner jüngst entdeckten TikTok-Karriere: Der 74-Jährige ist ein Chamäleon, oft provokativ und doch absolut integer. So auch auf »Der Fels in der Brandung«.
Das mittlerweile 20. Werk von Joachim Witt ist ein Album, das seine Zuhörer auf vielen Ebenen überraschen wird. Wieder einmal hat er einen ganz neuen und eigenen Sound kreiert, der seine Stärken und seine Botschaften in eindrucksvoller Weise mit elektronischen Klängen und Gitarrenmelodien verwebt.
Der Fels in der Brandung« erscheint als CD, LP (Red Vinyl), als CD-Boxset.
Kritik: „Schwör mir, dass du bleibst, wenn die Blätter fallen Schwör mir, dass du bleibst, wenn der Winter kommt, bitterkalt
Tiefe Dunkelheit lässt die Sterne strahlen
Kostbar ist die Zeit, bis die Blätter fall'n
Schwöre mir, dass du bleibst“
Eine weit entfernte Trompete. In ziemlich helle Klangfarben getaucht, blitzt sie hier gleich zu Beginn auf, verströmt als führendes Kernelement und gleichwohl stilisierter Warnruf ihre aufgeweckte Melodie irgendwo zwischen charmantem Italo-Western und nostalgischer Pop-Attitüde. Durchaus unerwartet und ein wenig verquer, doch nicht unpassend. Sie bläst beherzt zur scheinbar letzten Schlacht, die womöglich alles entscheiden könnte. Doch tönt sie dabei nicht annähernd so unheilschwanger und apokalyptisch prophezeiend, wie man hinsichtlich der textlichen Grundlage im ersten Moment vielleicht annehmen könnte. Ein moderner Break führt nun erstmals den Beat mitsamt druckvoller Note ein, welcher sich anschickt, die zu erwartende Funktion der Percussion zu ersetzen. Dahinterliegend sorgt eine angespannt aufflammende E-Gitarre für knisternde Spannung. „Völker!“, ruft die markante Stimme von Joachim Witt jetzt mehrmals martialisch auffordernd und sogleich nimmt der Song voll an Fahrt auf, ehe er dann etwas ruhiger „Hört die Signale…“ an seine Adressaten anfügt. „Ihr habt geglaubt, ich sei ’ne Scheibe von der das Meer ins Dunkel stürzt. Ihr sagtet, Feuer sei ein Element. Der Himmel, euer Fürst. Und um im Jenseits Heil zu finden, habt ihr auf Erden Blut gezollt. Ihr habt den Falschen geglaubt, ihnen Paläste gebaut. Aus Steinen, Glas und Gold!“, singt er in der ersten Strophe aus der differenzierten Perspektive eines großen Beobachters, ja, vielleicht sogar der Welt selbst, die nun deutlich auf den Gesang fokussiert und dafür instrumental zurücknimmt. Der Bass pocht rhythmisch dazu, die Saiten der Gitarre sind zu vernehmen, doch rücken hörbar nach hinten. Dabei gestaltet sich der Text als poetisch, sehr bildhaft und auch gewohnt kryptisch, parallel dazu jedoch auch nicht minder bissig, politkritisch und geradeaus wie schon lange nicht mehr. Das eröffnende „Signale“ ist praktisch der Auftakt-Aufruf zur Veränderung und Wunsch nach der großen Wende, wie er später auf diesem Album noch öfter laut werden wird. Ein Appell an den gesunden Verstand und den Menschen tief in uns. „Das allerletzte Spiel, uns bleibt an Zeit nicht viel. Zum allerletzten Male… Völker, hört die Signale!“, heißt es im recht kurzen und gerade dadurch umso eingängigeren Refrain. Das große Ganze ist vornehmlich elektronisch und relativ simplifiziert gehalten, wodurch der Song einerseits sehr plastisch und kompakt, dafür aber auch weit weniger organisch und natürlich, klingt. Dem eingangs in Szene gesetzten Blechbläser wird dabei getreu des plakativen Songtitels die federführende Hauptrolle der Leadmelodie zuteil, wenngleich diese insbesondere gegen Ende fast zu inflationär genutzt wird. Tatsächlich ist es ein gewöhnungsbedürftiger Mix, wenn lyrisch harte Kost unvermittelt auf enorm abgerundeten Pop prallt, doch