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BEITRÄGE:

AutorenbildChristoph Lorenz

Heldmaschine - Faderhead - Blutengel (2019)


Heldmaschine - Im Fadenkreuz (2019)

Genre: Rock / Alternative

Release: 27.09.2019

Label: MP Records (Soulfood)

Spielzeit: 55 Minuten

Fazit:

Die „Heldmaschine“ steht „Im Fadenkreuz" - ein endloses Ödland erstreckt sich um sie herum, geprägt durch Krisen und Terror. Die Welt, die die „Heldmaschine“ auf ihrem neuen Album zeichnet, zeigt die dunkle Seite unseres Daseins: Unsicherheit, Angst und Fremdenhass stehen an der Tagesordnung. Zwischen scharfkantigen Industrial-Riffs, bohrenden Elektro-Sounds und der urtpyischen Wucht der NDH, trifft der Frontmann und Cheflyriker mit seinen mal zynischen, mal ernsten Anleihen stets genau ins Schwarze, wenn Themen wie sexuelle Lust, Wahrheitsfindung oder Vergänglichkeit besungen werden. Das neue Studioalbum der Koblenzer NDH-Vertreter ist bereits seit dem 27.09.2019 rein digital erhältlich und ab dem 11.10.2019 exklusiv über den MAM-Shop als physische Version zu bestellen.

