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BEITRÄGE:

AutorenbildChristoph Lorenz

The Beauty Of Gemina - Eric Fish & Friends - Eisbrecher (2020)


The Beauty Of Gemina - Skeleton Dreams (2020)

Genre: Wave / Alternative

Label: tBoG Music (Alive)

Spielzeit: ca. 61 Minuten

Fazit:

Zwölf neue Songs, ein eigener Remix und einer von Sele's seltenen Coversongs stehen ganz im Zeichen der über die Jahre entstandenen unverkennbaren und faszinierenden Mixtur aus melancholischem Wave, warmem, hypnotischem Blues und erdigem Indie Folk. Songs voller Lebensenergie und Intensität, mal kraftvoll, mal sphärisch, mal beinahe jungfräulich, aufs absolute Minimum reduziert, dabei aber immer druckvoll und immer von poetischer Tiefe. Die Songs werden getragen von Michael Seles’ angenehm dunkel timbrierter Stimme und seinem in jeder Note spürbaren Charisma. Selten war die Stimme so facettenreich und präsent, die Melodien öffnender, einnehmender und dennoch eigenwillig, voller Gegensätze, die Songstrukturen und Arrangements vertrauter, eingängiger ohne dabei ihre Unberechenbarkeit und Eigenständigkeit einzubüßen. „Skeleton Dreams“ kommt am 04.09.2020 als Download und CD über Artist MS (Alive) auf den Markt.