funktioniert jener am Ende durchaus gut, wie mehrmalige Durchgänge sicher zeigen werden… Mystischer Frauengesang und tief gestimmte, dunkel wabernde Synthie-Flächen mit dezent orchestralem Streicher-Einschlag gestalten daraufhin den atmosphärischen Einstieg zu „Weg Ins Licht“, welches sich wieder ein gutes Stück weit klassischer zeigt. Das exotische Motiv rückt die Gitarre, die hier mit ihrem orientalisch angehauchten Groove für einen großen Teil der Melodieführung verantwortlich zeichnet, nun deutlich präsenter in den Vordergrund. Der Einsatz der nebulös wavenden Saiten wird facettenreich eingesetzt und punktet mit kleinen Details und Effekten, wie kurzen Overdrive-Momenten oder Zwischenspielen, die zu gefallen wissen und ein gesundes Maß an Abwechslung entstehen lassen, denn die Strophe wird ansonsten auch hier lediglich durch den abermals recht monoton pochenden Beat gefüllt. „Ewige Zeit der Liebe. Ewige Zeit der Lust. In der die Leidenschaft brennt, die keine Einsamkeit kennt. Einhunderttausend Herzen schlagen in meiner Brust, denn deine Nähe tut gut. Sei meine Kraft und mein Blut!“, zeichnet Witt schöne, wenngleich stereotype Bilder in die Köpfe der Hörer und weiß mit seiner gekonnten Darbietung zwischen lüsterner Begierde und brennender Sehnsucht stimmlich ziemlich zu überzeugen. Rein lyrisch fällt das sehr simple Reim-Schema in der vorgetragenen Art und Weise dafür umso mehr auf. Im Chorus kehrt Frauenstimme als leises Background-Echo zurück, während Witt singt: „Komm, schenk mir dein Leben. Dein ewiges Leben. Mein Geist wird hell und wach sein, ich werde Fürst der Nacht sein. Komm schenk mir die Freiheit, erlös‘ mich und sei mein Weg ins Licht…“. Irgendwie steht der leicht düstere, gewollt geheimnisvolle Touch dann doch etwas zu vehement im Kontrast zur in den meisten Momenten sehr verträglichen Grundlage des stetig im Mid-Tempo gehaltenen Songs mit seinen romantisch-balladesken Zügen. Dadurch wirkt das Stück in seiner Identität oftmals seltsam zerrissen, auch wenn es einen gewissen Charme nicht verleugnen kann. Für „Sebelele“, frei übersetzt „Wir schlafen“, hat sich Joachim Witt die südafrikanische Sängerin Velile Mchunu als Gast eingeladen, die so manch einem Leser eventuell als Darstellerin des in Hamburg beheimateten Musicals „Der König Der Löwen“ oder durch ihren Hit „Helele“, der im TV und Radio zur 2010 erstmals auf dem afrikanischen Kontinent stattfindenden Fußball-Weltmeisterschaften verwendet wurde, bekannt sein könnte. Was folgt, ist gleich eingangs ein sonniges Riff wohlig warmer Frohnatur, das im direkten Zusammenspiel mit Mchunus traditionellen Gesängen einen durch und durch positiv aufgeladenen und entspannten Spirit mit sich bringt. „Ich steh‘ am Meer und schaue auf den Horizont und denk‘ an dich, bis wieder ein Sturm aufkommt. Er zieht mich fort, doch deine Seele lebt in mir. Ganz gleich, wie lang, wie schwer diese Reise wird. Egal, wohin der steinige Weg mich führt. Ich bin bereit, um wieder aufzustehen… Für dich!“, singt das Nordlicht und versprüht damit viel angenehme Melancholie. Der Refrain wird dann von Mchunu in ihrer Landessprache vorgetragen, während das bis dato noch leicht verhaltene Arrangement durch die hübsch grundierenden Synthies und ihre konterkarierend helle Stimme aufblüht. „Und wir blicken auf diese Welt…“ oder „Und was uns zusammenhält“, raunt Witt im Sprechgesang dazwischen. Das Zusammenspiel wahrt fraglos eine übergroße Pop-Note, die hier auf dosierten Weltmusik-Einfluss trifft, wie man ihn vor allem aus etwaigen Radio-Singles der großen Heavy-Rotation-Parade eben so kennt. Ohne es