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BEITRÄGE:

AutorenbildChristoph Lorenz

Beborn Beton - Oomph! - Heldmaschine (2023)



Beborn Beton - Darkness Falls Again (2023)


Genre: Electro / Pop / Alternative


Release: 17.03.2023


Label: Prophecy Productions (Soulfood)


Spielzeit: 42 Minuten


Fazit:

Es gibt mehr als eine Art, „Beborn Betons“ neuntes Album „Darkness Falls Again“ zu hören: Es lässt sich einfach nur tanzen und als zeitgenössische Synthie-Pop-Hymnen genießen, die musikalisch fest in den goldenen 80ern verankert sind - und mit einer Prise leckerer 90er-Einflüsse serviert werden. Eingängige Melodien und ausgereiftes Songwriting verbinden sich zu einer klanglichen Spritztour. Doch „Beborn Beton“ legen ihren Finger auch auf den Puls unserer Zeit. Das Trio spricht sich lyrisch klar gegen Frauenfeindlichkeit, sexuelle Diskriminierung und Umweltzerstörung aus. „Beborn Beton“ wurden 1989 von Sänger Stefan Netschio, Keyboarder und Schlagzeuger Stefan Tillmann sowie Keyboarder Michael Wagner gegründet. Die drei Deutschen setzten sich erfolgreich zum Ziel, den Synth-Pop relevant zu halten und ihn um wichtige Inhalte zu bereichern. Nach den ersten beiden regulären Alben „Tybalt“ 1993) und „Concrete Ground“ (1994) trafen „Beborn Beton“ in ihrer neuen Label-Heimat auf namhafte Acts wie „Wolfsheim“ und „De/Vision“. Nachdem sich die Elektro-Musiker in Deutschland fest etabliert hatten, expandierten die Drei mit dem 1996 erschienenen Album „Nightfall“ ins Ausland, wo sie ebenso wie mit den folgenden Scheiben „Truth“ (1997) und „Fake“ (1999) bei Kritikern und Fans auf große Gegenliebe stießen. Spätestens mit dem im Jahr 2000 erschienenen Werk „Rückkehr zum Eisplaneten“ hatten sich „Beborn Beton“ in ihrer Szene fest als Headliner positioniert und in allen Hochburgen der elektronischen Musik rund um den Globus gespielt. Doch die anstrengenden Touren und die kreativ äußerst anspruchsvolle Veröffentlichung so vieler exzellenter Alben in kurzer Folge forderten ihren Tribut. Nachdem die Band „Tales From Another World“ (2002) vorgelegt hatte, worauf sie unter anderem eine ausgedehnte Konzertreise quer durch die USA absolvierte, legten „Beborn Beton“ eine längere Pause ein. Erst 13 Jahre später kehrten sie zur großen Freude und Überraschung ihrer immer noch zahlreichen Anhängerschaft mit einem neuen Album auf Dependent Records zurück: „A Worthy Compensation“ (2015) wurde von allen einschlägigen Magazinen wie Sonic Seducer und Orkus mit Lob überschüttet. Da „Beborn Beton“ nicht in einen unerbittlichen Produktionszyklus zurückfallen wollten, nahm sich das Trio genügend Zeit, um ein weiteres Meisterwerk zu komponieren. „Darkness Falls Again“ hat all die köstlichen Zutaten, die Synth-Pop so großartig machen: Eingängige Songs, die die Beine zucken lassen. Eine Prise Melancholie. Eine Dosis Ironie. Aber auch eine Messerspitze Wut. Und das Ganze wird mit jeder Menge an Verstand gekrönt. Willkommen zurück, „Beborn Beton“! Das mittlerweile neunte Studioalbum des Trios namens „Darkness Falls Again“ erscheint am 17.03.2023 via Prophecy Productions als Stream, Download, CD im Digisleeve inklusive Download-Code, Vinyl in Weiß oder Schwarz oder achtundvierzigseitiges Artbook mit zwei Discs inklusive Remixen und zwei Bonus-Songs.