Seit mittlerweile fast fünfzehn Jahren sind die Schweizer von „The Beauty Of Gemina“ wahre Meister ihres Fachs, wenn es um intelligent durchdachten, hochklassig emotionalen und melancholischen Dark Rock mit traditionellen, behutsam darin verflochtenen Einflüssen des Blues, Folk und Wave geht. Nein, die Musik der Band um Sänger Michael Sele ist so manches Mal wahrlich keine einfach zu konsumierende, schnelllebige Kost für das vergnügungssüchtige, schwarze Party-Volk und wollte das auch ganz sicher niemals sein. Viel mehr ist die Musik seit jeher ein dunkler Ruhepol zum Innehalten, Nachdenken, Schwelgen und Träumen. Stets maßgeblich von der einzigartigen, sonoren Stimme Seles sanft getragen und flächendeckend ausgefüllt. Nach diesem altbewährten Prinzip funktioniert auch das nunmehr neunte Studioalbum, welches nach längerer, schwerer Krankheit des charismatischen Frontmanns pünktlich zum Herbstbeginn erscheint und sich dabei so vielschichtig wie eh und je präsentiert. Sele hat nach Tour-Absage und Genesung fraglos alle Kraft und Kreativität geschöpft und die Nachwehen dieser schwierigen Zeit für frischen Tatendrang genutzt, um das Vergangene aufzubereiten und innerhalb von zwei Jahren in neue Musik zu kanalisieren. Das hier vorliegende Ergebnis beginnt mit dem thematisch aufgeschlossenen Rahmen „A Night Like This“, dessen dezent angelegter Dark-Rock-Vibe auch sogleich durch die nebulös groovende, rastlose Gitarre als klares Kernelement hindurch schimmert und sich später mit dem konträren Gegenstück „Hold On To This Night“, welches ein wunderbar reines Klavier mit der verletzlich zarten Stimme von Sele paart, schließen soll. Die fließende, warme Akustik von „Naked“ profitiert danach umso mehr von der Hammondorgel und leichten Streicher-Einlagerungen, neben dem recht knackigen Rhythmus des Schlagzeugs entlockt die Improvisation der akustischen Gitarre immerzu überraschende Zwischentöne. Der Americana-Charme eines „Maybe God Knows“ lässt die Saiten abermals äußerst schwungvoll und verwegen dominieren, bei „Friends Of Mine“ legt sich die unnachahmliche Stimme von Sele hingegen abermals vollständig auf das bedachte Arrangement und trägt nahezu den gesamten Song über den Tod geliebter Menschen. „Resurgence“ lässt noch am ehesten Vergleiche mit den älteren Werken der Schweizer zu, führt dieser Song nach langer Zeit doch wieder minimalistisch Elektronik ins Feld und kombiniert diese mit herausragender Arbeit an Schlagzeug und der Gitarre. „Where Has It All Gone“, welches als reguläre Version und als Remix vorliegt, lebt vom beständig keimenden Aufbau, der so allmählich an zwingender Intensität gewinnt, ohne jemals allzu plakativ zu sein oder komplett auszubrechen, wohingegen die Alternative im sogenannten „Desert-Mix“ mit analogen Synthesizern und kleinen Sound-Experimenten ein völlig neues Stück aus der originalen Vorlage zaubert. Das schmerzvoll tragische „Rainbow Man“ ist in seiner halb-akustisch dargebotenen Weise wieder um ein Vielfaches zurückhaltender und weiß den Hörer mit seinem verzweifelt intonierten Text tief zu berühren, einen musikalischen Aufschwung gibt es mit „Dark Suzanne“, das ebenso gut der Feder der großen Vorbilder entsprungen sein könnte: „Nine While Nine“ ist dies sogar tatsächlich, nämlich ein Cover der legendären „The Sisters Of Mercy“. Wunderbar, wie übermäßig stark und edel stilisiert sich dem bekannten Klassiker hier angenommen wird, ohne das Original zu sehr zu verfremden oder den beschämend gescheiterten Versuch zu wagen, sich selbst auf diesem Fundament zu sehr verwirklichen zu wollen. Es ist die wahre, bescheidene Königsklasse eines Tributs an die eigene Inspiration - Sehr gelungen! „I Come Story Grief“ und „Apologise“ setzen weiterhin auf ein verdichtetes Arrangement der fiebrig getriebenen Gitarren. Kommt Ersteres noch eher ruhig und gediegen entschleunigt daher, greifen beim Zweiten wieder Cello und atmosphärische Keyboard-Flächen deutlich vor, die leicht an den Stil von „The Cure“ gemahnen, bis „The World Is Going On“ behutsam auf das nahende Ende dieses Kapitels vorbereitet... Michael Sele tat kund, dass er das neue Studioalbum nach seiner Operation mit einem alten und einem neuen Herzen geschrieben habe, was man dem aktuellen Output auch tatsächlich in jeder Sekunde anhört: „The Beauty Of Gemina“ verfolgen den Weg, den sie sich einst mit „The Myrrh Sessions“ in 2013 und insbesondere dem nachfolgenden „Minor Sun“ verheißungsvoll selbst ebneten, konsequent weiter. Mehr noch, die daraus resultierende Quintessenz in Form des 2018 veröffentlichten „Flying With The Owl“ wird auf „Skeleton Dreams“ nochmals akzentuiert verfeinert und bis zur bloßen Perfektion des bisherigen Status Quo destilliert. Mit purer Eleganz der fest in ihrer musikalischen DNA verankerten Melancholie, überwinden die Schweizer hierauf die Grenzen der Genres und erschaffen so ihre ganz eigene Sparte. Dabei thront Seles Timbre über allem und führt den Hörer wie ein einschmeichelnder, hypnotischer, roter Faden durch die zwölf neuen Songs und bezaubernde Klangwelten voller Melancholie, Frische, Ideenreichtum und kleiner Experimente. Der daraus entstandene Stil zwischen distanzierter Kälte und umschließender Wärme, klagendem Schmerz und erbauender Hoffnung, experimenteller Abstraktion und faszinierender Eingängigkeit weiß übergreifend zu vereinnahmen, wenn man sich nur die Muse und Zeit nimmt, genau hinzuhören und sich in der Musik fallen zu lassen. Die akustisch reduzierte Ader der letzten Werke zeigt auf, dass auch oder gerade mit verhältnismäßig wenigen und von jeglichem Bombast befreiten Mitteln unfassbar viel Wirkung erreicht werden kann, der sich so schnell ganz bestimmt niemand mehr entzieht.