böse zu meinen: Es scheint ein lang bewährter Kniff der Pop- und Schlager-Industrie, eine gewisse Prise Exotik als angenehmen Frische-Kick in die Songs einfließen zu lassen, um allgemein hin bekannte Gefühle, wie etwa Fernweh, auf eine simple und doch effektive Weise zu unterstreichen. Das ist mittlerweile nicht mehr wirklich innovativ und wirkt stattdessen stark kalkuliert, da wenig authentisch und abgedroschen, auch wenn der hiesige Song musikalisch solide ist. Sowohl Mchunu als auch Witt leisten beide gesanglich äußerst gute Arbeit und überzeugen damit für sich in ihren jeweiligen Momenten, doch so ganz zusammenpassen möchten die Parts einfach nie, wodurch das gut gemeinte Feature leider einen unrunden und seltsam gezwungenen Eindruck macht… Schade! Über die erste Vorab-Single müssen eigentlich keine vielen Worte mehr verloren werden, denn „Schwör Mir“ ist ganz ohne jede Frage ein wirklich fantastisches Stück Musik und wahrscheinlich einer der wohl besten Witt-Songs seit dem Comeback in 2012! Auf die kurze Intro-Sequenz, welche die folgende, wirklich wunderschöne Leadmelodie bereits durch sanfte Gitarre und zarte Streicher in einem entschleunigten Abbild spiegelt, folgt bald ein knurrend pumpender Synthie-Sound, der hier als grundlegende Basis dient. Erstmalig weicht das in den vorherigen Songs so oft angewandte Beat-Motiv hier einem E-Drum-Kit, wenngleich nur elektronisch simuliert, bis sich gegen Ende der Strophe auch die Gitarre wieder dazugesellt. „Auf meinem Weg und im Wandel der Zeit ist mit mir viel geschehen. Träume gebaut, über Wolken geschwebt und Tränen gelebt. Gedanken im Meer kommen leicht wie auch schwer. Sehnsüchte treiben im Sturm. Ich hab mich oft über vieles beklagt, doch nie über dich…“, singt Witt und fragt dann später in der zweiten Strophe „Weit war der Weg bis zu diesem Moment. Einsamkeit war oft schwer. Nie mehr zurück, nur die Zukunft im Blick. Begleitest du mich?“… „Schwör Mir“ ist eine so eingängige wie zugleich auch eindringliche Hymne über die glühende Sehnsucht nach ehrlicher, aufrichtiger und ewiger Liebe und einem festen, emotionalen Band von Bestand. „Die Vorstellung von ewiger Liebe ist eine tiefverwurzelte Sehnsucht in uns.“, so Witt selbst über den Song, in welchem er seine eigenen, teils schmerzhaften Erfahrungen verarbeitet. Entstanden ist ein ungemein ergreifendes Liebeslied, welches die Bedeutung von Treue und Loyalität in einer Beziehung auf gar zeitlose Weise vermittelt und den Hörer mit seinen bezaubernden Harmonien der zu einem voluminösen, doch niemals überladenen, Arrangement der ineinander verschmelzenden Instrumente samt perfekter Dramaturgie mitten ins Herz trifft. Gleichzeitig traut sich der Song doch Ecken und Kanten zu, die in vielen weiteren Liedern des Albums vermisst werden. Damit ist dieser Vorgeschmack bei näherer Betrachtung leider nur wenig repräsentativ für den Rest des Gesamtwerks, wie allein schon das nachrückende „In Unserer Zeit“ belegt: Das Besondere am mancherorts recht kritisch beäugten Duett mit Marianne Rosenberg ist, dass sich die beiden Musiker vorher tatsächlich nicht persönlich kannten. Witt hatte Rosenberg jedoch noch durch die legendäre Hitparade im ZDF aus eigenen Jugendzeiten in sehr guter Erinnerung behalten. Und zwar so gut, dass er sogar eines ihrer Lieder zu seiner Hochzeit spielen ließ. Als für den hier zu besprechenden Titel ein Duettpartner gesucht wurde, fragte er einfach spontan bei ihr an und hatte Erfolg! Alles beginnt mit einer seltsam schwülstig fiependen Synthie-Melodie, die in ihrem schmalzigen Grundtenor auch irgendwie sofort an