Mit so einer großen Überraschung hat wohl niemand gerechnet: Ohne jedwede Vorwarnung kündigten „Heldmaschine“ via Facebook-Post pünktlich zum Beginn der gegen Ende September startenden Tournee die Veröffentlichung ihres neuen Studioalbums an, welches vorerst bei den Konzerten am Merchandising-Stand, später dann auch als Download auf den einschlägigen Seiten und über den Metal Addicted Mailorder zu beziehen ist. Urplötzlich und von jetzt auf gleich! Eine so dermaßen unübliche Vertriebsmethode, wie die Koblenzer sie sich hier für ihr nunmehr fünftes Werk ausgedacht haben, ist gerade in der heutigen Zeit fast schon unvorstellbar, immerhin liegt der Vorgänger rund drei Jahre zurück. Warum genau sich die Band für diesen mutigen Schritt entschieden hat, könnt ihr übrigens auf ihrer Website nachlesen. Einen wirklich guten Übergang zur neuen Ära schafft das eröffnende „Leck Mich Fett“: Der rabiat rockende Song mit dem etwas gewöhnungsbedürftigen Titel macht gleich von Anfang an keine Gefangenen und gibt ordentlich Gas. Regelrecht angewidert speit Sänger René Anlauff dem Hörer die giftigen Textzeilen mit Vocoder-Unterstützung aggressiv entgegen und scheut sich dabei auch nicht vor manch unverblümt expliziter Aussage. Der Refrain kommt hingegen überraschend erstmals komplett in englischer Sprache daher: „Message to all, message to all. We’re in the middle of a virtual world war!“, heißt es da in hymnischer Manier, wenn sehr direkt unreflektierte Meinungsäußerungen im Netz aufs Korn genommen werden. Das bereits von der „Volles Brett“-EP bekannte „Luxus“ wartet mit viel beißender Sozialkritik und elektronisch schillernder Goth-Rock-Manier auf, die enorm zur Eingängigkeit beiträgt. Das folgende „Zwei Sekunden“ mutet mit seiner kantigen NDH-Breitseite dann hingegen wieder etwas sperriger an. Im Stil eines „Schwerelos“ erzählt man eine vollständige Geschichte über schwere Schuldgefühle und den daraus resultierenden, selbst gewählten Freitod. Diese Struktur trägt der Dramaturgie zwar erheblich bei, dafür flacht der Chorus deutlich ab und bietet nichts, was man so nicht schon gehört hat. Schade. Auch „Die Geister Die Ich Rief“ kommt durchweg klassisch daher und überzeugt allen voran mit fetten Gitarrenriffs, bis der epische Refrain mit donnernden Trommeln und schwelgerischen Seemannschören schließlich ablöst und charakteristisch dabei fast ein wenig an die Kollegen von „Tanzwut“ erinnert. Die nächsten drei Titel sind dem geneigten Fan ebenfalls allesamt von der vorab veröffentlichten EP bekannt, deswegen aber natürlich nicht weniger würdig, ihren wohlverdienten Platz auf dem Album zu erhalten. Insbesondere das herrlich selbstironische „Springt!“, das nur so vor launigem Sarkasmus strotzt, überzeugt vollends durch seinen mitreißenden, ohrwurmigen Rhythmus und dürfte auf dem Konzert zum selbigen einladen. „Härter“ und „Ich, Ich, Ich“ erinnern mit ihren stechend scharfen Synthies und dem harschen Gitarreneinsatz unweigerlich an die „Lügen“-Phase der Band. Musikalisch ist das alles sehr solide, textlich nimmt man sich hier nimmermüder Selbstzerstörung und Egoismus an und kommt um die ein oder andere Plattitüde leider nicht herum. Dennoch machen die zwei Tracks gehörig Laune. „Gottverdammter Mensch“ markiert danach jedoch den absoluten Tiefpunkt des Albums, wenn nicht sogar der gesamten bisherigen Diskographie: In den nach Singer-Songwriter-Manier rein akustisch vertonten Strophen führt Anlauff mit betonter Einfühlsamkeit und pseudointellektuellen Alltagsphrasen ein reuevolles Zwiegespräch mit einem stummen Gegenüber, was ob der oft plumpen Verse einfach nur furchtbar aufgesetzt und unfreiwillig komisch wirkt. Der lyrisch arg einfallslose Refrain ist mit seinem