Hämatom - Interview (2022)
Roggenfaenger: Hallo und herzlich Willkommen zurück zu einem neuen Interview auf dieser Seite! Wie schön, dass ihr euch so kurz vor den Feiertagen noch die Zeit dafür genommen habt, unser letztes Gespräch zu „Bestie Der Freiheit“ liegt ja nun auch schon wieder etwas länger zurück. Eingangs gleich eine Frage, die man in dieser Zeit ja etwas häufiger gestellt bekommt: Wie geht es euch denn momentan, insbesondere auch im Hinblick auf die aktuelle Corona-Lage im Musik- und Veranstaltungsbusiness? Süd: Aktuell ist gefühlt der krasseste Tiefpunkt. Zumindest bei mir. Und das obwohl die Aussichten aufs Frühjahr und Sommer ja eigentlich gut sind, sollte wirklich das Ende dieser Pandemie kommen. Aber wir haben jetzt knapp zwei Jahre durchgehalten, uns immer wieder neue Dinge einfallen lassen, um unsere Musik zu streuen und die Menschen und letztendlich auch uns bei Laune zu halten, aber langsam ist auch unser Akku leer. Es fehlt einfach das Live spielen, der direkte Austausch mit den Zuschauern, die Lautstärke, der Schweiß, die Chöre. Und wir können echt nicht meckern, schließlich haben uns unsere Fans wirklich durch diese unendlich lange Krise getragen, doch jetzt brauchen wir einfach wieder eine Bühne, damit wir uns auch wieder als Künstler fühlen können.
Roggenfaenger: Trotz der noch immer andauernden Pandemie habt ihr das mit Sicherheit nicht gerade wenig aufwändige Vorhaben gestemmt, in diesem Jahr gleich zwei brandneue Studioalben zu veröffentlichen! Erst im April gab es mit „Berlin“ euren ersten, reinrassigen Unplugged-Ausflug, dieser Tage geht es mit „Die Liebe Ist Tot“ hingegen wieder in eine für euch traditionellere Richtung. Wo wir gerade schon beim Thema sind: Wie gestaltete sich für euch dieses Mal die vorherige Kreativ- und anschließende Studioarbeit?
Süd: Mit dem Songwriting hatten wir ja schon 2020 angefangen, doch als wir ahnten, dass man auch 2021 nicht wirklich große Shows mit ungezügelter Energie spielen kann, die durch Crowsurfing und Stagediving zum Ausdruck kommt, haben wir die laute Musik auf Eis gelegt und uns dem lang ersehnten Traum gewidmet, ein Unplugged Album zu schreiben. Ab März 2021 haben wir dann das Schreiben fürs neue Album DIE LIEBE IST TOT fortgesetzt. Und nach so einem Unplugged-Trip hatten wir natürlich doppelt so viel Spaß, vor allem am musikalischen Part, wieder laute, verzerrte und schnelle Musik zu schreiben. Und während bei diesem Exkurs im Frühjahr namens BERLIN alles ganz schnell ging, wurde für das aktuelle Album wieder viel probiert, in Frage gestellt und zehn mal herumgedreht, ehe man zufrieden war und die jeweiligen Songs dann recorded hat. Also wie immer eine lange und intensive Reise.
Roggenfaenger: Wie nehmt ihr bisher generell das Feedback zum neuen Album wahr? Bis auf die Rezeption in den sozialen Medien ist es zur Zeit ja relativ schwierig geworden, eine direkte Rückmeldung von den Fans zu bekommen, wobei ihr kürzlich in Geiselwind und Neumünster zumindest zwei kleine Gelegenheiten dazu hattet.
Süd: Das ist ein sehr guter Punkt! Das Feedback in den sozialen Netzwerken ist nicht mit den Reaktionen zu vergleichen, die man direkt von einem Publikum während einer Live-Show erfährt. Online wurde das Album bisher gefeiert, aber welcher Song ist zum Beispiel ein Brett bei einer Live-Show? Dazu gibt es leider nicht wirklich viel Erfahrungswerte, bzw. eigentlich nur die Show in Neumünster und da konnten wir vom neuen Album nicht so viel spielen. Die Show in Geiselwind war ja auch wieder eine Streaming Show – zwar mit Publikum – und dadurch auch wieder nicht 100% aussagekräftig bezüglich Konzerttauglichkeit der einzelnen Songs. Dieses Feedback fehlt total und der Spaß bei den Shows natürlich auch!
Roggenfaenger: Wie gerade bereits erwähnt, hört euer aktuelles Werk auf den unverblümten Namen „Die Liebe Ist Tot“ und tatsächlich zieht sich die titelgebende Thematik auch in vielen Facetten wie ein übergeordnetes Konzept durch fast alle der insgesamt zehn Songs. War dieser rote Faden von Anfang an beabsichtigt oder hat es sich einfach so entwickelt?
