Depeche Mode - Memento Mori (2023)
Genre: Rock / Alternative
Release: 24.03.2023
Label: Columbia (Sony Music)
Spielzeit: 49 Minuten
Pressetext:
„Memento Mori“ stellt Depeche Modes insgesamt 15. Studioalbum dar, mit dem Gahan und Gore nach dem tragischen Tod von Bandmitgründer Andrew „Fletch“ Fletcher im Jahr 2022 den ersten Longplayer in zweiköpfiger Besetzung vorlegen. Produziert von James Ford mit Unterstützung von Marta Salogni reifte „Memento Mori“ während der Frühphase der weltweiten Covid-Pandemie heran; eine Periode, die auch einen thematischen Einfluss auf die Songs hatte. Die 12 Albumtracks schlagen die Brücke zwischen einer Vielzahl von Stimmungen und musikalischen Texturen – angefangen beim bedrohlichen Opener bis zur Auflösung am Schluss spannt sich das Gefühlsspektrum von Paranoia und Besessenheit bis hin zu psychischer Befreiung und Freude sowie zahllosen emotionalen Zwischentönen. Das Album ist in folgenden Formaten erhältlich: 2LP-Vinyl, CD, Kassette sowie in digitaler Form.
Zeitgleich zum Release ihres neuen Albums gehen Depeche Mode auf „The Memento Mori“-Tournee. Die von Live Nation präsentierte Konzertreise stellt die erste Depeche Mode-Tour seit mehr als fünf Jahren sowie die 19. Tour der Band insgesamt dar. Der Tourstart findet am 23. März in Form einer besonderen Reihe nordamerikanischer Arena-Konzerten statt, in deren Rahmen Depeche Mode im New Yorker Madison Square Garden, dem United Center in Chicago, dem Kia Forum in Los Angeles, der Scotiabank Arena in Toronto sowie anderen Metropolen Station machen. Ab dem 16. Mai werden Depeche Mode zu Gast in europäischen Stadien wie dem Pariser Stade de France, dem San Siro Stadium in Mailand oder dem Twickenham Stadium in London sein. Und auch hierzulande werden die Engländer in Leipzig, Düsseldorf, München, Frankfurt und Berlin zu erleben sein. Aufgrund der hohen Nachfrage wurden in vielen Ländern Zusatzshows eingeplant. Weitere Informationen unter www.depechemode.com.
Mit über 100 Millionen verkaufter Tonträger und einem weltweiten Livepublikum von mehr als 35 Millionen begeisterter Fans stellen Depeche Mode einen in ständiger Weiterentwicklung befindlichen und bahnbrechenden musikalischen Impulsgeber dar. Als eine nicht mehr aus der populären Musik wegzudenkende Inspiration für Fans, Kritiker und Künstlerkolleg:innen gleichermaßen schlagen Depeche Mode mit dem Album „Memento Mori“ sowie der folgenden Tour das nächste Kapitel auf, in dem sie ihr unvergleichliches und lebendiges Vermächtnis fortschreiben.
