Combichrist - „CMBCRST"-Tour - Lokschuppen, Bielefeld - 13.07.2024
Veranstaltungsort:
Stadt: Bielefeld, Deutschland
Location: Lokschuppen (Lokwerk)
Kapazität: ca. 900
Stehplätze: Ja
Sitzplätze: Nein
Homepage: https://www.lokschuppen-bielefeld.de/
Einleitung: „Bielefeld gibt es nicht!“ - Dieser mittlerweile doch ziemlich abgedroschene Running Gag ist oftmals das Erste, was einem so einfällt, wenn mal irgendwo der Name der Stadt in Ostwestfalen-Lippe auftaucht. Meine Antwort darauf lautet jedoch: „Bielefeld gibt es sehr wohl!“, nachdem ich mich im Jahr 2022 das allererste Mal für ein Live-Konzert der Mittelalter-Rock-Formation „In Extremo“ zum legendären Lokschuppen aufgemacht und dort einen wirklich wunderbaren Abend erlebt hatte. Heute wird es nicht allein nur gitarrenlastig, sondern auch elektronisch und krachig, denn das norwegisch-amerikanische Aggrotech- und Industrial-Metal-Projekt „Combichrist“ stattet Bielefeld einen seiner relativ seltenen Besuch ab! Direkt im unmittelbaren Anschluss an die lange „Only Death Is Immortal“-Tournee mit über dreißig Terminen in diversen Clubs der USA und den Release ihres neuesten Studioalbums „CMBRST“, legen die fünf Sound-Berserker im Rahmen ihrer Sommer-Reise mit achtzehn weiteren Shows in ganz Europa nach. Sechs Gigs davon finden in Deutschland statt. Neben dem exklusiven Amphi-Warm-Up „Call The Ship To Port“ auf der Kölner MS RheinEnergie, dem Gastspiel in München zum Backstage-eigenen Free And Easy Festival und einem obligatorischen Auftritt auf dem M‘era Luna in Hildesheim gibt es dieses Mal somit lediglich drei eigene Headliner-Konzerte, unter anderem in Berlin und Krefeld. Der Auftakt findet aber am Abend des 13.07.2024 im Lokschuppen Bielefeld statt. Da Krefeld mit einem Dienstag leider extrem ungünstig unter die Woche fällt und damit stark mit meinen zuweilen doch recht flexiblen Dienstzeiten konkurriert, entscheiden meine Begleitung und ich uns für den Samstag. Wie erwähnt, kennen wir den wirklich hübschen Veranstaltungsort bereits und haben den damaligen Abend noch in allerbester Erinnerung. Da ist man doch mehr als nur gerne mit dabei! Zuvor habe ich sehr freundlichen Kontakt mit Schwarzbrot Dark Event Solutions aufgenommen, welche schon seit längerer Zeit lokale Kulturveranstaltungen in und um Bielefeld herum organisiert. Da wären beispielsweise das Dark Elektro Festival im Movie, die Fright Night Parties in der Cantine oder sogar ein schwarzes Picknick am Obersee - Sehr cool! Entsprechende Agentur hat sich nun mit dem erwähnten Club, der Cantine, zum neuen Veranstalter FH Events zusammengeschlossen und so wie es aussieht, ist das heutige Konzert nicht nur der Tour-Auftakt von „Combichrist“, sondern auch das Debüt-Event jener Allianz. Wer in der Nähe von Bielefeld wohnt oder in Zukunft plant, mal das ein oder andere Konzert in Ostwestfalen zu besuchen, sollte also unbedingt den Veranstaltungskalender von FH Events im Auge behalten und die lieben Menschen hinter diesem schönen Projekt, welches zukünftig noch mehr Live-Musik aus der Szene nach Bielefeld bringen will und wird, unterstützen. In diesem Sinne: Supportet zum langlebigen Erhalt einer reichhaltigen Kunst- und Kulturlandschaft bitte eure lokalen Venues und Veranstalter, hört mehr Musik und geht vor allem (noch) mehr auf Konzerte!