Süd: OST, der für die Texte von HÄMATOM maßgeblich verantwortlich ist, hatte sehr früh die Vision LIEBE als zentralen Baustein dieses Albums zu nehmen. Anfangs war noch unklar in welcher Form und als er mit mir über diese Idee gesprochen hatte, war mein erster Gedanke, ob das denn überhaupt zu HÄMATOM passt. Verpackt man aber LIEBE eben so, wie jetzt geschehen beim aktuellen Album, dann bekommt es einen anderen Stellenwert und Bedeutung und man stellt fest, dass LIEBE für sehr viel bis hin für alles in dieser Welt verantwortlich ist. Natürlich unterschiedlich, ob man sie gibt, sie nimmt oder nicht bekommt. Und leider ist in der Welt derzeit, egal ob hier im Lande oder auch über die Grenzen hinweg, die Liebe abhanden gekommen. Man spricht weniger vom Miteinander oder dem gemeinsamen Schaffen, sondern Themen, bzw. Wörter wie “Grenzen”, “Mauern” oder “Gräben” sind wieder angesagt. Alles steht auf Spaltung, das macht mich sehr traurig, weil es sich schon mal anders angefühlt hat.
Roggenfaenger: Gleich im Anschluss daran: Bei Stücken wie „Dagegen“, „Jeder Gegen Jeden“ oder „Ich Hasse Euch Alle“ scheint es fast so, als hättet ihr den momentanen Zeitgeist mehr als treffend eingefangen… Fernab von Corona: Wie kritisch betrachtet ihr darüber hinaus die zunehmende Spaltung in der Gesellschaft bei jedweden Themen und wie lässt sich eurer Meinung nach dieser ewige Diskurs zumindest anteilig lösen? Was könnte da helfen?
Süd: Wie schon in der vorangegangenen Frage erwähnt, sehen wir die aktuelle Spaltung der Gesellschaft sehr kritisch und sind traurig darüber. Unsere Reaktion ist die Musik, sie gibt das wieder, hält den Spiegel vor. Lösungsansätze kann man leider ja immer nicht so schnell mitliefern, wobei ich sehr viel Schuld den Populisten gebe, die es schaffen Gesellschaften und Länder zu destabilisieren mit hirnlosen, inhaltslosen Angshetzen. Damit kann man viele Schäden anrichten und Menschen mit Angst zu unmenschlichen Entscheidungen bringen. Das war schon vor Jahren zu erahnen und funktioniert erschreckend gut.
Roggenfaenger: Nach eurer akustischen Reise mit „Berlin“ stellt „Die Liebe Ist Tot“ einerseits einen ziemlichen Kontrast dar und ist andererseits fraglos eines eurer härtesten Alben bisher, was viele Hörer bestimmt sehr freuen dürfte! Wie kam es dazu?
Süd: Sehr schön, so soll es sein! Ich würde sagen da kamen die Punkte Lebens-/Gesellschaftsfrust, Motto der Scheibe und das vorangegangene Akustikalbum zusammen. Wir wollten mal wieder Kante zeigen, sowohl musikalisch, als auch sprachlich und haben es dann einfach laufen gelassen. Keine Hand vor den Mund genommen und an den Instrumenten Vollgas gegeben. Ich meine, was verlangt man auch, wenn man Musiker über Monate, ja mittlerweile fast zwei Jahre die Bühne nimmt, sie nur noch vor Bildschirmen spielen lässt und das Publikum muss Abstände einhalten. Das schmerzt. Wenngleich wir natürlich Verständnis für diese Maßnahmen haben. Dieser Virus nervt. So ein Kack!
Roggenfaenger: „Ihr Wisst Gar Nichts Über Mich“ ist eine von insgesamt fünf Singles aus dem neuen Album und der Song, den ihr zuerst daraus ausgekoppelt habt. Dabei nimmt sich die Nummer mit der typischen Mittelfinger-Attitüde dem wertenden Gerede, den Gerüchten und der Intoleranz jener Personen an, die nur zu gerne unreflektiert über ihre Mitmenschen urteilen, ohne dabei wirklich mehr zu wissen oder gar Rücksicht auf ihre Gefühle und etwaige Folgen zu nehmen. Was ist der beste Weg, um damit umzugehen?