Kritik:
„Faith is sleeping
Lovers in the end
Whisper we'll be ghosts again
Heaven's dreaming
Thoughtless thoughts, my friends
We know we'll be ghosts again“
Ein extrem tiefer und wummernder Bass dröhnt in regelmäßig getakteten Abständen aus dem Nichts und dringt geradezu fordernd, ja, gnadenlos prügelnd zu Gehör. Nur eine kurze Pause von weniger als einer halben Sekunde und dann erneut. Immer und immer wieder. Fast so, wie eine vollautomatische Pulsschlag-Frequenz. Der Herzschlag der Maschine? Irgendwo aus dem Hintergrund heraus zischt, knarzt und knackt es überall. Nervös und seltsam beunruhigend… Dazwischen sucht sich eine extrem verzerrte Gitarre, die vorsichtig erste Dynamik verheißt, fahrig ihren Weg und mutet damit wie ein rettendes Irrlicht an, welchem der Hörer fortan durch die undurchdringliche Schwärze folgen solle. Die massive Wand aus analogen Synthesizern erschafft hier mit nur verhältnismäßig wenigen Mitteln experimentellen Oldschool-Industrial und eine sehr vereinnahmende, beklemmend finstere Atmosphäre, die nun immer weiter bis ins Unermessliche anzusteigen scheint und in ihrer bodenlosen Tiefe schon bald für eine klaustrophobische, erdrückende Enge sorgt. „Don’t play with my world. Don’t mess with my mind. Don’t question my spacetime… My cosmos is mine!“, erklingt die charismatische Stimme von Sänger Dave Gahan. Doch etwas ist anders. Sie ist entfremdet und hallt noch lange in Form synthetischen Echos nach. Ganz so, als wäre er irgendwo in den schier unendlichen Weiten des Universums oder würde gar geisterhaft und formlos über den irdischen Ereignissen schwebend thronen. Entgegen der instrumentalen Übermacht klingt er sehr bedächtig und ruhig. Ja, nachdenklich, melancholisch und in sich gekehrt, doch in seinen wenigen Worten gleichzeitig auch bestimmt und abgeklärt, was einen klar abgrenzenden Kontrast schafft. Fluoreszierende Synthesizer mit spaciger Note streicheln plötzlich über das fortlaufende Bollwerk der Sperrigkeit und flackern jetzt auch in der zweiten Strophe immerzu erquickend und elektrisierend auf: „Don’t toy with my heart. Don’t knock down my shrines. Don’t alter my headlines… My cosmos is mine!“. Der dunkle, minimalistische Grundton und die inhaltliche Prämisse erinnern zunächst ein wenig an das ebenfalls eröffnende „Welcome To My World“ vom 2013 erschienenen Studioalbum „Delta Machine“, welches mit all seinen kleinen Details und den zunehmend aufeinander aufbauenden Elementen das dort besungene Refugium aus Wunschtraum und Realitätsflucht vor dem inneren Auge des Hörers entstehen ließ. „My Cosmos Is Mine“ verfolgt hingegen eine komplett gegenteilige Strategie und wechselt die erbauende Prämisse oben genannten Titels gegen ein reflektierendes Versinken ein. Ein introvertiertes Abtauchen ins weltliche Innere, vor allem aber auch in das Zentrum des eigenen Seins, dass mit jedem weiteren Bass-Schlag spürbar wird. Schritt für Schritt geht es tiefer in das Ungewisse hinab. „No war, no war, no war, no war… No more, no more, no more, no more… No fear, no fear, no fear, no fear… Not here, not here, not here, not here… No rain, no clouds. No pain, no shrouds. No final breaths, no senseless deaths!“, ertönt mit einem Mal auch völlig unerwartet die Stimme von Martin Lee Gore, die eindringlich und sonderbar sakral ein unmissverständliches Statement zum momentanen Weltgeschehen abgibt. Zugegeben, dieser zwischengeschobene Part wirkt anstelle eines klassischen Refrains etwas deplatziert und reißt einen leider ein wenig aus der dichten Atmosphäre. Dabei wohnt dem anfänglichen Chaos aus klanglichen Bruchstücken sehr wohl eine zunächst nicht klar ersichtliche, doch sehr pointierte Struktur inne, welche tatsächlich viel (unkonventionelle) Melodiösität offeriert. Mehr noch, wirkt sie hypnotisch und geradezu meditativ auf den Hörer ein und zieht zunehmend in ihren Bann, wenn man sich ihr nur mit aufmerksamen Ohren öffnet. Der Opener setzt lyrisch klare Grenzen auf diversen Ebenen. Zeigt dem universell adressierten Rezipienten auf, was unzumutbar ist, hüllt sich in einen Panzer und begibt sich damit schließlich hinter den unüberwindbaren Schutzwall des inneren Heiligtums.