Da ich ausgerechnet an diesem Samstag auch nochmal an die Schüppe musste, sitzt mir die Müdigkeit einer langen Arbeitswoche mit kleiner Überlänge zwar jetzt doch ein wenig in den Knochen, aber es gibt ja bekanntlich nichts, was ein kleiner Mittagsschlaf nicht lösen kann, oder Frisch zerknautscht, aber dafür ein gutes Stück ausgeruhter und entspannter, geht es also gegen 17.30 Uhr los in Richtung Bielefeld, wo wir rund zwei Stunden später auch sicher und ohne Zwischenfälle ankommen. Der Parkplatz des Lokschuppens ist laut Aushang bereits voll und auf die Stellplätze des bald schließenden Supermarkts davor trauen wir uns mal lieber nicht, finden aber stattdessen die Straße weiter runter eine freie Lücke. Noch eben den Weg zurück gelaufen, dann noch den kleinen Pfad hoch und schon stehen wir vor dem einladenden Eingang der Lokalität des heutigen Abends. Im gemütlichen Biergarten halten sich ein paar Fans auf und unterhalten sich angeregt, aus dem Inneren dröhnt Musik. Anscheinend hat der Support-Act schon angefangen. Nachdem wir die offen stehende Doppeltür passiert haben, wende ich mich an den freundlichen Einlasshelfer, während meine Begleitung Ticket und Tasche kontrollieren lässt. Dieser leitet mich prompt an die kleine Theke zu meiner Linken weiter, wo auch die Gästeliste ausliegt. Ich zeige der sehr hilfsbereiten Frau dahinter meine schriftliche Bestätigung auf dem Handy und plötzlich kommt noch eine weitere Person hinzu: Es ist die Veranstalterin, mit welcher ich bezüglich meiner Akkreditierung zuvor in Kontakt stand! Wir begrüßen uns und unterhalten uns kurz, ehe sie uns ganz viel Spaß wünscht. Alle hier sind wirklich sehr zuvorkommend und herzlich, sodass man sich direkt willkommen fühlt. Vielen lieben Dank an dieser Stelle nochmals für das Vertrauen, die Einladung und den persönlichen Empfang! Der uns bekannte Weg zum großen Hauptsaal, der sogenannten „Lokhalle“, ist mit ein paar Trennwänden im Gang versperrt worden, also gehen wir stattdessen links um die Ecke. Das heutige Konzert findet nämlich in den etwas kleineren Räumlichkeiten, „Lokwerk“ genannt, statt, die ihrem Pendant jedoch in nahezu nichts nachstehen. Das Angebot am Merchandising-Stand im hellen Foyer fällt vergleichsweise klein aus: Hier stehen insgesamt vier T-Shirts zur Auswahl, deren Motive allesamt bereits bekannt und via Out Of Line Shop erhältlich sind. Ein eigenes Tour- oder das neue „Children Of Violence“-Shirt gibt es leider nicht. Daneben kann hier auch das neueste Album im Digipak oder sogar in der limitierten Box-Version sowie ein weißes Shirt von Support „Antibody“ erstanden werden, der sein Set anscheinend just begonnen hat. Da wir dieses also nicht vollumfänglich mitbekommen haben, möchte ich jenen Act im Folgenden aber wie gewohnt zumindest einmal kurz vorstellen und gerne dazu anregen, reinzuhören. Also dann: Starten wir in den Abend!
