Schandmaul - „Artus"-Tour - Turbinenhalle, Oberhausen - 16.11.2019
Veranstaltungsort:
Stadt: Oberhausen, Deutschland
Location: Turbinenhalle 1
Kapazität: ca. 3.500
Stehplätze: Ja
Sitzplätze: Nein
Homepage: http://www.turbinenhalle.de
Einleitung:
Es ist Samstag, der 16.11.2019, früher Abend. Meine Begleitung und ich haben uns für etwa 18.00 Uhr am örtlichen Hauptbahnhof verabredet, wohlwissend, dass die Fahrt nach Oberhausen eigentlich nie sonderlich lange dauert. Eigentlich. Achtung: Das schöne und fast schon unauffällige Wörtchen „eigentlich“ ist in Bezug auf die DB nämlich universal und praktisch beliebig oft anwendbar, wenn einmal wieder Verschiebungen oder Ausfälle aller möglichen und unmöglichen Art die Strecken heimsuchen. In 99,9% der Fälle und mit Vorliebe nämlich genau jene, die man selbst gerade nehmen muss und meistens auch exakt dann, wenn man es gerade ganz besonders eilig oder erst gar keine andere Ausweichmöglichkeit hat... So wie jetzt gerade: Als wir am Gleis eintreffen, ahnen wir noch nicht, dass nur wenige Minuten vor der ersehnten Einfahrt unseres Zuges eine unscheinbare Meldung auf der Anzeigetafel aufploppen soll, die ganz nebensächlich darauf hinweist, dass der Halt in Oberhausen einfach so übersprungen wird. Na gut, „einfach so“ nun auch wieder nicht, denn die Homepage gibt Aufklärung über den Sachverhalt und verrät, dass derzeit ein Arzt im Einsatz auf den Schienen ist. Selbstverständlich eine vollkommen berechtigte Begründung, doch wenn man in solcherlei Situationen so nahe am gefühlten Herzinfarkt wie ich gebaut ist, eine durchaus heikle Angelegenheit. Während ich am Handy hektisch nach einer alternativen Route suche und mir mittlerweile immer sicherer werde, entweder gar nicht mehr oder zumindest nich rechtzeitig ans Ziel zu kommen, ist meine Begleitung hingegen die Ruhe selbst und telefoniert zwei Mal rum, bevor sie mir die Lösung unseres Problems präsentiert: Ihr Bruder hat sich doch tatsächlich bereiterklärt, uns spontan zu fahren. Nicht zum nächstgelegenen Bahnhof, sondern gleich zur Turbinenhalle selbst und das, obwohl er extra für uns sein Abendessen hat kalt werden lassen. Wow, das nenne ich mal Rettung in letzter Stunde! Das Ende vom Lied: Schon wenige Minuten später werden wir am Haupteingang abgeholt, ich erleide glücklicherweise doch keinen Herzinfarkt und dann geht es auch schon los, bis wir schließlich keine halbe Stunde später in der Einfahrt am Lipperfeld wieder aussteigen. Vielen, vielen lieben Dank nochmal an dieser Stelle, ohne deine Hilfe hätten wir das Konzert vielleicht erst gar nicht gesehen oder zumindest eine ganze Menge davon verpasst! Nach einem kleinen Snack geht’s dann zum Eingang. Die Schlange vor den Türen ist wirklich sehr lang, löst sich mit dem pünktlichen Einlass aber auch relativ schnell wieder auf. Der Schalter für die Gästeliste ist dafür sofort frei und nachdem ich meinen Namen genannt habe, dürfen wir passieren, denn wie bereits beim letztjährigen Jubiläum hat mir die Band großzügigerweise sogar ein +1 oben drauf gewährt - Ein herzliches Dankeschön dafür! Was wir aber schon nach den ersten Schritten im Foyer bemerken: Es ist heute Abend richtig voll! Nicht nur gut besucht, sondern so dermaßen voll, dass gar nicht erst alle Besucher in den Saal hineinkommen und stattdessen durch die geöffneten Türen in diesen hineinblicken müssen. Auch im Inneren sieht’s nicht viel besser aus, selbst im hinteren Drittel drängen sich die Gäste dicht an den Wänden, es gibt kein Vor und Zurück mehr. So habe ich die erste Turbinenhalle schon ewig lange nicht mehr gesehen. Obwohl es zudem noch wenige Restkarten an der Abendkasse gibt, fühlt es sich definitiv wie ausverkauft an und irgendwie bin ich schleichend der vollen Überzeugung, dass eine größere Location, wie etwa vor einigen Jahren der geräumige RuhrCongress Bochum, hier die deutlich bessere Wahl gewesen wäre. Nicht auszudenken, immerhin wurde das Konzert noch am selben Tag spontan aus der zweiten und viel kleineren Halle hierher verlegt. Egal, wir sind erstmal drin! Nachdem wir unsere Wertmarken gegen ein erstes Bier eingetauscht haben, rücken wir so weit in die Halle vor, wie nur irgendwie möglich. Es geht los!