Ziemlich überraschend wird jener schwerfällige Flow sogleich durch eine elektronische flimmernde, helle Tonabfolge unterbrochen, die einerseits frappierend an „Europa Endlos“ vom 1977 veröffentlichten „Trans Europa Express“ der legendären Düsseldorfer Genre-Urväter „Kraftwerk“ erinnert und andererseits mit ihrem harmonischen Retro-Charme klar auf die einstigen Synthie-Pop-Wurzeln der zwei Basildoner verweist. Umso besonderer wird der Song durch den äußerst seltenen Fall, dass diese Komposition der gemeinsamen Feder des Duos entstammt und diese Balance hört man auch tatsächlich heraus: Dem relativ gemächlichen „Wagging Tounge“ wohnt eine verborgene Folk-Note inne, welche hier den natürlichen und nun sehr viel nahbareren Gesang von Gahan fein herausarbeitet, der mit Gores bezeichnendem Achtziger-Sound wiederum schlüssig Hand in Hand geht. Diese Nähe ist auch im zweistimmigen Refrain zu hören, ab der zweiten Strophe setzt dann ein perkussiver Beat ein und mündet ab der Hälfte in einem leicht verzerrten Synthie-Zwischenspiel - Schön! „I won’t be offended, if I’m left across the great divide. Believe me, they will follow. Just to watch another angel die…“, heißt es da. Aus der Symbiose organischer und elektronischer Elemente spricht trotz der lyrisch überdeutlich gezeichneten Melancholie, etwas befreit Beschwingtes, wenn nicht sogar Fröhliches. Ganz ähnliche Attribute könnte man auch der ersten und zu Anfang des Jahres von allen Fans weltweit mit unbändiger Spannung erwarteten Single-Auskopplung zuschreiben: „Ghosts Again“. Die Halb-Ballade besticht natürlich mit ganz viel Eingängigkeit auf hohem Heavy-Rotation-Level, ist aber typischerweise zumindest musikalisch nur wenig repräsentativ für das gesamte Album. Für das übergeordnete Narrativ dafür umso mehr. Herzstück ist hier das stets sehr präsente, catchy cleane Gitarren-Riff, welches auch verantwortlich für die prägnante Lead-Melodie zeichnet. Die Elektronik hält sich bis auf den sanft pochenden Beat in den Strophen ziemlich zurück. Der Fokus ruht auf Gesang und Text, der mit einfachen Mitteln schöne Bilder entstehen lässt und sich dabei erstaunlich wenig verklausuliert zeigt. Erst im wunderschönen Refrain kommen fein perlenden Synthies dazu, denen später noch ein recht ausladendes Solo zugestanden wird. Die pure Simplizität und das kompakte Arrangement sind die größte Stärke neben der warmen Atmosphäre, die nicht zuletzt dadurch zustande kommt, dass der Song auf angenehm unaufgeregte Weise vertraut klingt. Besonders emotional wird er selbstverständlich durch die unweigerliche Assoziation mit dem tragischen Tod von Andrew „Fletch“ Fletcher, der im Mai des vergangenen Jahres überraschend verstarb, sodass jede Zeile eine unausgesprochene Widmung in sich trägt. Sehr schön auch die behutsam verarbeitete Thematik, dem Tod nicht ausschließlich mit Trauer und Furcht zu begegnen, die auf diese Weise beinahe etwas Versöhnliches hat und ganz so wirkt, als hätte das lyrische Ich seinen Frieden mit dem ewigen Zyklus des Unvermeidbaren gemacht, wenn es sich der eigenen Endlichkeit bewusst wird. Ein bittersüßer Abschied.