Die Saiten einer Gitarre werden plötzlich aus dem Nichts heraus angeschlagen. Rau. Ungeschönt. Verstimmt. Ein leichter Outlaw-Touch wie in einem klassischen Western für etwa eine Sekunde, bevor sphärischer Electro im Hintergrund flimmert. Ein pochender Beat setzt ein, immerzu sich hypnotisch windend. Dazwischen immer wieder disharmonische, seltsam verquere Versatzstücke, die wie partielle Glitches kurzzeitig zu versuchen scheinen, die Grenze zwischen Realität und Traum zu durchbrechen, nur um dann wieder in den wabernden Synthies zu verschwinden… Zugegeben, „My Monstrosity“ ist schon ein ungewöhnlicher Auftakt, eröffnet dieser das neue Album doch direkt mit einer Sogkraft aus unerwarteter Schwere und balladesken Zwischentönen. Dunkel und relativ sperrig ist das alles und erinnert in einigen Momenten frappierend an „Depeche Mode“ der neueren Ära ab „Playing The Angel“. Pulsierende Synthies treffen hier auf eine schwerfällig bluesige Grundnote, die den jüngeren Arrangements eines Martin Lee Gore nicht ganz unähnlich sind. So bestellt diese atmosphärische Intro-Sequenz auf inhaltlicher Ebene schon einmal das stimmungstechnische Feld für weite Teile der kommenden Tracklist. Die erste Single-Auskopplung „Dancer In The Dark“ sorgte bei Release im Genre der elektronischen Musik berechtigterweise für einiges an Aufsehen…Und das völlig zurecht! Sowohl die herrlich kickende Bassline als auch der energetische powernd hüpfende Beat bergen einen äußerst charmanten Retro-Touch, der vehement an die Achtzigerjahre gemahnt und zusammen mit dem catchy Refrain sofort ins Blut schießt, sich aber zugleich doch als reichlich trügerisch herausstellt: Der nahtlose Übergang in den knarzend-krachigen Post-Chorus setzt kurz einen überraschenden Kontrast und auch die futuristisch jammende Gitarre im Mittelteil wirkt in diesem wilden Stil-Mosaik keineswegs unpassend, sondern verblüffend stimmig. Alles im Fluss… Was für ein genialer Flow! Electro meets Rock: „Last Chance“ zieht zwar die Intensität, nicht aber das Tempo an. Betont laszive Lyrics einen sich mit dem zuweilen typischen Sound mit deutlichem Wiedererkennungswert, dennoch erwartet den Hörer hier weitaus weniger elektronischer Pop, denn eine anspruchsvolle und recht komplexe Nummer, welche sich bis auf den eingängige Refrain doch erstaunlich weit von den Genre-Wurzeln wegbewegt, dadurch jedoch ganz besonders interessant wird. „Trockenfallen Lassen“ ist das einzige Lied der Tracklist mit rein deutschsprachigem Text, was einerseits für eine gelungene Abwechslung sorgt, der Ballade allerdings auch ein kleines Stück weit zum Verhängnis wird, stehen der sonst so anschmiegsame Gesang von Stefan Netschio und die Musik hier doch in einem leicht fremdelnden Verhältnis zueinander und wollen stellenweise einfach nicht so recht zusammenpassen, sodass die introvertierte, entschleunigt wabernde Nummer über Vergänglichkeit und Einsamkeit trotz oder gerade wegen der sprachlichen Vertrautheit irgendwie kühl und stacksig wirkt. Ebenfalls als Single auserkoren wurde „I Watch My Life On TV“, welches schwachbrünstiger als der erste Vorbote daherkommt, sich jedoch insbesondere nach mehreren Durchläufen als ziemlich solide erweist. Der stilsicher groovende Track atmet viel Oldschool-DNA, punktet mit 80‘s-Flair und hoher Tanzbarkeit. „Electricity“ hat nichts mit dem gleichnamigen Hit der britischen „Orchestral Manoeuvres in the Dark“, kurz OMD, gemein und bewegt sich stattdessen mit dreckig-frivoler Power im Mid-Tempo. Unter knisternder Spannung kommt der Blues erneut stark durch, nur leider verwässert die etwas zu glatte Ausrichtung diesen markanten Twist zu einschneidend. Etwas mehr Mut zu Ecken und Kanten hätte dem Lied wirklich gut zu Gesicht gestanden, so verbleibt es zu sehr auf Nummer sicher. Bei „Burning Gasoline“ geht es danach wieder um einiges tanzbarer zu, wenngleich Bass und Beat auch hier relativ unaufgeregt agieren und eher im mittleren, gediegenen Segment verharren, was wiederum einen stärkeren Fokus auf den Text legt… Ja, „Beborn Beton“ haben noch immer etwas zu sagen! Hier handelt es sich um einen scharfen Kommentar zu unserem Umgang mit der Umwelt und ihre mutwillig-egozentrische Zerstörung durch Menschenhand. Trotz der leichten Zurückhaltung dürfte der Song schnell zur rhythmischen Bewegung in den Szene-Clubs animieren, die Gitarre fühlt sich überdies einmal mehr sehr gut in den Sound hinein.

Für den Abschluss mit „I Hope You're Not Easily Scared“ räumt man die zweitlängste Spielzeit des Albums ein, was dem Stück deutlich mehr Raum für einen aufgeladenen Klimax gibt. Die technoid elektrisierenden Beats, die immerzu aus dem Achtziger-Gewand durchbrechen, sorgen für die perfekte Balance zwischen Vergangenheit und Moderne. Mit fortlaufender Spieldauer steigert sich der Track in allen Belangen und setzt die unvergleichliche Energie von „Beborn Beton“ frei. Auch der Refrain ist hier einmal mehr wirklich gelungen und schlägt stilistisch eine Brücke zum Vorgänger. Der atmosphärische Aufbau gipfelt dann in einem tollen Finale, das nochmals ordentlich anzieht. Es ist nicht zu leugnen: „Beborn Beton“-Fans müssen anscheinend sehr geduldige Menschen sein und wenn sie es nicht sind, so mussten sie sich zuletzt doch in Geduld üben. Ganze fünfzehn Jahre hat es zuletzt bis zum Comeback mit „A Worthy Compensation“ gedauert und auch dieses Mal schrammte die Wartezeit nur knapp an der Dekaden-Marke vorbei, verfehlte diese zur Freude der Anhänger dann aber knapp. Acht Jahre liegen zwischen einem der wohl besten Electro-Alben 2015 und dem mit viel Spannung erwarteten Nachfolger, welcher in der Standard-Ausführung mit gerade einmal acht Songs eher einer EP gleicht. Dafür greift glücklicherweise auch hier wieder das bekannte Leitmotiv: „Qualität vor Quantität“. Dabei spiegelt sich die im Titel angepriesene Dunkelheit durchaus in Text und Klang der insgesamt acht neuen Songs wieder, wenn auch reichlich anders, als man es von anderen Electro-Acts der Szene sonst so gewohnt ist. „Beborn Beton“ schlagen zwar nicht unbedingt ruhige, doch signifikant nachdenklichere Töne an und damit verbunden auch Thematiken, die weitaus mehr als die breite Standard-Kost in die Tiefe gehen. Nicht um Aufmerksamkeit buhlend oder gar aufdringlich, sondern sehr subtil, doch nicht minder wirkungsvoll… Das ist nach etwa dreißig Jahren Bandgeschichte anno 2023 nicht anders. „Darkness Falls Again“ bietet standardmäßig acht Songs, deren Großteil in eher zurückgenommenen Gefilden angesiedelt ist und so allen voran atmosphärisch und lyrisch überzeugen. Die größten Hit-Qualitäten besitzt dabei noch die gefällige Single „Dancer In The Dark“, tanzbar wird es dann auch bei „Burning Gasoline“ und „Electricity“. Immerhin gab es in den vergangenen Jahren mehr als genug unfreiwillige Inspiration für die Themenvielfalt der drei Ruhrgebietler: Umweltzerstörung, Pandemie, Politik und Krieg zeugen nach wie vor von unserer sozialen Rückentwicklung und bieten reichlich Anlass zum Nachsinnen. Es ist eine realistische Bestandsaufnahme des Status Quo: Samtschwarz, dunkel und elegant, melancholisch und gesellschaftskritisch, reflektiert und mit einer klaren Haltung gegen aktuelle Missstände, die hier niemals plakativ angeprangert, dafür aber eben mit Stil ehrlich thematisiert werden, sodass ein aufmerksames Hinhören über die bloße Musik hinaus durchaus zu empfehlen ist. „Beborn Beton“ erhalten sich also ihre Wurzeln, verschließen sich der Innovation im Kleinen jedoch gleichzeitig erfreulicherweise nicht. Auch, wenn die Spielzeit am Ende leider doch ein bisschen zu kurz ausfällt und der direkte Vorgänger zumindest gefühlt nochmal einen Tacken stärker war, ist „Darkness Falls Again“ in jedem Fall erneut eine „lohnende Entschädigung“ für acht Jahre der Durststrecke… Das nächste Studioalbum darf allerdings trotzdem gerne deutlich früher erscheinen!

