Mono Inc. - Interview (2020)
Roggenfaenger: Hallo „Mono Inc.“! Vielen lieben Dank dafür, dass ihr euch so kurz vor dem Release eures neuen Studioalbums die Zeit für dieses Interview genommen habt. „The Book Of Fire“ ist, ganz ähnlich wie auch schon seine beiden direkten Vorgänger, ein Werk mit einem in sich geschlossenen Konzept geworden, innerhalb dessen ihr eine vollständig zusammenhängende, fiktive Geschichte erzählt. Wieder einmal wird die Veröffentlichung in verschiedenen Versionen erhältlich sein und wartet in der sogenannten Earbook-Edition sogar mit einem erweiterten Booklet und eigens von euch eingesprochenen Hörbuch auf, in welchem ihr mit jedem der insgesamt elf Songs, die in diesem Kontext stellvertretend für die einzelnen Kapitel aus dem titelgebenden „Buch des Feuers“ stehen, den Faden in bester Storyteller-Manier etwas weiterspinnt und das Gehörte somit umso mehr vertieft. Kurz zusammengefasst: Worum geht es dieses Mal?
Martin: Nachdem das letzte Album im Jahre 1712 zu Zeiten der Pest in Hamburg spielte, geht es nun noch einmal zweihundert Jahre weiter zurück in die Vergangenheit: In die dunkle Zeit der heiligen Inquisition. Wir erzählen hier die Geschichte der jungen Heilerin Aellin, die aufgrund ihrer Heilungsmethoden, die man heutzutage wohl als alternative Medizin bezeichnen würde, von ihren eigentlich dankbaren Patienten, aus purer Angst vor den Methoden der Inquisition, als Hexe denunziert und schließlich zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt wird.
Roggenfaenger: Erzählt den Lesern doch bitte einmal ein wenig mehr zum vergangenen Entstehungsprozess und den damit zusammenhängenden Studioarbeiten: Wann habt ihr damit begonnen, die neuen Songs zu schreiben und wo habt ihr sie aufgenommen?
Martin: Mit den Arbeiten an dem Konzept der Geschichte, habe ich bereits im Spätsommer 2018 begonnen. Als das Gerüst stand, ging es im Oktober 2018 dann ans Komponieren. Das Songwriting hat in etwa vier Monate in Anspruch genommen. Recorded wurde schließlich von April bis Juli in Berlin, Hamburg, der Schweiz, Thailand und auf Mallorca.
Roggenfaenger: Was ist denn der Hintergrund für die teilweise doch recht exotischen Aufnahmeorte? Möchtet euch ihr vielleicht etwas zu den Hintergründen verraten?
Martin: Du spielst sicher auf Thailand und Mallorca an... Der Hintergrund ist simpel: Auf Mallorca hat mein Freund Rico Horber ein kleines, aber sehr feines Studio mitten im Inland. Mit Tageslicht, frischer Luft und fernab vom Tourismus. Dort herrscht absolute Ruhe! Ich liebe es einfach, wenn wir in den Pausen einen Cortado im kleinen Café um die Ecke trinken gehen können, ohne dass es irgendjemanden juckt, dass ich Martin von "Mono Inc." bin. Das Studio auf Koh Samui in Thailand war dagegen einfach nur ein bemerkenswerter Zufall: Dave Donald, eine Legende der Studiotechnik aus den USA, hat vor wenigen Jahren seinen Wohnsitzt von Michigan nach Koh Samui verlegt und dort ein Studio bauen lassen. Weil Dave und ich uns aus gemeinsamen Zeiten in Los Angeles kannten und er wusste, dass Thailand auch mein zweites Zuhause ist, bot er uns an, sein Studio für die Gesangsaufnahmen zu nutzen. Natürlich war es teilweise ein bisschen skurril, zum Beispiel beim Singen über Foltermethoden des Mittelalters auf eine Bucht mit Kokospalmen und weißem Strand zu schauen, aber Dave hat uns noch einmal mehr aus uns herausholen lassen. Er ist ein großartiger Vocal-Producer.
Roggenfaenger: Der Titeltrack eures aktuellen Albums, der ganz nebenbei bemerkt übrigens auch als zweite Single inklusive eines aufwändigen Videos ausgekoppelt wurde, ist mit einer langen Spieldauer von über sieben Minuten zumindest für die bisher geltenden „Mono Inc.“-Verhältnisse ziemlich ungewöhnlich arrangiert worden. Darüber hinaus fallen auch im weiteren Verlauf der Tracklist noch einige Nummern mehr durch ihre Komplexität auf, die streckenweise viele Tempowechsel oder bisher ungehörte Elemente als kreatives Stilmittel für sich nutzen. Wie kam es zu dieser Entscheidung, sich von der bisherigen Erfolgsformel zu distanzieren und etwas komplett Neues auszuprobieren?
