Combichrist - „Old School Electro Set" - Circus Probst, Gelsenkirchen - 13.08.2021
Veranstaltungsort:
Stadt: Gelsenkirchen, Deutschland
Location: Circus Probst
Kapazität: ca. 300
Stehplätze: Nein
Sitzplätze: Ja
Homepage: https://www.circus-probst.de
Einleitung:
Achtung: Alle, welche den jüngsten Konzertbericht zu „Faderhead“ in Gelsenkirchen schon gelesen haben, dürfen den ersten Teil der Einleitung jetzt gerne überspringen, da dieser zwecks der umfassenden Erklärung des neuen Hygiene-Konzepts, all seiner zugehörigen Hintergründe und des Aufrufes zur initiativen Unterstützung der Veranstaltungsbranche hier fast ausschließlich übernommen wird. Alle anderen können selbstverständlich bedenkenlos weiterlesen: Es ist kaum zu glauben, aber nach einer sehr langen, ja, gefühlt ewig währenden Durststrecke gibt es sie jetzt endlich doch wieder: Konzerte! Wenn auch deutlich unregelmäßiger, weniger und vor allem anders, als zuvor. Wobei dieses „zuvor“ in Wirklichkeit aber eigentlich noch gar nicht so lange her ist, wie es vielleicht zunächst den Anschein hat, denn noch im Februar letzten Jahres war Live-Musik vor Publikum in großen Arenen oder kleinen Clubs definitiv nichts Außergewöhnliches oder gar Unvorstellbares. Nahezu an jedem einzelnen Tag gab es in so ziemlich jeder größeren und kleineren Stadt irgendein Kulturangebot oder gleich mehrere davon, sodass die Auswahl ob der etwaigen Überschneidungen manches Mal durchaus schwer fiel. Hätte mir zu diesem Zeitpunkt jemand erzählt, dass es schon bald eine weltweite Pandemie geben würde, man zukünftig Sicherheitsabstand voneinander halten und Schutzmasken tragen müssen, so hätte ich diesen jemand sehr wahrscheinlich für völlig verrückt erklärt und für seine apokalyptische Science-Fiction-Vision ausgelacht... Dass aber letzten Endes doch alles ganz anders kam und die eben erwähnte Pandemie leider doch keine versponnene Fiktion ist, ist ja mittlerweile hinlänglich bekannt und wurde im letzten Jahr schon zu Genüge diskutiert, weswegen ich hier jetzt kurz einhake. Nein, um weitere Negativmeldungen und das omnipräsente Corona-Virus soll es in diesem Beitrag und auch allen in Zukunft Folgenden nun wirklich nicht gehen, sondern dafür viel mehr um das, was uns so viel bedeutet und wofür ihr ja eigentlich hier seid: Musik... Und ja, auch wieder um Konzerte! Bereit? Na, dann mal los!
Inmitten des letztjährigen, ungewöhnlichen Sommers, nämlich etwa Anfang des Monats Juli, lud eine mysteriöse und zunächst nur mit spärlichen Informationen ausgestattete Facebook-Seite die interessierten Nutzer der Social-Media-Plattform zum „Gefällt mir“ drücken ein: „Konzertsommer im Revier“. Wie sich schon sehr bald darauf herausstellen sollte, verbarg sich hinter diesem eher schlichten, doch umso aussagekräftigeren Aufhänger das gemeinsam ins Leben gerufene Projekt des Hamburger Bookers Pluswelt Promotion und der nordrhein-westfälischen Club-Institution Kulttempel Oberhausen. Zwei ungemein starke Instanzen, welche es sich hiermit zur Aufgabe gemacht haben, die derzeit nahezu komplett stillgelegte Kultur der Live-Konzerte und das Zusammentreffen der Fans unter den aktuell geltenden Auflagen bestmöglich wiederaufleben zu lassen. Stattfinden sollen all diese Veranstaltungen in der eigenen Lokalität des dritten Partners, im großen Zelt des bekannten Circus Probst, der seine vorzeitig erzwungene Winterresidenz momentan in einem Stadtteil von Gelsenkirchen aufgeschlagen hat. Dieses bietet viel Platz für insgesamt über dreihundert Gäste. Die Tickets für Gruppen von zwei bis maximal sechs Personen können vorab unter Angabe der jeweiligen Kontaktdaten online gebucht werden, eine örtliche Abendkasse wird es aufgrund der strengen Maßnahmen jedoch nicht geben. Der Einlass, bei dem die von den Besuchern via E-Mail angegebenen Personalien auf den Tickets mit den