Das folgende „Don‘t Say You Love Me“ ist wie schon der vorausgegangene Single-Track ebenfalls in kompositorischer Zusammenarbeit mit Richard Butler von der britischen Rock-Band „The Psychedelic Furs“ entstanden und auch wenn der geneigte Fan anhand des selbstreferenziellen Titels am liebsten sofort mit „…It's understood. Don't say you're happy out there without me. I know you can't be… 'Cause it's no good!“ weitersingen möchte, handelt es sich hierbei natürlich doch um einen vollkommen eigenständigen Song, der auch in musikalischer Hinsicht nicht wirklich viel mit dem Hit von „Ultra“ gemein hat. Viel mehr erinnert die sehr zurückgenommene Kombination aus der rein auf die akustischen Instrumente reduzierten Basis aus sachter Percussion, himmlischen Streichern und der verwegenen Gitarre mit ihrem bluesigen Touch zusammen mit der tiefen Dramaturgie der Lyrics und Gahans übermächtiger Präsenz eher an seine letzten Kooperationen mit den „Soulsavers“. Die stilvolle Eleganz und pure Tragik dieser Ballade könnten glatt dem Titelsong eines neuen James-Bond-Films entsprungen sein. Absolutes Highlight ist neben dem Text, der malerische Strophen-Auszüge wie „You’ll be the killer, I’ll be the corpse. You’ll be the thriller and I’ll be the drama, of course…“ bereithält, insbesondere der unglaublich starke und kontrollierte Gesang von Dave Gahan, der seinem Organ hier in Höhen und Klangfarben alle nur denkbaren Facetten abverlangt. Dass es sich hierbei nicht unbedingt ausschließlich um ein typisches Mode-Liebeslied zwischen Selbstaufgabe, Leid und Aufopferung handelt, zeigen Zeilen der Couleur „You are the singer, I am the song“, die beinahe einem Zwiegespräch zwischen den beiden langjährigen Bandkollegen gleichen, die nach dem Tod von Fletcher erstmals wieder näher zusammenrücken und sich gegenseitig annähern mussten, was die große Aussagekraft nur unterstreicht. „My Favourite Stranger“ schlägt direkt einen gänzlich anderen Ton an: Der kernig-dreckige und sehr eingängige Basslauf, der fortan durch den weiteren Song begleiten wird, dabei aber leider keine weiteren Nuancen mehr aufbietet, lässt schnell einen dunklen und sinisteren Industrial-Rock-Vibe entstehen, welcher entfernt an den signifikanten Sound von „Joy Division“ erinnert und so auch gut und gerne auf dem 2005 veröffentlichten „Playing The Angel“ hätte erscheinen können. Dazu gesellt sich schon nach nur wenigen Sekunden ein interessanter Drum-Rhythmus, während die sphärisch aufkeimenden Electro-Flächen nun immerzu von einer stark verzerrten, fräsenden Gitarre durchbrochen werden. Die eindringliche Stimme von Gahan festigt unterdessen die unheimliche und kühle Atmosphäre, die vor allem auch durch die Thematik des dissoziativen Zustands spricht. Dann, wenn sich das lyrische Ich in den stillen Momenten nur noch wie ein Besucher in seiner eigenen Hülle fühlt, die Distanz zwischen den physischen Handlungen des Körpers und der mentalen Ebene immer größer wird. Sich selbst mit ständiger Argwohn betrachtend, sich fremd geworden und sich allmählich verlierend… Wem soll man jetzt noch glauben, wenn man nicht einmal sich selbst vertrauen kann!? Exakt in der Mitte des Albums wurde die obligatorische Solo-Ballade von Martin L. Gore platziert, von welcher es dieses Mal auch nur eine Einzige gibt: „Soul With Me“. Eingangs simulieren die Synthesizer hohe Choräle, bevor es danach in die sehr klassisch gehaltenen Strophen übergeht, die von den nebulösen Gitarrenakkorden, kleinen Details und einem leider relativ uninspirierten Drum-Sound, der zudem stellenweise unpassend durchbricht, ausgefüllt werden, sodass eine leicht retrofuturistische Lounge-Stimmung entsteht. Rein inhaltlich gesehen, passt der Song natürlich hervorragend zu „Memento Mori“, setzt sich Gore hier doch besonders intensiv mit dem Tod und anschließenden Überschreiten ins Jenseits auseinander. Vor allem der berührende Refrain, der bei genauerem Hinhören auch von Gahan begleitet wird, wird auf eine sehr soulige Art vorgetragen, die der hellen Stimme sehr zuträglich ist und damit ganz viel Emotion transportiert.