Informationen:

http://www.thebeautyofgemina.com

https://www.facebook.com/TheBeautyOfGemina/

 

Eric Fish & Friends - Gezeiten (2020)

Genre: Folk / Alternative

Label: Esox Music (Alive)

Spielzeit: ca. 58 Minuten

Fazit:

Dieses Album ist ein Musik gewordener Ausdruck dessen, was Menschen in diesen denkwürdigen Zeiten empfinden. Diese Zeit macht uns reif für neues Nachdenken, neue Ansätze oder ganz einfach auch für den Versuch, sich auf Ursprüngliches zu besinnen. Die Texte von Eric Fish geben ein Fundament, machen Mut, geben Hoffnung und rütteln auf. Musikalisch bleiben „Eric Fish & Friends“ spartanisch. Fantasievolle Arrangements, mehrstimmiger Gesang, filigran gespielte Saiteninstrumente, mitreißende Grooves und der eindrückliche Gesangsvortrag Eric Fishs machen dieses Album zu einem nachhaltigen Hörerlebnis. Der mittlerweile siebte Vollzeit-Langspieler des Singer-Songwriter-Projekts namens „Gezeiten“ erscheint am 21.09.2020 digital und als CD via Esox Music (Alive).

Ein extrem druckvolles Schlagzeug, ein tiefer Bass und bretthart rockende E-Gitarren im feurigen Zusammenspiel mit Drehleier und eleganter Violine, die perfekte Fusion aus energiegeladenem Metal und mystischem Folk: So und nicht anders kennen und lieben die Fans die sieben Potsdamer von „Subway To Sally“! Dass die kreativen Köpfe hinter der seit dreißig Jahren aktiven Szene-Institution aber auch so manches Mal ganz andere Töne anschlagen können, haben manche ihrer Mitglieder in der Vergangenheit etwa mit dem Solo-Projekt „Bodenski“ oder zuletzt als „Bannkreis“ bewiesen. Jemand, der das parallel zur hier genannten Hauptband schon ganz besonders lange praktiziert, ist Erik-Uwe Hecht alias Eric Fish, seines Zeichens Frontmann und Sänger. Seit dem Jahr 1999 widmet sich der in Treuenbrietzen geborene Musiker mit drei weiteren Mitstreitern als „Eric Fish & Friends“ der traditionellen Liedermacherei. Natürlich belassene Musik, ganz bewusst auf ihren wesentlichen Kern aus einfachen Melodien und einem verstärkten Fokus auf den Text reduziert. Mal frei und voller Leichtigkeit, mal nachdenklich, melancholisch oder auch gerne kritisch. So beispielsweise im eröffnenden Stück, welches trotz aller irdischen Schrecken und Grausamkeiten zu Klängen von Mundharmonika und Klavier die beruhigende Gewissheit lässt, dass da doch noch irgendwo „Hoffnung“ für diese Welt ist und diese ja bekanntlich zuletzt stirbt. Die Betrachtung unserer Umgebung und Natur mit nahezu kindlicher Faszination und ebenso viel Hingabe spielte bei Fish und seinen langjährigen Freunden bereits in der Vergangenheit immer wieder eine übergeordnete Rolle, „Gaia“ und „Elemente“ machen da keine Ausnahme. Wenngleich Ersteres auch ungewohnt direkt, deutlich und fast schon (zurecht) moralisch predigend daherkommt, wohingegen man ansonsten eher den zurückhaltenderen Ansatz verfolgt, die jeweiligen Themen gekonnt in kleine Geschichten zu verpacken. Oft geht es hier um die eigentliche Bewusstwerdung des Menschen, dass auch er nur ein