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BEITRÄGE:

AutorenbildChristoph Lorenz

Faun - Priest - Suicide Commando (2022)



Faun - Pagan (2022)

Genre: Folk

Release: 22.04.2022

Label: Pagan Folk Records

Spielzeit: 54 Minuten


Fazit:

„Faun“ sind eine der weltweit führenden Bands für die Verschmelzung von alten Klängen mit moderner Musik und haben mittlerweile zehn Studioalben und zwei DVDs veröffentlicht. Ihre CD-Veröffentlichungen erlangten Top-Positionen in den deutschen Charts. Außerdem waren sie bereits drei Mal für den Echo, den größten deutschen Musikpreis nominiert und erreichten mit ihrer CD „Von Den Elben“ den Platin- und mit „Luna“ Goldstatus. „Faun“ haben weltweit mehr als neunhundert Konzerte gespielt und sind momentan mit verschiedenen Konzertprogrammen auf Tour. Unter anderem mit einem ruhigeren Programm für Theater, Kirchen und Säle, einem kulturellen Programm für klassische Konzerthäuser und einer mitreißenden, unbestuhlten Festival-Show. Das titelgebende Wort „Pagan“ leitet sich aus dem Lateinischen „paganus“ für „heidnisch“ ab und beschreibt einen Glauben, der stark in der heimischen Natur verwurzelt ist. Eine solche Verbundenheit war und ist schon immer eine der größten Inspirationen und Leitgedanken der Band selbst gewesen, die ihre großen Überzeugung, unserer Umwelt mit der dringend notwendigen Rücksicht zu begegnen, seit jeher nicht nur in der Musik allein propagiert, sondern gänzlich nach dieser Philosophie lebt. Insbesondere in der heutigen Zeit, in der schon lange ausgeschöpfte Ressourcen immer knapper werden und die Natur einem Mindestmaß gewichen ist, ist es umso wichtiger endlich zu erkennen, dass die gebeutelte und lange von uns so geschröpfte Welt so viel mehr und lebendig ist. Die Menschheit sollte und muss verstehen, dass jeder Schaden an der Natur am Ende nur unser eigener ist. Dabei steht der Paganismus für weitaus mehr, als den bloßen Schutz unserer Umwelt und bedeutet, einen spirituellen Weg für sich zu wählen, der uns zurück zu unseren eigenen Wurzeln bringt. Es ist eine Reise zu unseren Urahnen, zu alten Göttern und Quellen der Kraft, um diese wieder zu neuem Leben zu erwecken. Die Möglichkeiten dazu sind vielfältig und können sich zum Beispiel als eine einfache Wanderung, Kräuterkunde, Schamanismus oder eben auch Musik und Tanz erweisen. So sammeln „Faun“ schon seit vielen Jahren verschiedene Mythen und Sagen, die in unterschiedlichsten Bildern die Kräfte der Natur veranschaulichen, und erschaffen daraus neue Lieder. Dadurch veränderte sich laut Aussage der Mitglieder nicht nur ihre Musik, sondern auch sie selbst… Mit „Pagan“ kehrt die Ausnahmeformation wieder zu ihren musikalischen Wurzeln zurück. Mit mystischen und archaischen Liedern werden hier heidnische Mythen besungen und heraufbeschworen. Mit kraftvollen Rhythmen, alten Instrumenten wie beispielsweise Drehleier, Moraharpa, Dudelsack und Harfe und mehrstimmigen Gesängen geht dabei die musikalische Reise in den hohen Norden, zu den Kelten, ins alte Finnland und zu den Ursprüngen unserer eigenen Kultur. Gemeinsam mit tollen musikalischen Gästen wie zum Beispiel Lindy-Fay Hella von „Wardruna“ und der Folkmetal-Band „Eluveitie“ spielt sich die Band dabei in eine musikalische Extase und meistert spielerisch die Gradwanderung zwischen tanzbarem Pagan Folk und verzauberten Balladen. „Pagan“ erscheint am 22.04.2022 via Pagan Folk Records als Download, CD im Digipak, weltweit auf fünfhundert Exemplare begrenzte Vinyl oder streng auf 1.500 Stück limitiertes Deluxe Earbook, welches neben zwei Bonus-Tracks und einer rund neunzigminütigen DVD mit dem darauf enthaltenen Online-Konzert der Band auch ein einhundert Seiten starkes, zweisprachiges Buch im Hardcover mit zahlreichen Fotos, Illustrationen und Texte bekannter Künstler enthält, um noch tiefer in die paganen Hintergründe und Mythen hinter den Songs eintauchen zu können.