Informationen:


http://bebornbeton.de

https://www.facebook.com/bebornbeton

 

Oomph! - Richter Und Henker (2023)


Genre: Metal / Alternative


Release: 08.09.2023


Label: Napalm Records (Universal Music)


Spielzeit: 55 Minuten


Fazit:

„Oomph!“ läuten die nächste Ära mit neuem Sänger ein! Die Neue Deutsche Härte-Pioniere „Oomph!“ melden sich mit ihrem 14. Studioalbum „Richter und Henker“ zurück! Mit dem Vorgängeralbum und Napalm Records-Debüt „Ritual“ (2019) erreichten sie erstmals Platz 1 der Offiziellen Deutschen Albumcharts, nachdem sie in ihrer über 30-jährigen Erfolgsgeschichte unzählige große nationale und internationale Touren sowie Festivalshows spielten. Ihr bis dato größter Hit, „Augen Auf!“ (2004), ist ein zeitloser Klassiker und jedem Rock-Fan direkt im Ohr. „Richter und Henker“ läutet mit dem ersten Line-Up-Wechsel der 1989 gestarteten Band-Historie eine neue Ära ein: Cr4p und Flux stehen ab sofort mit dem neuen Sänger Daniel „Der Schulz“ Schulz auf der Bühne. Das neue Studioalbum wurde wie gewohnt von der Band selbst produziert und aufgenommen. „Richter und Henker“ ist ein klares Statement, dass „Oomph!“ in neuer Formation stärker denn je zurück sind und ihren Weg geradlinig weiterverfolgen - So präsentieren sich die Niedersachsen musikalisch auf höchstem Level und lyrisch gewohnt meinungsstark, bissig und kritisch. Mit einer starken Industrial-Dosis versetzt, setzt der Album-Opener „Wem Die Stunde Schlägt“ direkt ein Zeichen: „Totgesagt, doch stehen noch - Verdammt, wir leben immer noch!“. Der Titeltrack „Richter Und Henker“ fängt den Hörer mit der perfekten Symbiose aus eindringlichen Gitarren-Hooks und Gesang ein, während zum Rundumschlag gegen unreflektierte und ignorante soziale Bewegungen ausgeholt wird. New-Wave-Einflüsse finden sich in der groovenden Anti-Kriegs-Hymne „Nur Ein Mensch“ - Ein zukünftiger Hit und ein starkes Zeichen gegen Kriegstreiberei, Hass und Krieg forcierende, leere Parolen. Kein Geringerer als Genre-Idol Joachim Witt unterstützt die Band auf „Wut“. In 34 Jahren haben sich „Oomph!“ als eine der einflussreichsten Bands Deutschlands etabliert, die unzählige Künstler, wie unter anderem die Genre-Giganten „Rammstein“ inspiriert haben. Mit „Richter Und Henker“ beweisen die Vorreiter der Neuen Deutschen Härte, dass sie auch nach dem ersten Besetzungswechsel der Karriere an der Spitze des Genres thronen… „Richter Und Henker“ erscheint am 08.09.2023 via Napalm Records als Stream, Download, Digipak und 2-LP. Exklusiv über den Label-Shop sind zudem verschiedene Konfigurationen für alle besonders treuen Fans erhältlich: Neben einem exklusiven Bundle aus CD und T-Shirt ist hier etwa auch die sogenannte „Die-Hard“-Edition mit transparenter Doppel-Vinyl in marmoriertem Rot-Schwaz inklusive Slipmat und Record Butler erhältlich oder die auf dreihundert Einheiten limitierte Deluxe-Box. Diese enthält neben dem klassischen Digipak eine Tasche, einen Hangman-Block mit zwei Stiften und ein Paar Logo-Socken in einer gebrandeten Holztruhe.