vorhersehbaren Reimschema dann nicht viel besser und hat letztlich zur Aussage, dass kein Mensch jemals unfehlbar ist. Es geht um Schuldgefühle, Verzeihen und Neuanfang. Hoffentlich nicht ganz ernst gemeint... „Weiter“! Dass in der Vergangenheit so manch kritische Stimme den einstigen NDH-Newcomern nur zu gern hämisch „Klingt Wie Rammstein“ attestierte, ist innerhalb der Szene längst kein Geheimnis mehr. So nahm man zynisch Stellungnahme dazu und rollte süffisant das markante „®“. Doch liegen hier alle Hörer gehörig daneben, die unter entsprechendem Titel nun eine weitere Breitseite auf die angebliche Imitation der Berliner Legende zu erkennen glauben, denn die „Heldmaschine“ lockt hier bewusst auf eine falsche Fährte. Aus instrumentaler Sicht versucht man mit flirrender Elektronik, stoischen Riffs und einem strengen Marschrhythmus an das große Vorbild zu erinnern, leider zu gezwungen. So einfach ist die Kopie dann wohl doch nicht... Dafür verblüfft Anlauff hier auf stimmlicher Ebene und vollbringt es, dank Tribute-Band-Erfahrung, tatsächlich recht gut, etwas an Till Lindemann zu erinnern. Dass die Maschine allerdings am besten läuft, wenn sie ganz sie selbst ist, beweist danach „Leben“, eine unglaublich melancholische Power-Ballade allererster Güte, die viele Richtungen zur Interpretation zulässt und trotz ihrer emotionalen Note nicht um einen gewissen Hauch an härteren Rock-Elementen verlegen ist. Das harmoniert dann ebenso wunderbar, wie bei „Wie ein Orkan“, welcher das treue Zusammenstehen von Fans und Band majestätisch zelebriert. Das ist zwar auch nicht mehr neu, klingt dafür aber gut. Wer die „Heldmaschine“ bereits von Anfang an aufmerksam verfolgt, der weiß, dass sie sich den zwölften und somit letzten Platz in der Tracklist gerne für ein Stück freihält, das klanglich und thematisch etwas aus der Reihe tanzt. „La Paloma“ oder das sehr gelungene „Kraftwerk“-Cover von „Die Roboter“ sind zwei Beispiele dafür und auch die „Maschinenliebe“ bricht mit dieser Tradition nicht. Als Closer hat man sich für ein instrumentales Outro entschieden, das ungemein tanzbaren Industrial mit leichten EBM-Anleihen und charmanten Samples vereint. Ungewohnt, aber top! Das sind sie, die Momente, in denen die Koblenzer so sehr überraschend und ganz besonders stark sind. Die „Heldmaschine“ hat vorab auf keinen Fall zu viel versprochen, beschrieben sie ihr fünftes Album doch als das abwechslungsreichste Werk bisher. Das trifft auf die insgesamt zwölf Songs auch 100% zu, denn von klassischer NDH, über Gothic-Rock und gefühlige Balladen, bis hin zu abenteuerlichen Experimenten ist hier nahezu alles vertreten. Kleine, doch bedeutend gewichtige Innovationen, welche den Fünfer zuletzt immer mehr vom Genre und den berühmten Heroen abkapselten, intelligent in den Sound zu integrieren, funktionierte bisher mit jedem neuen Album immer besser. Wenngleich der hohe Facettenreichtum auf „Im Fadenkreuz“ definitiv gegeben ist, bleibt jener zündende Funke diese Mal leider weitestgehend aus und das ernüchternde Gefühl macht sich breit, das stärkste Pulver mit der EP bereits im Voraus verschossen zu haben, was aber auf keinen Fall heißen soll, dass die übrigen Songs schlecht seien. Nein, das sind sie ganz sicher nicht, nur fehlt dieses Mal gefühlt eine so durchschlagende Überraschung, wie einst mit „Himmelskörper“, welche die exorbitante Weiterentwicklung seit der Gründung aussagekräftig unterstreicht. Alle Fans werden mit Sicherheit auch mit diesem Album ihren Spaß haben, sollten allerdings keine zu großen Sprünge erwarten. Vielleicht war (meine persönliche) Erwartung einfach zu hoch angesetzt, doch ist ein an die Band geknüpfter, qualitativer Standard nicht auch ein Kompliment?