„Galdra“ bezeichnet ein Verb aus dem isländischen Sprachgebrauch und bedeutet beispielsweise so viel wie „hexen“ oder „zaubern“. Eine Begrifflichkeit, die vorzugsweise in den alten isländischen Galdrabœkur, den Zauberbüchern, zu finden ist. Eng damit verwandt ist auch das althochdeutsche Wort Gal, hier für „Schrei“ oder „Ruf“, welches sich im Wort „Nachtigal“ wiederfindet und klar darauf verweist, dass in dieser Kultur auch der Gesang als eine Art Zauber betrachtet worden ist. So existierte in direktem Bezug sogar ein eigenes Metrum, der Galdralag, in dem alte Zaubersprüche verfasst wurden. Es heißt, dass durch den rechten Galdr Stürme gerufen, Schiffe versenkt und Schwerter stumpf gemacht werden konnten. Diese Art der Zauberei mit hohem Gesang wurde jedoch eher den Frauen zugesprochen. Das gleichnamige, eröffnende Stück ist durch einen Vers der Edda inspiriert. In der vierundzwanzigsten Strophe der Lokasenna bezichtigt Loki den Göttervater Odin, in Frauenkleidung „weibischen Zauber” vollzogen zu haben, was sich hier auch in diversen Passagen der Strophen und des Refrains widerspiegelt. Die sehr gelungene Zusammenarbeit mit Lindy-Fay Hella von „Wardruna“ entfaltet sich hervorragend durch ihre getragene Darbietung in einem sich stetig steigernden Aufbau und die angenehm gesetzten Akzente der Dramaturgie durch den deutschsprachigen, ausdrucksstarken Gesang, der sodann in einem majestätischen, mehrstimmigen Refrain aufgeht. Instrumental konzentriert man sich derweil auf ruhige Percussion und eine leitende Melodie aus Drehleier und Nyckelharpa. „Halloween”, altirisch auch als „Samain” bekannt, bezeichnet eines der vier keltischen Jahreskreisfeste, an welchem die Grenze zur Anderswelt besonders schmal ist, sodass es sich dem Glauben nach anbot, der Ahnen und Verstorbenen zu gedenken. Nicht zwingend ein Akt der Trauer, sondern auch von Trost, Stärke und Bewusstwerdung. Ein guter Zeitpunkt, um Vergangenes gehen und Neues kommen zu lassen. Etwas weniger ausladend instrumentiert, als noch der Vorgänger und zudem komplett in englischer Sprache gehalten, zeigt sich das beschwingte Stück in einem treibenden Rhythmus aus Trommeln und Harpa in geistiger Eintracht mit der „Walpurgisnacht“ von „Luna“. Trotz seiner schieren Eingängigkeit besticht der Song mit wirklich schönen, erdigen Instrumentalpassagen und mystischer Stimmung, die trotz des relativ radiotauglichen Formats sorgsam vor einem Abdriften in zu oberflächliche Gefilde bewahrt. Das nachfolgende „Gwydion“ ist von einem walisischen Gedicht aus dem 14. Jahrhundert inspiriert, dem Cad Goddeu, das auch als „Schlacht der Bäume” bezeichnet wird. Jenes Gedicht, welches im Buch von Taliesin zu finden ist, berichtet von dem Streit des Zauberers Gwydion mit Arawn, dem Herrn der Unterwelt. Die Geschichte von Gwydion, der mit einem Zauber die Bäume für sich in den Kampf ziehen lässt, wird auch als Metapher für Sommer und Winter, Leben und Tod angesehen. In den von Laura Fella intonierten Strophen erzählt das lyrische Ich von den Schrecken des Winters und hofft, dass sich mit dem Sieg Gwydions alles zum Guten wenden wird. Percussion, Schellen und Harfe setzen sehr gelungene Akzente, die daraufhin von der vereinnahmenden Melodie der Drehleier perfekt aufgefangen werden, bis Gastsänger Christian „Chrigel“ Glanzmann von der Schweizer Folk-Metal-Formation „Eluveitie“ für einen großen Kontrast sorgt. Während er originale Verse des walisischen Gedichts darbietet, wandelt sich die einst so harmonisch ruhige Nummer ganz gewaltig und kippt mit donnerndem Drumming und harten Gitarren überraschend in deutlich metallischere Gefilde, bis sich am Ende beide Welten grandios miteinander vereinen. „Wainamoinen“ entspringt einem Harfenstück, das von Mitglied Adaya Lancha de Baïracli Levy geschrieben wurde und sich an Motiven der finnischen Mythologie orientiert. So gab es im ostseefinnischen Sprachraum alte Volksgesänge, sogenannte Runen, welche von wandernden Sängern mit der Kantele begleitet vorgetragen wurden, die jedoch ab dem 16. Jahrhundert von der Kirche verboten wurden. In Lönnrots Sammlung existieren bis heute dennoch viele vorchristliche Motive, eines davon ist der Zauberer Väinämöinen, welcher durch die Kraft seines Gesangs große Kraft zu bewirken vermag. So ist es nicht verwunderlich, dass diese liebliche Ballade vor allem vom betörenden Zusammenspiel aus Harfe, Leier und Gesang lebt, die hier ein ganz besonders organisches Gesamtbild mit wunderbaren Soli in perfekter Eintracht ergeben, auf das jedes Instrument sich in ganzer Pracht zeigen kann. Gleiches gilt danach für „Tamlin“, eine alte schottische Ballade, die von einem Jüngling berichtet, der von der Feenkönigin geraubt wird und von einem Zauber, den es mit wahrer Treue und Liebe zu brechen gilt. Das vom Klang rhythmischer Trommeln und tiefer Hörner eingeleitete „Neun Welten“ basiert auf „Jørd”, einem Track aus dem Solo-Projekt von Niel Mitra. Das recht düstere Klangbild kommt dabei enorm treibend daher und eint sich immerzu mit der mantraartigen Intonation von Oliver Pade, was später wiederum durch die ausufernd gelösten Passagen der Drehleier und Laute in enger Verbindung mit kollektiven, energetischen Gesängen angereichert wird. Das namensgebende Motiv entstammt zwar der germanischen Mythologie, wobei „Faun“ dieses hier als Sinnbild für eine Reise nutzen, die für die eigene Katharsis erst zurückgelegt werden muss. Überzeugend auch die alte, schottische Ballade „Lord Randal“, die ein Gespräch des jungen Lords mit seiner Mutter wiedergibt: „Faun“ bedienen sich hier der ältesten bekannten Version und verfassten dazu einen deutschen Text, perfekt mit dem reduzierten Soundgewand in Verbindung steht. Auf dieses fast als eine Art des unheilschwangeren und warnenden Interludiums angelegte Stück, folgen mit dem zauberhaften „Innisfree“ deutlich wohligere Klänge, die in ihrer lieblichen Wonne aus beruhigenden Flöten und warmer Harfe sofort zu vereinnahmen wissen. Dabei