Veränderungen sind ja bekanntlich immer so eine Sache. Sie können ab und an durchaus guttun und viel frischen Wind bringen, ungeplant aber auch gleichwohl binnen kürzester Zeit alles zum Einsturz bringen… Bei festen Gewohnheiten verhält es sich dann relativ ähnlich: Nicht immer müssen sie ausnahmslos gut und die einzig wahre Option sein, können irgendwann langweilen oder sogar schaden. Ebenso wenig müssen sie jedoch per se negative Folgen hervorrufen, können eine Konstante sein und Sicherheit bedeuten. Es ist wahrlich ein komplexes und fragiles Konstrukt, welches oftmals nur sehr schwer zu aller Zufrieden- und Ausgewogenheit auszutarieren ist. Veränderungen und das damit einhergehende Abweichen von Gewohnheit innerhalb einer Band ist allerdings nochmal ein ganz andere Baustelle. Insbesondere dann, wenn diese schon seit über dreißig Jahren besteht, komplett aufeinander eingespielt ist, einen signifikanten Stil innehat und eine große Fan-Base vorweisen kann… Und es sich bei einem Wechsel dann gleich auch noch um den Sänger handelt. Also ausgerechnet das charakteristische Aushängeschild, welches einen großen Teil der nach außen getragenen DNA ausmacht. Derartige Abschiede sind immer schmerzlich, ob einvernehmlich oder unfreiwillig, ob für die Musiker oder die Fans. Die einzige Option in diesen Momenten: Stillstand oder Neuland. Nachdem „Oomph!“ im Herbst 2021 die Trennung von Gründungsmitglied und Frontmann Stephan „Dero Goi“ Musiol bekanntgegeben haben, hagelte es demnach natürlich zahlreiche traurige und enttäuschte Kommentare, doch war angesichts des im offiziellen Statement zwar nicht näher genannten, doch unter interessieren Fans längst bekannten Hintergrundes, auch überraschend viel Verständnis für den Split zu lesen. Lange war es ein gut gehütetes Geheimnis, wer den Platz von Goi einnehmen würde. Ein in der Szene bereits bekanntes oder doch eher unbekanntes, ja, völlig neues Gesicht? Vielleicht sogar eine Sängerin? Die Antwort konnte zwar längst nicht alle, doch immerhin viele Wogen zu glätten, denn den Platz hinter dem Mikrofon nimmt ab sofort „Unzucht“-Stimme Daniel „Der Schulz“ Schulz ein, der nicht nur Erfahrung mit dem vertonen harter Gitarrenmusik, sondern auch eine ziemlich kraftvolle und gleichzeitig doch sehr melodische Stimme hat. Den Anfang macht die mit viel Spannung erwartete Vorab-Single „Wem Die Stunde Schlägt“: Auf die finster schabende Intro-Sequenz folgt ein stylisch verzerrtes, dreckiges Signature-Riff der sehr prominent eingesetzten E-Gitarre, welche hier den Startschuss zu diesem straighten Mid-Tempo-Rocker gibt und sofort für den typischen Trademark-Sound ab der Schaffensphase im Jahr 2004 sorgt. Die von Drums und atmosphärischen Synthies ausgefüllten Strophen, in denen Schulz mit dunkler Stimme eher melodisch spricht als wirklich singt, folgen einem relativ simplen Paarreim-Schema mit aufeinander aufbauenden Wortspielen. Im catchy Refrain setzt er seine Stimme hingegen kraftvoll gepresst ein, vor allem gibt es viel typische „Wir sind immer noch da und wieder zurück“-Attitüde. Der Sound ist soweit altbekannt, es oompht ordentlich. Zugegeben, die neue Stimme bedarf doch einer kurzen Gewöhnung, fügt sich dann jedoch harmonisch ins Gesamtbild ein. Der Song geht zwar gut ins Ohr und bringt einen gewissen Drive mit, bleibt, da interessante Höhepunkte oder unerwartete Wendungen aber ausbleiben, am Ende recht unspektakulär. Diese Feststellung könnte man so oder so ähnlich auch auf viele weitere Songs anwenden: Der gesellschaftskritische Titeltrack wird etwa durch eine verwegene Western-Gitarre eingeleitet, die auch danach in den Strophen noch nebulös groovt und einen Hauch von Outlaw-Atmosphäre versprüht, bis die aggressive Bridge mit knappen Shouts plötzlich aufdreht, nur um in einem viel zu seichten, leicht unbeholfen wirkenden Chorus zu münden. Dieser gefällt zwar mit dem netten Wortspiel „Die Dichter und Denker sind nicht mehr zu sehen. Nur Richter und Henker!“ und trifft den aktuellen Zeitgeist, ist aber bei weitem viel zu zaghaft, um sich lyrisch oder musikalisch in die Offensive zu trauen. Auch die dritte und vorerst letzte Single „Nur Ein Mensch“ schlägt leider in dieselbe Kerbe. Auf die elektronisch blubbernde Synthie-Einleitung folgen ein ordentlich drückendes Schlagzeug und knurrendes Riff, das tatsächlich zu den besten gehört, die das gesamte Album zu bieten hat! Nur kann sich die eben noch aufgekommene Power nicht einmal annähernd halten, wenn bereits die folgende Strophe das Tempo gleich wieder herausnimmt. Die wichtige Message, die sich klar und humanistisch gegen Krieg im Namen feiger Obrigkeiten und das sinnlose, gegenseitige Töten auf dem Schlachtfeld positioniert, ist natürlich sehr löblich und könnte wohl aktueller nicht sein, ist jedoch genauso alles andere als neu und wurde schon auf dem Vorgänger mit „Tausend Mann Und Ein Befehl“ deutlich überzeugender vertont. Bei „Oomph!“ spielte auch die Liebe schon immer eine tragende Rolle, die demnach mit mindestens einem Lied pro Album bedacht und in all ihren verschiedenen Facetten, zumeist natürlich den Schatten- und Kehrseiten, beleuchtet wurde. Auch auf „Richter Und Henker“ geht es um die Liebe. Oft. Wirklich sehr oft. Wahrscheinlich so oft, wie niemals zuvor. Es geht um Enttäuschungen, emotionale Luftschlösser, betrogene Gefühle, gebrochene Herzen, Lügen, Intrigen und toxische Gefüge - Die gesamte Palette, also. Als da wären: Das vor lauter Enttäuschung sprühende Trennungsmanifest „Soll das Liebe Sein?“, die schwerfällige, desillusioniert tönende Halb-Ballade „Nichts Wird Mehr Gut“ und die trotzige Abrechnung „Sag Jetzt Einfach Nichts“. Was sie eint: Sie alle pendeln irgendwo zwischen Mid-Tempo, kurzen Eruptionen zu kräftigeren Passagen und einem eingängigen, melodiös aufgezogenen Refrain. Das standardisierte Drum-Muster bleibt oft überraschungsarm und trägt sich berechenbar durch die gesamte Spielzeit fort, die E-Gitarre bringt weiterhin das bekannte „Oomph!“-Flair ein, während dazwischen Keyboard-Sounds und vertraute Samples immerzu in NDH-Manier flimmern, flackern, fiepen und knarzen. Nichts eckt hier an, alles ist geradlinig, gewöhnlich und in vielerlei Hinsicht gleichförmig.