Süd: Ich muss sagen, dass ich selbst darunter immer wieder leide. Irgendeiner weiß es wiedermal besser, kritisiert dich, obwohl du eigentlich davon überzeugt bist, dass es gut ist, was du gerade machst. Das Problem ist meiner Meinung nach dabei oft die schlechte Kommunikation. Es ist ja durchaus o.k., wenn andere Leute andere Meinungen haben, aber warum hat man oft das Gefühl, dass diese andere Meinung anscheinend die richtige ist. Warum sucht der Kritiker nicht das Gespräch und diskutiert, warum wird immer gleich verurteilt? Mein Umgang ist immer der Versuch gelassen zu bleiben und alles an sich abprallen zu lassen, gelingt aber leider nicht immer.
Roggenfaenger: Auch „Liebe Auf Den Ersten Fick“ passt bei genauerem Hinhören thematisch sehr gut zwischen die übrigen Songs. Tatsächlich scheint es heute in Zeiten von Online-Dating und Co. ganz so, als würden sich viele nur zu gerne der verantwortungslosen Einfachheit hingeben, keine Bindung mehr eingehen und sich nicht festlegen zu wollen. Wie steht ihr zu dieser gesellschaftlichen Entwicklung?
Süd: Hier bin ich eher entspannt. Jeder so wie er es glaubt zu wollen, solange keine anderen Menschen dabei zu Schaden kommen. Ich kenn dazu auch keine Statistiken, die das belegen und in meinem Umfeld hab ich erstaunlich viele bodenständige Menschen. Aber vielleicht bin ich auch mit lauter Langweilern zusammen :-) Auf jeden Fall habe ich hier noch halbwegs Hoffnung, dass Familie mit Kinder weiter ein Thema in der Welt sein wird. Vielleicht im höheren Alter, aber nicht ganz weg. Nur Social Media macht einfach nicht glücklich, davon bin ich sehr überzeugt.
Roggenfaenger: „Ich Hasse Euch Alle“ ist einer der wohl kompromisslosesten „Hämatom“-Songs seit sehr langer Zeit und erinnert stilistisch beispielsweise an frühere Werke wie „Wut“. Generell scheint ihr auf „Die Liebe Ist Tot“ stark zu den Wurzeln zurückzugehen, auch wenn gleichzeitig das Beste aus der jüngeren Ära einen Platz in der Tracklist findet. War dieser musikalische Spagat so von euch gewünscht?
Süd: Sehr gut erkannt. Sehr früh in unserer Karriere gab es diesen Song LECK MICH von dem dir erwähnten WUT Album, der schnell Kultstatus mit dem wohl trashigsten Video der Welt erhielt. Und so wurde es auch eine Live-Hymne, die auf keinem Konzert fehlen durfte und oft den Schlussgong der Show darstellte. Inspiriert von dieser Energie des Durchdrehens und der Power einer Haltung gegen alles, erwuchs die Idee von unserem Gitarristen OST zu ICH HASSE EUCH ALLE. Und schnell wurde es textlich ein Selbstläufer in dem man auch die Gelgenheit bekam allen Rechtspopulisten nochmal auf den Kopf zu kacken. Also hier stimmt einfach alles und Musik und Text können nicht besser zusammenpassen.
Roggenfaenger: Mit der launigen Party-Nummer „Ficken Unsren Kopf“ gibt es ein überraschendes Feature mit den „257ers“, bei „Zahltag“ hingegen fette Beats und leichten Hip-Hop-Crossover. Bereits auf „X“ habt ihr euch an Cover-Versionen erfolgreicher Hits aus fremden Genres gewagt oder in der Vergangenheit beispielsweise schon mit „Trailerpark“ auf dem Wacken Open Air performt. Wie kam es zu der ungewöhnlichen Kooperation und wie steht ihr solchen Einflüssen gegenüber?
Süd: Die Kooperation mit den 257ers entstand durch den Song selbst. Wir wollten eben genau diesen Partysong so machen, wie er ist und das ganze mit einem Hip-Hop-Act als Crossover Partner. Song war fertig geschrieben, also machten wir uns auf die Suche, loteten aus, was passen könnte und nach vielen Überlegungen und Anhören verschiedener potentieller Künstler, sind wir bei den 257ers hängen geblieben. Dann wurde gleich Kontakt aufgenommen und Zack, war die Zusage und wenig später deren aufgenommener Gesangspart da. Das alles ohne dass wir sie persönlich getroffen hatten. Dieses Treffen war dann das erste Mal im Rahmen des Videodrehs zu diesem Song und es war legendär. Zwei Drehtage, die mit zu den schönsten des vergangenen Jahres zählen. Zwei Tage Party und viele Dinge zerstören, einfach herrlich. Und die beiden, so unfassbar witzige Typen, das macht echt Spaß!
Roggenfaenger: Ein weiteres Lied heißt „So Wie Wir“ und könnte neben „Wir Sind Keine Band“ definitiv die neue Band-Hymne bei den (hoffentlich) nicht mehr allzu fernen Live-Shows werden. Kurz und knapp für alle, die euch noch nicht so gut kennen: Wie seid ihr denn eigentlich?