Ausweisen abgeglichen werden, erfolgt weitestgehend kontaktlos. Auf dem gesamten Gelände ist ein Mund-Nasen-Schutz verpflichtend zu tragen, ausgenommen davon sind nur die Sitzbänke im Freiluftbereich nahe des Gastronomie-Vorzelts und der eigene Platz im Inneren. Im Hauptzelt selbst gibt es ausschließlich Sitzplätze, welche sich auf die rundherum umliegenden Tribünen und kleine Stuhlgruppen direkt vor der Bühne verteilen. Zwischen den Gruppen, die zusammen gebucht worden sind, besteht jeweils der vorgeschriebene Mindestabstand von anderthalb Metern zur nächsten Sitzgruppe. Die Bands, die bei dieser neuen Event-Reihe zumeist im stilistisch passenden Doppelpack zusammengelegt werden, treten natürlich im Zentrum des Zelts, also in der Manege, auf. Ganz so, wie in einem echten Zirkus eben. Das Line-Up der beworbenen Sommer-Verlängerung kann sich wahrlich sehen lassen: Natürlich waren in der Vergangenheit mit „Sono“ und „Empathy Test“, „Zoodrake“ und „Solitary Experiments“, „T.O.Y.“ und „De/Vision“, „In Strict Confidence“ und „Suicide Commando“, „Beborn Beton“ und „Covenant“, „Rotersand“ und „Noyce™“, „Frozen Plasma“ und „Future Lied To Us“ oder „[:SITD:]“ und „ES23“ vornehmlich zahlreiche, namhafte Vertreter elektronischer Musik von Synthie- und Future-Pop, über Dark Wave und Industrial, bis hin zu Aggrotech und EBM vertreten, aber auch ganz viel dunkle Melancholie mit den Szene-Veteranen „Diary Of Dreams“, Billy „The Dark Tenor“ Andrews oder Joachim Witt mit klassisch-akustischem Kammer-Ensemble oder gar harte Gitarrenmusik von „Wisborg“ und den Dark Rockern „Unzucht“ oder hämmernde NDH mit „Schlagwetter“ und „Heldmaschine“. Bei dieser schwarz-bunten Mischung dürfte wohl für jeden etwas dabei gewesen sein! Bei der Edition in 2021 sind wieder viele der Bands aus dem Vorjahr wieder mit an Bord, wie zum Beispiel Ex-„Wolfsheim“ Peter Heppner oder der absolute Garant für ausverkaufte Häuser „VNV Nation“, während es etwa mit den viel nachgefragten Synthie-Poppern „Rroyce“, dem NDH-Nachwuchs „Schattenmann“, den Gothic-Rockern „She Past Away“, den Horror-Punkern „The Other“, dem furiosen Szene-Duo „L’Âme Immortelle“ oder der Jubiläumsshow von „Faderhead“ auch so einige namhafte Neuzugänge in der Manege gibt.
So sehr ich die normalen Club-Shows auch vermisse, aber solche kreativ gelösten Alternativen sind dieser Tage gerade für den passionierten Konzertbesucher schon wirklich ein riesiger Luxus und erst recht kein Vergleich zu den doch eher trostlosen Autokino-Konzerten mit blinkender Lichthupe anstelle von echtem Applaus! Das gesamte Konzept kann also vollkommen zurecht als eine Art wunderbar entspannter, enorm bereichernder und perfekt organisierter Kultur-Kurzurlaub angesehen werden... Ein kleines Stück von Freiheit und Normalität in diesen schwierigen Zeiten, herzlichen Dank dafür an alle Beteiligten! Zugunsten der örtlichen Veranstalter, Crews und Bands haben wir unsere Tickets, wie bereits im vergangenen Jahr, für alle (stattfindenden) Konzerte in 2021 selbstverständlich ganz normal gekauft und demnach schon auf die bloße Anfrage einer Akkreditierung verzichtet. Das ist vermutlich auch so ziemlich das Mindeste, was man als Musikliebhaber derzeit tun kann, wenn man sich in Zukunft nicht plötzlich vor den zahlreichen Trümmern jener Branche stehen sehen will. Wer momentan nicht die Möglichkeit dazu hat oder aus Vorsicht präventiv keine größeren Veranstaltungen besuchen möchte, kann dennoch helfen, denn die Fans mancher Künstler haben auf eigene Faust engagierte Spenden-Aktionen ins Leben gerufen und die Acts selber haben in ihren Online-Shops nun oft spezielle Angebote mit besonderen, exklusiven Artikeln. Kauft mehr CDs, anstatt Musik nur im Abonnement zu streamen oder Merchandise, um den Musikern zu helfen und das weitere Fortbestehen der Kulturlandschaft zu sichern - Danke!