Die einzig reinrassige Ballade des Albums, „Wo Die Angst Gewinnt“, schlägt thematisch in eine ähnliche Kerbe, erzählt von emotionaler Entfernung, Distanz und Einsamkeit, weiß aber immerhin durch eine wirklich schöne Melodieführung im Refrain zu gefallen, die den emotionalen Ton gut unterstreicht. „Schrei Nur Schrei“ bricht dann erstmals wirklich mit dem bislang exerzierten Duktus und legt gleich mit Stakkato-Schlagzeug, dramatischen Synthie-Chören und brachialem Riffing los, wie man es von „Oomph!“ bis zuletzt kannte. Generell hat der Aufbau mit seinen zahlreichen Wechseln in Stimmung, Tempo und Details weit mehr an Abwechslung zu bieten, als noch viele der vorherigen Nummern. In den lauernden Strophen schlüpft Schulz etwas bemüht in die Rolle des lyrischen Ichs, das rücksichtslos seine Macht ausnutzt. Es geht um Dominanz, Kontrolle und Ausbeutung in einem emotionalen Abhängigkeitsverhältnis und ungleichen Gefälle. Typisch NDH. Ob jenes hier etwa rein auf die sexuelle Ebene und zwischenmenschliche Beziehungen allgemein gemünzt oder nicht noch weiter gefasst werden kann, bleibt dem Hörer überlassen. Generell sind überraschend viele Texte ziemlich allgemein gehalten und lassen damit viele Interpretationen zu. Ob aus Zurückhaltung, Doppelbödig- oder Bequemlichkeit, muss hier vermutlich jeder für sich selbst entscheiden. In der von rhythmischer Percussion bestimmten Lügner-Ode „Es Ist Nichts, Wie Es Scheint“ erinnert Daniel Schulz mit seiner tiefen Stimme für einen kurzen Moment überraschend stark an Goi, „All Die Jahre“ rockt sich danach melancholisch in Richtung Power-Ballade. Das einzige Feature auf dem aktuellen Album ist „Wut“ mit Altmeister Joachim Witt: Hier trifft schrill heulende Elektronik auf raue Riffs, die Strophen teilen sich die beiden Sänger zu gleichen Anteilen. Die beiden Stimmen harmonieren durchweg gut miteinander, wenngleich auch dieser Song leider nur mit angezogener Handbremse fährt. All der Pathos und die glatte Hochglanz-Produktion können nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf „Richter Und Henker“ oft inhaltliche Armut herrscht, welche die Frage lässt, ob das Trio wirklich keine anderen Themen gefunden oder doch einfach nichts mehr zu erzählen hat? Ein etwas untypisches, dafür aber umso gelungeneres Schlusslicht markiert dann schließlich das finale „Ein Kleines Bisschen Glück“, welches den mechanisch durchgetakteten Hamsterrad-Rhythmus und die Monotonie des alltäglichen Lebens, falsch gesetzte Prioritäten, in diesem Zuge verstreichende Zeit und unser aller Vergänglichkeit thematisiert. Textlich wirklich gut ausgearbeitet, schleppt sich das Stück über weite Strecken mit seinem düster schleichenden Electro voran, welcher die getragene Stimmung perfekt unterstreicht. Später folgen noch ein klagender Chor und Blechbläser-Einsatz. Während „Unzucht“ lyrisch das Innere und Zwischenmenschliche forciert, standen bei „Oomph!“ schon immer auch weitaus provokantere Thematiken im Vordergrund, wenn sie zynisch Kritik an Gesellschaft und System übten und dabei oft sehr viel plakativer, direkter und rauer vorgingen. Diese kühle Unbarmherzigkeit, das Schaurig-Makabre mit Hang zum fast schon Psychopathischen, fehlt hier nahezu komplett und wird höchstens im sehr bemühten „Schrei Nur Schrei“ versucht. Damit einher geht auch, dass sich jene vorsichtige Herangehensweise vor allem auch musikalisch weitestgehend widerspiegelt: Das neu zusammengefundene Trio verbleibt bei den zwölf Tracks fast ausnahmslos im mittleren Tempo, die Strophen werden mit düster belegter Stimme gesprochen, die Bridge gerne gepresst geshoutet und der Refrain löst dann melodiös auf, wodurch die meisten Songs viel zu weich und harmlos daherkommen. Ein paar echte NDH-Bretter mit Nachdruck und Dampf unter der Haube fehlen fast komplett. Kurz: „Oomph!“ sind 2023 in vielerlei Hinsicht überraschend zurückhaltend, was stellenweise zwar recht angenehm ist, da man sich somit nicht, wie sonst im Genre gerne üblich, gekünstelt und zu gewollt inszeniert, im direkten Vergleich zu früheren Werken allerdings erschreckend wenig im Gedächtnis bleibt. Um etwaigen Mutmaßungen gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: An der Wahl des neuen Sängers liegt es jedenfalls nicht oder zumindest nur bedingt. Daniel Schulz leistet durchaus einen ziemlich guten Job und dieser ist wahrlich kein einfacher! Wohlwissend, dass man es als Nachfolger bei den Fans einer so lang etablierten Band extrem schwer haben wird, versucht er glücklicherweise gar nicht erst, Goi stimmlich nachzueifern oder ihn dreist zu kopieren, macht es sich allerdings auch nicht zu einfach und formt hier kein „Unzucht“ 2.0 aus den Braunschweigern. Im Gegenteil: Schulz verfügt durchaus über das passendes Timbre, ist unbeabsichtigt stellenweise gar nicht so weit von seinem Vorgänger entfernt und gibt sich generell deutlich hörbar viel Mühe, mit seiner Stimme einen zum Sound passenden Mittelweg zwischen Vermeidung der „Oomph!“-Vergangenheit und unzüchtigem Tagesgeschäft zu finden, ohne sich dabei verkrampft zu verbiegen. Diese Art der Quasi-Neuerfindung ist sicher alles andere als leicht und verdient höchsten Respekt. Das Vorhaben geht auf, nur gelingt es Schulz nicht, zuweilen authentisch in die Rolle des düsteren Erzählers oder des bösen lyrischen Ichs und all der sonst besungenen Ungeheuer zu schlüpfen, weswegen man derartige Stücke bis auf wenige Ausnahmen vermutlich auch ausgelassen hat. Prinzipiell liegt es also viel mehr an den Songs an sich, die zwar stets solide, gewohnt professionell und bewusst ohrwurmig arrangiert worden sind, allerdings zu sehr im Fahrwasser des Gewöhnlichen schwimmen. Ganz nüchtern betrachtet, sind die ehemaligen Genre-Vorreiter, die anscheinend einfach nicht müde werden, bei jeder nur erdenklichen Gelegenheit ihren Status als einstige Inspirationsquelle für das große „R“ aus Berlin zu erwähnen, rein musikalisch gesehen bereits seit Jahren nur noch solide Standard-Kost, die sich mitnichten von den übrigen NDH-Kollegen abhebt, sondern diesen in vielen Momenten sogar uninspiriert und antiquiert hinterherhinkt. Daran ändert auch „Richter Und Henker“ nichts, dessen spannendste und einschneidendste Neuerung einzig der unfreiwillige Wechsel des Sängers ist. Unterm Strich ist es zu wenig Mut und Wagnis, zu wenig Abwechslung und insbesondere zu wenig Biss, dafür aber zu viel kalkulierte Nummer Sicher, die „Oomph!“ hier aufbieten. Vielleicht auch, um ihre Fans nicht gleich in allen Belangen zu überfordern und stattdessen erst in kleinen Schritten das neuerliche Fundament zu festigen? Prinzipiell ist mit der Neubesetzung nämlich genug gutes Potential für die Zukunft vorhanden, aus welchem auf einem Nachfolger hoffentlich noch sehr viel mehr herausgeholt wird. Es bleibt also spannend…