Informationen:

http://heldmaschine.de/

https://www.facebook.com/Heldmaschine/

 

Faderhead - Asteria (2019)

Genre: Electro / Alternative

Release: 04.10.2019

Label: Not A Robot Records

Spielzeit: 58 Minuten

Fazit:

„Wenn man das Gefühl hat, dass nichts was man ist, einem selbst noch ausreicht, dann hat man nur zwei Möglichkeiten: Man kann komplett aufgeben oder man kann sich Stück für Stück von dem lösen, was man ist. Um dann zu versuchen, jemand zu werden, mit dem man besser leben kann. Die Songs auf „Asteria“ sind Momentaufnahmen dieser Versuche.“: Der Hamburger Electro-Act „Faderhead“ präsentiert sein brandneues Studioalbum und zählt zweifelsfrei zu den musikalisch spannendsten Vertretern der aktuellen, internationalen Dark-Electro-Szene. Präsentierte sich der vielbeschäftigte Hamburger auf seinem letzten Album „Night Physics“ (2017) von seiner persönlichen Seite, dessen Songs eine harmonische, von nachdenklichen Lyrics geprägte Melancholie verströmten, so stellt der Soundspezialist (mit dem unverwechselbaren stimmlichen Timbre) auf seinem neuen Album erneut seine innovative Wandlungsfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis. So ist „Asteria’“, das mittlerweile zehnte Album des früheren Enfant Terrible, das mit Abstand bislang düsterste Werk in dessen Diskographie. Das Ergebnis sind dreizehn perfekt ausbalancierte, druckvoll produzierte Tracks und ein faszinierend intensiver Mix aus Futurepop, Dark Electro und Industrial, dessen melancholische Vocals sich an omnipräsenten Acid-Techno-Basslines reiben. „Asteria“ erscheint am 04.10.2019 digital und als CD im Digipack-Format inklusive 16-seitigem Booklet auf Not a Robot Records.