Fernsehgarten und Konsorten erinnert. Damit schlägt man gleich äußerst unangenehm in die Kerbe von verhalten tanzbarem Seniorenheim-Techno, der ja immer viel Power und großen Aufbruch verheißen, ja, bestmöglich modern wirken soll und damit am Ende leider das exakte Gegenteil bewirkt. „In dieser tief bewegenden Zeit braucht es Mut und freies Geleit. Und die Sehnsucht steuert uns in die Zukunft. Schnell, unsere Botschaft zieht mit dem Wind und ein neues Denken beginnt. Unsere Augen blicken nun in die Zukunft…“, beginnt Witt mit den ersten Zeilen, bis Rosenberg dann zum zweistimmig gesungenen Refrain einsetzt, der sich durch die zunächst noch zurückgenommene Instrumentierung jedoch eher wie die Bridge anfühlt, bis es dann plötzlich in die zweite Strophe übergeht. „Wann heißt es nicht mehr jeder für sich? Und dann sind wir, du und ich, füreinander da. Wir setzen Lichter auf hoher See und wir feiern die Idee von dem Glanz der einen Welt. Und dann stehen wir genau in unserer Zeit!“, singt das Duo da zu emsig fiedelnden Violinen und sich übersteigernden Chorälen. Danach kommt der Twist und weiter geht es zum äußerst schunkel-freundlichen Plastik-Pop-Beat im typischen Foxtrott-Rhythmus à la Viervierteltakt. Die zweite Strophe übernimmt hingegen Marianne Rosenberg. Kurzum: Was man hier zu hören bekommt, ist nicht mehr oder weniger als lupenreiner und nach aktuellen Genre-Standards maßgeschneiderter Pop-Schlager in radiotauglicher Länge und gesamtgesellschaftlicher Bekömmlichkeit serviert. Dafür bringt man auch so ziemlich alle Register aus der gemeinen Trickkiste an den Tisch, die es dazu so braucht: Fröhlich-energiegeladener Electro lässt jede Altersklasse zu vorhersehbaren Reimmustern gleich mit dem Fuß wippen, während wuchtige Trommeln und tänzelnde Streicher aus der Konserve für den erhabenen Pomp-Faktor sorgen und die Wichtigkeit der alles verändernden Friede-Freude-Eierkuchen-Message unterstreichen sollen. Ohne es süffisant zu meinen, braucht die Welt in Zeiten wie diesen deutlich mehr Freude und vor allem Friede und mit Sicherheit ist die grundlegende Aussage des Songs auch alles andere als verkehrt und gut gemeint, nur zeugt die bloße Machart von dermaßen verblendetem Heile-Welt-Wunschdenken des Genres, das eigentlich niemand ernsthaft daran glauben kann. Zudem trieft allen voran das Finale mit seinem „Ahahaha“-Chor und dem beinahe zum Mitmachen zwingenden „Aufrecht gehen wir den Weg der Veränderung. Rückenwind holt das Glück aus der Dämmerung“-Mantra geradezu vor lauter Naivität und klebrigem Pathos, sodass die eigentlich so schöne Botschaft, die Einigkeit beschwört, auf Werte und mehr Menschlichkeit pocht, vollends darunter begraben wird. Bei aller versuchten Neutralität und allem Respekt muss einfach gesagt werden, dass Freunde des modernen Schlagers hier gewiss ihre helle Freude haben könnten, es für gestandene Witt-Fans wiederum aber ein ziemlich harter Brocken ist, der selbst mit viel gutem Willen und Offenheit nicht leicht zu verdauen ist… Die Aussage bleibt recht ähnlich, nur der Stil steht dem Interpreten wieder weitaus besser: „Revolution“ bringt sofort eine verzerrte E-Gitarre mit, die einen schön groovenden Drive liefert. Die vor witt‘scher Poesie nur so strotzenden Strophen werden immerzu von industriell tönender Percussion gebrochen, wodurch diese nie zu clean erscheinen und stattdessen einen leicht dreckigen Touch behalten. Die nette Melodieführung wird erneut stark von der dominanten Stimme gelenkt und profitiert enorm vom bluesigen Charakter. Der catchy Refrain präsentiert sich daraufhin als ziemlich launiger