dArtagnan:
Deutlich früher als gedacht, steht mit den erfolgreichen Senkrechtstartern von „dArtagnan“ auch schon der Support mitten in den Startlöchern. Die im Jahre 2015 bei Nürnberg gegründete Band, die sich nach dem Hauptcharakter des berühmten Roman „Die drei Musketiere“ von Alexandre Dumas benannt hat, vermischt diverse Elemente aus Rock, Folk und Pop zu einem äußerst eingängigen Sound miteinander. Seit dem umjubelten Debüt „Seit An Seit“ steht das Trio, welches bei seinen Konzerten stets zusätzlich um drei Live-Musiker ergänzt wird, bei Major-Label Sony Music unter Vertrag. Mit dem nicht weniger gelungenen Zweitling „Verehrt & Verdammt“ ging es dann erstmals auf eigene Tournee, bis Anfang 2019 durch „In Jener Nacht“ dann abermals musikalisch nachgelegt wurde. Durch das parallel laufende Engagement zweier Gründungsmitglieder bei dem in der Szene sehr beliebten Kollektiv „Feuerschwanz“, konnte sich das frische Projekt überdies von Anfang an einem treuen Fan-Kern sicher sein. So verwundert es also auch heute Abend nicht, dass Schlagzeuger Matthias Böhm, Bassist Sebastian Baumann, Violinist Gustavo Strauss, die beiden Gitarristen Haiko Heinz und Tim Bernard, sowie Sänger Ben Metzner vor einem übervollen Saal auf den mit hohen Fackelhalterungen stimmungsvoll dekorierten Brettern stehen, der dem sympathischen Sechser bereits zum eröffnenden „Sprengt Die Ketten“ reichlich Applaus spendet. Da hilft nur die energiegeladene „Flucht Nach Vorn“, oder? Auch das folgende „Chanson De Roland“ nimmt sich kompromisslos dem aktuellen Album der fränkischen Degenkämpfer an, ehe es durch „Was Wollen Wir Trinken“ vorerst einen kleinen Abstecher in die Vergangenheit gibt. Der Titel scheint wohl ganz das Motto einiger Gäste zu sein, die sich, beseelt von den heiteren Klängen, jetzt scharenweise in Richtung der Theken begeben, um eifrig Getränkenachschub zu ordern. Von Desinteresse kann jedenfalls nicht die Rede sein, denn „dArtagnan“ werden hier fast ausnahmslos für jeden einzelnen Song begeistert abgefeiert und mit reichlich Jubel belohnt. Das sieht bei „Endlich Frei“, „Strafe Muss Sein“ und dem Titeltrack des aktuellen Releases nicht anders aus. Im Gegenteil, die neuen Stücke kommen live wirklich hervorragend an! Mindestens ebenso sehr, wie auch das obligatorische „Heldenlied“, das sich mittlerweile zu einem echten Klassiker gemausert hat und nun zu den Wurzeln zurückführt... Sehr zur Freude all jener, die schon seit den Anfängen dabei sind. Das epische „Wallenstein“ nimmt das Publikum hingegen nochmals auf eine Reise in jüngste Gefilde mit, das große Finale markiert dann die emotionale Power-Ballade „Meine Liebste, Jolie“, an deren toll inszenierem Abschluss sich „dArtagnan“ schließlich mit gekreuzten Klingen von Oberhausen verabschieden. Am Ende bleibt also ein ungewöhnlich ausgiebiges Set von immerhin rund zehn Liedern, welches natürlich eher stark auf das neueste Material ausgerichtet war, andererseits aber durchweg zu unterhalten und den zahlreichen Gästen in der Turbinenhalle einzuheizen wusste. Gut so! Nach dem Support leert sich der Innenraum zumindest ansatzweise, was uns glücklicherweise ermöglicht, überhaupt erstmal in den Saal zu gelangen. Von dort aus schlängeln wir uns so durch die Menge und bekommen dank eines freundlichen Security-Mitarbeiters, der uns etwas Platz einräumt, noch einen tollen Platz im vorderen Drittel. Also: Alles nochmal gut gegangen!