ist „The Lake Isle of Innisfree” eine kleine Insel im Norden Irlands und zudem der Titel eines der bekanntesten Gedichte von William Butler Yeats, in welchem der Autor in fantastischen Bildern jenen Sehnsuchtsort der inneren Ruhe und des Friedens beschreibt. Mit „Ran“ und hypnotisch-schwelgerischen Klängen widmet man sich danach, dominiert vom weiblichen Gesang, der Gebieterin über das Meer und ihrem Mann, dem Meeresgott Ägir, welche die unzähmbaren Aspekte der See symbolisieren, die sich der Mensch weder erklären noch je beherrschen kann. Die einleitenden Choräle machen ausfüllender Percussion, Drehleier und Flöten zugunsten eines breiteren musikalischen Spektrums schon bald Platz, ehe sich „Baldur“ dann schnell in epische Sphären aufschwingt und in einem sehr schönen Finale gipfelt. Als textliche Grundlage dient hier ein altnorwegisches Runengedicht, ein Lobgesang auf die Sonne, nach dem auch der germanische Sonnengott benannt ist. „Caer“ bewegt sich in ähnlich stark von der Leier geprägten Gefilden mit deutschsprachigen Lyrics, welche die helle und hoffnungsfrohe Melodie festlich vorantreiben: In der keltischen Mythologie wird Schwänen seit jeher eine spezielle Verbundenheit zur Anderswelt bestätigt, ebenso werden sie oftmals mit Liebe und Reinheit in Verbindung gesetzt. Götter oder Zauberinnen konnten sich an besonderen Tagen, wie etwa Samhain, in sie verwandeln. Auch die Feentochter Caer Ibormeith ist eine mächtige Gestaltwandlerin, deren Verwandlung sich immer genau an diesem Tag vollzieht, wodurch sie ein Jahr in Frauengestalt und im nächsten als Schwan unter einhundertfünfzig Schwestern lebt. In der Geschichte von Angus und Caer, auch „Oengus‘ Traum”, erscheint sie dem Prinz Angus ein Jahr lang im Traum. Vollkommen überwältigt von ihrer Schönheit und ihrem Gesang, lässt nach ihr suchen. Als er sie schließlich findet und um ihre Hand anhalten will, erfährt er von ihrer wahren Gestalt. Er kann sie erst von sich überzeugen, wenn er sie unter ihren Schwestern ausmachen kann und sich in Schwanengestalt zu ihr auf das Wasser begibt. Angus erkennt Caer schließlich und wandelt ihr zu Liebe seine Gestalt. Seitdem ziehen sie gemeinsam durch die Welt und verzaubern die Menschen mit ihrem Gesang. Das englischsprachige und sanft instrumentierte „Willow Tree“, der Weidenbaum, markiert eine nicht minder fantastische Geschichte, in der die mutige Protagonistin Mary es wagt, aus ihrem gewohnten, konventionellen Umfeld auszubrechen und neue Wege zu beschreiten. Sie sammelt wilde Mohnblumen, die unter anderem ein Symbol für Morpheus, den griechischen Gott der Träume, sind und findet nach langer Wanderung die titelgebende Weide, um sich auszuruhen. Dort trifft Mary plötzlich den grünen Mann, der den Gott des Waldes verkörpert, und sie dazu einlädt, seine archaische Welt zu betreten, wo ihre Wünsche in Erfüllung gehen würden. Sie folgt der Einladung, obwohl der hohe Preis für diese Reise ist, dass sie, die Schwelle einmal übertreten, nie wieder in ihr irdisches Leben zurückkehren darf… Wer den Schritt über die Grenze der Mystik wagt, dessen Blick wird sich unwiederbringlich verändern und die Welt nie mehr dieselbe sein! Raben oder Krähen nehmen in der Geschichte eine besondere Rolle ein, treten sie doch bei vielen Naturvölkern als Totemtiere, also Boten zwischen den Göttern und Schamanen, auf. So symbolisieren sie in der nordischen Mythologie etwa Weisheit und tauchen zum Beispiel als die zwei Begleiter Odins auf. Im christlichen Kontext wurde der Rabe unter anderem wegen seines schwarzen Federkleides und seinem Krächzen als Verkörperung des Teufels angesehen und mit dem Bösen assoziiert. „Dieses Lied ist inmitten der Corona-Pandemie entstanden und soll in einer Krisenzeit daran erinnern, die Hoffnung nicht aufzugeben. Obwohl wir es schade finden, dass diesen hochintelligenten Tieren solch ein schlechter Ruf anhaftet, haben wir ihr unheimliches Krächzen als Metapher für unser Lied verwendet. Lieber singen wir zum Krächzen der Raben, als gar nicht zu singen und gänzlich zu verstummen!“, sagt Oliver Satyr zu den Hintergründen. Mit dem recht kurzen, aber nicht minder eindrucksvollen „Anagin“, das sich mit der Frage nach dem Ursprung der Welt beschäftigt und als Adaption des Wessobrunner Schöpfungsgedichts versteht, sowie einem gut gelungenen Cover des bekannten „In Extremo“-Hits „Liam“, gibt es zudem sogar noch zwei Bonus-Songs als schöne Beigabe. So ist „Pagan“ ein umfassendes Werk mit fest übergeordnetem Konzept, welches sich lyrisch wie auch musikalisch wie ein roter Faden durch alle dreizehn Titel des Albums zieht, um dieses thematisch und atmosphärisch zu jeder Zeit schlüssig zusammenzuhalten. Dazu wurden feinsinnig allerlei bekannte und auch weniger bekannte Geschichten und Mythen aus der nordischen Sagenwelt auserwählt oder teils selbsterdacht, die hier mit einem hohen Maß an musikalischer Raffinesse und ebenso viel Können in ihrer zauberhaften Essenz zum Leben erweckt werden. Dabei erweist sich die Balance zwischen deutsch- und fremdsprachigen Stücken als sehr gut ausgewogen, auch auf instrumentaler Seite wissen „Faun“ wie eh und je zu überzeugen. Was vielen Fans der ersten Stunde aber ganz besonders gefallen dürfte, ist, dass die Münchner im Jahr 2022 endlich wieder weiter zu ihren Wurzeln zurückkehren, als mit den meisten Alben der vergangenen Jahre überhaupt, was nicht unwesentlich im Wegfall eines Major-Labels begründet liegen dürfte. Die erzwungene Eingängigkeit und der Blick auf möglichst starke Radiotauglichkeit sind einem deutlichen Fokus auf die wesentlichen Tugenden des Projekts gewichen, dem die unbändige Kraft des Archaischen, Wilden und Freien zuletzt immer weiter abging, was wiederum nicht bedeuten soll, dass die Qualität der Songs dadurch abgenommen hätte… Im Gegenteil. Auch wenn hier und da noch immer latente Anlehnungen an ein breiteres Publikum aufblitzen und man sicher nicht ganz an frühere Großtaten wie „Zaubersprüche“,

