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BEITRÄGE:

AutorenbildChristoph Lorenz

Dive - Frontline Assembly - Fix8:Sëd8 (2021)


Dive - Where Do We Go From Here? (2020)

Genre: Electro / Alternative

Release: 11.12.2020

Label: Out Of Line (rough trade)

Spielzeit: ca. 40 Minuten

Fazit:


Zwischen dröhnendem Noise und stampfendem Industrial hat sich Dirk Evens mit „Dive“ seinen eigenen, unverwechselbaren Stil erschaffen. Mit „Where Do We Go From Here?“ hat er sein Meisterwerk abgeliefert - ein Album, das den Sound und den Spirit der Klassiker in die Gegenwart transferiert. Darin beschreitet Evens neue Wege, um seinen Sound zu veredeln: „Ich habe mich für dieses Album mit Jan Dewulf von „Your Life On Hold“ und „Diskonnekted“ zusammengetan“, sagt der bescheidene Mainman, „... und neue Zusammenarbeiten führen zu neuen Sounds.“ Dennoch transportiert „Where Do We Go From Here?“ über weite Strecken den Sound früher „Dive“- und „The Klinik“-Tage, angereichert mit den Stärken einer modernen Produktion. Die Beats sind noch brutaler, die Klangteppiche noch finsterer, der Gesang noch eindringlicher. „Die Welt, in der wir leben, wird nie wieder dieselbe sein!“, kommentiert Ivens die offensichtlichen Einflüsse auf das Album. „Aber selbst, wenn es hoffnungslos aussieht, versuchen wir, eine positive Einstellung zu behalten.“. So ist „Where Do We Go From Here?“ zwar wie üblich ein düsterer Brocken Musik, bringt den Hörern aber auch einen Funken Hoffnung. Das kommende Album "Where Do We Go From Here?" ist ein weiteres Meisterwerk minimalistisch-dunkler Electro-Tonkunst, welches am 11.12.2020 über Out Of Line Music als Download, CD im Jewelcase und auf fünfhundert Einheiten limitierte, speziell gebrandete Holz-Box inklusive dem neuen Album auf CD und Vinyl, der exklusiven Vinyl-EP „Inside Your Head“ und einem handnummerierten Echtheitszertifikat.