Schandmaul:
Vollkommen überraschend schwindet bereits um 20.40 Uhr das ohnehin schon eher schummrige Licht in der mittlerweile fast bis zum letzten Rand gefüllten Turbinenhalle und lädt die mehreren tausend, sehnsuchtsvoll wartenden Zuschauer somit zur legendären Tafelrunde von König Artus und seinen tollkühnen Recken ein. Plötzlich wird die ganze Bühne in eisblaue Farbtöne eingetaucht und sanfte Nebelschleier ziehen zunehmend auf, um sich dann langsam und schwer über die Szenerie zu legen. Pulsierende Synthieflächen schieben sich aus den Boxen hervor, mächtige Trommeln donnern majestätisch, irgendwo aus der scheinbar weiten Ferne erschallt ein tiefes Horn. Im Hintergrund erstreckt sich, umgeben von idyllischen Baumwipfeln, eine alte Burgruine in die Höhe. Davor thronen vier große Boxen, in denen jeweils sieben verschiedene Scheinwerfer verbaut worden sind. Das zentrale Kernstück, ein hohes Podest, wird hingegen von acht hohen LED-Säulen umrahmt. Eine relativ schlichte und gleichzeitig doch wirkungsvoll mystische Kulisse! Im zwielichtigen Halbdunkel betreten nun Schlagzeuger Stefan Brunner, Bassist Matthias "Hiasl" Richter, Gitarrist Martin Christoph "Ducky" Duckstein, sowie die beiden Multiinstrumentalistinnen Saskia Forkert und Birgit Muggenthaler-Schmack unter tosendem Beifall auf die Bühne. Dicht gefolgt von Frontmann und Sänger Thomas Lindner, der jetzt zum geheimnisvollen Opener „Der Meisterdieb“ mit einer schwarzen Maske auf leisen Sohlen über die Bretter und behutsam um die wenigen Lichtsäulen herum schleicht, bis er sie im letzten Refrain schließlich vollständig ablegt. „Einen schönen guten Abend, Oberhausen. Ihr habt es geschafft, ihr seid die Meisten auf dieser Tournee!“, begrüßt er das aufgrund des soeben aufgestellten Rekords jubelnde Publikum herzlich. „Lasst uns heute alles geben, denn ihr seid es... Die Herren der Winde!“, verkündet er feierlich und leitet so zur gleichnamigen Hymne über. Die Stimmung ist schon jetzt äußerst energiegeladen, man singt und tanzt gemeinsam. Zum magischen „Hexeneinmaleins“ ändert sich dieser Zustand keinesfalls, sondern soll sogar noch um eine weitere Nuance erweitert werden. „Ihr habt jetzt die einzigartige Möglichkeit zu üben, vielleicht braucht ihr das ja später nochmal?“, lächelt Lindner verschmitzt und leitet die Fans im Mittelteil dann dazu an, rhythmisch im Takt zu klatschen. Das funktioniert auf Anhieb erstaunlich gut und zudem punktgenau. „Lasst die Hände doch gleich oben, die nächsten zwei Stunden hört ihr nur uns! Wir wollen euch gerne auf eine kleine Reise mitnehmen... Wohin, ist völlig egal!“, lautet der Plan und natürlich sind alle nur zu gerne dabei. Also dann: „Auf Und Davon“. Schon jetzt macht sich bemerkbar, dass die neuen Songs auch live hervorragend zünden, bestens angenommen werden und sich überdies hinaus nahtlos zwischen den alten Klassikern einfügen, als hätte es sie immer schon gegeben. Eines jener langjährig beliebten Stücke ist fraglos das sagenumwobene „Geisterschiff“, zu welchem Duckstein bei einem ausgiebigen Solo im gebündelten Lichterreigen sein Können an den Saiten unter Beweis stellen kann. „Vielen lieben Dank!“, setzt der Sänger freudig an und wird jäh von einem Chor unterbrochen: „Happy Birthday“ singt die gesamte Turbinenhalle, angeleitet durch die übrigen Mitglieder. „... aber ich kann doch gar nichts dafür! Ich werde den Glückwunsch an meine Frau Mutter weiterleiten. Danke euch.