„Licht“, „Renaissance“ oder „Eden“ heranreicht, so findet sich in einigen Liedern doch erfreulich viel der faun‘schen DNA wieder, sodass eine gut austarierte Schnittmenge zwischen Alt und Neu entsteht. Ein spezifischer Hit oder ein herausstechendes Highlight ist in der Tracklist nicht direkt auszumachen, viel mehr geht die Sogwirkung nun aus dem gesamten Kontext hervor und animiert dazu, „Pagan“ in seiner Gesamtheit zu genießen, was sowohl langjährige Wegbegleiter als auch neue Interessierte zufriedenstellen und einen dürfte.

Informationen:


http://www.faune.de/faun/pages/start_de.html


https://www.facebook.com/FaunOfficial/

 

Priest - Bodymachine (2022)

Genre: Electro / Alternative

Release: 15.07.2022

Label: Cleopatra Records

Spielzeit: ca. 35 Minuten


Fazit:

Eine der in diesem Jahr wohl am sehnlichsten erwarteten Veröffentlichungen im Electro-Genre wurde jetzt endlich offiziell angekündigt: Das neue Fulmtime-Album des schwedischen Synth-Wave-Phänomens „Priest“! Wie hinlänglich bekannt sein dürfte, entstand das interessante Projekt aus ehemaligen Mitgliedern der Grammy-Gewinner von „Ghost“, aber was umso schneller klar wurde, ist, dass „Priest“ mit ihrem Schaffen der letzten Jahre als einer der kreativsten und teuflisch eingängigsten Electronic-Acts auch hervorragend ganz für sich alleine stehen können. Die zwei vorausgegangenen Singles, „A Signal In The Noise“ und „Techno Girl“, vermochten es bereits vorab perfekt, viel Aufmerksamkeit aus den beiden musikalischen Lagern des Metal und Electro gleichwohl zu erzielen und somit die Spannung auf das eigentliche Werk zu schüren. Produziert von Simon Söderberg, einem weiteren „Ghost“-Wegbegleiter, markiert „Body Machine“ das mittlerweile dritte Studioalbum der Band und gleichzeitig das erste, welches über das US-amerikanische Indie-Label Cleopatra Records erscheint. „Body Machine“ kommt nach einigen coronabedingten Verschiebungen endlich am 15.07.2022 als Download, CD im Jewelcase, 180g-Vinyl in klassischem Schwarz oder Neon-Pink und exklusiv über den offiziellen Web-Shop der Band erhältliches Bundle inklusive signiertem Foto, Logo-Pin, bedruckter Stofftasche und T-Shirt auf den Markt.