Am frühen Freitagabend des 13.08.2021 geht es für meine Begleitung und mich mittlerweile schon zum zweiten Mal in diesem Sommer nach Gelsenkirchen Katernberg, wo der Circus Probst, wie auch schon im letzten Jahr, in der Feldmarkstraße auf einem kleinen Platz seine Zelte für die kommende Wintersaison aufgeschlagen und darüber hinaus eingewilligt hat, das weiter oben beschriebene Konzert-Konzept gemeinsam mit Pluswelt Promotion und dem Kulttempel Oberhausen in die livehaftige Tat umzusetzen. Nach einer angenehm kurzen Anfahrt ohne sonstige Zwischenfälle rollen wir auch schon auf den kleinen Schotterplatz, um ganz in der Nähe zu parken. Einige andere Fans sind offensichtlich schon etwas länger vor Ort, hören an ihren Autos bei kühlen Getränken laut die passende Musik zur Einstimmung oder begrüßen alte Bekannte und Freunde herzlich auf dem großen Vorplatz. Auch wenn ein absoluter Löwenanteil des verfügbaren Kontingents bereits kurz nach Vorverkaufsstart vergriffen war, gibt es für den heutigen Abend noch wenige Tickets an der Abendkasse, von welcher der ein oder andere spontane Besucher nur zu gerne Gebrauch macht. Dass den Zirkus heute wie so oft ein prall gefülltes Zelt erwartet, ist jedoch auch kein Wunder, denn mit den berüchtigten Industrial-Berserkern von „Combichrist“, die schon für das Line-Up in 2020 von vielen potenziellen Gästen gewünscht worden sind, steht ein wahres Szene-Schwergewicht der Extraklasse auf dem Programm. Doch damit noch immer nicht genug: Da die Live-Musiker der Band eigentlich aus verschiedenen Teilen der US-Bundesstaaten anreisen müssten, was sich aus bekannten Gründen nahezu unmöglich gestaltet und weswegen unter anderem auch viele Termine der für diesen Sommer angesetzten „Europe Not My Enemy“-Tournee unlängst verschoben werden mussten, haben sich die Veranstalter gemeinsam mit Mastermind Andy LaPlegua zur großen Freude der langjährigen Fans etwas ganz Besonderes einfallen lassen. So bleiben Drum-Kits und Gitarren dieses Mal ausnahmsweise im heimischen Lager, stattdessen präsentieren „Combichrist“ eines ihrer raren Old-School-Electro-Sets mit einer erlesenen Auswahl an selten gespielten Songs der ersten drei Alben. Zuletzt gab es die (fast) einmalige Chance auf diese archaischen Aggrotech-Partys im Dezember 2013 mit insgesamt sechs spärlichen Terminen in Deutschland, den Niederlanden und England. Na, wenn das mal nichts ist! Nachdem die Namen auf den zuhause ausgedruckten e-Tickets mit den Personalausweisen abgeglichen worden sind, geht es, natürlich stets mit genügend Abstand zu den anderen Gästen, auch direkt auf das eigentliche Veranstaltungsgelände. Durften wir den medizinischen Mund-Nasen-Schutz aufgrund der niedrigen Inzidenz am Einlass, in sämtlichen Warteschlangen und auf dem Gelände selbst beim Jubiläum von „Faderhead“ vor wenigen Wochen noch weglassen, so muss dieser bei steigenden Corona-Zahlen nun wieder ordnungsgemäß getragen werden. Aufgrund der positiven Erfahrungen aus 2020 und um den Gästen mehr Komfort anbieten zu können, wurden auch die Kapazitäten der Sitzplätze im Zirkuszelt erheblich aufgestockt. So winken anstelle von wackeligen Holzbänken jetzt fast doppelt so viele Sitzschalen mit Lehne und auch die interne Gastronomie erfreut sich an vielen tollen Ergänzungen im Speiseplan mit Pommes, Brat- und Currywurst, sowie einer spürbaren Erweiterung des Teams. Hier wurde an den richtigen Stellschrauben gedreht - Toll! Einen kleinen Stand mit Merchandise gibt es wie gehabt im vorderen Bereich des großen Hauptzelts, wo es neben dem vorletzten Studioalbum „This Is Where Death Begins“ auf Vinyl mit einer Tasse, einer Powerbank und einem T-Shirt auch drei exklusive Artikel im neuen „Electrohead“-Style zu erstehen gibt. Wie wir von der netten Verkäuferin anschließend erfahren, wurde das kleine Sortiment extra für diesen Gig gefertigt. Mit kühlen Getränken aus dem Vorzelt, die wir natürlich auch ins Hauptzelt mitnehmen dürfen, in den Händen, werden wir bereits von einem weiteren Mitarbeiter erwartet, der unsere Tickets nochmals kontrolliert, ehe er uns dann die beiden Plätze zeigt. Dieses Mal haben wir uns für die heiß begehrten Logen-Karten entschieden, welche dieses Jahr gegen einen gesonderten Aufpreis gebucht werden können, weswegen wir auch direkt vorne an der Manege und gleich neben dem Mischpult sitzen. Ein schönes Zusatzangebot für alle großen Fans, denn so nahe kommt man den jeweiligen Bands sicher nur sehr selten. Da es an diesem Abend leider keinen Support gibt, wurde der Beginn des Top-Acts schon für 20.00 Uhr anberaumt. Es dauert also nicht mehr lange...