„Gut Ding will Weile haben“ oder auch „Kommt Zeit, kommt Rat“ - Wer kennt diese althergebrachten Lebensweisheiten bitte nicht? Oder etwas anders beim selben Sinngehalt ausgedrückt: Wahre Qualität braucht eben ihren rechten Zeitpunkt. Ganz gleich, auf welche Art man diese Sprichworte denn aufzäumen möchte, die Aussage bleibt in ihrem Kern doch gleich und im Falle des hier zu besprechenden Materials mindestens auch genauso treffend. Wer schon länger in der Szene aktiv ist und sich dabei tiefergehend mit der elektronischen Seite fernab der gängigen, dort agierenden Künstler befasst hat, der dürfte bei seiner akustischen Erkundungstour früher oder später schon auf die alten Helden jener Abspaltung gestoßen sein. Velvet Acid Christ“, „KMFDM“, „Frontline Assembly“, „Nitzer Ebb“ oder „Skinny Puppy“ lauten da etwa die großen Namen, der in den frühen und späten Achtziger- oder Neunzigerjahren gegründeten Kult-Formationen. Forscht man etwas weiter und kann sich für die Materie erwärmen, kommt man an „The Klinik“ definitiv nicht mehr vorbei. Das von Marc Verhaeghen ins Leben gerufene Projekt gilt als eine der legendärsten Institutionen und kann bis zum heutigen Tage auf ein mehr als nur umfassendes Repertoire zurückblicken. Seit den letzten beiden Großtaten „Eat Your Heart Out“ und „The Klinik 84 91“ und den dazwischen klaffenden Jahren herrscht jedoch Stille. Doch war es neben dem unverwechselbaren Sound insbesondere der markanten Stimme von Sänger Dirk Ivens zu verdanken, dass sich Klassiker wie „Mindswitch“, „Go Back“, „Bite Now Bite“ oder „Hours And Hours“ erst in Herz und Gehör gleichermaßen fräsen konnten. Neben seiner einzigartigen Manier den einzelnen Titeln bedrohlich-eindringliches Leben einzuhauchen, kanalisierte der belgische Elektronik-Pionier seine unbändige Kreativität weiterhin regelmäßig und ließ sie zudem innerhalb diverser Tätigkeitsfelder wie „Absolute Body Control“ oder eben „Dive“ einfließen, deren neues Album nach einem gemeinsamen Feature mit „Suicide Commando“ benannt worden ist, welches in seinen insgesamt neun Songs die universale Sinnfrage nach dem „Wohin?“ stellt. Das eröffnende „Inside Your Head“ macht seinem entsprechenden Titel auch sogleich alle Ehre: Es lauert erst versteckt in den dunklen Schatten, pirscht sich daraufhin ungesehen an und kriecht sodann langsam, doch äußerst bestimmt und aggressiv in die Hirnwindungen des ahnungslosen Rezipienten, um mit einem einzigen Biss einen tiefschürfenden, gar zermürbenden Einblick in die kranke, verquere Psyche dieser Welt zu gewähren, welcher sich wie ein Geschwür intensiv ausbreitet. Die bruchstückhaft verzerrten Vocals und wehklagenden Lyrics bewegen sich dabei irgendwo zwischen Verzweiflung, Schmerz, Angst und Wut und lassen somit ein Höchstmaß an finsterer Atmosphäre aufkommen, die sich zunehmend verdichtet und sich auch bei der ausgekoppelten Single „Black Star“ oder dem folgenden „Slave To Desire“ keineswegs mehr legen soll. Im absoluten Gegenteil, wenngleich sich die maßgeblich dominierenden Rhythmen hier auch weitaus bedachter und eher mit behäbig stampfendem Nachdruck gestalten. Anstelle von harsch prügelndem Oldschool-Insustrial, verfallen die Stücke mit zunehmender Spieldauer in eine hypnotische Trance aus gespenstisch finsteren Noise-Nuancen mit gefährlicher Sogwirkung und legen zeitgleich doch eine vergleichsweise experimentellere, da ungleich moderne Note offen, die sich gelegentlich zwar recht ungewohnt, aber dennoch genauso vertraut in das Gesamtbild einfügt. So entsteht durch den klar erkennbaren Einfluss von Dewulf ein in sich schlüssiges, organisch funktionierendes Gefüge, das sich jederzeit passend in den jeweiligen Kontext integriert, erfrischend interessant und trotzdem relativ zugänglich bleibt ohne zu sehr mit neuen Elementen zu fremdeln. Inhaltlich verschwimmen hier die Grenzen zwischen psychischem Missbrauch, emotionaler Ausbeutung, ungleichen Machtgefügen und daraus resultierender Willenlosigkeit. Auch der resignierte Unterton eines „Leave Me Be“ wirkt sowohl in seiner musikalischen als auch intonierten Spielart streckenweise extrem verzweifelt, alleingelassen und von allen irdischen Einflüssen isoliert. Mit scheinbar allerletzter Kraft scheint sich das lyrische Ich gegen einen ungewissen Widerstand aufzulehnen. Ein harter Kampf, dessen schiere Aussichtslosigkeit zu jeder Zeit deutlich wahrzunehmen ist. Es sind exakt jene thematischen