“, lächelt er sichtlich überrascht. „Sagt mal, wurden euch, so wie uns, in eurer Kindheit eigentlich auch manchmal Märchen vorgelesen?“. Vielfache Zustimmung. „In 99% davon geht es ja meistens darum, das Herz einer holden Prinzessin zu erobern... Doch, warum ist’s eigentlich immer eine Prinzessin? Die dann erst auf der Erbse liegt und hinterher Rücken hat!? Das ist doch gar nicht alltagstauglich! Oder noch so ein Exemplar: Ist im Hof und spielt Fußball, dann fällt ihr die Kugel in den Brunnen. Zum Glück sitzt da aber ein Frosch, holt den Ball wieder raus und möchte als kleinen Gefallen nur ein Abendbrot und in einem warmen Bett schlafen. Und was macht das freche Gör!? Es nimmt ihn und klatscht ihn an die Wand. Man könnte jetzt meinen, dass das schlecht fürs Karma wäre, aber die Kuh wird auch noch belohnt und es kommt ein Märchenprinz dabei heraus. Man kann’s kaum glauben... Da ist uns so auf den Sack gegangen, dass wir ein alternatives Ende geschrieben haben. Hat sich was mit Prinz!“. Das ist mal ein Wort und die dazugehörige Tat folgt sogleich mit der zynisch verspielten Neuinterpretation vom „Froschkönig“, an dessen Ende sich der Frontmann sogar noch für eine kurze Passage an den Flügel begibt. Langeweile geht definitiv anders!
„Aber es gibt nicht nur Märchen, sondern auch wahre Geschichten, die es sich zu vertonen lohnt. Diese Tragödie kennen bestimmt viele: Da steht so ein Typ vor euch oder es kann auch ein Mädchen sein, dass dermaßen Unfug redet, dass man es einfach nur am Schlawittchen packen und ganz feste schütteln möchte, dass ihm die Vernunft nur so zu den Ohren heraustropft...“. Gespannte Stille im gesamten Saal. „Oh, doch so viele vernünftige Menschen hier in Oberhausen? Naja, aber weil man solche Typen, man sagt auch Heckenpenner dazu, wegen dem Tierschutz nicht einfach so schütteln darf, haben wir das getan, was uns am besten zu Gesicht steht und ein Lied darüber geschrieben. Wir wollten es ihm vorsingen und dann stellte sich dabei nur leider heraus, dass er unsere Konzerte gar nicht besucht... So ein Mist! Aber dann haben wir einen Plan entwickelt: Wir spielen den Song dennoch und ihr werdet ihn für uns in die Welt hinaustragen, bis er in jeder Stadt läuft und ihn dieser Typ irgendwann zufällig hört. Dann hat das alles seinen Sinn erfüllt. Die Message stimmt immer!“, nimmt sich der Sänger einem sehr ernsten und gleichzeitig leider noch immer aktuellen Thema an. Sorge tragen, dass der jeweilige Adressat dieser Zeilen heute Abend vielleicht doch dabei sein könnte, brauchen die Mäuler mit Sicherheit nicht, denn Narren sind „Bunt Und Nicht Braun“. Das wissen hier ganz bestimmt alle, kein Zweifel. In den ersten Reihen schwingt jemand eine Regenbogen-Fahne, alle singen und feiern hier gut gelaunt zusammen. Ein gemeinsames Zeichen für die gleichberechtigte Liebe und gegen den Hass. Sehr schön! „Wir waren ja gerade schon bei meiner Mutter, aber es gibt auch noch eine andere Person, die mich sehr geprägt hat... Das war nämlich meine Omma! Ich habe genau zwei davon, eine hat sich zu früh aus dem Staub gemacht. Ihr kennt das, optisch gleichen sich die meisten Omas ja sehr. Die Klamotten meistens in einem eher dezenten Beige gehalten und die grauen Haare auf die alten Tage noch mühsam gefärbt, wo dann meistens so ein Lila herauskommt. Das Wichtigste ist aber, dass alle Ommas die geilsten Sprüche haben. So etwas, wie „Nie ohne Seife waschen“ oder so. Das kann einen echt in den Wahnsinn treiben! Am häufigsten kam aber der Spruch: „Früher war alles besser“. Und