Combichrist:
Das große Hauptzelt ist jetzt fast bis zum Zerbersten gefüllt, nur wenige Sitze in den hintersten Reihen bleiben vereinzelt leer. Die letzten Nachzügler eilen hektisch mit Getränken herbei, hier und da ist leises Tuscheln zu vernehmen. Die Begleitmusik aus der Konserve ist verstummt, die gemütliche Beleuchtung rund um die große Manege bereits vor vielen Minuten endgültig erloschen. Alles wartet gespannt auf den mit großen Schritten nahenden Beginn. Niemand gibt mehr auch nur einen Laut von sich, so als wäre der gesamte Zirkus für einen Sekundenbruchteil eingefroren. Kurz nach 20.00 Uhr und es ist still... Zu still. Unter freudigen Zurufen aus dem Publikum ziehen nun leichte Nebelschwaden auf, verdichten sich zunehmend, werden dann langsam immer mehr und mehr, bis das gebannte Publikum kaum noch etwas erkennen kann. Plötzlich ist eine dunkle, unscharfe Silhouette zu erkennen, die hinter dem schweren, roten Vorhang des zentralen Artisteneingangs hervortritt. Es ist Björn Anders Hedén, der manchen Fans hier eventuell unter seinem Künstlernamen „Elliott Berlin“ besser bekannt sein könnte und sonst unter anderem „Aesthetic Perfection“ als Live-Musiker unterstützt. Die langen, zotteligen Haare hängen ihm bis in sein Gesicht voller Rußpartikel und Dreck hinab. Der alte Pullover, den er trägt, ist sichtlich zerschlissenen und durchlöchert. Ohne auch nur kurz eine kleine Notiz vom laut applaudierenden Publikum zu nehmen oder eine Mine zu verziehen, begibt er sich sogleich an die vielen Tasten und Regler des auf einem großen Table aufwändig verkabelten Set-Ups aus Keyboard und Synthesizer. Davor wurden drei kleine Scheinwerfer fest platziert, die so ziemlich als einzige Lichtquelle dienen werden. Ein monoton brummender, abgrundtiefer Bass bricht aus den rundherum in der Manege aufgestellten Boxen und lässt den Boden vibrieren. Nur wenige Sekunden später tritt eine weitere, kaum identifizierbare Gestalt aus dem Dunkel heraus und allen wird schlagartig bewusst, dass es sich dabei nur um Ole Anders „Andy Laplegua“ Olsen handeln kann, der sich jetzt tosendem Jubel entgegensieht. Um das authentische Oldschool-Feeling perfekt abzurunden, ist sein markantes Bühnen-Outfit an die sehr erfolgreiche Ära des zweiten Langspielers namens „Everybody Hates You“, in dessen Zeichen der heutige Abend vornehmlich stehen soll, angepasst worden. LaPlegua trägt ein hellblaues Hemd mit zahlreichen, dünnen Blutspritzern versehen. Die Ärmel weit hochgekrempelt, die geballten Fäuste in schwarzen Handschuhen aus Latex. Sein Gesicht ist nahezu komplett mit weißer Farbe bedeckt, nur die wild entschlossene Augenpartie wird von einem dicken, schwarzen Balken bestimmt. Auf den auf den ikonischen Iro der Frühphase muss zwar verzichtet werden, dafür sind die mittellangen Haare des charismatischen Sängers pechschwarz gefärbt. Wie immer eine eindrucksvolle, starke Erscheinung, die den brutalen, ungezähmten Spirit der erinnerungswürdigen Anfangstage perfekt einfängt. „Gelsenkirchen? Los!“, brüllt er jetzt voll überbordender Energie zur Begrüßung knapp in das Mikrofon und schon setzen der harsch marschierende Rhythmus und ein sehr bekannter Beat ein.