Züge, welche dann auch der Einsamer-Wolf-Nummer „Facing The Moon“ innewohnen. Hier reihen sich elektrisierend ratternde, kernige Synth-Spuren dicht an verzerrten Gesang und allerhand kleine Effekte, um zu einem intensiven, dringlichen Gemisch irgendwo zwischen sonderbar angespannter Melancholie, bitterer Anklage und innerer Zerrissenheit zu verschmelzen. Im weiteren Verlauf nimmt die musikalische Ausgestaltung der fortgeschrittenen Tracklist dann wieder ein ganze Stück weit mehr an Fahrt auf, schickt pechschwarze klopfende Bässe und aggressiv knisternde Beats voraus, die hier gezeichneten mentalen und seelischen Abgründe aussagekräftig zu unterstreichen. So künden etwa auch „Dark Place“ und „Death Machine“ in gar verheerender Schwarzmalerei-Bildsprache von schier endloser Ausweglosigkeit und brennendem Weltenschmerz. Der maßgebliche Sound ist auch hier durchweg maschinell getaktet, automatisch schwingend und permanent kühl. Distanziert und irgendwie entmenschlicht. Der Druck steigt nun sekündlich und nimmt so mehr und mehr klaustrophobisch beengende Züge an. Schon bald knarzt und knackt es aus allen noch so dunklen Ecken und Winkeln, womit sich ein schier unheimliches Gefühl von ständiger Beobachtung und omnipräsenter Bedrohung breitmacht. Ein Flair, welches sich auch während „Invisible“ mit seinem tief pochenden Bass, den unheilvoll schleichenden Beats und geflüsterten Lyrics von Anfang an breitmacht und eine so dichte Atmosphäre, wie gleichermaßen sperrige Instrumentierung offenlegt, die nicht zuletzt auch dem Titeltrack „Where Do We Go From Here?“ innewohnt. Abschließend wäre es wohl durchaus vermessen, über das neue Werk von „Dive“ zu sagen, dass es stellenweise doch etwas zu gleichförmig geschrieben wäre, denn grundsätzlich sind der Veröffentlichung keine wirklich nennenswerten, groben Schnitzer anzukreiden. Die reine Produktion hält nämlich stets ein hohes Niveau, ebenso auch die wirklich detaillierte Ausarbeitung der jeweiligen Arrangements. Trotzdem fällt es schwer, einzelne Stücke aus dem gesamten Kontext zur genaueren Besprechung herauszulösen. Zwar muten die effektvoll vorgetragenen Lyrics einerseits relativ reflektiert und klar, dann hingegen wieder wirr und fast schon wie ein verzweifeltes, unscharfes Zerrbild an. Insgesamt verbleiben die Aussagen oftmals generell viel zu eindimensional, vage und allgemeingültig gehalten, um wirklich eine Wirkung zu erzielen, die über eine unterstützende Funktion der instrumentalen Basis hinausgeht. Frei von jeglichen Emotionen und subjektiven Eindrücken ist „Where Do We Go From Here?“ selbstverständlich nicht, nur verliert sich Ivens stellenweise zu gerne in den immer gleichen Phrasen, ohne auch nur ein einziges Mal konkret zu werden oder gar eine Lösung für die nebulös anmutende Lethargie aufzuzeigen. Der charmant sperrige Kanon der der insgesamt neun Stücke gemahnt durchaus an selige „The Klinik“-Zeiten und verleugnet seine Herkunft zu keiner Zeit. Bass und Beats halten sich trotz ihrer Eindringlichkeit zumeist zurück, brechen niemals zu sehr aus und dienen damit eher als minimalistisch unterstützende Grundierung für das große Ganze, denn als tanzbare Club-Hits. Futter für die feierwütigen Massen, das will „Dive“ jedoch auch zu gar keiner Zeit sein und dieser Vorsatz gelingt. Trotz der initiierten Auslegung als dunkel-atmosphärische Klang-Collagen, gehen viele Songs doch überraschend gut ins Ohr, sind in sich aufgeräumt, intelligent strukturiert und obgleich der typischen Trademark-Querverweise nicht minder modern. Nicht zuletzt durch den behutsamen Einfluss von Jan Dewulf, der die Songs respektvoll und sorgsam mit seinen eigenen Einflüssen anreichert. So ist „Where Do We Go From Here?“ am Ende ein ziemlich frei interpretierbares Abbild des subjektiven Ist-Zustandes des Interpreten, welcher hier sowohl mit musikalischen als auch inhaltlichen Mitteln in beklemmender Stimmung, mentaler Zerrissenheit, tiefsitzenden Schmerzen und schweren Depressionen ein wenig zu objektiv festgehalten wird. Leider bleibt es dabei, denn so gut das Material in seiner Qualität auch ist, so allgemeingültig bleibt die bloße Aussage am Ende. Seine Berechtigung in der Diskographie von Dirk Ivens hat der aktuelle Output aber allemal! Fans der jeweiligen Projekte und generelle Freunde des Genres greifen natürlich bedenkenlos zu und bekommen bewährte Kost, alle Interessierten hören vorher Probe.