Wer kennt sie bitte nicht, die ominöse wie auch äußerst beliebte und zuweilen nicht minder stark kritisierte Metal-Band „Ghost“, welche mit ihren erstklassigen Songs schon seit einigen Jahren die Szene gehörig aufmischt und seitdem vollkommen gerechtfertigt auf einer schier gigantischen Welle des Erfolgs schwimmt? Die Formation um Mastermind Tobias „Papa Emeritus“ Forge ist schon lange nicht mehr aufzuhalten und wird vielerorts als der neue Messias ihres Genres gelobt, doch zuletzt verdichteten sich zunehmend dunkle Wolken über dem weiter aufstrebenden Kollektiv, als einige der sogenannten „Nameless Ghouls“ neben ihrem Ausstieg just einige Informationen über die aktuelle Besetzung bekannt gaben. Einige der Ex-Mitglieder wandten der Musik folglich jedoch nicht etwa den Rücken. Im Gegenteil, sie wagten einen bravourös geglückten Neuanfang und das in einer gänzlich anderen musikalischen Sparte. So entstand mit dem im Herbst 2018 veröffentlichten „New Flesh“ und einem hochkarätigen Produzententeam aus Alpha und Air im Hintergrund, ein fürwahr vielversprechendes Debüt der Extraklasse, mit welchem man schnell von sich Reden machen konnte, unter anderem auf ersten Festival- und Support-Gigs von „Aesthetic Perfection“ oder „Blutengel“. Einige nur allzu signifikante Parallelen zum vorherigen Betätigungsfeld können und sollen dabei jedoch nicht verleugnet werden, welche sich nicht nur allein in den extrem eingängigen Songs, sondern insbesondere auch in der gesamten, ästhetischen Präsentation mit all ihren visuellen Aspekten zeigen, die sich stets dramaturgisch inszeniert der mystischen Zuhilfenahme von völliger Anonymität und okkulten Symboliken bedienen. Doch auch „Priest“ sollten leider nicht vor unaufhaltsamen Unstimmigkeiten verschont bleiben und so gab man kurz vor dem im März 2019 stattfindenden e-Tropolis-Festival Oberhausen bekannt, dass der bisherige Sänger, Tom Åsberg, aufgrund nicht näher ausgeführter Differenzen ausgestiegen sei. Aufgrund dessen kam es zu internen Besetzungswechseln, die anfangs für so einige Furore im erschütterten Fan-Lager sorgten, doch sich glücklicherweise mit der Zeit wieder etwas legen konnten. Nach dem fast schon beiläufig erfolgten Release der noch unter dem ursprünglichen Line-Up aufgenommenen, grandiosen EP „Obey“, herrschte dann erst einmal gnadenlose Stille, bis schließlich die Arbeiten am mit viel Spannung erwarteten Zweitwerk bekanntgegeben wurden. Parallel zur neuen Inkarnation des abermals unbekannten Sängers, Mercury 2.0, welcher das selbsternannte „Tria Prima“ aus Schweden seitdem tatkräftig am Mikrofon unterstützt, erfolgte mit dem futuristisch-poppigen „Cyberhead“ in 2020 schließlich eine neue Ära mitsamt einem zum Vorgänger sehr differenzierten Stil, der sich sowohl optisch als auch musikalisch zeigen sollte. Erwartete die gespannte Hörerschaft hier doch weitestgehend viel Catchyness und cheesy Future-Pop im nostalgisch behafteten Achtziger-Style, so geht es auf „Body Machine“ hingegen wieder in eine davon gänzlich differenzierte Richtung, wie alleine schon der vorab als digitale Single samt Video veröffentlichte Opener „A Signal In The Noise“ eindrucksvoll zu unterstrichen weiß: Der düster pumpende Beat, ein pulsierender Bass mit ordentlichem Nachdruck und technoide, analog fiepende Elemente sorgen sofort für eine wunderbar sinistre Atmosphäre, welche den Hörer, ähnlich wie schon das großartige „The Pit“ auf dem Debüt, vor dem inneren Auge die zahlreichen Treppenstufen zu einem nächtlich belebten Underground-Club hinunter zu geleiten scheint. Der sehr dichte, ungleich fesselnde Sound verströmt neben seinem latent unheimlich-eindringlichen Grundtenor und der unterschwellig präsenten Bedrohlichkeit sogleich eine sonderbar non-humanoide Melancholie und kündet von industriell angehauchter Maschinen-Romantik, während Mercury mit sehr melodischer, ruhiger Stimme, die erneut mit einigen Hall- und Zerr-Effekten angereichert wurde, zu wild tänzelnden Synthies im „Kraftwerk“-Stil eindeutige Lebenszeichen im technischen Kosmos um uns heraufbeschwört… Sind wir etwa nicht allein? Das folgende „Ghost Writer“ reiht sich da mit seiner stoisch stampfenden Rhythmik im roh ausgelagerten EBM-Gewand, die hier einzig von den aufhellenden Klängen eines Keyboards immerzu aufgebrochen wird, maschinell röhrenden Effekten, verqueren Chören und den sich mantraartig wiederholenden Lyrics stilistisch perfekt ein und auch das flott treibende „Hell Awaits“ schlägt mit viel Sample-Einsatz und seinem monoton peitschenden, sonoren Beat in dieselbe Kerbe voll deutlich hörbarer Oldschool-Einflüsse. Später bewegt man sich mit diesem stetig steigernden Arrangement zudem sogar noch in angerissenen New-Beat- und Acid-Gefilden, was dem zunächst gar nicht vermuteten Facettenreichtum des knackigen, dynamischen Mid-Tempo-Fegers tatsächlich auch enorm zuträglich ist. Das auf vielen Ebenen wunderbar eindringliche „Phantom Pain“ kehrt jenem kleinen Retro-Ausflug danach erstmal weitestgehend den Rücken und wartet stattdessen mit einem typischen, modern gehaltenen Electro-Industrial-Sound auf, der sich als perfekte Ergänzung zum in den Strophen recht harsch marschierenden Rhythmus erweist. Die abgrundtiefen gestimmten, gar stark verzerrten Vocals sind der extrem dunklen Stimmung dieser doch schnell einnehmenden Halbballade wirklich sehr zuträglich, der darauffolgende Refrain klart die dunklen, tristen Wolken mit sphärischer Energie und einem kleinen Hauch wärmender Hoffnung wohltuend auf - Definitiv eines der bisherigen Highlights! Ein angespannt ratternder Beat und unheimlich tönende Synthies sind die anfänglichen Zutaten für das um einiges härtere „Blacklisted“. Die kurze Bridge nimmt mit kleinen Umbrüchen erneut etwas an Tempo auf und entlädt sich sodann vollständig in einem unerwartet tobenden Chorus samt