Informationen:

https://www.oomph.de https://www.facebook.com/oomphband

 

Heldmaschine - Flächenbrand (2023)


Genre: Rock / Alternative


Release: 29.09.2023


Label: MP Records


Spielzeit: 56 Minuten


Fazit:

Endlich ist der lang ersehnte Nachfolger von „Im Fadenkreuz“ da! „Heldmaschine“ kommen endlich mit dem „Flächenbrand“… Aber sind sie Feuerlöscher oder doch eher Brandstifter? „Flächenbrand“ ist das sechste und neueste Studioalbum von „Heldmaschine“ und beweist, dass die Jungs immer noch auf der Höhe ihres Könnens sind. Deutscher Industrial Metal vom Feinsten. Der Name ist Programm und die Koblenzer Band legt noch einen drauf. Neue Songs und neue Showelemente lassen Großes erwarten. Die Band steht seit ihrer ersten neuen Single inklusive Video „Sucht“ bereits ungeduldig in den Startlöchern und kann es kaum erwarten, im Oktober 2023 loszuziehen, um den „Flächenbrand“ zu bekämpfen. Oder befeuern sie ihn gar zusätzlich? Die bereits legendäre „Heldmaschine“-Show mit ihrem unverwechselbar wuchtigen Sound ist nun das Fundament einer neuen Epoche der Band. Zu ihrem eigenen „Maschinengipfel“-Festival lud sich die Band im Sommer gute Freunde ein: Mit „Diary of Dreams“, „End of Green“ und „Versus Goliath“, die als Special Guest auf der kommenden Tournee dabei sein werden, rockten „Heldmaschine“ die Festung Ehrenbreitstein am Deutschen Eck in Koblenz. Ihre unvergleichliche Live-Energie wird auch die anstehende Tour zu einem einbrennenden Erlebnis machen. „Heldmaschine“ unterstreichen mit ihrem neuen Showkonzept, schlicht eine der besten Live-Bands des Landes zu sein. So rockten sie zuletzt unter anderem das Amphi sowie das Black Castle und auch das M'era Luna Festival! Das bereits vorab veröffentlichte „Lockdown“ entstand natürlich unter Corona-Einfluss und eröffnet das musikalische Tagebuch einer Band, die den Kampf nie aufgegeben hat - trotz aller Widerstände und Tiefschläge der letzten Jahre. Aber diese letzten Jahre waren für alle hart und „Heldmaschine“ haben ja „Das Argument“. Einen Song, den Sänger René Anlauff live sehr wirkungsvoll mittels Laser-Megafon performt. Sie sind keine „Übermenschen“, aber ein bisschen „Bestie“ schon irgendwie... Und am Ende dieses „Flächenbrand“, in dem wir ja alle stecken, bleibt die große und uralte Frage „Sein Oder Nicht Sein“!? Haben „Heldmaschine“ die Antwort? Sicher nicht. Aber sie stellen mehr Fragen, auf die sie selber noch keine Antwort haben. Das dürfte uns allen so gehen. Ob wir es nun zugeben können oder nicht… „Nach dem größten Flächenbrand bleibt die Musik unser Band!“… Das neue Album hängt die Latte nochmals deutlich höher - Nämlich da, wo die „Heldmaschine“ hingehört. Dem Fadenkreuz entkommen, entfachen „Heldmaschine“ nun den „Flächenbrand“! Das neue Studioalbum der Koblenzer NDH-Durchstarter erscheint am 29.09.2023 als Stream, Download, im klassischen Digipak und als streng auf zweihundert Einheiten limitierte Fan-Edition in einer Blechbox, welche neben dem Album auf CD auch ein handsigniertes Postkarten-Set, ein „Es Brennt“-Feuerzeug, eine Logo-Sonnenbrille, einen Mini-Flachmann im Kanister-Design und eine Festival-Gürteltasche enthält.