„Caroline knows how fragile we are. With hope as our faith we look to the stars. Caroline’s monkey is crying again. There’s no satisfaction on Caroline’s train…“, singt Gahan mit glasklarer Stimme gleich zum Einstieg des verqueren „Caroline‘s Monkey“: Musikalische Begleitung bieten währenddessen einzig eine Rassel und die schwachen Saiten der Gitarre, welche in ihrer entkräfteten Trostlosigkeit die innere Leere der titelgebenden Figur unterstreichen, bevor dann analoge Synthesizer in dieser letzten Produktion von Gore und Butler blubbernd das Ruder übernehmen. Der Song kommt bis auf die verhohlenen Hi-Hats nahezu ausschließlich elektronisch daher, wenn auch zunächst nur sehr minimalistisch ausgestaltet, was sich im weiteren Verlauf zu einem dezenten und doch tanzbaren Beat steigert, wenn der als Affe symbolisierte, verführerisch lockende Teufel auf den Schulter von Caroline langsam die Oberhand gewinnt und der nächste fiebrige Trip dazu einlädt, der Realität für einen kurzen Augenblick zu entfliehen. Diese trügerische Harmonie ist es auch, die dem umso vernichtenderen Inhalt von Abhängigkeit und Drogensucht entgegensteht, der streckenweise sonderbar verspielt und schräg zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt überwechselt. „Fading’s better than failing. Falling’s better than feeling. Folding’s better than losing. Fixing’s better than healing… Sometimes.“, heißt es dann im Refrain mit einem versteckten und sehr charmanten Querverweis auf „Clean“ vom legendären „Violator“-Album. Zugegeben, eine musikalisch durchaus überraschende und unkonventionelle Nummer, die jedoch leider ohne einen echten Höhepunkt relativ inspirationslos daher dümpelt. Dunkler Bass-Sound, verzerrtes Rauschen und Gores markante Stimme im Echo-Loop bilden danach den mystischen Auftakt zu „Before We Drown“, welches wiederum unter der gemeinsamen Feder von Christian Eigner, Peter Gordeno und Dave Gahan entstand. Nur wenig später setzen ein knackiger Drumbeat und verdreht fiepende Electro-Sounds ein, die eigentlich größtes Potential dazu hätten, sich als sehr tanzbar zu erweisen, wenn das entsprechende Stück im weiteren Verlauf nicht die Wendung zur Halb-Ballade nehmen würde. Nichtsdestotrotz gestaltet sich der Song durch seinen Aufbau doch direkt ziemlich interessant, da das vielschichtige Arrangement hier vergleichsweise unberechenbar und sperrig ausfällt, ohne dabei an Melodie und Eingängigkeit einzubüßen. Die von kleinen Details durchsetzten Synthies mäßigen sich innerhalb der Strophen wieder um ein Vielfaches und streichen beruhigend zwischen dem wehklagenden Gesang von Gahan umher, bis sie in der sanftmütigen Bridge, die aus dem Background erneut gesanglich von Martin Gore unterstützt wird, nahezu eine komplett grundierende Funktion einnehmen und damit wie Streicher anmuten. Im Refrain, der praktisch nur aus einer steten Wiederholung des Titels selbst besteht, wird die hohe Sogwirkung besonders deutlich. Vor allem dann, wenn die eingangs verwendeten Sounds wieder einsetzten und dem Stück seinen dunkel-hypnotischen Touch verleihen, der nur noch vom großen Finale getoppt wird, zu dem sich die gesamte Elektronik wundervoll in breiten Flächen entfaltet. Definitiv ein absolutes Highlight auf „Memento Mori“, dem sich das herrlich zynische„People Are Good“ sogleich anschließt. Ja, auch hier wird es wieder so richtig schön elektronisch… Und wie! Sofort lässt das Duo die analogen Synthesizer sprechen, die hier zu tief gestimmt stampfender Bassdrum das mittlere Tempo halten und sich damit trotzdem als äußerst antreibend präsentieren. Bislang ungewohnt ironisch singt Gahan bissig „Keep telling myself that people are good. Whisper it under my breath so I don’t forget…“ oder „Keep reminding myself that people are good. And when they do bad things they’re just hurting inside…“, sodass man nicht umhin kommt, etwas zu schmunzeln. Zwischenzeitlich wird in der Quasi-Bridge wieder etwas Druck rausgenommen, einen echten Refrain gibt es leider nicht, was das i-Tüpfelchen gewesen wäre. Die generelle Marschrichtung ist durchgängig minimalistisch und relativ kompakt gehalten, wodurch der Song nicht zu überladen wirkt. Die eingeflochtenen Versatzstücke liefern unterdessen eine ganz klare Reminiszenz an „Computerwelt“ von „Kraftwerk“ - Sehr charmant, wenn auch etwas zu offensichtlich und inflationär genutzt.