wütender Shouts und brutal prügelnden Bass-Attacken - Wow. Einen dermaßen verspielten Titeltrack wie „Perfect Body Machine“ hätte man so vermutlich auch nicht unbedingt von den Schweden erwartet, könnte jener doch direkt aus den absoluten Hochzeiten der Achtziger ins Diesseits gebeamt worden sein. Zur zackigen, energetischen Intonation mit ganz viel Augenzwinkern und offensichtlich sexuellen Anspielungen gesellen sich bald eine überraschend vielfältige, herrlich groovige Instrumentierung, die eine funkige Pop-Melodie und schräge Sounds offeriert, was zuerst schon etwas gewöhnungsbedürftig wirken kann, dann aber umso mehr richtig Spaß macht. Viel von dieser launigen Raffinesse wohnt überdies auch der zweiten Single „Techno Girl“ inne: Der elektrisierend pulsierende Beat packt einen sofort und lässt zudem auch immer wieder angedeutete EBM-Anleihen zu. Die ziemlich gegensätzliche Dualität zwischen dem eher retroesque behafteten Synthie-Pop und der etwas härteren Gangart des richtungsweisenden Beats rufen mitunter Erinnerungen an die „Tanzomat“-Ära von „And One“ wach, weiß zu gefallen und geht nicht zuletzt auch durch Mercurys fantastische Stimmfarben schnell in Fleisch und Blut über, wodurch sich die thematisch mit dem Cyberpunk-Stil kokettierende Nummer als erstklassiger Garant für volle Tanzflächen erweist. Selbiges gilt praktisch auch für „Nightcrawler“, auch wenn sich der Schwerpunkt hier eher in Richtung Mitte der Neunzigerjahre und die damals so stark florierende Mainstream-Techno-Bewegung verlagert. Super melodischer und zuweilen etwas merkwürdiger, in jedem Fall aber ziemlich eingängiger Electro-Pop! Ob die frappierende, phonetische Ähnlichkeit des Titels „Crystalline Lace“ zum Camp Crystal Lake aus der legendären Slasher-Filmreihe „Freitag der 13.“ nur rein zufällig oder gar vollkommen beabsichtigt ist, wissen wohl nur „Priest“ selbst. Ein nicht zu leugnender Fakt ist aber, dass sich dieses doch relativ kurze Stück Musik mit dem unheimlichen Sound-Design und den lockenden, diabolischen Vocals mehr als gut im Soundtrack eines blutigen Horror-Streifens der Achtzigerjahre machen würde. Der Closer „Keep On Burning“ besticht dann nochmals mit einer hohen Dosis nostalgischen 90‘s-Charmes im locker beherzten, zuweilen betont naiv poppigen Style der „Pet Shop Boys“ und ist einfach perfekt für gute Laune und laue Sommerabende… Bevor wir an dieser Stelle wie gewohnt zum zusammenfassenden Fazit kommen, hier ein Auszug aus dem Urteil zum Vorgänger „Cyberhead“ als kurzer Vergleich: „Der Grundtenor der aktuellen Ausrichtung ist nunmehr viel weicher, handzahmer und weitaus weniger düster, dadurch aber auch merklich weniger treibend und ohne Druck. Insbesondere die meisten Melodien und Refrains wurden auf ein absolutes Maximum an Eingängigkeit gebürstet. Dieser Fakt ist die größte Stärke und zugleich Schwäche von „Cyberhead“, das jetzt kaum mehr einen schwarzen Goth-Anstrich oder druckvolle Club-Kracher bietet und daran auch eher wenig interessiert scheint. Besonders schade, dass die hohe Hit-Dichte und der perfekt ausgewogene Retro-Charme der ersten Hälfte, bei welcher gefühlt jeder einzelne Titel eine Single hätte sein können, sich gegen Ende in der Gleichförmigkeit des beabsichtigten Wohlgefallens verliert und somit völlig ohne Risiko oder Kontraste in Spielart und Stil auskommt. Damit kommen wir nämlich auch zum größten Kritikpunkt des Zweitlings, denn nur zwei, drei schnellere Nummern im Industrial- oder EBM-Segment hätten „Cyberhead“ zugunsten eines ausgewogenen Grades irgendwo zwischen anmutigem Melancholie-Pop und der Härte donnernder Beats wirklich extrem gutgetan. Beim nächsten Mal darf es gerne wieder etwas mehr Mut zu Ecken und Kanten sein…“, hieß es 2020 unter anderem noch auf diesen Seiten hier und tatsächlich hat sich der Spielstil der drei maskierten Schweden zwei Jahre später ein weiteres Mal um rund einhundertachtzig Grad gedreht: „Priest“ beweisen zwar noch immer ein extrem gutes und sehr zielsicheres Gespür für sehr eingängige Melodien, tanzbare Rhythmen und einen mehr als nur eigenständigen Drive in ihren manchmal recht speziellen Songs, was sie auch auf „Body Machine“ wieder bravourös unter Beweis stellen, gestehen sich nun aber glücklicherweise wieder mehr kreativen Freiraum und Mut zur Lücke zu. Ein absoluter Großteil der zehn neuen Stücke bedient sich nämlich zuweilen recht verschrobenen Ideen, kleinen Experimenten, oldschooligen Elementen und einem ungemein unterkühlten, atmosphärischen Sound im Gesamten, denn nur auf Hochglanz polierten Synthie-Pop-Exzess mit sicherem Hit-Fokus und retrofuturistischem Nostalgie-Bonus. Auch wenn es auf „Body Machine“ ebenfalls ausreichend Querverweise und eindeutige Verbeugungen vor den damaligen Helden gibt, so wohnen dem nicht selten wilden Stil-Mix doch viele unberechenbare Tupfer der Emotionspalette inne. Von melancholisch und innig, über aufpeitschend und rau, bis hin zu sorglos-verkitscht und groovend ist vieles dabei, was das Genre-Portfolio des Elektronischen zu bieten im Stande ist. Leider wird die sonst so einzigartige Stimme von Mercury 2.0 als Stilmittel mehr denn je elektronisch nachbearbeitet und dabei gerne bis zur schieren Unkenntlichkeit mit allerlei Auto-Tune, Pitch- und Hall-Effekten versehen, was der Frontmann-Nachfolger unter der stacheligen Maske jedoch überhaupt nicht nötig hätte, brillierte er doch schon auf „Cyberhead“ in so einigen Momenten mit hörbar viel Leidenschaft und Facettenreichtum, sodass er den anfänglichen Vergleich zu Åsberg nicht länger scheuen muss, wenngleich seine Interpretation des Charakters selbstverständlich anders ist. „Priest“ befinden sich mit „Perfect Body Machine“ jedenfalls auf einem spannenden Weg zwischen Underground, Oldschool und Moderne, den es künftig zu verfolgen gilt. Reinhören empfohlen!