Martin: Zunächst war mir das beim Schreiben und in der Produktion ganz egal. Ich fand, dass der Song diese Länge brauchte, um komplett erzählt zu werden. Außerdem wusste ich da ja auch noch nicht, dass der Track eine Single werden würde, aber dann fiel die Entscheidung im Kreise der Band und da kamen sie natürlich doch noch, die Erbsenzähler von der Plattenfirma: „Muss das so lang sein?“, „Ein Single-Hit darf doch nicht über vier Minuten sein!“, “Der Video-Clip wird ja dann viel zu teuer...“. Viel Geheule also, aber glücklicherweise hat unser Label, mit dem wir übrigens sehr zufrieden sind, keinen Einfluss auf den Inhalt eines Albums oder musikalisches Mitspracherecht. Künstlerische Entscheidungen liegen allein bei der Band. Und somit sind auf dem neuen Album ja gleich mehrere Werke, die deutliche Überlänge haben. Aber das ist doch geil für die Fans, denke ich. Ein Album mit mehr als sechzig Minuten Spielzeit habe zumindest ich auch immer lieber gekauft, als eines mit fünfunddreißig Minuten und acht Songs! Völlig in den Wahnsinn getrieben haben wir unsere Plattenfrma dann später mit der Info, dass wir neben dem Album auch noch ein Buch über die komplette Geschichte hinter dem Album geschrieben haben... Und das auch noch gleich als Hörbuch mit über neunzig Minuten Spielzeit produziert haben. Da hatten die Schweißperlen auf der Stirn (lacht). Aber Not macht erfinderisch! So gibt es zum ersten Mal in der Bandgeschichte ein Earbook, welches nicht nur die Standard-CD und DVD enthält, sondern auch noch das Buch in geschriebener Form und zwei weitere CDs mit dem Hörbuch.
Roggenfaenger: Auf „Welcome To Hell“ ging es grob zusammengefasst um die weitreichenden Auswirkungen der Hamburger Pest auf das gemeinschaftliche Zusammenleben der dortigen Bevölkerung. Die neue Geschichte von Heilerin Aellin ist hingegen in der finsteren Zeit der Inquisition und Hexenverfolgung angesiedelt... Und wieder einmal können deutliche Parallelen zur Gegenwart und aktuellen Entwicklungen gezogen werden. Das ist mit Sicherheit kein Zufall, oder?
Martin: Es gibt immer einen tieferen Sinn hinter unseren Alben und Texten, aber wir schreien das eigentlich nicht frontal heraus. Schließlich sind wir als Band in erster Linie dazu da, um unsere Fans mit guter Musik zu unterhalten, nicht um sie zu erziehen oder zu belehren. Das steht uns nicht zu! Wir wollen auch nicht als politische Band gelten und ich selbst hatte auch schon immer eine Ablehnung gegen den erhobenen Zeigefinger. Die Leute sollen zuallererst die Songs genießen. Die Message ist dann für diejenigen, die gerne tiefer graben als andere. Ein Album ohne eine Message und ein klares Bekenntnis möchte und kann ich allerdings auch nicht mehr machen. Ich bin siebenundvierzig Jahre alt und habe wirklich zu viel gesehen und erlebt, um belanglose Lyrics über Herzschmerz und Blumenwiesen zu schreiben. Das wäre nicht ich und Authentizität halte ich für das größte Gut im Leben und Werk eines Künstlers.
Roggenfaenger: Das vierte Stück nennt sich „Shining Light“ und entstammt als einziger Song des neuen Werks nicht eurer Feder, sondern ist die englischsprachige Cover-Version von „Lichtgestalt“ der bekannten Szene-Legende „Lacrimosa“. Doch damit noch lange nicht genug, denn passenderweise konntet ihr deren Sänger Tilo Wolff bei eurer Interpretation als Gastsänger gewinnen! Wie und warum kam es zu diesem Vorhaben?
Martin: Der Song war Inspiration für das sechste Kapitel des Buches hinter dem Album, also war es klar, dass er auch auf das Album muss. Allerdings mag ich es bei Konzeptalben nicht, wenn zwischen Sprachen hin- und hergesprungen wird. Das Buch ist auf Deutsch geschrieben, aber die Albumtexte sind in Englisch. Also habe ich von Tilo die Freigabe für eine englische Version erbeten und umgehend erhalten. Und wenn man schon einen Titel von einem der Urväter und Mitbegründer der Szene auf dem Album hat - und obendrein noch befreundet ist - dann macht man das natürlich zusammen, in einer echten Kooperation. Das hat ja bei "Children Of The Dark" auch schon einmal viel Spaß gemacht und ist bei den Fans sehr gut angekommen. Mehr als zehn Millionen Downloads des Songs können da nicht lügen! Außerdem freuen wir uns wirklich, dass wir uns über solche Umwege häufiger sehen. Schließlich wohnt Tilo in der Schweiz und damit nicht gerade bei mir um die Ecke und nebenbei sind wir dann ja auch noch viel mit unseren Bands unterwegs.