Ein leicht pumpender Basslauf und warme, verträumte Elektronik sind dann das Rezept für das wirklich schöne „Always You“, welches sich ganz dem Mid-Tempo verschrieben hat. Die ruhigen Strophen wirken wunderbar klassisch-depeche, nicht zuletzt wegen der sehr sonoren und enorm gefühlvollen Stimme von Gahan, die hier fast wie in den Neunzigerjahren erklingt und alten Devotees damit geradezu die Freudentränen nur so in die Augen treiben dürfte. In den leidenschaftlich-eingängigen Chorus werden prägnante Percussion und elegant umher wirbelnder Streicher-Einsatz eingewoben, die das gesunde Maß an Melancholie dieses Liebesschwurs, dem doch eine gewisse Traurigkeit innewohnt, erst so richtig spürbar werden lassen. „Never Let Me Go“ zieht das Tempo auf der Zielgeraden dann nochmals ein gutes Stück weit an: Hier blitzt zum blechern klickenden Beat der Drums nun immerzu der lässige Groove der Gitarre hindurch, die sich schon bald mit ihrem verzerrt sägenden Saiten-Spiel in zügiger, mitreißender Rhythmik weiter in den Vordergrund drängt. „I’m waiting for your love. I know you’ll want me. When your body’s had enough, your senses will see. There’s only so much time we have to play with. To waste it is a crime. We have so much to give!“, heißt es in der ersten Strophe, in der auch die elektronische Schlagseite mit ihren piependen und hüpfenden Synthies nicht zu kurz kommt. Zwischengelagert steigt auch Gore gesanglich immer wieder im Hintergrund oder später für eine kurze, duale Passage im Mittelteil mit ein. Der instrumentale Aufbau erfolgt derweil in mehreren Schichten, welche mit zunehmender Dauer ein breiteres Spektrum offenlegen - Top! Zum endgültigen Abschluss mit Track Nummer Zwölf inszenieren nostalgisch knisternde Retro-Synthies getragene Harmonien mit großem 80er-Einschlag, die schnell wohlige Schauer über den Rücken jagen und den Hörer so fühlen lassen, als würde er den noch laufenden Abspann eines soeben erst geendeten Film-Klassikers auf VHS über den heimischen Röhrenbildschirm flimmern sehen: Das balladeske „Speak To Me“ zeigt das lyrische Ich hier in seinen letzten Atemzügen im vertrauten Zwiegespräch mit Gott oder einer anderen außerweltlichen Macht. „Speak to me, and I will follow. I heard you call my name. Lying, on the bathroom floor. No one here to blame…“, singt Gahan bittend und versetzt sich in diesem unglaublich persönlichen und nahbaren Stück zurück ins Jahr 1996, als er nach einer Überdosis einen Herzinfarkt erlitt und für zwei Minuten als klinisch tot galt. Insbesondere die musikalische Reduktion, die sich bis auf einige kurze Übersteuerungen feinfühlig zurückhält und dabei doch exakt die richtigen Töne auf der Klaviatur der großen Emotionen trifft, gesteht den Worten dieser musikalischen Nahtoderfahrung respektvoll eine umso größere Bedeutung und gewichtigere Schwere zu, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Stück zieht. Die zweite Strophe endet auf die Worte „You lead me. I follow your voice…“, wenn der Protagonist das scheinbar längst besiegelte Schicksal in die Hände seines Gegenübers gibt. Auf das berührende Zwischenspiel des Synthesizers loopt die Elektronik plötzlich und es scheint, als würde die gesamte Sequenz nochmals zurückgespult werden. Irgendwo aus dem Hintergrund ist ein leiser Pulsschlag zu vernehmen, der jetzt während der letzten Zeilen pochend immer schneller und lauter wird. Synthetische Streicher erheben sich kreischend und gipfeln so in einem hochdramatischen Finale. Gleißendes Licht erhellt die dichte Schwärze und holt den Protagonisten, gleichwohl Hörer, wider Erwarten ins Leben zurück… Wir holen Luft. Wir atmen wieder und schlagen die Augen auf. Wir leben. Wir haben tatsächlich eine zweite Chance erhalten. Und so entlässt uns das fünfzehnte Studioalbum von „Depeche Mode“ mit der Botschaft, jeden einzelnen Tag als solche zu begreifen und unsere Zeit auf Erden zu nutzen Denn: Bedenke, dass du sterblich bist - „Memento Mori“.