Informationen:

http://www.dirkivens.com


https://www.facebook.com/TheKlinikDiveSonarAbsoluteBodyControl

 

Frontline Assembly - Mechanical Soul (2021)

Genre: Electro / Alternative

Release: 15.01.2021

Label: Metropolis Records (Soulfood)

Spielzeit: ca. 58 Minuten

Fazit:


We rule with technology!“, hieß es einst schlachtrufartig im Song „Colombian Necktie“ und sollte sich fortan tatsächlich zu einem Quasi-Motto für die Folgezeit dieser Band entwickeln. Um wen geht es hier eigentlich genau? „Front Line Assembly“ ist ein 1986 in Vancouver bei Kanada gestartetes Projekt, welches sich fest dem EBM und Post-Industrial verschrieben hat und sich in den nunmehr über dreißig Jahren zu einer Ikone des Genres aufgeschwungen hat. Gegründet durch Michael Balch und Bill Leeb, der ehemals unter dem Pseudonym „Wilhelm Schroeder“ bei „Skinny Puppy“ Synthesizer und Bass spielte, dienten schon früh Bands wie „DAF“ oder „Portion Control“ als einflussreiche Inspirationsquelle. In 1986 erschien das Debüt „The Initial Command“, zeitgleich wurde das Nebenprojekt „Delerium“ ins Leben gerufen. Es folgten „State Of Mind“, das als absoluter Meilenstein gilt, die Mini-Alben „Corrosion“ und „Disorder“ unter Third Mind Records, „Gashed Senses & Crossfire“, nach dessen Release Balch ausstieg, sowie „Caustic Grip“ und „Tactical Neural Implant“. Ab dem 1994 erschienenen „Millennium“ ergänzte die Band ihr markantes Klangspektrum erstmals zusätzlich um harte E-Gitarren, was den bis heute bekannten Cross-Over-Sound maßgeblich revolutionierte. Kein Wunder, dass die Kollaboration mit „Die Krupps“ für „Remix Wars“ da klanglich wie die eiserne Faust aufs Auge passte. Ab 1998 folgten weiterhin zahlreiche, personelle Neubesetzungen, welche sich sodann auf „FLAvour Of The Weak“ mit einem verstärkten Fokus auf Electronica bemerkbar machten. Die zu jener Zeit ebenfalls bereits ausgestiegenen Rhys Fulber und Chris Peterson kehrten daraufhin zurück: Wieder vereint und kreativ stark aufgeladen, veröffentlichte man somit 2006 „Artifical Soldier“ und „Fallout“, gefolgt von einer groß angelegten Welttournee durch verschiedene Länder. Die letzten Lebenszeichen erfolgten dann zuletzt 2013 mit „Echogenetic“ und dem zugehörigen Pendant „Echoes“, sowie „Warmech“ aus 2018. Ganze drei Jahre später lassen „FLA“, wie sie von ihren Fans seit jeher liebevoll genannt werden, endlich wieder von sich hören! Der legendäre Industrial-Act „Front Line Assembly“ war schon immer furchtlos dazu bereit, die engen Grenzen zwischen den Genres zu verschieben und dazwischen alle möglichen Stile und Einflüsse zu erkunden. Das neue Album, „Mechanical Soul“, kann wohl als bisheriger Höhepunkt jenes künstlerischen Bestrebens angesehen werden: Ein meisterhaftes Werk von den Besten ihres Fachs mit namhaften Gastauftritten von Jean-Luc DeMeyer („Front 242“) und Dino Cazeres („Fear Factory“). Das mittlerweile siebzehnte Studioalbum erscheint am 15.01.2021 als Download, CD und Vinyl über Metropolis Records.