Obwohl sich die heutige Setlist laut eigener Aussage der Band hauptsächlich zu weiten Teilen aus den Songs der ersten Releases gestalten soll, hat man für den stimmungsvollen Opener das wunderbar treibende und bisher leider nur sehr selten gespielte „At The End Of It All“ vom vierten Album „Today We Are All Demons“ ausgesucht. Eine wirklich sehr gelungene Überraschung und gute Wahl, die den großen Hunger der feierwütigen Fans natürlich nicht vollends tilgen kann, definitiv aber den Appetit anregt. Das Debüt „The Joy Of Gunz“, von dem es vor acht Jahren immerhin noch drei Stücke auf die Ohren gab, wird heute komplett ausgelassen, dafür wird es so manchen Song von „What The Fuck Is Wrong With You, People?“ geben. Jenem Album, welches „Combichrist“ anno 2007 endgültig zum Durchbruch verhalf. So legt man ohne jede Pause gleich mit „Are You Connected?“ nach, danach poltert die elektronisch erzeugte Percussion mit heftig donnernden Trommelschlägen aus der Anlage und animiert die ekstatische Menge zu gemeinsamen „Hey!“-Rufen. Die Stimmung scheint schon jetzt auf dem Siedepunkt, denn jeder hier weiß, was folgt: Der unschlagbare Club-Hit „Blut Royale“. Ein echter Klassiker, der bei jeder Show frenetisch abgefeiert wird und natürlich auch heute auf gar keinen Fall fehlen darf. Die stroboskopischen Blitze flackern durch die immer dichter werdenden Nebelwolken, die mittlerweile gefühlt das halbe Zelt einhüllen, welches in blutrotem Licht erstrahlt. Es herrscht mächtig körperliche Ertüchtigung im Zirkus, die nicht mehr abreißen will, denn mit „Electrohead“ folgt der nächste Dancefloor-Killer sogleich auf dem Fuße. Schlag auf Schlag. „Habt ihr Lust zu feiern!?“, ruft LaPlegua fordernd mit einem verschmitzten Lächeln. Natürlich will Gelsenkirchen das! Das düster lauernde „Feed Your Anger“ peitscht die bestens aufgewärmte Menge weiter auf, danach lautet die klare Ansage „Fuck That Shit“ und alle machen mit. Die Stimmung ist wirklich hervorragend, was auch dem druckvollen Sound geschuldet sein dürfte, der das Publikum nach den ersten, kleinen Anlaufschwierigkeiten herrlich satt und laut beschallt. Wie in einem kleinen Amphitheater werden Lautstärke und Energie hier von der Manege aus direkt in das bemannte Rund aus Sitzplätzen geschleudert und von dort gleich wieder zurückgetragen. Es ist ordentlich warm geworden, sodass man den Schweiß förmlich von der Zeltdecke tropfen sehen kann. Der Zirkus gleicht einem Hexenkessel... Also: Zeit für eine kleine Pause! Bitte, was? Ja, richtig gelesen. Weil es heute, wie schon in der Einleitung kurz erwähnt, keinen Support-Act zur Einstimmung gibt und die eigentliche Show somit deutlich früher gestartet ist, hat man sich in Abstimmung mit der Band doch tatsächlich dazu entschlossen, eine sogenannte „Trinkpause“ einzulegen... Da Konzerte von „Combichrist“ bekanntlich leider nie besonders lang sind, ist der eigentliche Hintergrund vermutlich, den Abend nicht zu früh enden zu lassen. Und so geht es schon nach einer halben Stunde wieder aus dem Zelt hinaus zu den Toiletten, zum Getränkestand, zum Rauchen oder Austauschen über das Erlebte, was zwar ein ganz netter Zug und definitiv mal etwas anderes ist, den gerade aufgebauten Flow aber deutlich unterbricht. Ein bisschen schade. Nach gut einer Viertelstunde zurück auf unseren Plätzen angekommen, sehen wir den überpünktlichen Elliott Berlin, der schon geduldig mit einem Bier in der Hand an seinem Instrumentarium lehnt.