Tracklist:
01. My Cosmos Is Mine
02. Wagging Tounge
03. Ghosts Again
04. Don't Say You Love Me
05. My Favourite Stranger
06. Soul With Me
07. Caroline's Monkey
08. Before We Drown
09. People Are Good
10. Always You
11. Never Let Me Go
12. Speak To Me
Fazit:
Im stets sehr verlässlichen Rhythmus von jeweils vier Jahren erschien seit den frühen 2000ern immer wieder ein neues Album samt großer Tournee-Ankündigung mit zahlreichen Shows in aller Welt der legendären Formation aus Basildon: „Depeche Mode“. Doch nach dem 2017 erschienenen „Spirit“ und dem Abschluss jener Ära mit einem großen Doppel-Konzert in der Waldbühne Berlin, mit welchem das Trio gewissermaßen zu seinen Wurzeln in der deutschen Hauptstadt zurückkehrte, herrschte bis auf die Veröffentlichung der umfassenden Live-Dokumentation „Spirits In The Forest“ und Re-Releases der Single-Collections auf Vinyl verdächtig lange Funkstille ohne auch nur einen einzigen Hinweis auf neues Material in Zukunft. Darüber, dass mit großer Sicherheit auch die weltweite Pandemie, die das Touren für alle Künstler schier unmöglich machte, ihren nicht unwesentlichen Anteil daran hatte, waren sich alle Fans sicher. Trotzdem blieb bei vielen ein ungutes Gefühl. Etwas war anders als sonst und brach mit der beliebten Tradition. Im Frühjahr 2022 erschütterte plötzlich der überraschende Tod von Gründungsmitglied Andrew „Fletch“ Fletcher die treue Fangemeinde zusätzlich und riss ein tiefes Loch in die Herzen der Devotees. Spätestens zu diesem Zeitpunkt schien es dann gesetzt, dass es keine weitere Musik oder gar Auftritte der ikonischen Synthie-Pop-Heroen mehr geben würde… Doch es sollte anders kommen. Wie Sänger Dave Gahan just in einigen Interviews angab, haderte er tatsächlich bereits in der Zeit nach den zwei Berliner Konzerten mit einer Rückkehr zu „Depeche Mode“. Für ihn sei sogar klar gewesen, dass dieses Kapitel seines Lebens endgültig abgeschlossen sei. Erst als Martin L. Gore ihm und seinem Kollegen erste Rohentwürfe und Ideen neuer Songs zusandte, keimte die Motivation wieder in ihm auf. Der Titel des aktuellen Studioalbums, „Memento Mori“, sei dabei übrigens ein Vorschlag von Fletcher gewesen, den man nach Abschluss der Produktion auch so übernommen habe. Vor diesem speziellen Hintergrund ist dessen geradezu selbsterfüllende Prophezeiung umso tragischer. Nicht nur, weil dieses fünfzehnte Album das vielleicht endgültig letzte Werk von „Depeche Mode“ sein könnte, sondern auch deswegen, weil es uns gleichzeitig die eigene Endlichkeit bewusst macht und zeigt, dass die Zeit unterdessen nicht stehengeblieben ist. Fernab der hitzigen Diskussion um die immer wieder geforderte Rückkehr von Alan Wilder oder Vince Clark, gehen auch die unterschiedlichen Meinungen zu den letzten Alben extrem weit auseinander. Spätestens seit „Sounds Of The Universe“ in 2009, dessen experimenteller und sperriger Sound auch für die beiden Nachfolger „Delta Machine“ und „Spirit“ bezeichnend war, fallen die Gefühle im Fan-Sektor doch sehr gemischt aus. Für viele Hörer gelten entweder das 2001 erschienene „Exciter“ oder das 2005 veröffentlichte „Playing The Angel“ als die letzten wirklich guten Alben der Band. Nicht wenige Standpunkte reichen sogar noch weiter bis in die Neunzigerjahre zurück. Seitdem muss sich jeder neue Release einem erbitterten Kampf zwischen unerfüllbar hohem Hype und vernichtendem Vorab-Bashing stellen, bei welchem am Ende alle Seiten praktisch leer ausgehen. Dass die Band wohl nie mehr zu ihrem anfänglichen Synthie-Pop-Sound der Marke „Speak And Spell“ oder „Some Great Reward“ zurückkehren würde, müsste mittlerweile schon im Vorfeld ebenso klar sein, wie die Tatsache, dass sich ein solcher