Eine sehr vertraute, da typische Basslinie, die damit schon gleich zu Beginn etwas abgedroschen oder zumindest wie von der Stange wirkt, und so oder so ähnlich schon arg häufig in diesem Genre zu hören war und immer noch ist, leitet „Purge“ ein. Dazu marschiert das Drumming stoisch im bestimmten Viervierteltakt voran, während allerlei knackende und sperrig knarzende Sounds in klassischer Industrial-Manier unterdessen für die Grundierung sorgen. Der Gesang lebt derweil von effektvoll beladenen, bruchstückhaft verzerrten Vocal-Shouts. So weit, so solide, so vorhersehbar. Das wohl größte Problem, das diesem Song gleich zum Einstieg innewohnt, ist, dass sich exakt dieses Prinzip für die nächsten Minuten gnadenlos durchzieht. Gänzlich ohne Veränderung. Keine Facetten, keine Varianz, kein Klimax. So lässt der erste Song sein eigentlich gegebenes Potential als Blaupause ungenutzt liegen und reicht nicht über den Standard hinaus - Schade. Zu „Glass And Leather“ schlagen nach einer sinistren Intro-Sequenz direkt ein mächtig knüppelnder Bass und minimalistisch kühle Beats ein. Sehr stimmig! Leider besteht auch hier dieselbe Problematik, wie schon beim vorherigen Stück, denn dieses Muster wird in den gesamten fünf Minuten Spielzeit bis zum Schluss exerziert, sodass sich die anfänglich starke Wirkung bereits nach der Hälfte wieder verliert. Das tut der damit beabsichtigten EBM-Schlagseite zwar keinen nennenswerten Abbruch, nur wäre eine derart ausufernde Ausschmückung nicht nötig gewesen, da so das Gefühl entsteht, dass sich der Track unmöglich in die Länge zieht. Für etwas Auflockerung können immerhin die vereinzelt eingestreuten Samples und kleinen Spielereien im Hintergrund sorgen. So schrammt man am Prädikat „Club-Hit von morgen“ vorbei, was extrem schade ist und vielleicht dazu anregen sollte, über einen ausgedünnten Edit nachzudenken. Auch „Unknown“ besticht durch einen wahnsinnig gelungenen Start, der gleich Lust auf mehr macht, viel verspricht und sogar halten kann! Der Bass drückt und das eingängige Drumming kickt ordentlich. Lyrisch bietet man hingegen nichts Neues und zeichnet die gewohnt apokalyptischen, verheerenden Bilder einer Menschheit, die sich allmählich selbst zerstört. Somit bleibt zumindest der Text blass und farblos, da arm an Überraschungen oder gar Innovationen, der Refrain gestaltet sich dann aber doch sehr ohrwurmig. Also: Ebenfalls solide und gut hörbar. „New World“ kommt anschließend völlig konträr daher und bricht mit altgedienten Konventionen zugunsten frischer Einflüsse. Hier bewegen sich „Frontline Assembly“ auf recht ungewohntem, ja, fast experimentellem Terrain: Verquere Synthies und der Gesang mit unterstützender Vocoder-Funktion harmonieren nahezu perfekt miteinander und erzeugen schnell eine explosive Synergie, welcher mit dem dunklen Chorus noch die Krone aufgesetzt wird. „Rubber Tube Gag“ lässt ebenfalls Abwechslung vermissen und punktet zwar, passend zum anrüchigen Text über Machtgefüge auf sexueller Basis, mit manch gelungenen Synth-Sequenzen und einem dominant drückenden Bass, der Mut zu Neuem fehlt jedoch einmal mehr gänzlich. „Stifle“ enthält den vorab angekündigten Gastbeitrag von „Fear Factory“-Mitglied Dino Cazares, der hier sein Gitarrenspiel beisteuert, wodurch dieser Song erstmals stärker mit dem Vibe der vorherigen Stücken bricht, indem das Saiten-Dauerfeuer den Industrial um eine sehr präsente Rock- und Metal-Komponente anreichert, was es nicht unbedingt gebraucht hätte. Ein Störfaktor oder gar unpassend ist die Hinzunahme der kantig schweren Riffs dennoch keineswegs, sondern unterstreicht die Intention hinter dem übrigen Sound als kerniger Punch und fügt sich organisch ein. „Alone“ gibt sich eher schwerfällig und im behäbigen Tempo, punktet aber trotzdem mit einem nicht zu verachtenden Maß an Catchyness. Eine klare Ausrichtung, die ab einem bestimmten Wendepunkt in eine Intensivierung gleitet, fehlt hier leider ebenfalls und lässt das Ergebnis schließlich abflachen und fad wirken. „Barbarians“ ist eine Fortsetzung oder