winziger Teil des großen Ganzen ist oder darum, im oftmals so reizüberfluteten und hektischen Alltag gerade die „Sonnenwonnen“ scheinbar selbstverständlich gewordener, kleiner Momente zu erhaschen und sich fortan von ihrer einzigartigen Magie beflügeln zu lassen. Ein Appell an die Vernunft und oftmals auch an das innere Kind. „Unterm halben Mond“, welches dazu anleitet, seine Sehnsüchte und Träume wieder zuzulassen, schwebt vor gar wundervoll beschwingter Glückseligkeit und heimeliger Lagerfeuer-Atmosphäre, während es in „Lass Mich Los“ dann merklich bedrückter und schwerfälliger wird. Der besungene Trennungsschmerz weiß durch den dualen Gesang und die nochmals umso mehr reduzierte Instrumentierung zu gefallen, die hier ganz besonders gut zur Geltung kommt. Von rhythmischer Percussion und einem thematisch ungemein passenden, signifikanten Akkordeon wird anschließend „Im Norden“ getragen. Eine echte Hymne und zugleich Liebeserklärung an die pure Rein- und Schönheit der eisigen Regionen! Das anmutige „Aurora“ schürt danach einmal mehr das tief in jedem Hörer verankerte Fernweh und die Abenteuerlust, der folkige Anstrich kommt derweil im schönen Zwischenspiel nach dem Refrain durch. „Gestrandet“ lässt uns dann jedoch wieder ganz in der hier besungenen Wirklichkeit ankommen, wenn der menschliche Egoismus rücksichtslos untermauert: „Genug wird uns nie genügen!“. Die extrem groovende, wunderbar harmonische Melodie von „Mutter“ lässt sogleich im beherzten Takt nicken, der in den Strophen geteilte Gesang zwischen Fish und Michalek kommt wirklich gut zur Geltung und verleiht dem Song eine tolle, wirkungsvolle Dynamik. „An Die Kinder“ klingt danach wie ein lyrischer Brückenschlag zwischen zwei völlig unterschiedlichen, immer weiter auseinander klaffenden Generationen. Zur besseren Verständigung und vor allem zum gegenseitigen Verstehen, bis das Album mit dem introvertierten „Dazwischen“ schließlich ruhig und versöhnlich ausklingt. „Gezeiten“ präsentiert sich nicht nur in Bezug auf die ästhetische Titelgebung der vorherigen Alben als folgerichtige Fortsetzung, sondern spiegelt zudem das derzeitige Weltgeschehen und somit auch dessen Behandlung unter Zuhilfenahme des aktuellen Materials in gewohnt naturbelassener Klang- und Bildsprache. So bieten die zwölf Stücke eine angenehm bedachte Reflexion unseres Zeitgeistes, welche hier nicht immer nur an den offensichtlichen und großen, sondern insbesondere auch den kleinen Schauplätzen des Seins stattfindet. Die lyrische und instrumentale Finesse braucht sich dabei vor ikonischen Größen wie Reinhard Mey oder Hannes Wader keineswegs zu verstecken, bewegt sich aber dennoch in gewohnt eigenständigem Fahrwasser und ist dabei niemals zu aufgeblasen ambitioniert, was einer zeitgemäßen Portierung der Liedermacher-Werte in klarer und zugleich verträumter Manier gleichkommt. Der sanft wärmende Soundtrack für die dunkle Zeit des Jahres, der es ja vielleicht gerade jetzt vermag, uns ein wenig zur Ruhe und Besinnung zu verhelfen.