ja, manche Dinge waren gut und sie wären es auch heute noch. Ich erinnere mich zum Beispiel noch daran, dass ich mir als kleiner Bub irgendwann genügend Groschen von allen Verwandten zusammengespart hatte, das wurde damals übrigens noch bar als Taschengeld ausgezahlt und nicht überwiesen... Damit bin ich dann in einen Plattenladen gegangen, das ist sowas ähnliches wie Amazon, da habe ich mir eine Schallplatte gekauft. Das ist so etwas wie eine Playlist von nur einem einzigen Interpreten! Wer kennt denn noch die Bravo? Das war sowas, wie die Gala für Kinder... Ah, die Jungs erinnern sich bestimmt noch an ihre erste Wichsvorlage, oder? Erst war‘s der Otto-Katalog und später dann Dr. Sommer. Bei den Autogrammen habe ich mich aber immer gewundert, warum alle Bands dieselbe Adresse in Hamburg hatten...“, grinst Lindner und präsentiert dann stolz eine kleinen und mit vielen Aufklebern versehenen Briefkasten, der just in diesem Moment von einem Crew-Mitglied auf die Bühne gehievt wird. In diesem können die Fans, wenn sie denn wollen, nach dem Konzert ihre persönliche Nachricht an die Band hinterlassen.
Ganz oldschool eben, eine wirklich charmante Idee, die in Zukunft hoffentlich noch viel Anklang finden wird. Mit dem launig losgelösten „Vagabunden“ und der berührenden Power-Ballade „Leuchtfeuer“, bei dem ein Händemeer die wogenden Wellen simulieren soll, geht es danach weiter, bis ein mit kleinen Teelichtern bestücktes Klavier ins Zentrum gerollt wird. „Wir haben vor ein paar Jahren einen Brief zugespielt bekommen, der von einer älteren Dame verfasst wurde, die im Angesicht ihres nahenden Todes die Bitte hatte, dass dieser der Trauergemeinde vorgelesen werden sollte. Das klingt vielleicht komisch, aber diese Zeilen hatten so viel Leben drin, dass wir daraus einen Text und ein Lied gemacht haben.“, erklärt der Fronter mit nachdenklichem Gesichtsausdruck den tragisch-schönen Auslöser für das emotionale Highlight einer jeden „Schandmaul“-Show: „Euch Zum Geleit“. Ein aufrichtiger Augenblick der Stille, in dem so manch ehrliche Träne fließt. Danach darf es jedoch auch wieder ein klein wenig fröhlicher zugehen: „Die Leute beim ZDF-Fernsehgarten haben uns etwas weggenommen, denn dank ihnen ist es nicht mehr länger salonfähig zu schunkeln. Aber es gibt eine Möglichkeit dazu, ohne sein Gesicht zu verlieren und das ist ein echtes Seeemannslied!“, lockert Lindner danach die Stimmung für „Der Kapitän“ auf. Ein Lied vom aktuellen Album, das thematisch zwar ebenfalls von Abschied handelt und schnell zu Herzen geht, das Publikum in seiner Machart aber wieder langsam auf den folkig beschwingten Pfad zurückführt. Bereit für neue Schandtaten? „Was nach dem Abschied folgt, ist der Tod!“, heißt es anschließend in der schroffen Überleitung zu „Der Totengräber“. Nicht gerade besonders schonend oder hoffnungsvoll, aber dafür ehrlich. Die kernig verpunkte Up-Tempo-Nummer vermag es aber, die Menge kurzerhand erneut zum ausgelassenen Tanzen zu verführen. Gut so, die perfekt gelenkte Stimmungskurve hebt sich nur wenig später fast von allein und mündet dann im Party-Kracher schlechthin: „Der Teufel...“. Wer da keine gute Laune bekommt, ist selber schuld! Also erheben alle ihr Glas und trotzen dem Höllenfürsten, seinem listigen Schnaps und nicht zuletzt auch dem „Teufelsweib“. Ja, schaut man sich den Aufbau der Setlist einmal etwas genauer an, so wird vermutlich nicht ganz zufällig ein roter Faden ersichtlich. Der Teufel steckt, wie so oft, im Detail.