Das nunmehr zehnte Studioalbum des konstant aufstrebenden Hamburgers mit dem signifikanten Irokesen hält sich gleich von Beginn an kein bisschen zurück: „From His Broken Bones“ ist nicht nur ein ganz besonders kraftvoller Opener, sondern zugleich auch der schnellste Song des gesamten Werks. Dass sich der energetische Up-Tempo auch gleich auf dem zweiten Platz der DAC festsetzen konnte, verwundert kaum: Der tiefe Bass gibt unverzüglich dominant den hektisch flirrenden, treibenden Rhythmus vor und fusioniert nur kurz darauf mit dunkel angehauchten Beats, welche die konträr zurückhaltenden, melancholisch gefärbten Strophen in ihren leicht hypnotischen Trance-Zügen schnell mit melodisch ausgelagertem Future Pop ausfüllen. Neben der experimentell-technoiden Bridge ist es hier aber vor allem der fantastisch packende Refrain, in dem sich dann alle Emotionen gestärkt bündeln und gemeinsam furios implodieren. Das exakte Gegenstück dazu folgt überraschend direkt im Anschluss, denn „The Other Side Of Doom“ ist tatsächlich der behäbigste Titel des neuen Releases, was hier jedoch keinesfalls mit dem Adjektiv „kraftlos“ gleichzusetzen ist. Nein, ganz im Gegenteil! Der abgründig dröhnende Bass, mächtig powernde Drum-Einschübe und mitreißende Chorus drücken die schwere Gesamtheit stetig weiter in Richtung der Club-Tauglichkeit, bis ab der Mitte plötzlich minimalistische EBM-Anleihen greifen und die Tanzbarkeit unverzüglich drastisch erhöhen. Über allem schweben dabei die feinsinnig in den Kontext verflochtenen, introspektiven Lyrics über Selbstreflexion, mentale Entwicklungsprozesse und das zweite Gesicht. Der Gesang balanciert unterdessen unberechenbar zwischen aggressiven Growls und cleanen Passagen, was der inhaltlichen Intensität nur noch umso mehr zugute kommt. Die entsprechende Thematik wird fortan durch „Watching The Watchers“ flächendeckend auf das aktuelle Gesellschaftsbild ausgeweitet. So startet die Nummer anfangs mit einem Sample-Einspieler von einer Stellungnahme Barack Obamas zu einem Überwachungsprogramm der Regierung. Ähnlich finster kommt demnach auch der Sound daher, der schwarz schillernden Future-Pop mit einer dystopischen Zukunftsvision vereint, während Yahya vom gläsernen Menschen im Diesseits, medialer Kontrolle und strikter Zensur der Meinungsfreiheit singt. Nach der melancholisch getragenen Halb-Ballade „With A Borrowed Knife“, die sich vorwiegend mit inneren Konflikten und dem steinigen Weg zu einem anderen, besseren Ich auseinandersetzt, zieht das Tempo erneut drastisch an: „The Acid Witch“ macht seinem Namen alle Ehre und bietet als extrem basslastiger Acid-Techno-Track einen giftigen Groove, der sich nicht vor zahlreichen Sound-Experimenten und pulsierenden Effekten scheut, wodurch sich schnell eine hypnotische Sogwirkung der finstersten Sorte ergibt, ehe „Slowly We Inch“ erneut in die druckvolle Kerbe schlägt und heftig Kritik übt. Zur beachtlich variablen Stimme des wandelbaren Sängers, knüpft man hier thematisch an zwei der vorherigen Stücke an und zitiert jene teilweise sogar, wenn es wieder um massenwirksame Beeinflussung, Fake-News und Meinungsmache geht. Schön und fast schon selbstverständlich, dass der Song trotz seines mahnenden Untertons nichts von seiner schieren Tanzbarkeit einbüßt! Ebenso sehr dazu prädestiniert ist das hochmelodische „Murder“, das sich, entgegen seinem deutlich unheilschwangeren Titel und der übrigen Stücke, überraschend als dynamischer Pop-Hit entfaltet. Hier geben sich beschwingte Catchyness und dezentere Passagen abwechselnd die Klinke in die Hand. Nach dem harsch pochenden, zwingend aufrüttelnden Titeltrack „Asteria, welcher den beeindruckenden Facettenreichtum von „Faderhead“ durch konsequente Wechsel einmal mehr vollendend spiegelt, bewegt man sich bei „Mistakes & Pain“ hingegen sowohl instrumental als auch lyrisch auf arg introvertiertem Terrain. Der zurückhaltende Song gestaltet sich durch die parallel laufende Vocoder-Spur als Zwiegespräch mit dem eigenen Inneren, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft reflektiert. Das schnelle „Neophobiac“ kommt danach wieder ganz im zähnefletschenden Industrial-Gewand daher, welches sodann nahtlos in „Halo“ übergeht, das wie in Rage harte Techno-Salven im Stile von „The Prodigy“ abfeuert, um in all seiner aufrüttelnden Zerrissenheit mit dem balladesken „The Bottom“ dann zum tiefsten Grund zu hinabzusinken. Dort, wo existenzialistische Sinnfragen gestellt und beantwortet werden müssen, wo der zerrende Schwermut regiert und letztlich nur die vollendete Selbstakzeptanz die letzte Bastion und den Schlüssel zum Glück bedeuten kann. Eigentlich der perfekte Abschluss, oder? „Dancing All Alone“ legt jedoch als Letztes nochmal mit viel poppigem Charme nach und markiert ein durchweg versöhnliches Ende der turbulenten Reise durchs eigene Innere und unterstreicht somit den beruhigenden Status Quo, endlich angekommen zu sein... Wer sich bereits die letzten Jahre über etwas intensiver mit dem Hamburger Electro-Meister auseinandergesetzt hat, den dürfte es an dieser Stelle selbstredend nur wenig verwundern, dass jener bereits den 2014 mit „Atoms & Emptiness“ eingeschlagenen Weg hier nun konsequent weiterverfolgt. Stumpf vor sich hin wummernde, wenn zugegeben auch äußerst launige, Party-Hits der Marke „Dancers“, „Fistful Of Fuck You“, „TZDV“ und das distanzierte Macho-Image gehören nämlich schon seit längerer Zeit endgültig der Vergangenheit Yahyas an, der sich seitdem in vielen Bereichen deutlich mehr geöffnet haben zu scheint. Alles andere als zu seinem Nachteil, denn der eigentlich so ungemein sympathisch geerdete Hanseate hat es weder auf der Bühne, noch musikalisch in irgendeiner Weise nötig, sich hinter einer kühlen Fassade verstecken zu müssen. Im Gegenteil: Der deutliche Fokus auf Nahbarkeit und Emotion steht „Faderhead“ wirklich ganz hervorragend zu Gesicht und eröffnet zudem lyrisch ganz neue, enorm interessante Möglichkeiten zur vertonten Innenansicht des Mastermind. Das bedeutet natürlich keinesfalls, dass es auf dem Nachfolger des hervorragenden „Night Physics“ zwingend ruhiger oder gar langweilig zugeht. Nein, in den rund achtundfünfzig Minuten der Spielzeit finden sich streng genommen gerade einmal drei reinrassige Balladen. Der Rest verbleibt, mal elegant düster-poppig und dann wieder dreckig-derb, tanzbar im erhöhten BPM-Bereich. Dabei greifen das komplexe Songwriting mit all seinen großartigen Arrangements und facettenreichen Thematiken, die eingängigen Melodien und nicht zuletzt die begnadet pointierte Produktion so herrlich organisch ineinander, dass es eine wahre Freude ist und beweist eindrucksvoll, dass das zehnte Studioalbums des ambitionierten Projekts vielleicht genau das ist, was der teilweise etwas eingerosteten Electro-Szene bis jetzt so sehr gefehlt hat.