Informationen:

http://www.ericfish.de/neuigkeiten/

https://www.facebook.com/EricFishandFriends

 

Eisbrecher - Schicksalsmelodien (2020)

Genre: Rock / Alternative

Label: RCA Deutschland (Sony Music)

Spielzeit: ca. 53 Minuten

Fazit:

Es zählt unter Musikern zu den unbestrittenen Königsdisziplinen, aus Hits vergangener Tage neue, eigene Versionen zu erschaffen. Denn die kompositorischen Hürden sind in solchen Fällen natürlich immens hoch: Man muss zahlreiche Fallstricke beachten, verbunden mit der ständig lauernden Gefahr, einem Klassiker nicht vollauf gerecht zu werden oder ihn bis an den Rand der Unkenntlichkeit zu verfremden. Wie man es richtig macht und einen ausgewiesenen Ohrwurm auf gelungene Weise modifiziert, erneuert und modernisiert, haben „Eisbrecher“ in der Vergangenheit gleich mehrfach gezeigt. Ihre im wahrsten Sinne des Wortes „verschärfte“ Version des „Grauzone“-Gassenhauers „Eisbär“ auf dem Album „Sturmfahrt“ von 2017 beispielsweise hat die Fans restlos begeistert. Und auch die stimmungsvolle Umsetzung des berühmten Soundtrack-Themas vom Leinwand-Epos „Das Boot“ hat „Eisbrecher“ größte Anerkennung beschert. Mit ihrem neuen Album „Schicksalsmelodien“ perfektioniert die deutsche Gothic-/Industrial-/Rock-/Metal-Formation nun diesen Spagat aus geschichtsträchtigen Vorlagen und eigenen Trademarks und überbrückt gleichzeitig die Zeit bis zum nächsten regulären Studioalbum, das für Frühjahr 2021 angekündigt ist. Auf „Schicksalsmelodien“ runderneuern „Eisbrecher“ insgesamt vierzehn Songs von Bands und Künstlern, die wir alle aus vergangenen Zeiten und anderen Zusammenhängen kennen. Für viele handelt es sich dabei tatsächlich um schicksalhafte Melodien, die ihre Jugend bestimmte und ihr späteres Leben nachhaltig beeinflusst haben. „Der Startschuss für „Schicksalsmelodien“ war die Anfrage von „Powerwolf“, den Song „Stossgebet“ neu aufzulegen“, erklärt Gitarrist, Keyboarder und Programmer Noel Pix. „Wir hatten auf unseren vorherigen Alben immer wieder mal einen Cover-Song, insofern ist uns diese Kunstform nicht fremd.“ Sänger Alexander Wesselsky fügt hinzu: „Anschließend haben wir einfach weitergemacht, weil wir es spannend und herausfordernd fanden, Lieder, die anderen Köpfen und Seelen entsprungen sind, in den „Eisbrecher“-Sound zu übersetzen. Und plötzlich schraubten wir an zwei Veröffentlichungen parallel, an „Schicksalsmelodien“ und an Studioalbum Nummer Acht. Zum Glück sind wir verrückt!“. Das mit vierzehn Songs gefüllte, erste Cover-Album „Schicksalsmelodien“ wird am 23.10.2020 über RCA Deutschland (Sony Music) als Stream, Download, CD im Digipak, limitierte Fan-Box mit Postkarte, Sticker, Lanyard, Schweißband, Sonnenbrille und Gürteltasche und als exklusives Bundle mit T-Shirt veröffentlicht.