Süd: Kritisch, spaßig, besessen, auf Parties die letzten die gehen, OST und NORD nicht tot zu kriegen, einfühlsam, größenwahnsinnig, verständnisvoll und auch mal egoistisch.
Roggenfaenger: Das letzte Lied auf dem neuen Album, „Zeit Zu Gehen“, hat dem ein oder anderen Fan bestimmt allein aufgrund seines Titels einen ziemlichen Schrecken eingejagt… Ihr denkt doch noch hoffentlich lange nicht ans Aufhören und wolltet nur einen schönen Rausschmeißer schreiben, oder? Was wollt ihr mit „Hämatom“ vorerst noch erreichen?
Süd: Tja, wär ein schönes Abschlusslied, das haben wirklich schon viele gesagt. Aber an alle unsere Hater: Wir machen weiter! Und wir wollen noch sehr viel erreichen. Leider hat dieses scheiß Corona alle unsere Pläne durcheinander gewirbelt und man muss schon ganz schön starke Nerven in der aktuellen Situation haben, damit man nicht alles hinschmeißt. Ich meine, wir steckten gerade in der erfolgreichsten Tour unserer Bandgeschichte, als nach drei Shows der Stecker gezogen wurde und wir alle in den Lockdown geschickt wurden. Das schmerzt sehr. Man muss echt an dieser Stelle nochmal sagen, dass wir dank unserer Fans uns gut durch diese schreckliche Zeit tragen konnten, da sie jedes Format, wie Gamingshow oder Zombie Streaming Event oder Saufen vor der Kamera, alles mitgemacht haben, immer maximal supportet haben und uns moralisch zur Seite standen. Vielen Dank an dieser Stelle! Und wird der Löwe HÄMATOM jetzt wieder losgelassen, dann werden wir mit vielen Konzerten das Live Brett ausfahren und weltweit die Clubs und Hallen einreißen.
Roggenfaenger: Mit insgesamt zehn Songs und einer relativ knappen Spielzeit von gerade einmal 34 Minuten ist „Die Liebe Ist Tot“ ein sehr kurzes Album geworden, dafür aber unglaublich stark. Rund die Hälfte der Tracks wurde bereits im Voraus inklusive aufwändigen Musik-Videos veröffentlicht. Der Verkauf von Tonträgern geht ja bekanntlich seit Jahren immer weiter zurück und gerade für kleine und mittelgroße Bands wird es somit immer schwieriger, Geld mit der Musik zu verdienen. Ist diese Art der Veröffentlichung also quasi der neue Weg, auch in Bezug mit dem Fokus auf große Fan-Boxen und spektakuläre Live-Stream-Shows? Worauf möchtet ihr in Zukunft setzen?
Süd: Nein, der Grund dieser kompakten CD ist die Reizüberflutung in der Welt. Zuviel Musik, zuviele Filme und Serien. Wir haben mehr Songs aufgenommen und unseren Zuhörern die unserer Meinung nach besten zusammengestellt, so dass es auch ein rundes stimmiges Album wird, das man nach Ende des letzten Songs gleich wieder von vorne anhören möchte. Wo ist der Sinn, 25 Songs auf eine CD zu packen? Mich überfordert es inzwischen und ich kam damit noch nie klar und habe immer kurze Alben geliebt. SYSTEM OF A DWON, das Ablum TOXICITY: Das Teil habe ich jeden Tag mehrmals angehört. Kaum war es zu Ende, wieder auf Anfang und Go. Oder ale RAMMSTEIN Alben: Immer 11 Songs. Durch Vinyl war früher gar nicht mehr möglich, eigentlich geil, weil ich glaube dass das Aufnahmevermögen des Menschen für Rockmusik gar nicht mehr hergibt. Zumindest am Stück um jeden Song zu würdigen. Und auf was wir setzen bezüglich Wirtschaftlichkeit? Hoffentlich Live! Das macht wirklich Spaß und kann durch zum Beispiel Streaming Events nicht ersetzt werden. Die großen Fan Boxen sind übrigens dadurch entstanden, weil wir dem Traum von uns und unserer Fans nachgekommen sind, original HÄMATOM Masken als FREAK BOX zu vertreiben. Geiles Ding geworden :-)
Roggenfaenger: Ihr habt es geschafft, wir sind durch! Habt ihr zum Abschluss vielleicht noch ein paar letzte Worte an die Leser? Süd: Jetzt habt ihr viel gelesen, Zeit mal ins neue Album reinzuhören! Viel Spaß mit DIE LIEBE IST TOT.
Euer SUED