eher Neuinterpretation von „Future Fail“ aus dem Jahr 2006, bei welchem nun das im Vorfeld mit viel Spannung erwartete Feature mit „Front 242“-Kopf Jean-Luc De Meyer zum Tragen kommt: Leider scheint es hier jedoch beinahe so, als wären dafür lediglich die alten Spuren der damaligen Zusammenarbeit aufbereitet und eingepflegt worden. Weiterhin schleppen sich die Drums etwas zu gemächlich, was den allgemeinen Fluss stört, dafür kommt der vokale Schlagabtausch, insbesondere vor dem Hintergrund der nun endlich wieder an Fahrt aufnehmenden Rhythmik und wild zuckenden Beats, genau richtig zur Geltung. Wenn internationale Acts sich an eine rein deutschsprachige Nummer wagen, kann das Ergebnis manches Mal tatsächlich rund und ziemlich unterhaltsam werden. Genauso gut kann ein solch wagemutiges Vorhaben aufgrund der generellen Sprachbarriere, berüchtigten Grammatik-Fallen und allgemeinen Aussprache aber auch in unfreiwillige Komik ausarten... Ein mehr oder minder charmantes Fettnäpfchen, welches andersherum übrigens ebenfalls funktioniert. „Komm, Stirb Mit Mir“ spinnt den Gedanken, aus klanglichem Minimalismus, eisiger Repetition und möglichst harten Auszügen aus dem deutschen Standard-Vokabular, das vor Klischees nur so trieft, einen maschinell getriebenen Dancefloor-Filler zu erschaffen, fort. Das ist zwar per se nicht verkehrt, nur scheitert es leider stark daran, dass hier neben den Lyrics abermals nicht wirklich viel passiert und alles enorm gleichförmig bleibt, wenn auch die Nummer recht tanzbar vorangeht. Das beschließende „Time Lapse“ ist zum Finale hin dann tatsächlich ein sehr gelungenes Schlusslicht, da der allgemeinen Berechenbarkeit endlich ein Riegel vorgeschoben und mit den Erwartungshaltungen gebrochen wird. In Klang und Tempo gediegen, jedoch nicht ruhig, entsteht auf beklemmende Weise ein sphärisches Outro ohne viele Worte, dafür mit umso mehr Sample- und Effekt-Einsatz, das tatsächlich zu den besten Tracks des gesamten Albums zählt! Der „Black Asteroid“-Mix von „Hatevol“, einem Track des Vorgängers „Wake Up The Coma“, rundet die Tracklist dann ab. Nach vierunddreißig Jahren des Bestehens und den darin veröffentlichten sechzehn Alben darf man vielleicht einfach keine allzu großen Überraschungen oder einschneidende Stilbrüche mehr erwarten, wohl aber eine Erhaltung des gängigen Qualitätsstandards, welcher in den vergangenen Jahren ohnehin immer wieder schwankte. Hinsichtlich des einstigen Pioniergeistes und großen Einflusses des Interpreten auf ein ganzes Genre, schmerzt diese Erkenntnis dann doch, Innovation oder frische Ideen sucht man auf „Mechanical Soul“ vergeblich. Klar, über einen vergleichsweise langen Zeitraum ist es deutlich schwerer geworden, sich oder die eigene Kunst ständig neu zu definieren, denn mittlerweile wurde gefühlt jede Grenze schon einmal ausgelotet. Viele Acts orientieren sich lediglich an den alten Heroen oder erzeugen schlicht Kopien jener, sodass sich die Zielgruppe quasi schon darüber freuen kann, wenn die entsprechende Reproduktion bereits bekannter Erfolgsrezepte wenigstens gut ausfällt. Dass nun einem der wegweisenden, aktiven Originale eben diese Originalität fast gänzlich abgeht, ist mehr als nur schade. Dabei ist „Mechanical Soul“ bei weitem kein schlechtes Album oder gar ein völliger Totalausfall, nur erwartet man von einer solchen Größe allgemein hin einfach mehr. Eventuell sogar zu viel? Das Kuriose daran ist, dass die jüngste Veröffentlichung tatsächlich so einige gelungene Ansätze in sich vereint und diese an manchen Stellen auch sehr gut zu packenden Melodien verwebt, nur können diese sich über die Dauer der Songs oder des ganzen Albums hinweg nicht annähernd halten. So reiht sich das 2020er-Werk der Kanadier leider in die Riege der letzten Releases ein, die weitestgehend sehr solide Kost mit nur wenigen Ausreißern nach oben oder unten boten. Fans freuen sich definitiv über ein neues Lebenszeichen aus dem Lager der Vorreiter, wegweisende Hits oder die Klassiker der Zukunft sollte man hier allerdings nicht erwarten.