Informationen:


https://priestnexus.com/


https://www.facebook.com/priestofficial

 

Suicide Commando - Goddestruktor (2022)

Genre: Electro / Alternative

Release: 22.07.2022

Label: Out Of Line (rough trade)

Spielzeit: 95 Minuten

Fazit:

Die Menschheit hat die Faust im Nacken! Kriege und Zerstörung, religiöse Fanatiker und die Gier einiger weniger, dazu Hass und Ausgrenzung in den sozialen Medien. Getriggert von all dem humanen Abschaum liefert der Belgier Johan van Roy sein vielleicht bis dato härtestes Album und feuert bei Songs wie „Bang Bang Bang“ oder „Kill All Humanity“ aus allen Rohren. Versöhnliche Töne kommen einzig von Charlotte Nuytkens, Finalistin der belgischen Ausgabe von „The Voice“, die in „Land Of Roses“ immerhin kurzzeitig ein bisschen heile Welt verbreiten kann. Ein kleiner Funke Hoffnung in einem ansonsten martialischen Terror-EBM-Biest: „Goddesteuktor“, das mittlerweile zehnte und brandneue Studioalbum der belgischen Industrial-Legende, erscheint am 22.07.2022 via Stamm-Label Out Of Line Music als digitaler Download, 2-CD im klassischen Digipak, nostalgische MC samt Bleistift, limitierte und transparente Doppel-LP, spezielles Bundle mit T-Shirt oder als auf sechshundertsechsundsechzig Exemplare limitiertes Box-Set inklusive handnummeriertem Zertifikat, Remixen, einem extra zusammengestellten Doppel-Album mit Best-Of und raren Songs und Logo-Umhängetasche.