Hybrid aus klassischem Rock ’n’ Roll und funky Note, der gut in Beine und Ohr geht. Trotzdem fehlt dem klar als Up-Tempo konzipierten Track im Vergleich zu vorherigen Produktionen ein bisschen der Druck und Biss. Stattdessen wurde das gute Grundgerüst wieder hörbar zu glatt produziert, wodurch die Nummer dann leider doch etwas kraftlos und angestaubt klingt. Allein aufgrund der bloßen Thematik entfaltet sich „Jung“ schnell als einer der wohl besten, da grundehrlichsten Songs des neuen Albums. Dazu tragen vor allem die lyrisch wirklich gut vermittelte Ernsthaftigkeit und spürbar nachvollziehbare Melancholie bei, welche hier auch musikalisch sehr passend hin zum Hörer transportiert werden: Gedämpfte Keyboard-Flächen, helle Glockenschläge und aufstrebende Percussion fördern die introvertierte Stimmung dieser nachdenklichen Ballade über schwindende Jugend. „Permanent wach auf unserem Thron. Wir dachten, wir schlafen erst nach dem Tod. Spürten die Glut, das Feuer der Welt. Haben alles auf den Kopf gestellt. Wir sind hoch geflogen und tief gefallen. Um die Häuser gezogen mit Rauch und Schall. Schliefen auf Dächern, in Hütten aus Schnee. Waren in unserer Stadt auf Welttournee…“, besingt Witt die ehemals wilden Zeiten mit ausdrucksstarken Bildern, die viele Hörer vor ihrem inneren Auge genau so nachfühlen können dürften. Der pluckernde Electro, die verzerrten Saiten-Fragmente und der wehklagende Background-Gesang leisten dabei sehr schöne Detail-Arbeit, überfrachten die sorgsam gewählten Worte jedoch nicht, die rein atmosphärisch so manches Mal an die grandiose „Neumond“-Ära gemahnen. „Doch all diese Jahre sterben jung, sie gehen so schnell vorbei. Sie konservieren die Erinnerung und schlafen dann einfach ein… Jung… Jung… Jung…“, beklagt er später im Chorus, der die pure Emotionalität durch sanftes Drehen an den musikalischen Stellschrauben dann nochmals gelungen intensiviert. Planlos und frei gelebt, als gäbe es keinen Morgen danach und doch voll großer Visionen, um vor der eintönigen Einseitigkeit des grauen Alltags zu fliehen, der einen irgendwann mit immer größer werdenden Schritten eher einzuholen droht, als einem lieb ist. Hier als „Zeichen-der-Zeit-Virus“ tituliert. Voll integreren Pop-Appeal mit überdeutlich charttauglicher Ausrichtung gibt es auch danach bei „Hörst Du Mich“ wieder. Erneut wartet hier ein nach allen Regeln der Kunst auf funkelnden Hochglanz poliertes Duett mit einer weiblichen Gastsängerin, die jedoch nicht näher benannt wird. Als ausgeschriebenes Kernelement fungiert dieses Mal die sehnsuchtsvoll-tragische Melodie einer E-Violine im besten Stil einer Lindsey Stirling, die sich als prägnanter Kontrast elegant an den pulsierender Electro schmiegt und eine wärmende Note in das bewusst kühle Arrangement einbringt, welches geradezu vor lauter Leidenschaft und Sehnsucht schreit. Somit ist das extrem gefällige Mid-Tempo-Stück, das sich die Suche nach Liebe und Geborgenheit, Trennung und Wiedervereinigung zum erklärten Thema nimmt, also durchaus schön und recht atmosphärisch geraten, wenngleich man deutlich merkt, auf welches Publikum abgezielt wird. Damit werden kleinere Wagnisse und sonstige Kanten, die eventuellen Grund zum Anstoß bieten könnten, allerdings von Vornherein kategorisch ausgeschlossen, was vor allem deshalb so schade ist, weil sich Joachim Witt dadurch nur unnötig selbst limitiert und viel zu sehr eingrenzt, als dass entsprechend geartete Lieder für mehr als schnellen Hörgenuss in den obligatorischen drei Minuten im Gedächtnis bleiben könnten. Immerhin driftet die Musik nicht zu stark in den Kitsch