Wenige Minuten darauf geht es weiter, als ein zuerst nur nebulös dröhnender, doch sehr bekannter Beat einsetzt. Viele Fans erkennen den Song sofort und beginnen laut zu jubeln. „Send in the clowns... Send in the clowns!“, ruft LaPlegua, der jetzt ebenfalls aus dem Backstage zurückkehrt, mit einem diabolischen Lachen in die Runde. „Habt ihr jetzt auch alle eure Getränke!? Weiter!“, lautet die klare Ansage zum unschlagbaren Über-Hit „Get Your Body Beat“, welches auch rein elektronisch ohne das Schlagzeug-Duo bestens funktioniert und absolut nichts von seiner brachialen Wucht einbüßt. Mit dem finster-sphärischen „I Want Your Blood“, dem dreckigen „Fuckmachine“ und gnadenlos prügelnder Industrial-Ex à la „Today I Woke To The Rain Of Blood“ schwenkt man dann ein weiteres Mal in Richtung der etwas jüngeren Alben. Trotz der kleinen Unterbrechung machen die Fans stimmungsmäßig einfach so weiter, als wäre nichts gewesen und auch LaPlegua selbst scheint sich mittlerweile mit den doch sehr herausfordernden Gegebenheiten der 360-Grad-Location angefreundet zu haben, hechtet immerzu im Kreis umher und bezieht das Publikum mit ein. So wird die heutige Show etwa für alle Patreon-Unterstützer, die sogenannte „Combichrist Army“, über ein direkt in der Manege aufgestelltes Tablet, das der Frontmann immer wieder gerne abmontiert und damit seine Runden vor den Logen dreht, live gestreamt. Trotzdem fällt die Interaktion vor dieser besonderen Kulisse auffällig zurückhaltend aus. LaPlegua ist zwar sichtlich in seinem Element, scheut aber doch etwas den näheren Kontakt mit den ersten Reihen und bleibt meistenteils im Zentrum der Manege, was hinsichtlich der außergewöhnlichen Gegebenheiten etwas schade ist. Nichtsdestotrotz: Die brutalen Aggrotech-Gassenhauer, wie die sarkastische Persiflage „This Is My Rifle“, profitieren nach wie vor enorm vom starken Live-Gesang des energetischen Fronters, kamen die Studioversionen ihrer Zeit doch weitestgehend instrumental und lediglich mit Samples versehen daher. „Shut Up And Swallow“ und „This Shit Will Fuck You Up“ sind da eigentlich nur noch die Tropfen, die das Fass endgültig zum Überlaufen bringen. „Ich bin so ziemlich jeden Tag meines Lebens ein Clown, aber ich spiele heute zum ersten Mal in einem Zirkus... Danke, das ist großartig!“, lacht der sonst so wortkarge Sänger sichtlich erfreut über die große Zustimmung und witzelt danach über die kleine Pause: „Ich glaube, das ist die längste Zugabe, die wir jemals gespielt haben. Tanzt. Trinkt. Habt Spaß!“. Mit dem düsteren Industrial-Hammer „Without Emotions“ und dem krachigen „I Like To Thank My Buddies“ endet das exklusive Old-School-Set leider viel zu früh nach nur rund achtzig Minuten. Sehr schade, dass Berlin und LaPlegua sich trotz der momentanen Live-Flaute und sichtlich viel Spielfreude nicht noch zu der ein oder anderen spontanen Zugabe hinreißen lassen. Aber wie heißt es? Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist und das war es für alle Beteiligten mit Sicherheit allemal... Das nächste Wiedersehen lockt immerhin schon in 2022, dann hoffentlich wieder in gewohnter Kulttempel-Atmosphäre. Bis dahin!
Setlist:
01. Intro
02. At The End Of It All
03. Are You Connected?
04. Blut Royale
05. Electrohead
06. Feed Your Anger
07. Fuck That Shit
08. Get Your Body Beat
09. I Want Your Blood
10. Fuckmachine
11. Today I Woke To The Rain Of Blood
12. This Is My Rifle
13. Shut Up And Swallow
14. This Shit Will Fuck You Up
15. Without Emotions
16. I Like To Thank My Buddies
Impressionen:
Carsten Zerbe - Pixel.Ruhr / Schwarzpixel