Informationen:

https://faderhead.com/blog/

https://www.facebook.com/faderhead/

 

Blutengel - Damokles (2019)

Genre: Pop / Alternative

Release: 01.11.2019

Label: Out of Line Music (Rough Trade)

Spielzeit: 61 Minuten

Fazit:

Zwanzig Jahre lang gibt es „Blutengel“ und im Grunde gab es immer nur eine Richtung für die Band: aufwärts! Doch der Erfolg hat Sänger Chris Pohl nicht geblendet und lebensfern gemacht - er weiß, wie schnell es mit dem Glück vorbei sein kann. Auf „Damokles“ zeigt er sich von seiner verletzlichen Seite und singt in entwaffnender Offenheit über seine Ängste. Nach dem Erfolg von „Un:Gott“ (Platz zwei in den deutschen Albumcharts) richtete sich Chris‘ Blick direkt wieder nach vorne - inspiriert von den Schatten seiner Seele fasste er Angst und Kummer in neue, persönlichere Songs. „Es geht um meine persönlichen Dämonen. Gerade der Titelsong beschreibt meine Angst vor dem, was kommen kann oder wird. Es ist gerade wirklich alles in Ordnung, aber ich habe unwahrscheinliche Angst davor, dass sich das ändert. Angst vor dem Tod meiner Eltern, der kommen wird, Angst, dass geliebten Menschen etwas passiert... Auch Angst, was später mal mit mir wird.“ „Damokles“ gewährt nicht nur einen tiefen und intimen Einblick in die Seele dieses einzigartigen Künstlers. „Damokles“ ist auch die ehrliche Auseinandersetzung eines Menschen mit den Ängsten, die wir alle tief in uns spüren - und die wir uns häufig nicht auszudrücken trauen. „Damokles“ wird es ab dem 01.11.2019 als einfaches Mini-Album, limitierte Clear-LP mit alternativer Tracklist und als limitierte 2-Digi-CD einschließlich der CD „Un:Gott - The Lost Chapters“ mit Songs aus der „Un:Gott“-Session via Out Of Line Music geben. Chris über diese Lieder: „Textlich passten sie nicht so gut ins Konzept. Ich wusste aber, dass ich sie veröffentlichen werde, und es sind keine Bonus-Songs, sondern hätten so auch auf einem "normalen" Album funktioniert.“ Das 2-CD-Digi ist die Version für die Die-Hard Fans und wird als Sammler Stück streng limitiert.