Antibody:
Electro. Industrial. Hardstyle. Hardcore. Power Noise. Für die Musik von „Antibody“ gibt es gleich einen ganzen Haufen an Bezeichnungen: Das im nordrhein-westfälischen Bottrop beheimatete Ein-Mann-Projekt von und um Jan Laustroer existiert zwar im weitesten Sinne seit 2013, doch wurde der Grundstein dafür laut eigener Aussage allerdings bereits im zarten Alter von gerade einmal zwölf Jahren gelegt, als Laustroer tatsächlich auf die Idee kam, eigene elektronische Musik produzieren zu wollen! Befand er sich in den Anfängen noch auf der Suche nach seiner musikalischen Identität, sollte er mit dem Remix zum Club-Hit „Meth Face“ von „Aengeldust“ erste Bekanntheit im Szene-Underground erlangen. Auch die Mix-Arbeiten für die Kanadier von „Displacer“ oder „Binary Divison“ waren dem ebenso zuträglich, wie ein Track auf der Compilation „Endzeit Bunkertracks“ von Alfa Matrix Records. Seit 2016 steht „Antibody“ bei der DarkTunes Music Group unter Vertrag, was dem Projekt natürlich verdient einen ordentlichen Schub bescherte. Nach einigen Digital-Singles erschien mit „Opera Of Death“ 2017 dann das Debüt, welchem nur ein Jahr darauf der Zweitling „Revolution Dance“ sowie 2020 die „Sorrow“-EP folgte. Seit Frühjahr 2023 sind mit „F.Society“, „Throw The Switch“, „But Can You?“ im Feature mit Matt Hart und „Drunk“ gleich vier Vorgeschmäcker auf das mittlerweile dritte Full-Length-Album namens „Never Quite Right“ erschienen, das just im Mai diesen Jahres auf den Markt und neben vier Remixen auch neun brandneue Stücke enthält. Dazwischen einige Auftritte auf vielen namhaften Events wie beispielsweise dem Dark Dance Treffen in Mannheim, dem In Darkness Festival Duisburg, dem Unterwasser Festival im niederländischen Nobel oder auch dem Dark Fest Vol. 1 in der Matrix Bochum. Für das Resistanz Festival oder die „Ciuil Disobedience“-Tour gemeinsam mit „Vaein“ und „Red Meat“ mit Halt in Glasgow, Salford, Sheffield und London ging es sogar quer durch UK! Nach den Support-Gigs für die Label-Kollegen „SynthAttack“, „Rabia Sorda“ und „Hocico“ ist „Antibody“ auch bei der kommenden „Verboten!“-Tour von „Nachtmahr“ im November 2024 mit am Start oder eben heute als Support von „Combichrist“. Ein authentischer wie gleichermaßen beeindruckender Self-Made-Werdegang, der für die Zukunft sicher noch einiges bereithalten dürfte…
Combichrist:
Als die letzten Töne des Supports allmählich verklungen sind, gibt es einen kleinen Schlagabtausch im Lokschuppen: Die einen Gäste strömen gleich aus dem Saal hinaus, um vor dem nahenden Main Act vielleicht noch schnell an die frische Luft zu gehen oder sich ein Getränk zur Abkühlung zu gönnen, während sich die anderen Fans nun wiederum vom wirklich gemütlichen Außenbereich direkt ins Innere für einen guten Platz vor der Bühne aufmachen. Es geht ein bisschen wie in einem Bienenstock zu und das liebe Personal an den Theken hat jetzt beim Ausschenken ordentlich zutun. Dennoch geht es hier ziemlich gesittet vonstatten, da es zwar recht gut besucht, aber eben nicht zu voll ist und alle Anwesenden sehr entspannt sind - Schön! Auch wir wagen uns jetzt in den mittlerweile wieder erhellten Raum vor und sichern uns einen guten Platz an der vorderen Seite rechts. Auf der Bühne sind derweil noch zwei Roadies zugange und bereiten alles für den nahenden Gig vor. Die Vorfreude auf das kommende Konzert des amerikanisch-norwegischen Alternative-Projekts ist definitiv schon deutlich zu spüren. Viele Besucher tragen T-Shirts vergangener Tourneen und unterhalten sich untereinander angeregt über das erst kürzlich im Mai diesen Jahres veröffentlichte Studioalbum… Mit teilweise doch sehr differenzierten Meinungen dazu. Doch nicht nur in Bielefeld, sondern auch im Internet scheiden sich bezüglich des aktuellen Releases ebenso sehr die Geister, wie auch in den vergangenen Jahren, ob des musikalisch eingeschlagenen Weges, welcher zugegebenermaßen mittlerweile doch sehr weit von den einstigen Wurzeln entfernt ist. Wer den Werdegang von „Combichrist“ schon etwas länger verfolgt, wird den Wandel auf nahezu unvermeidliche Art und Weise mitbekommen haben, als sich Andy LaPlegua nach „Making Monsters“ in 2010 mit dem Videospiel-Soundtrack zu „Devil May Cry“, betitelt „No Redemption“, erstmals