Informationen:


https://myspace.com/thefrontlineassembly

https://www.facebook.com/frontlineassembly/

 

Fïx8:Sëd8 - The Inevitable Relapse (2020)

Genre: Electro / Alternative

Release: 22.01.2021

Label: Dependent (Alive)

Spielzeit: ca. 62 Minuten


„The Inevitable Relapse“, der unausweichliche Rückfall ist ein nahezu prophetischer Titel für ein Album, das größtenteils unter dem Einfluss einer globalen Pandemie entstanden ist. Ihr musikalischer Rückfall besteht hauptsächlich in einer Fortsetzung des Kurses, den „Fïx8:Sëd8“ mit den erfolgreichen Vorgängern „Foren6“ (2017) und „Warning Signs“ (2019) eingeschlagen haben. Aus Einflüssen unter anderem von kanadischen Kultbands wie „Skinny Puppy“ und „Frontline Assembly“ hat Mastermind Martin Sane seinen eigenen unverkennbaren Stil entwickelt, der zwischen dunkler elektronischer Härte und packender Eingängigkeit oszilliert. Ähnlich wie die Kollegen von „Mentallo & The Fixer“ und „Haujobb“ haben sich „Fïx8:Sëd8“ zunehmend von den großen Vorbildern abgesetzt und ihre eigenen Klangräume geschaffen. Speziell beim Songwriting und der im Electro-Bereich fast ebenso wichtigen Produktion hat sich das Projekt aus dem Großraum Frankfurt mit jedem Album hörbar gesteigert, was erneut für „The Inevitable Relapse“ gilt. Dies wird in frischen Krachern wie „Prognosis“ und „Within Cells Interlinked“ ebenso deutlich wie in komplexen Düster-Tracks der Marke „Human Harvest“. Bei Produktion und Mix hatte obendrein „Pyrroline“-Bandleader Arnte seine geschickten Hände im Spiel. Der steile Aufstieg von „Fïx8:Sëd8“ lässt sich an den noch vor Veröffentlichung ausverkauften Editionen sowie an den stetig höheren Slots, welche sich diese hervorragende Live-Band auf Festivals und Touren erspielt hat. Nach einer Show als Co-Headliner beim NCN Festival in Deutzen, stehen bereits Buchungen für das kommende Wave-Gotik-Treffen und dem E-Tropolis Festival an. Neben dem digitalen Download erscheint „The Inevitable Relapse“ am 22.01.2021 via Dependent Records auch als reguläre CD und auf 666 Einheiten limitierte und handnummerierte Edition. Diese enthält neben einem aufwändigen, sechsunddreißigseitigen Hardcover-Artbook die Bonus-CD „Rail AT A Liar“. Darauf finden sich spannende Cover, mit denen angesagte Szene-Künstler wie „Cryo“, „2nd Face“, „Anmistia“ und „Mildreda“ ihre Perspektive auf „The Inevitable Relapse“-Tracks abliefern. Trotz Isolation erweist sich Martin Sane damit auch noch als exzellenter Netzwerker, der seine Musikerkollegen aus jener heraus motivieren kann.