Das rein instrumentale „The Haunting (Prelude)“ birgt gleich zu Beginn allen voran eine epochal donnernde Percussion aus mächtigen Trommeln, helle Glockenschläge und tiefe Streicher, wodurch das Intro mit seiner dichten Atmosphäre in den rund anderthalb Minuten fast aus einem Soundtrack entsprungen sein könnte. Es folgt der Titeltrack „Damokles“, der erste vollwertige Song des neuen Albums, der zudem durch und durch als typischer Blutengel-Output anzusehen ist. Zum dezent pochenden Bass gesellen sich sogleich die obligatorischen, dunkel betonte Synthies im zurückhaltenden Rhythmus. Das mystisch angehauchte Legenden-Konzept wird derweil von vokalen Echos durch Ulrike Goldmann unterstützt. Durchgehend im bekömmlichen Mid-Tempo angesiedelt, präsentiert sich die Vorab-Single als sehr tanzbar konstruiert, was dem Vibe der letzten Veröffentlichungen entspricht. Zudem präsentieren sich die verzweifelten Textteilen, welche von den Ängsten, Querelen und Leiden des Lebens künden, einmal mehr ausschließlich in deutscher Sprache. Natürlich nicht, ohne dabei eine gewissen Prise bewährten Pathos unterzumischen. Das nächste Stück namens „Disobedience“ wird zunächst von einem enorm antreibenden Schlagwerk eingeleitet, bis schon bald pointierte Elektronik und nebulös groovenden Gitarren einen packenden Drive entfachen, dem man sich nur schwer entziehen kann und einfach mitgehen muss. Das Arrangement ruft zuweilen Erinnerungen an „Say Something“ vom 2017er Ableger „Leitbild“ wach, ist dabei aber sehr viel konsequenter und runder. Der Refrain ist dann eine organische Symbiose zwischen Pohl und Goldmann, deren Stimmen sich erst immerzu abwechseln und dann gemeinsam harmonisch verschmelzen. Zugegeben, das alles wirkt stellenweise ein wenig zu gewollt, ist dadurch aber trotzdem nicht weniger gelungen und zeitgleich eine kleine Hommage an den Dark Wave und Szene-Ikonen wie „The Sisters Of Mercy“. Nicht nur eine charmante Verbeugung vor alten Helden, sondern ein wirklich gut austariertes Konzentrat aus musikalischer Vergangenheit und Gegenwart. Von Beginn an merklich entschleunigter geht es danach bei „The Search“ zu, das anfangs elegische Streicher-Komponenten ins Feld führt. Die vertonte Sinnsuche setzt in den Strophen auf eine eher minimalistische Basis und grundiert jene sodann mit düster geheimnisvollen Synthie-Spitzen, bis das mysteriöse Konstrukt im hoffnungsvollen Refrain dann schließlich hymnisch aufklart. „Strong“ bietet danach wieder ganz die klassische „Blutengel“-Formel und setzt auf die gewohnten Trademarks des Berliner Erfolgsprojekts. So erschließt sich der Sound einmal mehr mit einer eingängigen Melodie, hoch dramaturgisch eingesetzten Chören und mehrstimmig angelegten Gesangspassagen. Ab der Hälfte der Spielzeit gibt es mit einem einschneidenden Umbruch doch noch eine kleine Überraschung, welche die instrumentale Wandlungsfähigkeit veranschaulichend unter Beweis stellt. Ferner liegt der entsprechende Song später nochmals in einer Remix-Variante der Dresdner Electropop-Formation „Caisaron“ um Sängerin Angela Blaclfield vor, der es mit leichter 80er-Note behände vollbringt, der Nummer weitere Nuancen zu entlocken. Das Ende des regulären Albums naht dann mit „Briefe an Dich (feat. Kira)“. Ein bewegendes Duett mit Kira „Sinister“ Hempel, Frontfrau der aufstrebenden Gothic-Rocker „Sündenrausch“, das einen Dialog zweier Liebender mit viel Hittauglichkeit darstellt, leider aber auch mit den üblichen Plattitüden zu kämpfen hat. Auf der zweiten Disc entführt Pohl in die eigenen Archive und gewährt dem Hörer einen Blick auf unveröffentlichtes Material aus dem Schaffensprozess des letzten Fulltime-Ablegers „Un:Gott“. Den Anfang macht dabei „Another Dream“, ein durchweg verträumtes und süßlich tönendes Stück Musik, welches durch seinen sphärischen Aufbau direkt positive Energie verströmt, ansonsten aber ohne besonders nennenswerte Höhepunkte auskommt. „Hourglass Of Life“ ist eine melancholische Halb-Ballade, welche die Vergänglichkeit von Emotionen und Liebe behandelt. Neben dezenten Future-Pop-Anleihen setzt man auch wieder verstärkt auf Percussion flößt dem Sound somit interessante Eigenständigkeit ein. Der Remix von den britischen Label-Kollegen „Massive Ego“ drückt dem Track ihren unverkennbaren Stempel auf und verleiht nochmals einiges an Energie, fast schon besser als das Original es vermag. „Fire and Ice“ legt erheblich an Tempo zu und kredenzt Electro der härteren Gangart, immer wieder durchsetzt von sanft konterkarierenden Piano-Salven. Die aggressiv akzentuierte, erste Strophe bestreitet Pohl noch allein, die Zweite gehört dann hingegen ganz Goldmann. Definitiv hörenswert, wohingegen sich das kühle „Stardust“ abermals viel zu sehr auf alte Tugenden verlässt und eher in den gewöhnlichen Goth-Pop abdriftet. Das finale „Running Away“ nimmt sich da nicht viel und ist vergleichbar gestaltet, fällt dafür aber mit einem recht erinnerungswürdigen Instrumental auf. Es ist wohl nicht zu leugnen, dass es in der schwarzen Szene nicht viele Bands gibt, die so dermaßen viel Material auf den Markt bringen, wie „Blutengel“. Dass bei so einem hohen Pensum mitunter auch die Qualität leidet, ist nicht gerade verwunderlich und zeigte sich zuletzt insbesondere bei den regulären Studioalben immer wieder. Dafür wussten kurioserweise aber die EPs, wie etwa „In Alle Ewigkeit“ oder „Black“ umso mehr zu überzeugen. Und so gibt es nach „Un:Gott“ auch dieses Mal wieder musikalischen Nachschlag im gewohnten Zeitabstand von einem halben Jahr: Satte dreizehn Songs, wovon einer ein reines Instrumental und zwei Remixe sind, haben es auf die beiden Silberlinge geschafft. Besonders hervorzuheben sind dabei „Disobedience“ und „Fire And Ice“, die beide ungemein aus dem Rest herausstechen. Ob man die erfolgreiche Gothic-Pop-Kombo aus der Hauptstadt nun mag oder nicht, so muss man ihr doch wenigstens lassen, in vielen Belangen einen gewissen Standard zu vertreten, der zwar (zu) selten seine selbstgeschaffene Komfortzone verlässt, dafür aber stets solide ist. Echte Fans greifen hier sowieso zu, alle anderen dürfen gerne reinhören, sollten zeitgleich jedoch keine zu großen Veränderungen erwarten. „Blutengel“ bleiben sich nämlich weiterhin treu und das ist ja auch schon mal ein Pluspunkt...

Informationen:

https://blutengel.de

https://www.facebook.com/BlutengelOfficial/

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