ab und auch die zwei Stimmen harmonieren hier besser miteinander, als noch in den beiden vorherigen Features. Das nächste Stück, das lediglich schlicht mit „Bäume“ betitelt worden ist, macht dahingehend wieder etwas an Boden gut und lehnt sich sowohl stimmungstechnisch als auch textlich an die tiefsinnigeren Momente an, in denen Witt zumindest auf „Der Fels In Der Brandung“ sehr viel mehr überzeugt. Musikalisch betrachtet hat die Halb-Ballade, die eingangs sofort von elegischen Breitbild-Streichern im Großformat eröffnet wird, durchaus so einiges zu bieten. Dazu in Symbiose hintergründig donnernde Trommeln und eine aufgeweckte Gitarre, die zügig ein majestätisches Klangerlebnis erzeugen, das dann mit Einsatz der ersten Strophe jäh gedrosselt wird, in denen der mit allerhand technischen Zerr-Effekten gespickte Sechssaiter gekonnt zwischen den Textzeilen verwoben wird. „Der frühe Morgen ist ‘ne Qual, wenn du nicht schläfst zum x-ten Mal. Gesicht ist blass, die Augen rot. Als träumst du nur vom eigenen Tod. Du schleppst dich raus in diese Welt, die nicht sehr viel von Liebe hält…“, treffen die gewaltig zermürbenden Worte wie ein Schlag ins Gesicht und regen unbarmherzig zum Reflektieren an. So dann auch der Refrain, in dem es abschließend heißt: „Doch eins ist wahr oder auch nicht… Du brauchst den, der mit Bäumen spricht!“. Was dabei überrascht, ist die teilweise doch sehr direkte und umgangssprachliche Rhetorik, die sich in diesem Kontext zwar einerseits als passend erweist, an manchen Stellen hingegen aber doch etwas unbeholfen und stacksig daherkommt. So muss man sich gelegentlich fragen, ob manch eine Stelle nicht besser nochmal hätte überdacht werden sollen, wenn es beispielsweise „Welche Werte, welchen Kack hat sich dein Kleinhirn da aufgesackt!?“ heißt. Nichtsdestotrotz ist „Bäume“ die meiste Zeit über ein feinfühliger und wirklich gelungener Song über die ewige Suche nach Sinn, Bestimmung und dem eigenen Glück in einer oberflächlichen und egozentrisch geprägten Ellenbogen-Umwelt, die jeglichen Anflug von Empathie und Sensibilität als fälschlich enttarnte Schwäche bereits im Keim erstickt und mit Füßen tritt. Mit dem pop-rockigen „Propaganda“ gibt es dann kurz gegen Ende nochmals einen der wenigen Up-Tempos auf die Ohren. Dieser rückt jetzt allen voran lyrisch die spaßige Seite und damit auch den zuweilen recht verschrobenen Humor des Hanseaten ins Rampenlicht. Getreu dem Motto „Lass die Leute reden“ bringt Witt in diesem Anti-Liebeslied mit zynischem Tonfall einige abenteuerliche Gerüchte vor. Garniert durch die kernig rockende Lead-Gitarre inklusive kleinem Solo und einem sonderbar hochgepitchten Quasi-Kinder-Chor, der den Refrain höhnisch skandiert, bleibt diese Nummer in den ersten Durchgängen gewöhnungsbedürftig, birgt aber dennoch hohes Spaß- und Mitmach-Potential für die kommenden Live-Shows. Manchmal tut ein bisschen Unsinn ja ganz gut, oder? Das abschließende „Träume Im Gegenwind“ reaktiviert dann final nochmals die bombastischen Ressourcen symphonischer Schönheit, wie man sie etwa bereits aus „Refugium“ kennt. Große Streicher-Arrangements zaubern genau die richtige, erhabene Stimmung für jene Thematik um den langen Weg zum Glück und ewigen, entkräftenden Kampf für das Gute. In der Tat große Wünsche, die mit einem klaren Blick auf diese Welt und viel Vernunft leider weiter unerfüllt bleiben müssen. Doch scheint Witt dennoch keineswegs kapitulieren zu wollen, wenn man die hier dargebrachte Intensität als Maßstab seines eisernen Willens hernimmt. Und alleine diese Konstante ist schon beruhigende Erkenntnis genug.