Düstere Sound-Flächen breiten sich langsam aus und hüllen die einstige Stille vollends wie ein schwarzer Schleier ein, bis plötzlich grelle Synthies flackern und nur wenig später Schlagzeug, Bass und raue Gitarren zu einem geradeaus rockenden, von geisterhaften Chorälen untermalten Mid-Tempo-Mix kicken: Das schon während der Pandemie digital veröffentlichte „Lockdown“ eröffnet den „Flächenbrand“ und nimmt damit nicht nur seinen mehr als nur verdienten Platz auf einem Fulltime-Release ein, sondern den Hörer auch mit auf eine Reise in die noch gar nicht so lang zurückliegende Vergangenheit, in der die Welt mit einem Mal still stand. Leider hat der Inhalt absolut nichts an Aktualität verloren, denn noch immer leidet die Branche schwer an den Corona-Spätfolgen. Anders, als viele in dieser Periode entstandenen Stücke, die geradezu banal Hoffnung und Zusammenhalt beschwören wollen, sind die pure Enttäuschung, schier ratlose Verzweiflung und tobende Wut hier ungeschönt ehrlich aus jeder einzelnen Textzeile herauszuhören, treffen das Gefühl dieser Zeit perfekt und machen die „Heldmaschine“ damit zum Szene-Sprachrohr für alle Kulturschaffenden und diesen Song zur Hymne der scheinbar Vergessenen. Mit dem nachfolgenden „Monoton“ verneigen sich „Heldmaschine“ musikalisch ganz tief vor den stilprägenden Achtzigerjahren und zugleich deutlich hörbar ein weiteres Mal vor einer ihrer größten Inspirationen: „Kraftwerk“. Getreu ihrem Titel birgt die doch etwas unkonventionell aufgezogene Nummer eine extrem kühle und geradezu trostlos-ausweglose Atmosphäre, welche neben den überraschend im cleanen Gesang intonierten Zeilen insbesondere durch die kalt klirrenden Synthies erzeugt wird. Obwohl die Maschinisten der Integration von synthetischen Klängen in ihren Sound niemals abgeneigt waren, ist nun sehr überraschend, dass sich dieser Song erstmals rein elektronisch präsentiert! Mit viel Bass und einem treibenden Minimal-Beat zielt man hier ganz klar auf den schwarzen Szene-Dancefloor ab und lädt zum melancholischen Weltenschmerz-Tanz im Sog des Future-Pop. Können wir der Distanz und Einsamkeit durch die weiter zunehmende Digitalisierung einer sich im steten Wandel scheinbar immer schneller drehenden Welt überhaupt noch entkommen? Narzissmus und Entmenschlichung durch die Expansion der (a)sozialen Medien werden dann auch im anschließenden „Übermensch“ thematisiert: Parallel zu den rasend schnellen, ja, geradezu gehetzt intonierten Strophen, in denen sich Anlauff mit allerlei abgedroschenen Phrasen in die Rolle eines mediengeilen Influencers begibt, zeugt auch die Musik selbst von einem durchweg hohen Tempo. Der schwarzhumorig augenzwinkernde Refrain nimmt sich da keineswegs aus und lädt sowohl zum Mitsingen als auch Kopfschütteln ein. Wortwörtlich. „Zahlen machen Leute…“. Das verheerende „Stumme Schreie“ wird von einem stampfenden Rhythmus und ungemein dreckig groovenden Riff dominiert, dazwischen sorgt eine verfremdete Mundharmonika für dezentes Outlaw-Feeling. In den gesprochenen Strophen regieren hingegen Gitarre und fiepende Electro-Salven. Der Bass steigt mächtig an, darüber legt sich sodann Anlauffs finster beschwörende Stimme zum unheilvoll schwelenden Refrain - Top! Ein horroresker Einstieg aus verstörenden Sound-Fetzen, der den Hörer sogleich in eine bedrohliche Stimmungslage versetzt, ist danach das Rezept für das ebenfalls vorab veröffentlichte „Hast Du Angst?“, in welchem exakt jene in all ihren unterschiedlichen Facetten besungen wird. Dabei zeigt sich die instrumentale Ausgestaltung voll schleppender Schwere über weite Strecken ungewohnt zurückhaltend und bewusst reduziert. Der Fokus liegt also viel mehr auf den beschreibenden Lyrics und einer sich langsam steigernden Atmosphäre, bis diese im Chorus dann etwas aufgebrochen wird. Dieser Ansatz ist also ein deutlich differenzierter, in rein melodiöser Hinsicht fällt die Ode an die Furcht damit leider ein wenig ab und zählt so zu den schwächeren Titeln. Ganz im Gegensatz zum wuchtigen „Das Argument“, das vielen Fans bestimmt schon von den vergangenen Konzerten her ein Begriff ist. Zu wild zuckenden Beats ballern Schlagzeug und Gitarren hier herrlich brachial aus den Boxen und sorgen für einen enorm druckvoll pumpenden Sound, der einfach nur mächtig Laune macht. Das Arrangement erinnert in seiner wechselhaften Rhythmik aus knurrenden Gitarren in den Strophen und totaler Eskalation im Hauptteil stark an das großartige „Sexschuss“ vom „Himmelskörper“-Album aus 2016 und gibt sofort heftig Gas. Getreu der irrtümlichen Prämisse „Wer laut redet, der hat Recht!“, begibt sich René Anlauff zwischen die zerrütteten Fronten der verkommenen Diskussionskultur und beleuchtet auf zynische Weise, dass in der Gesellschaft schon lange kein Austausch auf Augenhöhe mehr stattfindet. Kein Mittelweg mehr, nur noch Schwarz oder Weiß. Wer nicht der eigenen Meinung ist, wird prompt zum Todfeind erklärt. Der kräftige Mitgröhl-Refrain nebst verzerrter Shouts und Vocoder-Einsatz markiert dann das absolute i-Tüpfelchen auf diesem kernigen Up-Tempo nach Maß! Nicht minder sozialkritisch danach auch „Tunnelblick“, welches sich musikalisch allerdings weitaus mehr zurücknimmt und inklusive einiger sehr klassischer HM-Elemente im eher gemäßigten Tempo treibt, sodass man hier fast schon von einer Halb-Ballade über die Scheuklappen dieser Gesellschaft sprechen kann. Lediglich die Strophen entwickeln gewissen Auftrieb, doch Message und Melodie stehen hier klar im Vordergrund, was auch durch den schwelgerischen Refrain umso mehr transportiert wird, der für eine gut balancierte Dynamik sorgt. Einer der erklärten Höhepunkte ist jedoch die „Bestie“: Zwar schlägt die kurze Intro-Sequenz im Dark-Ambient-Style mit ihren verqueren Spieluhr-Klängen erst noch in die gleiche beklemmende Atmosphäre-Kerbe, wie bei „Hast Du Angst?“, doch schon bald lösen angespannt flimmernde Synthies ab und katapultieren die Nummer in die gegensätzliche Marschrichtung. Sofort treiben Gitarren erbarmungslos voran, bald noch untermauert von symphonischen Versatzstücken, was eine schier unbändige Power entfesselt. Auch die Bridge peitscht das Tempo mehr und mehr in neue Höhen, um bald in einem nicht minder epochalen Chorus aufzugehen.