Ein helles, elektrisierendes Glockenspiel streut seine trügerisch süßlichen Klänge in den Äther hinein und lässt somit ganz plötzlich einen sphärischen, sanft schwebenden Sound aus dem Nichts auferstehen. Bruchstückhafte Samples, die wie ein außerirdisches Echo schallen und die ohnehin schon dichte Atmosphäre festigen, mischen sich unter dunkel gestimmte Synthies und vereinzelt bebende Drum-Pads, welche die Spannung leise knistern lassen: „Enigma“. Nicht mehr lange, dann verdichtet sich das verspielte Vibrieren zu charmanten 80er-Anleihen, die einen klaren Kontrast zu der ansonsten düster behafteten Ebene schaffen. Von bedrohlichem Knarzen und Knacken umhüllt, gelingt so ein gleitender Übergang vom Intro-Part zum eigentlichen Beginn, der erste Industrial-Vibes aufkeimen lässt und schließlich von den stark verzerrten, gesprochenen Vocal-Parts des Martin Sane rabiat aufgebrochen wird, die jetzt im grellen Drum- und Beat-Dauerfeuer dieses Mid-Tempo-Tracks als brutale Wortfetzen mahnend über allem thronen. „Prognosis“ knüppelt bereits nach einem kurzen Vorlauf im nahtlosen Anschluss um einiges weniger zurückhaltend und so geht es nach gespenstischen Sample-Versatzstücken in einen wilden, doch perfekt ausgewogenen Mix aus Industrial, Noise und Dark Electro über, welcher von einem minimalistisch konzipierten EBM-Rhythmus stetig voran gepeitscht wird. Wie auch beim dystopischen „Human Harvest“, ist hier insbesondere einmal mehr der bloße Facettenreichtum in den Arrangements hervorzuheben, der vor kleinen Details und schierer Experimentierfreude nur so überbordet. Stellenweise kickt der Bass extrem scheppernd, nur um sich dann ganz plötzlich wieder zurückzuhalten und den ausgefeilten Synthie-Sequenzen oder angedeuteten Chorälen die auditive Bühne zu überlassen. Trotz der harschen Einschnitte stellt sich der Song schon nach kurzer Zeit als sehr eingängig heraus, jedoch ohne dabei stumpf oder oberflächlich anbiedernd zu sein. Besonders die fließenden Übergänge in den hintergründigen Wechseln der tonalen Höhen und Tiefen machen ordentlich etwas her. Berechenbar ist hier absolut nichts, dafür sind die Ideen angenehm erfrischend und ihre Zusammensetzung äußerst spannend. Für „Tremors“ hat sich Sane mit Emese Arvai-Illes von den Label-Kollegen „Black Nail Cabaret“, die mit „Gods Verging On Sanity“ erst im letzten Jahr einen absoluten Volltreffer landeten, sogar die Unterstützung einer namhaften Gastsängerin gesichert. Eine sehr gute Wahl, denn die Sängerin macht sich das Stück schnell zu Eigen und drückt der Komposition behutsam ihren unverkennbaren Stempel auf, so dermaßen hervorragend harmonieren beide Künstler miteinander, wenn eindringlich grundierte Elektronik auf elegisch intonierte Melancholie trifft. Im direkten Vergleich fällt die verführerisch elegante Dark-Wave-Nummer durch ihre dezent balladesk angehauchten Grundzüge musikalisch etwas handzahmer und ausgeglichener als die drei Vorgänger aus. Keine Frage: Die Rücksichtnahme auf das Feature verhindert allzu verquere Ausbrüche und kommt somit eher geradlinig und aufgeräumt daher, was der starken Sogwirkung aber absolut keinen Abbruch tut. Schon mit „Unknown To Virtue“ geht es dann erneut in die Gefilde des Up-Tempo: Energisch powernde Elektronik aus blubbernden, glockenklaren Synthies und harsch knallendes Drumming setzen rasch einschneidende Kontraste und lassen den Druck erheblich ansteigen - Ein absolutes Highlight! Der Titeltrack, „The Inevitable Relapse“, kündigt sich durch einen gediegenen Vorlauf aus sanfter Symphonik, maschinellen Lauten und sinistren Samples an, die daraufhin in nervös flirrenden Electro und einen verheerenden Beat übergehen. Die Strophen kommen ebenfalls eher ruhig daher und geben so der verzerrten Stimme von Sane den verdienten Raum, bevor das eisige Sound-Gewitter losbricht. Mit „Meltdown“ und „Pale Light Shadow“ wird es dann aber nochmal so richtig düster. Die Atmosphäre dieser zwei pechschwarzen Industrial-Hammer ist dermaßen dicht und erbarmungslos eindringlich, dass es kaum zu ertragen ist. Vor allem Letzteres überzeugt mit seinen tröpfelnden Sound-Tupfern in den bedrückend unheimlichen, entschleunigenden Passagen und dem ungnädig ratternden Automatismus dazwischen. Die rabiate Bass- und Sample-Sektion dominiert auch den Großteil von „Chlorine Tears“, dessen unterkühlte Stimmung schnell einengt und dem Hörer nur wenige Pausen zum Durchatmen gönnt. Das fast acht Minuten lange „Metabolite“ gibt sich zum Schluss ein gutes Stück weit aufgeschlossener und verhältnismäßig gefällig, neben einem mitreißend groovenden Rhythmus agieren die charmante Achtziger-Note und multiplen Ebenen für viel treibende Kraft bis zum ausgedehnten Fade-Out. Ein nahezu perfekt gewähltes Finale! Mit „The Inevitable Relapse“, dem mittlerweile dritten Werk unter Dependent Records, ist dem Wiesbadener Musiker Martin Sane unter seinem Pseudonym „Fïx8:Sëd8“ einmal mehr ein wirklich außergewöhnliches Stück Klangkunst gelungen. Diese Bezeichnung kann in der Tat wortwörtlich genommen werden, zeugt auch die jüngste Veröffentlichung mit ihrem ganzheitlichen, bis ins kleinste Detail durchdachten Konzept wieder von enorm viel Talent und Hingabe. Der Sound gestaltet sich dabei nach wie vor so vielschichtig, wie gleichermaßen abstrakt. Den klassischen Regularien des Songwritings folgen nur die wenigsten Stücke, wenn überhaupt. So wird die sich ebenfalls in der Szene einschleichende, typische Vorhersehbarkeit gegen kreative Methodiken und eine unorthodoxe Herangehensweise bei den unterschiedlichen Arrangements ausgetauscht. Sane bleibt mit seiner Musik auf den ersten Horch nur allzu gerne unbequem, kantig, schwer zu fassen und vertrackt, fordert die Aufmerksamkeit des Rezipienten immer wieder ein und die gängigen Hörgewohnheiten heraus. Nahezu alle Songs scheinen ein organisches Eigenleben zu führen, verändern sich in der Summe ihrer Teile ständig und setzen sich daraus neu zusammen. Das alles jedoch ohne sich zu verschlossen zu geben, denn der eigentlich nur schwer zu meisternde Spagat zwischen Komplexität und Eingängigkeit gelingt dem Mastermind scheinbar mühelos. Passend zu den surrealen Bildern, die „Fïx8:Sëd8“ unweigerlich beim Hören erschafft, bietet das ausgefeilte Artwork von Anastase Kyriakos und Sinan Jafan einen weiteren Faktor, der nicht unerheblich zum tieferen Abtauchen in die düsteren Collagen beiträgt. Insbesondere die bärenstarke, saubere Produktion, die punktgenau Hand in Hand mit dem facettenreichen Sound geht, ist ein absolutes Glanzlicht und zählt in dem Genre wohl zu den ausgefeiltesten und besten Arbeiten der letzten Jahre! Erst durch jene Feinfühligkeit für das musikalische Wechselbad aus pumpendem Nachdruck und filigranen Segmenten, wird jedes noch so kleine Detail erst vollständig greifbar. Ganz besonders erwähnenswert ist aber wohl die überdeutliche Verneigung vor der guten, alten Zeit seitens Sane, der kein bloßes Plagiat nach Schema F fertigt, sondern die wegweisenden Einflüsse der Achtzigerjahre gekonnt mit der Gegenwart zu etwas Eigenem verknüpft. Im besten Stil der alten Schule knüppeln hier harte Percussion, stampfende Bässe und knarrende Fragmente, um sich dann im ausgewogenen Wechselspiel mit modernen, wahnsinnig breiten Klangwelten aus dem Hier und Jetzt zu verbinden. So führt „Fïx8:Sëd8“ verschiedene Generationen am Ende genauso gut, wenn nicht sogar besser, zusammen, als es manche Ikone aktuell vermag. „The Inevitable Relapse“ ist ein beängstigend intensiver, audio-visueller Kopfkino-Hybrid mit beabsichtigten Ecken und Kanten. Für alle Sinne und auf höchstem Niveau!


Informationen:

https://myspace.com/fix8sed8music

https://www.facebook.com/Fix8Sed8/

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