Tracklist:
01. Signale
02. Weg Ins Licht
03. Sebelele (feat. Velile Mchunu)
04. Schwör Mir
05. In Unserer Zeit (feat. Marianne Rosenberg)
06. Revolution
07. Jung
08. Hörst Du Mich
09. Bäume
10. Propaganda
11. Träume Im Gegenwind Fazit:
Ist es denn schon wieder so weit? Gerade einmal gute anderthalb Jahre hat es dieses Mal gedauert, bis die hanseatische Koryphäe der deutschen Musiklandschaft mit ihren nunmehr zwanzigsten Fulltime-Album zurückkehrt. Dabei ist diese Tatsache allein eigentlich gar nicht allzu überraschend, zeigte sich Joachim Witt in den letzten zehn Jahren doch äußerst aktiv und legte ein sehr beachtliches Kreativ-Pensum bei meistenteils gleichbleibender, hoher Qualität vor. Was genau die Fans aber nach dem Abschluss der weitestgehend von Symphonic-Rock und Metal geprägten „Rübezahl“-Trilogie erwarten würde, blieb hingegen erneut ein großes Rätsel. Ja, Witt ist zu einem gewissen Maß auch immer irgendwo eine große und unberechenbare Wundertüte… Wie allgemein hin bekannt, begann alles 1980 mit dem Debüt „Silberblick“ mitten in der NDW und verschob sich gegen Ende der Neunzigerjahre bis in die Mitte der 2000er dann in die damals stark trendende NDH, ehe erst eine längere Pause folgte, bis es dann mit viel pompöser Melancholie mit „DOM“ ein gelungenes und medial stark beachtetes Comeback gab. „Neumond“ zeigte sich wiederum deutlich elektronischer, „ICH“ geradezu minimalistisch und „Thron“ war ein bunter Genre-Mix. Zuletzt interpretierte Witt die größten Hits seiner Karriere mit Orchester und liebäugelte bei den aktuellen Konzeptalben sogar mit erdigen Tribal und Folk-Elementen bis hin zu schwerem Doom-Metal. Nur sehr wenige Künstler sind so dermaßen wandelbar und vielfältig, wie es Joachim Witt ist! Und jetzt also „Der Fels In Der Brandung“… Wie genau das neueste Werk in seiner Gesamtheit wohl klingen würde, war vor allem deshalb so undurchsichtig, da die drei vorab veröffentlichten Singles alles andere als ein homogenes Bild ergaben. So gab es etwa eine elektronisch-rockige Melancholie-Ballade, Pop-lastige Sozialkritik und zuletzt sogar Schlager zu hören. Und irgendwie ist dieses Trio dann doch repräsentativ, denn die korrekte Antwort lautet: Es gibt von allem etwas. Oder zumindest von vielen der hier gezeigten Facetten. Was sie zudem alle eint, ist die Produktion. Die Art und Weise des generellen Klangs. Wobei „Schwör Mir“ da noch am archetypischsten daherkommt und aufgrund seines vollen, satten Sounds eine der rühmlichen Ausnahmen darstellt. Vorab: In so ziemlich allen der insgesamt elf Songs liest man klar und deutlich die Handschrift von Joachim Witt heraus. Dies beläuft sich allerdings meistenteils auf die bloße Themenwahl, Textarbeit und generelle Melodieführung, denen man einmal mehr zu jeder Sekunde anmerkt, dass sie aufrichtige Herzensangelegenheiten sind. Der eigentliche Knackpunkt ist dieses Mal hingegen die musikalische Ausarbeitung