für eine ungewohnte Stilrichtung entschied: Bässe und Beats wurden stark zurückgefahren. An ihrer Stelle sollten fortan erstmals harte E-Gitarren eine präsente Rolle einnehmen und vier Jahre darauf die elektronischen Ursprünge mit „We Love You“ in Richtung eines hybriden Crossover-Sounds pushen. Der direkte Nachfolger „This Is Where Death Begins“ verfestigte jene Entscheidung dann bis hin zur Extreme, was teils auf harte Kritik der treuen Alt-Fans stieß. Nicht ganz zu unrecht, überwog der reine Metal-Anteil hier doch fast ausschließlich und besiegelte die zunächst eher vorsichtig angepeilte Metamorphose somit endgültig. „One Fire“ aus dem Jahr 2019 und die seit 2021 tröpfchenweise veröffentlichten Vorab-Singles, noch kürzlich zur digitalen EP gebündelt, zum erst diesjährig erschienenen neuen Album „CMBCRST“ bemühten sich wiederum um mehr Ausgewogenheit zwischen Wurzeln und Moderne. Die Hoffnung auf einen kleinen Schritt „back to the roots“ keimte… Doch es kam anders. Das aktuelle Werk rückt nämlich abermals schwere Drums und viel raue Riffs in den Vordergrund. Vielleicht sogar so dermaßen stark, wie bisher nie. Die Rezeption? Abermals geteilt. Es ist nicht von der Hand zu weisen: Die einschneidende Kursänderung der vergangenen zehn Jahre hat längst nicht jedem Fan gefallen, was die Band jedoch nicht annähernd von ihrem Tun abbringen konnte, wenngleich man sich auf den Konzerten und Festivals bisher mit einem relativ ausgewogenen Mix aus Alt und Neu noch immer erfreulich kompromissbereit zeigte, indem man so manchen Klassiker mit leicht veränderten, gitarrengerechten Arrangements in die Gegenwart überführte.
Die mittlerweile selten gewordenen Dancefloor-Klassiker aus der Ära zwischen 2005 bis 2010 fanden zuletzt im Rahmen der sogenannten „Old School Electronic Set“-Sessions wieder ihre livehaftige Darbietung, die bei den Fans so dermaßen gefragt waren, dass im Frühjahr 2023 eine eigene Spezial-Tournee durch England, Polen, die Niederlande und Deutschland geplant wurde. Mit maximalem Erfolg, denn nicht wenige der Shows meldeten schnell restlos ausverkaufte Clubs! „It‘s in my body - It‘s in my soul -All the way to the core“ ist heute Abend auf der Front vieler Shirts zu lesen. „Electrohead“ prangt in großen Lettern auf den Rücken. Auch auf meinem. Oder der charmante wie gleichermaßen selbstironische Slogan „I listened to Combichrist before they were Metal“… Doch an diesem Abend wird definitiv kein tanzbarer Aggrotech im Zentrum stehen. So viel soll an dieser Stelle schon einmal verraten sein und zeichnete sich bereits im Vorfeld nicht nur durch den zu betourenden Longplayer, sondern auch das fünfköpfige Band-Line-Up auf den Plakaten ab. Pünktlich um 21.00 Uhr gehen die Lichter im kleinen Saal des Lokschuppens schließlich aus und das hochatmosphärische Intro setzt aus den Lautsprechern ein. Es knistert und knackt. Der mystisch perlende Sound leiert leicht und lässt kurzerhand nostalgische Gefühle aufkommen. Ganz so, als hätte man gerade eben die alte VHS-Kassette eines bekannten Horror-Streifens aus den Achtzigerjahren in den Recorder geschoben und würde nun gebannt auf den flimmernden Bildschirm vor einem starren. Im fahlen Halbdunkel ist jetzt halbwegs zu erkennen, wie die vier Musiker sich vom hinten liegenden Backstage dem kleinen Treppenaufgang zur Bühne nähern und dann ist es endlich soweit: Zu wild blitzenden Stroboskoplichten und schrill aufheulenden Synthie-Schüben sprinten Schlagzeuger Dane White, Keyboarder und Bassist Elliot Berlin sowie die beiden Gitarristen Jamie Cronander und Eric13 unter viel Applaus auf die Bretter und begeben sich dann direkt auf ihre entsprechenden Positionen. Nicht mehr lange und ihnen folgt nur wenige Sekunden später Mastermind und Sänger Ole Anders Olsen, den meisten Fans wohl sicher besser unter seinem Künstlernamen „Andy LaPlegua“ bekannt. Sie alle tragen zerschlissene Kleidung, rissige Tanktops, Lederriemen oder Nieten. In den blass geschminkten Gesichtern zeichnet sich schwarze, ölig wirkende Bemalung ab. Auf LaPleguas dicker Jeansweste prangt übergroß das Band-Logo der neuen Ära. Bis auf zwei halbhohe Podeste für Schlagzeug und Keyboard sowie drei Mikrofonstative an der vorderen Front ist die Bühne arg spartanisch eingerichtet, um es vorsichtig auszudrücken. Anstelle eines imposanten Backdrops füllt ein schnöder schwarzer Vorhang den Hintergrund aus. Es gibt keine zusätzlichen Scheinwerfer und auch sonst nichts. Irgendwie merkwürdig. „Guten Abend, Bielefeld! Na, wie geht’s uns an diesem Abend?