Die erste Single „Skandal Im Sperrbezirk“ wurde im Original von der „Spider Murphy Gang“ im September 1981 während der Blütezeit der Neuen Deutschen Welle veröffentlicht und verliert auch bei „Eisbrecher“ nichts von ihrem augenzwinkernden Humor und bekommt gleichzeitig noch mehr Tiefe und zeitgemäße Konturen. Wesselsky dazu: „Skandal um Rosi! Wahnsinns-Song, ein Skandal um den Skandal. Damals durfte man nicht „Nutte“ sagen. Erzähl das mal einem krassen Deutsch-Rap-Kid aus der heutigen Zeit. Damals, in der Zeit der Unschuld, bekam ich die Scheibe zum meinem 11. Geburtstag. Ich stand auf „Iron Maiden“, „AC/DC“, „Spider Murphy Gang“, „ELO“ und Falco. Ja, das war damals möglich! Wie laut und wie gern haben wir damals rebellisch und systemverachtend auf Schulpartys oder im Kinderzimmer „Nutten“ geschrien. Widerstand und Aufbegehren 1981!“. Die obligatorischen Grundfesten der jeweiligen Vorlagen bleiben, wie bei so ziemlich jeder Neu- oder Eigeninterpretation eines bekannten Stückes, für den notwendigen Wiedererkennungseffekt selbstverständlich bestehen. So etwa die ikonische Keyboard-Melodie, welche hier im eisbrecher‘schen Industrial-Style jetzt nochmals umso rasanter daherkommt, bevor dann das druckvoll knallende Schlagzeug und die metallischen Gitarren mit voller Kraft powernd aus den Boxen brettern. Auch während der in Wesselskys typischer Manier vorgetragenen Strophen brodelt das aggressiv knurrende Gemisch harter Saiten dominant, bis der energisch kickende Refrain mit seiner charmant umgesetzten Mitsing-Garantie dann wieder in der gelösten Explosion des eingangs etablierten Prinzips mündet. NDH trifft NDW, die Zeichen stehen ganz klar auf Party im Windschatten der guten, alten Zeit! „Anna - Lassmichrein Lassmichraus“ ist einer der wohl bekanntesten Songs von „Trio“. Ebenso wie das beliebte „Da Da Da“, welches Wesselsky bereits vergangenes Jahr in Kooperation mit „Hämatom“ für deren „Maskenball“-Longplayer coverte, lebt der einprägsame Gassenhauer von seinem merkwürdigen Minimalismus in Sound und Text. Nicht unbedingt ein besonders geeigneter Song zur Neuinterpretation, da musikalisch eigentlich nur recht wenig Spielraum besteht, doch „Eisbrecher“ nutzen die eher spartanische Grundlage äußerst klug für sich aus und etablieren somit stückweise immer mehr ihrer Instrumente. Anfangs ist es etwa rein die kühl pochende Elektronik, auf die sich im Folgenden die rau flüsternde Stimme des Sängers legt, während die Synthies nun immer weiter ansteigen. Später sägen verzerrte Gitarren und lassen das Arrangement mehr und mehr anschwellen, das dann schließlich in rabiat walzender Saiten-Arbeit der Marke „Was Ist Hier Los?“ implodiert. Zeitgleich wird der Gesang weitaus hymnischer und auch das satte Schlagzeug scheppert jetzt im Einklang mit den vorherigen Elementen vereint und wird in einem echten Banger destilliert - Toll! Geht man nach heutigen Standards, so ist „Disco in Moskau“ aus dem 1986 veröffentlichten Album „Damenwahl“ vom selbsternannten Katastrophen-Kommando „Die Toten Hosen“ wohl eher eines ihrer unbekannteren Stücke. Düster pulsierend fließt das Intro hier sofort in das roh groovendes Riff, das unweigerlich die wilde Rhythmik für den gewohnt zeitkritischen Text von Campino und Co. vorgibt. Später setzt es noch ein ausladendes Solo und ein metallisch verheerendes Gewitter. Ein eiskalter Up-Tempo, der zwar leider etwas arm an überraschenden Höhepunkten ist, aber dennoch grundsolide Laune macht. „Out Of The Dark“ zählt neben „Der Komissar“, „Jeanny“ oder „Rock Me Amadeus“ nicht nur zu den größten und bedeutendsten Hits der österreichischen Legende Falco, sondern ist zugleich auch einer der in der schwarzen Szene am häufigsten gecoverten Songs. Warum das so ist, erklärt Wesselsky wie folgt: „Falco habe ich noch zu Lebzeiten live erleben dürfen, 1985 in München in der Alabamahalle im Rahmen der „Falco 3“-Tour. Damals ging es gerade mächtig los für den ersten englisch-deutsch rappenden österreichischen Megastar, der es schaffte, die dröge deutsche Sprache scharf und sexy klingen zu lassen. Eine „Eisbrecher“-Version seines mythischen, letzten Hits musste einfach sein. Wie kein Zweiter hat er jene, besondere Art deutschsprachiger Musik geprägt, die uns bei „Eisbrecher“ so sehr gefällt: Witz, Charme, Dada, Gaga, Herz und Schmerz, Drama und Ironie!