„Wir hätten jetzt gerne eine kurze Stelle der Andacht und möchten hiermit allen Menschen von Herzen danken, die morgens schon immer ganz früh am Start sind und das alles in der Halle hochziehen, während wir noch schlafen und die das alles hier auch wieder abbauen, wenn wir mit dem Arsch schon längst im Bett liegen. Reißt alles ab, einen donnernden Applaus dafür!“. Tolle Worte und ein mehr als nur verdientes Lob für die fleißige Crew, die ihren ganz eigenen Beifall selbstverständlich bekommen soll. „Wenn man auf Festivals spielt, braucht man immer mindestens ein Spiel für das Publikum und wer das Beste hat, ist dann der Headliner... Ihr seid jetzt einfach ein Zehntel von Wacken und beim nächsten Song testen wir diese Leibesübung mal, okay?“. Abgemacht. Anstelle der traditionellen und zum letztjährigen Jubiläum final aufgeführten Interaktion, bei der die Fans mit den Armen im Takt wedeln und dabei verschiedene Phasen, wie beispielsweise „Slowmotion“ oder „Zombie“ durchlaufen mussten, gilt es jetzt, abwechselnde Passagen zu singen. Zur hellen Freude aller Beteiligten funktioniert das anfangs noch eher durchwachsen, viele Lacher sind garantiert. Weiter geht’s mit dem „Drachentöter“, dieses Mal leider ohne die zwei anderen Teile der Trilogie und „Der Hofnarr“, bis zu „Vogelfrei“ wieder nach Herzenslust gesprungen werdend darf. „Dankeschön! Ohne, dass ihr es gemerkt habt, haben wir mit euch über den Abend verteilt gleich drei verschiedene Sachen geübt. Da wäre einerseits das Klatschen, das Springen im Takt und lauthals zu singen... Das war schön, oder? Das alles nur für diese Nummer, denn sie hat es verdient, alle drei Dinge zu vereinen! Also als diese ganz besondere Nacht zuletzt stattfand, waren wir mit euch in Köln auf dem Rhein unterwegs, wo wir nächstes Jahr übrigens wieder sind. War jemand von euch dabei? Wir wollen das jetzt mit euch nachholen und diese eine Nacht feiern!“. Natürlich kann damit nur die legendäre „Walpurgisnacht“ gemeint sein, zu welcher nun, wie im Text ausdrücklich gefordert, im übertragenen Sinn „rundherum ums helle Feuer“ getanzt wird, während im Refrain eine raue Menge an Konfetti ins Publikum schießt und fortan über die Köpfe der Gäste hinwegfliegt. Eigentlich ein perfekter Abschluss, oder?