“, lächelt er verschmitzt und schon starten „Combichrist“ mit der vorletzten Single „Planet Doom“ voll durch. Sofort wird der Temporegler komplett auf Anschlag geknallt, es geht von Null auf Hundert. White drischt ohne Unterlass auf die Drums ein. Es scheppert rhythmisch-metallisch. Cornander und 13 hechten derweil mit ihren Instrumenten von der einen Seite zur anderen und lassen die harten Saiten sprechen, während der Frontmann wie wild geworden umherjagt und sich dabei die Seele aus dem Leib brüllt.
Gegenüber der erst im Frühjahr gefahrenen Club-Tour quer durch Amerika wird es heute Abend nicht nur ein paar kleine Veränderungen, sondern direkt ein komplett neues Set geben. Immerhin ist das neue Monster namens „CMBCRST“ seitdem offiziell in ganzer Pracht erschienen und will freigelassen werden! Erst am Vorabend auf dem Castle Party Festival in Polen premiert, feiert das brachial bretternde „Wolfs Eating Wolfs“ jetzt auch auf den Headliner-Shows seinen Einzug. Ein paar Fans schreien zu Beginn hörbar verzückt auf, einige Fäuste recken sich im schwer donnernden Refrain immerzu in die Höhe. Es wird brav im Takt genickt und nach dem letzten Ton geklatscht. Wirklich textsicher sind jedoch nur die Wenigsten. Das ändert sich mit der bitterbösen Industrial-Metal-Keule „Compliance“, welche immerhin seit rund drei Jahren und damit weit vor Veröffentlichung des eigentlichen Albums die Zeit dazu hatte, sich in den Ohren des Publikums zu festigen. Auch, weil der Song, der eine gute Balance zwischen Elektronik und Metal hält, seitdem schon einige Male live dargeboten wurde. Völlig zurecht, die knackige Nummer hat ordentlich Druck und funktioniert einfach. „Fuck Yeah! Wollt ihr eine verdammte Party mit uns machen!?“, fragt LaPlegua breitgrinsend. Bielefeld will. Nicht aber etwa zu einem alten Klassiker, der von manch einem Gast sicher freudig erwartet wird, sondern zum ebenfalls neuen „Children Of Violence“, Opener des aktuellen Langspielers, sowie dem Nackenbrecher „Not My Enemy“, welcher 2021 das erste musikalische Lebenszeichen nach „One Fire“ markierte. Abermals scheppern Ost-Westfalen jetzt extrem harte Riffs und Schlagzeug-Salven gepaart mit fetten Beats um die Ohren und drängen die Fans damit vereinzelt zum Headbangen. In Momenten wie diesen fällt der druckvolle Sound besonders auf… Leider nicht ausschließlich positiv. Zwar trumpft man mit einer erheblichen Lautstärke auf, die Musik dieser Art zweifelsohne für ihre entsprechende Wirkung auch braucht, bloß geht dies zulasten der klanglichen Ausgewogenheit. Viele Nuancen, Details und kleinere Variationen werden stellenweise ebenso verschluckt, wie die Stimme von LaPlegua selbst, der sich stellenweise hörbar gegen jene Wand zu behaupten versucht. Keine leichte Aufgabe für den bemühten Tontechniker. Glücklicherweise ändert sich dieser Umstand im Laufe des Konzerts noch etwas und spätere Songs sind deutlich differenzierter wahrzunehmen! Das verheißungsvolle Motto der weiter oben erwähnten Gigs im März und April 2024 ließ zunächst vermuten, dass das neue Studioalbum „Only Death Is Immortal“ heißen könnte, was ursprünglich vielleicht auch der Plan gewesen ist. Live gespielt wurde der Quasi-Titeltrack im Rahmen der USA-Shows kurioserweise nicht, dafür jedoch heute! Die schwerfällig walzende Nummer punktet eingangs mit nervös flimmernden Synthies und heavy Riffs, der mächtige Chorus lädt dann zum Mitgrölen und Abgehen ein. Erneut sind eher verhaltene Reaktionen im Publikum zu beobachten: Die Mitte und ersten zwei Reihen gehen recht gut mit, singen vereinzelt zumindest den Refrain, recken immerzu Arme und Fäuste nach oben. Ringsumher stehen allerdings viele Besucher auffällig still und nicken höchstens verhalten im Rhythmus mit. Der sich anschließende Applaus ist wohlwollend, definitiv nicht euphorisch. So ganz scheint sich „CMBCRST“ noch nicht in den Köpfen und Ohren festgesetzt zu haben, lediglich die vorherigen Singles zünden so richtig. Eskalation sieht jedenfalls anders aus.