“. Ein Mann, ein Wort. Den Beginn bestreitet dabei ein atmosphärisch sakraler Beat, unter welchem eine unterschwellig arbeitende Gitarre kratzt, dennoch verbleibt der fiepende Electro als hauptsächliche Basis der Strophen. Der obligatorische Gänsehaut-Chorus ist aber das absolute Highlight und wie maßgeschneidert für die kernige Stimme von Alexander Wesselsky, der hier mit seinem Organ voll hörbarer Leidenschaft ganz wunderbar brillieren kann - So muss das sein! Wirklich neue Nuancen können auch „Eisbrecher“ dem mittlerweile (zu) oft nachgespielten Titel nicht mehr abringen, liefern dafür aber ein verdammt packendes und rundes Cover der Extraklasse... Vielleicht sogar eines der Besten seiner Zunft! Zum bereits bekannten „Stossgebet“ von des erfolgreichen Saarbrücker Metal-Rudels „Powerwolf“ müssen wahrscheinlich nicht mehr allzu viele Worte verloren werden. Nur so viel: Durch die markige Industrial-Handschrift und den dadurch erfolgten Fokus auf mehr Elektronik, wirkt das Lied zwar etwas weniger hart, fängt dessen Kälte dafür aber trotzdem perfekt ein und setzt diese nicht zuletzt durch das zugehörige Musik-Video in einen neuen Kontext. Der ohnehin gnadenlos geniale Song steht den Münchnern sehr gut zu Gesicht und verliert nichts von seiner eingängigen Brutalität, die sich im Finale nochmals in dramatische Höhen steigert und genauso gut aus der Feder der eiskalten Crew stammen könnte. Aufgrund der englischsprachigen Lyrics ist „All We Are“, die 1987er Heavy-Metal- Hymne von „Warlock“ unter Doro Pesch, vermutlich am gewöhnungsbedürftigsten in der gesamten Tracklist. Stilistisch konzentriert man sich hier ohne viel Beiwerk rein auf die organische Seite und überlässt das Feld vornehmlich dem satten Drumming und der breiten Riff-Front, was gut zum eigentlichen Ursprung passt. „Goldener Reiter“ machte Joachim Witt praktisch über Nacht zu einer der absoluten Legenden der NDW und so verwundert es auch nicht, dass die berühmte Melodie den Track schon ab der ersten Sekunde offenbart. Die zackig galoppierende Rhythmik wird erst mit kleinen Electro-Sprengseln und verspielten Sample-Fragmenten durchsetzt, der launige Refrain kommt danach mit einer leicht dualen Note, knallt selbstverständlich ganz besonders gut und lädt schnell zum Singen und Feiern ein. Einmal mehr sehr passend gewählt und einfach anstandslos gut! Vor „Eisbrecher“ kam „Megaherz“, bis Pix und Wesselsky nach „Herzwerk II“ ihr eigenes Projekt verließen und sich neu formierten. Insbesondere vor dem plakativen Aufhänger der „Schicksalsmelodien“ verwundert es also nur wenig, dass das Zweigespann auch einen eigenen Song aus ihren stilprägenden Anfangstagen zur Neuinterpretation wählte. Immerhin machten es sich „Megaherz“ unter der neuen, stimmlichen Führung von Alexander „Lex“ Wohnhaas mit „Das Licht Am Ende Der Welt“, „Hurra Wir Leben Noch“, „Herz Aus Stein“, „Teufel“ und „Jordan“ auf den letzten Alben ebenfalls zur Aufgabe, beliebte Klassiker der Frühphase in das aktuelle Gewand zu kleiden. Glücklicherweise hat man sich nicht erneut für das bereits überarbeitete Live-Relikt „Miststück“ entschieden, sondern spendiert mit „Freiflug“ vom 1998 erschienenen Zweitling „Kopfschuss“ einem der gnadenlos unterschätztesten Songs eine gelungene Frischzellenkur. Das atmosphärisch dichte Intro zieht sich mit seinem finster schwelenden Electro-Unterbau giftig bis in die Strophen hinein, der später leicht orientalisch Züge annimmt, bis man mit dem emotionalen Refrain zum endgültigen Befreiungsschlag ansetzt. Beim augenzwinkernd