Doch Oberhausen hat selbst nach knapp zwei Stunden noch nicht genug gehört und fordert die sechs Musiker mit lauten Zurufen zurück. Tatsächlich lassen sich „Schandmaul“ auch nicht lange bitten und kehren bereits wenige Minuten später auf die Bretter für eine ausgedehnte Zugabe zurück. Den Anfang macht das thematische Triptychon, das Herzstück, nach dem das neue Studioalbum „Artus“ benannt worden ist: „Die Tafelrunde“, „Der Gral“ und „Die Insel - Ynys Yr Afallon“ werden ohne Unterbrechung hintereinander gespielt und gehen organisch ineinander über. Dazu hat Lindner sein Mikrofonstativ stilecht gegen ein silbern funkelndes Schwert eingetauscht, hinter welches er sich nun demütig mit gesenktem Haupt kniet. Die Inszenierung ist packend, die Atmosphäre dicht, die Stimmung gebannt. Märchenhafte Sagen und Geschichten erzählen können die Münchner eben noch immer am besten! „Danke! Bei alledem haben wir ein Thema völlig außer Acht gelassen, nämlich die Liebe...“. Vereinzeltes Murren ist zu vernehmen. „Ach, kommt. Eine anständige Schnulze pro Konzert gehört dazu. Zu Ommas Zeiten, als früher noch alles besser war, hat man dazu ganz oldschool immer sein Feuerzeug gezückt, das wäre heute undenkbar. Alle, die das jetzt machen, sind übrigens die Coolsten hier! Alle anderen haben ja ihren kleinen Wischfernseher dafür, um jetzt ein Lichtermeer zu entfachen... Hm, das ist gerade noch eher ein kleiner Badesee.“, bemerkt er und sieht sich zum obligatorischen „Dein Anblick“ schon bald einem hundertfachen Funkeln im Saal entgegen. „Wir haben jetzt eigentlich alles gesagt. Aber wo wir schon so schön zusammen sind, können wir auch noch einen draufsetzen, wenn ihr Bock habt? Bleiben wir doch beim Thema Liebe, ich habe mir vorhin schon den Balkon da hinten ausgeguckt.“, schlägt der Sänger geheimnisvoll vor und bahnt sich mit Duckstein seinen Weg durch Publikum und über die Treppe, hin zu einem kleinen Balkon nahe den Rängen... Zur hellen Freude der dort oben Stehenden, doch die wahre Überraschung soll erst noch folgen. Zu „Willst Du?“ gibt es einen echten Heiratsantrag eines Fans mitten im Saal! Nach dem Song herrscht dann aber erst einige Sekunden gespannte Stille, bis Lindner endlich alle Anwesenden aufatmen lässt: „Sie hat „Ja“ gesagt!“, verkündet er unter reichlich Beifall. Wie schön! „So, wir haben auch gar nix mehr... Oder wollt ihr noch was? Dann gibt es jetzt ein Geschenk von uns für euch, nämlich das Mieseste was es gibt: Einen Ohrwurm, den ihr noch den ganzen Abend lang vor euch hinsingen und mit dem ihr morgens aufstehen werdet!“, lacht er zurück auf der Hauptbühne. Das klingt ja schon fast wie eine Drohung, doch kann es dabei nur um den obligatorischen Closer „Auf Euch“ gehen mit welchem der Tournee-Rekord 2019 dann nach fast zweieinhalb Stunden sein endgültiges Ende vor einer restlos begeisterten Turbinenhalle findet... Und so, wie jener Chor noch lange Minuten nach Abschluss die Lokalität erfüllt, möchte ich nun auch diesen Bericht beschließen: „Es war sehr schön mit euch. Ich werd’ mit Freude an euch denken. Ich werd’ mit Freunden auf euch trinken. Auf ein Wiedersehen! Tschüß, bis bald, macht's gut!".
Setlist:
01. Intro
02. Der Meisterdieb
03. Herren Der Winde
04. Hexeneinmaleins
05. Auf Und Davon
06. Geisterschiff
07. Froschkönig
08. Bunt Und Nicht Braun
09. Vagabunden
10. Leuchtfeuer
11. Euch Zum Geleit
12. Der Kapitän
13. Der Totengräber
14. Der Teufel...
15. Teufelsweib
16. Drachentöter
17. Der Hofnarr
18. Vogelfrei
19. Walpurgisnacht
20. Der Tafelrunde
21. Der Gral
22. Die Insel
23. Dein Anblick
24. Willst Du?
25. Auf Euch
Impressionen:
Jobst Meese - Jodocus Obscurus Photography
http://www.jobstmeese.de
https://www.facebook.com/Jodocus.Obscurus/