Dies gilt nicht für den nächsten Song, denn was im Set ungewöhnlicherweise bisher komplett ausblieb, sind etablierte Hits und beliebte Alltime-Favorites aus dem breiten Backkatalog, was wahrscheinlich mit ein Grund für die zunehmende Zurückhaltung der langjährigen Fans ist. Doch jetzt ist es endlich soweit und die ersten Takte von „Electrohead“ aus dem 2007 veröffentlichten Genre-Platzhirsch „WTF Is Wrong With You, People?“ tönen angespannt knarzend aus den Boxen und sofort gibt es einen spürbaren Umschwung im gesamten Saal. Der Jubel wird lauter. Viel lauter. Es wird deutlich mehr mitgesungen, wild gehüpft und heftig getanzt, während die grell gebündelten Strahlen der Scheinwerfer ihre langen Bahnen ziehen - Bielefeld bewegt sich! Die kochende Stimmung überträgt sich von der Bühne schnell auf das Publikum und direkt wieder zurück. LaPlegua legt seine grimmige Mimik für einen Moment ab und lächelt erfreut ob des großen Zuspruchs. Immer wieder rennt und springt er wie ein Derwisch über die Bretter, doch viel der Animation braucht es gar nicht. „Ihr seht wirklich wunderschön aus!“, grinst der Sänger. Endlich auf Betriebstemperatur warmgelaufen, könnte es nach dem etwas schleppenden Start nun gerne genauso weitergehen. Auswahl bietet die Diskographie mehr als genug. Doch „Combichrist“ entscheiden sich unverständlicherweise dagegen, die gerade erst entfachte Flamme mit dem nächsten Klassiker zu einem lodernden Feuer auszubauen und legen stattdessen ohne sanften Übergang, beispielsweise durch ein länger bekanntes Hybrid-Stück von „We Love You“ oder „One Fire“ als stilistisch verwandte Schnittstelle, direkt mit einem weiteren neuen Song, nämlich dem eher schwachen „Sonic Witch“, nach. Die Kluft zwischen Oldschool und dem aktuellen Sound ist einfach zu groß und reißt den Großteil der Menge leider mehr aus der kurzen Ekstase-Phase heraus, als wirklich weiter anzuheizen. Die erst kürzlich erzeugte, steile Kurve fällt rapide ab und führt damit zum einstigen Ausgangspunkt zurück: Der harte Kern vorne feiert sowieso alles frenetisch ab, die übrigen siebzig Prozent im Saal belassen es bestenfalls beim Nicken, Zuschauen und Applaudieren. Ein Blick in einige Gesichter hinter mir offenbart jedenfalls eher geringfügige Begeisterung. Schade. Und das, obwohl die Fusion beider Welten eigentlich ziemlich gut, harmonisch und durchaus ergänzend funktionieren kann, wie „Combichrist“ auf vergangenen Tourneen oder erst vor wenigen Minuten beim Aggrotech-Klassiker „Electrohead“ mit einer logischen Anreicherung um Drums und Gitarren zeigten.