bizarren „Bitte, Bitte“ von „Die Ärzte“ haben bereits die mittelalterlichen Spielleute von „Tanzwut“ sehr gute Arbeit geleistet, insbesondere die maschinell-kühl tönende Synthie-Folge und die anrüchige Liebäugelei zu SM à la „Schwarze Witwe“ fügen sich perfekt ins „Eisbrecher“-Repertoire. „Eins, Zwei, Polizei“ von „Mo-Do“ ist eine typische 90er-EDM-Disco-Nummer und alleine dadurch schon unglaublich substanzlos. Auch der unglaublich belanglose Text wird natürlich nicht viel sinniger oder gar anspruchsvoller, wenn jemand anderes Hand an das Material anlegt. Dafür punktet man hier mit einer vor lauter Experimentierfreude aufgeladenen Instrumentierung samt Dubstep-Metal-Outro. Vor allem die ausdrucksstarke Intonation von Wesselsky wertet die spaßige Zeitreise enorm auf, sodass es modern und Szene-konform klingt. Ein bisschen Spaß muss sein. „Flieger, Grüss Mir Die Sonne“ stammt in der Ur-Version von Hans Albers und wurde später noch von „Extrabreit“ aufbereitet. Hier wird das Stück in das zu erwartende Metal-Gewand gehüllt und dessen Power nochmals gehörig aufgedreht, wodurch das Ergebnis geradezu hymnenhaft gerät. Ansonsten reicht das Cover aber nicht annähernd an das Vorbild heran und bleibt eher generisch. Zum Ende hin arbeiten „Eisbrecher“ leider fast ausschließlich mit Quasi-Füllmaterial: „Menschenfresser“ von Rio Reiser kennt man schon als Kaufanreiz des 2018 veröffentlichten Best-Of, den „Rheingold“-Evergreen als exklusiven Bonus-Song des Albums „Schock“ oder von der zweiten Disc der oben erwähnten Compilation „Ewiges Eis“. Auch der unschlagbare Szene-Hit „Schwarzes Blut“ der Gothic-Novel-Rocker „ASP“ ist nicht neu, sondern wurde 2014 schon zur Deluxe-Edition der fünfzehnjährigen Jubiläumssammlung „Per Aspera Ad Aspera“ gereicht. Schlecht macht das die drei Cover deswegen noch lange nicht, nur bleibt ein fader Beigeschmack bei dieser künstlichen Erweiterung der Tracklist, aber immerhin hat man so gleich alle Tribute auf einer CD, die abschließend mit dem ruhigen, rein instrumentalen Piano-Outro „Schicksal“ ausklingt. „Eisbrecher“ wagen das für ihre Verhältnisse ungewöhnlich Gewöhnliche und reihen sich ausnahmsweise in die doch recht häufig verbreitete Riege der Cover-Künstler ein. Doch dieses Mal nicht nur für einen Gastbeitrag oder Bonus, sondern gleich ein ganzes Album! Mit dieser schwarz-bunten, sehr abwechslungsreichen Mixtur aus vierzehn Songs pflügen sich die erfolgreichen Münchner durch schicksalhafte Begegnungen musikalischer Natur. Von den Achtzigern bis in die frühen Zweitausender, von Punk bis Metal und von NDW zu NDH. Dass das nicht zwingend ideenlos oder gar aufgesetzt wirken muss, beweisen die „Schicksalsmelodien“ in ihrer liebevollen Bearbeitung ganz hervorragend: So wird die eiskalte Note der Band hier in jedem Ton deutlich spürbar, trotzdem gehen Pix und Wesselsky jederzeit respektvoll mit den entsprechenden Originalen um und vollbringen es weitestgehend, diesen jeweils einen aktuellen und oft spannend interpretierten Rahmen zu verleihen. Wesselsky: „Wir wollen Menschen zu den Songs bringen, die sonst vielleicht nicht auf die Idee gekommen wären, so etwas anzuhören. Zwischen den Originalversionen unserer Cover-Tracks und dem Jetzt und Hier liegt eine gewaltige Zeitspanne. Alle freuen sich über die grandiose Erkenntnis: Egal, wer was wann wie macht, egal ob aus eigener Feder oder nicht, Hauptsache geil, fett und laut und mit Respekt vor dem Original.“ - Dem ist nicht mehr viel hinzuzufügen. Besonders innovativ war und ist das alles zwar selbstverständlich nicht, überbrückt dafür aber die Zeit bis zum eigenständigen Album im März 2021 auf eine äußerst unterhaltsame Weise und macht gerade durch die lockere, grenzüberschreitende Unbeschwertheit einfach nur Spaß... Und darauf kommt es doch an, oder?

Informationen:

http://www.eis-brecher.com

https://www.facebook.com/eisbrecher/

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