Roggenfaenger: Es gibt sogar noch eine zweite, überraschende Kooperation mit einer weiteren Institution der schwarzen Szene, nämlich den Spielleuten von „Tanzwut“, die zu „Right For The Devil“ neben Mike „Teufel“ Paulenz als äußerst passenden Duettpartner zudem ihren markanten Sound aus Marktsackpfeifen einbringen. Wie hat sich diese Zusammenarbeit ergeben?
Martin: Um die Stimmung des Songs „Right For The Devil“ einzufangen, brauchte es einfach dringend Dudelsäcke und eine männliche Reibeisen-Stimme, die auf Latein die Zeile „Wir sehen uns in der Hölle“ singt. Alles Dinge, die wir selber nicht bedienen können. Also waren wir auch hier auf Hilfe aus dem Freundeskreis angewiesen. Also habe ich Teufel, dem Sänger von "Tanzwut", eine WhatsApp-Message geschrieben: „Habe da eine geile Nummer, bräuchte aber dafür eure Sackpfeifen und deine Stimme. Seid Ihr dabei?“. Dreißig Sekunden später hatte ich die Antwort: „Klar, sind dabei. Wann wollen wir es aufnehmen?“. So einfach und schnell laufen die Dinge manchmal! Das Schöne ist, dass sich damit abseits des Albums ein kleiner Kreis schließt: Schließlich haben wir im Jahre 2004 mit "Mono Inc." unsere erste Tournee als Vorgruppe gespielt. Als Support von... Genau, "Tanzwut"! Seither ist der Kontakt nie abgerissen, weil man sich ja auch auf den Festivals immer über den Weg läuft. Auch eine Live-Umsetzung des Titels mit beiden Bands ist eigentlich schon fest beschlossen. Vielleicht klappt es ja schon im März bei der Show in der Columbiahalle in Berlin. Falls nicht dort, dann sicherlich irgendwann auf einer der Festival-Bühnen in den nächsten Jahren.
Roggenfaenger: Okay, Endspurt. Da das Thema „Children Of The Dark“ gerade eben schon kurz angeschnitten worden ist: Die zugehörige Tournee beginnt schon am 06.03.2020 in Münster und endet wiederum mit einer großen, exklusiven Überraschung in der Hamburger Sporthalle, wenn der entsprechende Hit in Originalbesetzung aus Chris Harms, Joachim Witt und eben Tilo Wolff erstmalig live performt werden wird. Bestimmt ein unvergessliches Erlebnis für alle anwesenden Fans! Wann habt ihr alle euch denn eigentlich das letzte Mal gesehen und diese Idee zusammen entwickelt?
Martin: Das ist noch gar nicht lange her... Auf dem M’era Luna 2019! Aber wir haben auch sonst relativ viel Kontakt untereinander. Mit Tilo haben wir ja gerade erst den Song „Shining Light“ für das neue Album aufgenommen. Chris Harms hat am Mastering der letzten drei Alben und auch der neuen Scheibe mitgewirkt und Joachim Witt hat zum Beispiel die Rolle des Richters im Video-Clip zu unserer ersten Single aus dem neuen Album, „Louder Than Hell“, übernommen. Das sind alles Aktionen, die nicht über finanzielle Anreize laufen, sondern nur aus gegenseitiger Sympathie, gegenseitigem Respekt und alter Freundschaft. Die Idee, die "Children Of The Dark" irgendwann komplett auf die Bühne zu bekommen, ist ja nun nicht neu. Das hatten wir vier tatsächlich von Anfang an geplant, nur ist das terminlich eben bisher immer gescheitert, weil einer der vier Acts zeitgleich immer irgendwo anders auf der Welt auf irgendeiner Bühne stand. Und da wir "Children Of The Dark" ein verschworener Haufen sind, haben wir auf den Zeitpunkt gewartet, an dem wirklich alle dabei sein können. Eine Version mit nur dreien von uns oder womöglich einem Ersatz wäre einfach nicht in Frage gekommen, denn dafür ist die Nummer mittlerweile einfach zu kultig. Originalbesetzung oder gar nicht, so war das Motto. Und nun ist es am vierten April 2020 endlich soweit. Ich freue mich sehr darauf und die Kollegen ebenso!