Finster knisternde Synthesizer loopen ohne jeden Unterlass und erschaffen so ab der ersten Sekunde eine extrem angespannte, beunruhigende Atmosphäre. „We will not forgive. We will not forget. We will hunt you down and make you pay!“, heißt es daraufhin in einem kurzen Sample, dessen letzte Worte sich parallel zur stagnierenden Elektronik jetzt immerzu unheilvoll wiederholen. Dann heulen plötzlich grelle Sirenen auf und der Bass setzt wütend stampfend ein. Es knarzt und knackt, bis sich schließlich ein ziemlich markanter Beat im besten SC-Style erhebt und all der Härte einen sphärischen Unterton verleiht, der zusammen mit den stark verzerrten Vocals eine sonderliche, sehr eigenwillige Dualität dieses Quasi-Intros fördert. Wer neben der charakteristischen Sperrigkeit des doch eher etwas gemäßigten Auftakts mitunter etwas Tempo vermisst haben sollte, dem dürfte „I’d Die For You (v2.0)“ gefallen, denn jetzt geht es erst so richtig los. Hier erwartet uns nämlich, wie die Titelgebung schon verrät, eine zweite Version des gleichnamigen Songs vom bestens bekannten Erfolgswerk „Death Will Find You“ aus dem Jahr 2018. Doch anstelle von bloßer Eigenreproduktion in Form eines geupdateten Neu-Mixes bietet sich hier viel mehr eine Art logische Fortsetzung auf, die insbesondere durch ihren abgründigen Sound nochmals um ein Vielfaches düsterer und rabiater daherkommt. Daran sind unter anderem auch die kernigen Drum-Pads und die leicht heruntergeschraubte Catchyness nicht ganz unschuldig, die stattdessen mit einem charmanten Retro-Sound typischem Electro-Industrial der alten Schule weichen. Nicht minder oldschoolig tönt danach auch „God Of Destruction“, welches ebenfalls auf altbekannten Pfaden wandelt. Die vernichtenden Lyrics warten mit den gewohnten Szene-Phrasen voll beißender Kritik an Religion und Glaube auf - So weit, so bekannt. Dafür reißen die harsch donnernden Drum-Einsätze, allerlei Voice-Samples und sehr überlegt eingesetzten, giftenden Synthies, die wie ein süßliches Glockenspiel anmuten und nicht gerade wenig an Ikonen wie „Skinny Puppy“ gemahnen, so einiges raus. Sehr gelungen! Gekonnt ist eben gekonnt und exakt für diesen verlässlichen Fan-Service lieben Fans das belgische Projekt von Johan van Roy seit jeher, weswegen sich auch das folgende „Jesus Freak“ in einem thematisch recht ähnlichen Segment bewegt. Hier allerdings wieder mit mehr basslastigem Druck und leichter EBM-Ästhetik zu schleppendem Marsch-Rhythmus und beschwörenden Vocals, denn eindringlicher Hasspredigt. Insbesondre der pure, bitterböse Zynismus in Text und den verwendeten Samples weiß bestens zu gefallen und trägt der pechschwarzen Atmosphäre umso mehr bei. „Sterbehilfe (Euthanasia 2021)“ liegt der bereits 2003 auf der „Face Of Death“-EP veröffentlichten Demo-Version zugrunde. Auch wenn die Lyrics unterdessen dieselben geblieben sind, wirkt das finale Endergebnis kompakter und damit auch um einiges runder, was angesichts der dazwischenliegenden Zeit und somit angesammelten Erfahrung natürlich nur allzu logisch und konsequent ist. Auf das Nötigste heruntergebrochen, kommt der Track nun deutlich ausgefeilter und mehr auf den Punkt gebracht daher. Kleine Details, wie etwa die Chöre, sind jetzt weitaus zielsicherer gesetzt und lassen den überbordenden Pathos missen. Dass sich in fast zwanzig Jahren danach auch in Sachen der reinen Produktion extrem viel getan hat, muss da eigentlich schon fast nicht gar mehr erwähnt werden. Das sich anschließende „Destroyer Of Worlds“ entpuppt sich als gewaltiges Beat-Monster im tobenden Aggrotech-Style, kommt allerdings mit sehr wenig Stimmeinsatz aus und ist damit eher als eine Art instrumentales Interludium, was wohl auch etwas in der recht knappen Spielzeit begründet liegt. Ein Höchstmaß an Abwechslung vom vergangenen, prügelnden Electro-Massaker gibt es nun mit dem bezaubernden „Land Of Roses“, welches direkt mit mehreren einschneidenden Veränderungen gegenüber der restlichen Tracklist und unerwarteten Überraschungen glänzt, wenn harmonische 80‘s-Synthies eingeführt werden und einen mystischen Unterton grundieren. Für den weiblichen, ja, fast schon feenartigen Gesang, zeichnet überdies Charlotte Nuytkens, Finalistin der belgischen Ausgabe von „The Voice“, verantwortlich, die hier als wunderbar gegensätzlicher Konterpart zum immer intensiver werdenden Electro fungiert, der mit seinen unheimlichen, maschinellen Soundlandschaften, zahlreichen Effekten und drückenden Drums allmählich die Oberhand gewinnt. Diese recht sanfte Überleitung ist auch mehr als nötig, denn zum ungnädigen und vorab als Single ausgekoppelten „Bang Bang Bang“ gibt es wieder ordentlich voll auf die Zwölf! Zum soundtechnischen Gewitter aus flackerndem Blaulicht und tänzelnden Industrial-Salven gibt es ganz gehörige Schelte gegen glorifizierte Gewalt und den stumpfen Waffenkult im amerikanischen Raum, die sich speziell im sehr gelungenen Outro samt Sample aus den lokalen News nochmals umso nachdrücklicher manifestieren. Ein kerniger Dancefloor-Gassenhauer, der trotz seiner betonten Tanzbarkeit nichts an Ernsthaftigkeit einbüßt und sich auch sonst keinerlei Ausfälle leistet. Mit dem groovigen „Sin“ setzt es mit gerade einmal zweieinhalb Minuten Spielzeit den folglich kürzesten Track des gesamten Albums. Weitaus weniger aggressiv als sein direkter Vorgänger, wirkt diese Nummer mit ihrem eher lieblichen Synthie-Sound und den schön rhythmischen Drums ziemlich gefällig. Das ebenfalls - passenderweise im vergangenen Herbst - bereits bekannt gewordene „Trick Or Treat“ greift dafür wieder umso mehr in die schauerliche Horror-Kiste und punktet neben massig Lärm und lyrischen Splatter-Orgien vor allem mit der ungemein verstörenden Einbindung eines bekannten Kinderliedes, was der beabsichtigen Gruselstimmung schließlich noch die blutige Krone aufsetzt. Den Abschluss bildet das vor rund zwei Jahren auf der „Dein Herz, meine Gier“-Doppel-Single veröffentlichte „Bunkerb!tch (censored)“, allerdings, wie der Titel etwas irreführend verkündet, in der zensierten Version. Aber keine Sorge, denn von handzahmer Zurückhaltung ist hier zumindest musikalisch gesehen definitiv keine Spur. Hier kracht es noch immer ganz gewaltig im düsteren Maschinenraum. Vor allem, wenn sich Bass und Beat in der zweiten Hälfte geradezu überschlagen drohen - Sehr gut! Wenn „Suicide Commando“ mit „Goddestruktor“ eines belegen, dann, dass sie sich oder ihren Fans auch anno 2022 schon lange nichts mehr beweisen müssen. Perfektionistisch wie eh und je, zelebriert Johan van Roy so sein ganz eigenes Best-Of, welches nahezu allen Facetten des belgischen Projekts von EBM und Industrial über Dark Electro und Aggrotech großflächig abdeckt. Zum Kompromiss bleiben echte Innovationen oder größere Experimente aus, es wird sowohl musikalisch als auch inhaltlich genau das geboten, was man am besten kann und der langjährige Fan vermutlich auch ohnehin freudig erwartet. Damit lässt sich eine gewisse Stagnation im ureigenen Stil leider nicht ganz absprechen, wenngleich der zuletzt immer stärkere Club-Fokus nun einem hohen Oldschool-Anteil gewichen ist, indem man mit einigen Stücken wieder erfreulich „back to the roots“ geht, was der allgemeinen Mischung wirklich sehr gut zu Gesicht steht. Am Ende bleibt ein in sich rundes Gesamtwerk mit gewohnten Stärken und Trademarks, so einigen schönen Evergreens der nahen Zukunft und einer ganzen Menge Spaß für Genre-Fanatiker.

Informationen:


http://www.suicidecommando.be/


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