Einen ähnlichen Weg geht danach zumindest wieder das rockig groovende „Throat Full Of Glass“ von der „Making Monsters“ aus 2010, welches sich seit der Line-Up-Erweiterung 2015 in seiner geupdateten Version relativ häufig im Set befindet und auch wirklich gut darin funktioniert. Mit dem düster pulsierenden „Modern Demon“ und der metallischen Industrial-Dampfwalze „Heads Off“, übrigens beide ebenfalls wieder von „CMBRST“, geht es anschließend ohne jede Atempause weiter. Der nunmehr zwei Jahre zurückliegende Vorlauf der beiden Songs macht sich bezahlt, denn jetzt wird vermehrt mitgegangen. Das liegt nicht nur am Reifeprozess der Nummern bei den Hörern, sondern schlicht auch daran, dass diese die erwähnte Genre-Balance halten und zudem einfach starke Nummern sind, die insbesondere live viel Laune machen. Kurz darauf gibt es für rund eine Minute ohrenbetäubend tosenden Krach auf die Ohren, welchen viele Gäste anscheinend nicht zuordnen können, was ganz offensichtlich für Verwirrung im Saal sorgt. Dabei handelt es sich um den ersten Part von „Violence Solves Everything (The End Of A Dream)“, welcher in seiner knackigen Kürze mehr einem Preludium als vollwertigen Lied gleichkommt. Dieses schließt sich nämlich nahtlos mit dem zweiten Teil an, der dieses Jahr als letzte Single vor dem Release im Mai ausgekoppelt wurde. Der erbarmungslose Mix aus brettharten und melodischen Parts verfehlt seine Wirkung nicht und macht gehörig Laune, sodass nun abermals viele ausgestreckte Arme und geballte Fäuste nach oben sausen. Mit dem straight pushenden Energiebolzen „Never Surrender“ schließt dann der reguläre Teil des Sets, zu dessen Ende Elliot Berlin einen Loop am Keyboard einstellt, unter deren schrillem Sound die Fünf die Bühne zügig verlassen. Licht und Musik im Saal gehen abrupt an und viele Fans blicken zurecht etwas verdutzt drein. War‘s das etwa schon? Am Bühnenrand animiert die liebe Veranstalterin das zurückhaltende Publikum für einige Zugabe-Rufe, die mit kleinen Startschwierigkeiten auch wenig später aus den Kehlen schallen. Und tatsächlich: „Combichrist“ kehren bald zurück! „Habt ihr eine gute Zeit? Bielefeld, wir waren irgendwann schon einmal bei euch… Ich kann mich allerdings nicht mehr genau daran erinnern, wann. Ich weiß es wirklich nicht…“, lacht LaPlegua verlegen. Zu „My Life, My Rules“, dem einzigen Song von „This Is Where Death Begins“, bildet sich etwa in der Mitte des Saals ein kleiner Pit, in dem jetzt circa zehn Fans zu moshen beginnen. Einige Umstehende sind amüsiert, manch andere sichtlich genervt und suchen vorsichtshalber lieber das Weite. Die Band freut es anscheinend. Sogar ein älterer Herr mit Krücken zeigt sich von der Musik beseelt mutig und wagt sich tatsächlich in den Schubsekreis, der zum Glück ziemlich rücksichtsvoll agiert und sich immerzu gegenseitig aufhilft. Coole Sache. Als finalen Closer des kurzen Zugabe-Teils haben sich die Mannen ungewöhnlicherweise ebenfalls für kein länger bekanntes Stück, sondern für das rasende „D For Demonic“ vom aktuellen Werk entschieden. Zugegeben, einmal mehr eine ungewöhnliche Wahl…
Doch jetzt folgt die ernüchternde Überraschung: Das Licht geht endgültig an. Das war’s! Kein „Fuck That Shit“, kein „Shut Up & Swallow“, kein „WTF Is Wrong With You?