und deren Präsentation. Viele Stücke klingen so, als hätte man die ursprünglich guten Ideen des Interpreten zugunsten von mehr Massenkompatibilität komplett durch den Wolf gedreht, komprimiert und so lange an ihnen gefeilt, bis sie glatt, rund und vor allem sehr gefällig sind, was ja erst einmal nicht immer etwas Schlechtes sein muss. Hinzu kommt jedoch, dass viel des Instrumentariums deutlich hörbar rein computergeneriert worden ist. Lediglich die atmosphärischen Keyboard-Flächen, Streicher und Gitarren wissen voll zu überzeugen, ansonsten dominiert leider oftmals ein monotoner Beat. Dadurch klingt ein Groß der Tracklist leider seltsam schwach auf Brust, ohne den nötigen Druck und wie dem Volumen beraubt. Schlimmer noch, wirkt der Sound über weite Strecken merkwürdig künstlich und ungewohnt unecht. Damit lässt man bis auf wenige Momente kaum Ecken und Kanten zu, sodass die sonst so markante Individualität, Tiefe und Persönlichkeit der bloßen Musik ein Stück weit verloren geht. Ein Lichtblick: Mit einer gewohnt starken Live-Band bei den kommenden Konzerten im Rücken, wird sich dieser Kritikpunkt wohl schnell in Luft auflösen. Selbst aus möglichst neutraler Sicht, um dem Künstler gegenüber Fairness zu wahren und auch ohne die neuerliche Genre-Ausrichtung, die dieses Mal fraglos von jeder Szene-Affinität abweicht, nur aufgrund ihrer auf hochglanzpolierten Chart-Tauglichkeit zu bekritteln, muss ehrlich gesagt sein, dass das neue Album aufgrund dieser Tatsache im direkten Vergleich leider doch eines der schwächeren innerhalb der Witt‘schen Diskographie ist. Zwar wäre es vermessen, Witt einzig aufgrund der unvorteilhaften Überproduktion als „Fähnchen im Wind“ denn echten „Fels in der Brandung“ zu titeln und die aktuelle Ausrichtung rein kommerziellen Schlager zu schimpfen, doch wird die Ausgangslage seinem Können auch ganz ohne die typisch gotische Verdrossenheit hier definitiv nicht gerecht. Das ist insbesondere deshalb so schade, weil Witt es eigentlich wie nur wenig andere Songwriter perfekt versteht, auch der oft so verpönten Poppigkeit und überschwänglichem Pathos genau die richtig dosierte Substanz zu verleihen, ohne dabei unglaubwürdig oder gar belanglos zu sein. Nein, viel mehr ist Joachim Witt mit seinem gekonnten Spiel aus beobachtender, doch niemals belehrender Gesellschaftskritik, augenzwinkernder Selbstironie und großen Gefühlen lyrisch weiterhin relevant sowie musikalisch offen, modern und klar am Puls der Zeit interessiert. Auch wenn genannte Umstände seinem luftig-frischen Sound sicher nicht schmeicheln und zu sehr verwässern, muss herausgestellt werden, dass sich dieses Urgestein nicht beirren oder vereinnahmen lässt, ja, sich mit dieser Rastlosigkeit selbst treu bleibt, und damit dem Albumtitel doch alle Ehre macht… Auch dann, wenn es nicht immer jedem gefällt.
Informationen:
http://www.joachimwitt.de
https://www.facebook.com/joachimwittmusik/