Mega-Erfolg wie einst mit „Violator“ oder gar „Music For The Masses“ nicht wieder reproduzieren lassen würde. Sie alle waren und sind eben Kinder ihrer entsprechenden Zeit, in der sie jeweils perfekt funktioniert haben. Doch so, wie sich Flechter, Gore und Gahan in den rund vierzig Jahren ihres gemeinsamen Schaffens als Persönlichkeiten entwickelt haben und älter geworden sind, haben sich eben auch ihr Verständnis von Musik und auch (viele) ihrer Fans in diesem natürlichen Prozess verändert. Was man der Band dabei ohnehin niemals absprechen konnte, war, ist der klare Fakt, dass sie sich nie an Trends oder medialen Echos orientiert, dafür aber beständig ihren Horizont nach eigener Fasson erweitert, Grenzen ausgelotet und Neues gewagt haben, anstatt alte Erfolge kopieren und vergeblich ihrer Jugend nachzulaufen zu wollen. So hatte selbstverständlich auch „Memento Mori“ aus oben genannten Gründen von vornherein wieder einen schweren, wenn diesmalig nicht sogar den schwersten, Stand überhaupt. Einige Fans sahen ohne das Mitwirken von Andrew Fletcher, der zwar weniger im Studio tätig war, die Band jedoch stets moderierend zusammenhielt, bereits den endgültigen Untergang ihrer einstigen Lieblingsband. Andere wiederum erträumten sich hier ein letztes Aufbäumen zu alter Stärke in Gedenken an Fletcher, um die Band mit einem abschließenden Meisterwerk würdig zu Grabe zu tragen… Und wieder einmal fallen die Meinungen zum Endergebnis weltweit relativ geteilt aus, wenngleich das positive Feedback 2023 großteilig überwiegt. Was sich definitiv sagen lässt, ist, dass „Memento Mori“ aufgrund seiner übergeordneten Thematik in Summe selbstredend sehr ruhig und melancholisch ausfällt. Schnelle, treibende und tanzbare Stücke sind die absolute Ausnahme, nicht die Regel. Berechtigten Anlass zur Kritik bietet hingegen die unbefriedigende Tatsache, dass manche Songs auf keinen nennenswerten Höhepunkt zulaufen, da ihre Melodien im weiteren Verlauf keinen Klimax mehr erfahren und es zudem oftmals keinen (erinnerungswürdigen) Refrain gibt, sodass leider an einigen wenigen Stellen der Eindruck entsteht, eher ausproduzierten Demo-Versionen zu lauschen, denen noch der finale Feinschliff zum Endprodukt fehlt. Gleichzeitig wurde aber wieder verschärftes Hauptaugenmerk auf eingängige, große Melodien und klarere Strukturen im Songwriting der exzellenten Hochglanz-Produktion gelegt. Die äußerst fruchtbare Zusammenarbeit mit Marta Salogni und Richard Butler bietet einen hörbaren Mehrwert im Hinblick auf das sehr runde, stimmige Gesamtbild. Das alles ändert jedoch nichts daran, dass auch „Memento Mori“ erst wieder so manche Anläufe und insbesondere die richtige Stimmung benötigt, um sich in Gänze entfalten zu können. Wenn es jedoch soweit ist, spielt das Material seine geballte Stärke voll aus und festigt den fortan bleibenden Eindruck, hier die einzig logische Quintessenz der vergangenen Jahre zu hören, welche die Lager weitestgehend versöhnen dürfte und eine eine zurecht selbstbewusste Band zeigt, die schon lange auf dem Gipfel ihres eigenen Schaffens angekommen ist. Eine Band, die ganz sicher niemandem mehr etwas beweisen muss und deren aktuelle Veröffentlichung somit viel mehr eine reine Herzensangelegenheit ist, um inneren Frieden zu schließen. Vor allem mit sich selbst. Ob es für den geneigten Fan nun entweder das beste Werk seit „Song Of Faith And Devotion“ / „Ultra“ / „Exciter“ / „Playing The Angel“ oder hingegen eines der schlechtesten Alben der Band ist, muss wie immer jeder ganz für sich alleine entscheiden. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich, wie so oft, irgendwo dazwischen…
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