“, kein „Blut Royale“ und kein „Get Your Body Beat“. Nichts davon. Dass die Spielzeit bei LaPlegua und seinen Mannen bei eigenen Konzerten meistens zwischen siebzig bis neunzig Minuten rangiert, ist den meisten Fans wahrscheinlich ebenso geläufig, wie der Fakt, an einem einzigen Abend nun einmal nicht alle Songs aus dem Portfolio spielen zu können. Auch der berechtigte Wille, allen voran die Musik der neuen Veröffentlichung promoten zu wollen, leuchtet absolut ein. Jedoch versuchen „Combichrist“ hier gefühlt mit der Brechstange nahezu vollständig auf den aktuellen Style umzusatteln und gehen dabei wie mit ihrem neuesten Werk keinerlei bis wenig Kompromisse hinsichtlich Fan-Service ein. Das ist zwar durchaus mutig, selbstbewusst und konsequent, nur fragt sich, wie förderlich dieser relativ einseitige Weg für die langfristige Akzeptanz und Festigung von „Combichrist“ 2.0 seitens der treuen Hörerschaft wohl ist. Blickt und hört man sich an diesem Abend sowie auf vergangenen Konzerten oder Festivals einmal um, wird eigentlich schnell klar, dass ein Großteil der eingeschworenen Fan-Base schon seit Mitte der 2000er dabei ist, jedoch längst nicht alle die Ausrichtung der letzten Jahre gutheißen, aber dennoch loyal bleiben. Aufgrund der alten Zeiten und Erinnerungen. Weil die Live-Shows noch immer genauso viel Spaß machen. Und weil einige Klassiker noch immer gespielt werden. Dass nun so viele Neu-Hörer aus dem Metal-Lager hinzugekommen sind, dass es sich lohnen würde, dafür so manchen Wegbegleiter auf lange Sicht mitunter zu verprellen, ist jedenfalls sehr fraglich, wenn man jetzt in nicht unbedingt wenige enttäuschte Gesichter blickt oder Gesprächsfetzen aufschnappt. Ein „Combichrist“-Konzert mit Gitarren? Gerne! Aber ohne eine Handvoll bekannter Hits und Everblacks? Jene, die fraglos ein ganzes Szene-Genre nachhaltig prägten, auf den Plattentellern der Clubs noch immer zurecht heißlaufen und im schwarzen Electro-Sektor wie eh und je gefeiert werden? Eigentlich unvorstellbar, doch heute Abend die bittere Realität. Im Biergarten lernen meine Begleitung und ich vier nette Fans kennen, die extra aus Berlin angereist sind. Sie alle fanden das Konzert „okay“, haben viele vorherige Tourneen der Band aber in deutlich besserer Erinnerung und sind doch etwas enttäuscht. Aus den Lautsprechern wird das DJ-Set aus dem Inneren übertragen, dort findet im Anschluss an das Konzert nämlich derweil die „Schwarze Nacht“, eine lokale Szene-Party, statt. Gerade hämmert „Blut Royale“ aus den Boxen. In den Gesichtern der Gäste hier draußen ist Begeisterung zu sehen, gleich mehrere Fans singen freudestrahlend mit. Irgendwie ein äußerst seltsames Gefühl, dass die für diese Reaktionen verantwortliche Band quasi gleich nebenan im Backstage sitzt… So bleibt am Ende ein grundsolider Auftakt einer neuen Album-Tour, für deren weiteren Verlauf mitunter noch ein paar Anpassungen im Set wünschenswert sind. Der gesamte Abend punktete vorrangig durch die bemerkenswert gute Location mit absolutem Wohlfühl-Charakter durch die tollen Räumlichkeiten, das überaus zuvorkommende und jederzeit freundliche Personal sowie die hervorragende Organisation eines neuen, sehr bemühten Veranstalter-Teams, welches hier spürbar viel Herzblut in diese Feuertaufe mit einem großen Genre-Vertreter gesteckt hat und damit (sicher auch in Zukunft) viel für die lokale Szene tut - Meinen Respekt und großes Kompliment dafür! Daher noch eine kleine Werbung am Rande: Im Oktober gastieren als nächste Band im Portfolio „Agonoize“ im Movie Bielefeld. Na, wer kommt vorbei?
Setlist:
01. Intro
02. Planet Doom
03. Wolfs Eating Wolfs
04. Compliance
05. Children Of Violence
06. Not My Enemy
07. Only Death Is Immortal
08. Electrohead
09. Sonic Switch
10. Throat Full Of Glass
11. Modern Demon
12. Heads Off
13. Violence Solves Everything Part I (The End Of A Dream)
14. Violence Solves Everything Part II (The End Of A Dream)
15. Never Surrender
16. My Life My Rules
17. D For Demonic Impressionen:
Carsten Zerbe - Pixel.Ruhr / Schwarzpixel