Die „Sucht“ ist dann ebenfalls so ein Kandidat, der schon auf der vergangenen Tour live vorgestellt und gemeinsam mit den Publikum zelebriert worden ist. Und genau das ist es doch, was uns allen in den vergangenen Jahren so sehr gefehlt hat, oder? Musik und Zusammenkunft. In echt und in Farbe. Gemeinsam. Jene wechselwirkende Abhängigkeit zwischen Fans und Band ist nun auch die treibende Thematik, rein inhaltlich liegt hier also ein „Wir Danken Euch“ 2.0 vor. Die mystisch flimmernde Electro-Melodie fräst sich zügig in das Gehör, während die Strophen von Anlauff geheimnisvoll geflüstert werden. Der konträr dazu gesetzte, kraftvoll-leidenschaftliche Power-Refrain offenbart dann maximal großes Hymnen-Potential. Ein Musik gewordenes „Dankeschön“ an die treue Anhängerschaft, welche dieses auf den kommenden Konzerten nur allzu gerne und lautstark zurückgeben dürfte! „Sein Oder Nicht Sein“? Das ist hier die Frage! Das weltberühmt-berüchtigte Zitat aus William Shakespeares Tragödie „Hamlet“ steht Pate für den Titel der nächsten Nummer und das ein oder andere Wortspiel in ebendieser. Sinnfragen prallen auf kämpferische Mittelfinger-Attitüde, fiepende Synthie-Sprengsel auf toughe Riffs und dröhnende Amboss-Schläge. Der heroische Refrain animiert sofort zum Mitsingen und beschwört den unbeugsamen Willen der Maschinisten durch alle Widrigkeiten hindurch. Der brandheiße Titeltrack punktet mit typischen den Trademarks und führt aufheulende, grelle Synthies zu druckvoll satten Drums und rockenden Riffs ins Feld, um den „Flächenbrand“ im mittleren Tempo zu entfachen. Gemessen an seiner Betitelung hätte der Song zwar gerne noch ein wenig mehr Nachdruck und Härte innehaben können und auch Überraschungen oder nennenswerte Twists gibt es hier keine, dafür macht die Nummer aber doch ziemlich viel Laune! Für den Bonus-Track, der durch seine extra aufgeführte Zusatzbezeichnung losgelöst vom Rest des Albums zu betrachten ist, hat man sich den 80‘s-Hit „Where Is My Mind“ der US-Rocker „Pixies“ ausgesucht und setzt damit die kleine Tradition fort, den eigenen Idolen ein musikalisches Denkmal zu setzen. Sphärische Kinderchöre und Akustikgitarre lassen Unplugged-Flair aufkommen und kreieren zu Beginn eine introvertierte Stimmung, die Wehmut versprüht. Wenngleich nur einige Sekunden darauf auch schon Schlagzeug und E-Gitarre wieder einsetzen, bleibt die warme, Introvertierte Stimmung bestehen und trägt sich durch die knapp vier Minuten hindurch. Eine sehr schöne und respektvolle Interpretation und ein ebenso schöner Abschluss! Beim Hören des neuen Albums kommt man nicht umhin, schnell festzustellen, dass ein Löwenanteil der insgesamt zwölf Songs wohl während der um sich greifenden Pandemie entstanden sein muss. Düster und manchmal auch melancholisch ist die musikalische Grundausrichtung. Kritisch, zynisch und gerne auch mal trotzig die thematische Auswahl. So prangern die fünf Maschinisten gleich zu Beginn das Leidwesen aller Kulturschaffenden an, verlieren sich in der hoffnungslosen Schnelllebigkeit einer zunehmend digitalisierten Welt, wetzen die Messer gegen die schamlose Rücksichtslosigkeit und Sensationslust der Influcencer, schießen gewohnt schwarzhumorig gegen laut krächzenden Wutbürger und egozentrische Rechthaberei und loten die dunkelsten Facetten unserer tiefsten Urängste aus, zeigen sich dem Bühnen-Dasein und ihren Fans gegenüber jedoch auch äußerst wertschätzend und blicken bei all der Dystopie mit einem nicht zu verachtenden Hoffnungsschimmer kämpferisch entgegen, wenn aus der Asche dann endlich Neues entstehen kann… Und genau das ist mit „Flächenbrand“, dem sechsten Studioalbum von René Anlauff und seinen Mannen, nämlich auch geschehen! So knüpft der Fünfer hier quasi nahtlos an die spätestens mit „Himmelskörper“ formvollendet etablierte und bei „Im Fadenkreuz“ logisch weitergeführte Sound-Evolution an und spinnt jenen Faden nun äußerst konsequent weiter. Dabei haben die sympathischen Koblenzer mit den bereits zuvor veröffentlichten „Lockdown“ und „Sucht“ oder dem epochal rockenden „Bestie“ auch dieses Mal wieder ein paar wirklich bärenstarke Songs mit zukünftigem Klassiker-Potential im Köcher, welche sich bestimmt größter Beliebtheit erfreuen dürften. Dazwischen bieten „Übermensch“, „Stumme Schreie“, „Das Argument“, „Tunnelblick“ und „Sein Oder Nicht Sein“ hingegen klassische HM-Kost von bewährter Qualität, die so ziemlich alles mitbringt, was sich der Fan wünscht. Die rein elektronisch geprägte Achtziger-Verneigung „Monoton“ erweist sich dann als gewagtes, doch überaus geglücktes Experiment und das „Pixies“-Tribute „Where‘s My Mind“ als die wirklich charmante Cover-Version eines bekannten Hits alter Jugend-Heroen. Auch wenn (subjektiv) angemerkt werden muss, dass die allgemeine Hit-Dichte dieses Mal zumindest gefühlt vielleicht nicht ganz so ausgeprägt wie auf manch vorherigem Release ist und der ein oder anderen Up-Tempo mit etwas Nachdruck mehr doch wünschenswert gewesen wäre, kann nicht geleugnet werden, dass die fünf Maschinisten mittlerweile auf einem hohen Niveau spielen. Zu den gerne kritisch-zynischen Texten gesellen sich kernige Drums und rockende Gitarren, stets mit der exakt richtigen Dosis elektrisierenden Synthies garniert und zu mitreißenden Ohrwurm-Melodien geformt, die im Regelfall immer in einem catchy Mitmach-Refrain münden. Das Ergebnis ist eine starke Melange aus Industrial-Rock und NDH, die das angestaubte Genre zwar zu keinem Zeitpunkt wirklich neu erfindet, dieses aber durch fein akzentuierte Impulse angenehm erfrischt und deutlich aufzeigt, warum genau sich die Maschine über die letzten Jahre zu einem der gefragtesten Acts dieser Sparte gemausert hat. In diesem Sinne: „Weiter“!

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