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BEITRÄGE:

AutorenbildChristoph Lorenz

Stahlmann - Onenine - Massive Ego (2019)


Stahlmann - Kinder Der Sehnsucht (2019)

Genre: Rock / Alternative

Release: 22.03.2019

Label: AFM Records (Soulfood)

Spielzeit: 42 Minuten

Fazit:

Harte deutschsprachige Rockmusik bekommt gleich zu Jahresanfang ein Update installiert. Waren die Göttinger von „Stahlmann“ mit der spektakulären Bühnen-Optik immer schon ein Garant dafür, kompromisslose Sounds konsequent weiterzuentwickeln, so präsentieren sie sich mit ihrem neuesten Album „Kinder Der Sehnsucht“ als wahre Stahlseiltänzer über festgefahrene Genre-Grenzen hinweg. Stoische Gitarren, kalte Elektronik und brachiale Texte mischen sich gekonnt mit leichtfüßigen Punkrock- und Deutschrock-Elementen. „Kinder Der Sehnsucht“ atmet musikalische und textliche Tiefe und steht zugleich für mitreißende Aufbruchstimmung. Es birgt all das, was die härtere deutsche Musikszene ausmacht, in sich. Die Band, die einst das Genre des NDH so souverän weiter perfektionierte, präsentiert sich in einer vollkommen neuen Reife-Dimension und setzt stilistisch einen völlig neuen Maßstab. Spielerisch, souverän und schonungslos zeichnen „Stahlmann“ in Wort und Ton ein Bild der Gesellschaft, die nach Erfüllung strebt, sich nach Träumen sehnt; die Freundschaften feiert, nach Sensationen jagt und sich in Sentimentalitäten ertränkt. Strichgenau wie ein Maler hält Frontmann und „Stahlmann“-Mastermind Mart Soer der modernen Gesellschaft ihr Portrait vors Gesicht. „Unsere Gesellschaft ist sozial verknüpfter und von Informationen und Ereignissen überfluteter denn je“, so Sänger Mart Soer, „und zugleich ist sie aber auch einsamer, inhaltleerer und orientierungsloser denn je.“ Es sind jedoch auch positive Gesellschaftsbilder, die „Stahlmann“ auf „Kinder Der Sehnsucht“ nachzeichnen. Der Song „Die Besten“ ist eine Hymne an die Freundschaft. „Freundschaften sind mit das Wertvollste, was es gibt“, so Mart. „Wenn man sich auf jemanden verlassen und immer ehrlich mit jemandem umgehen kann, sollte man das echt viel öfter feiern und auf diese Weise auch irgendwo ehren. Echte Freundschaften sind das würdig.“ Seit Jahren bahnen sich „Stahlmann“ Schritt für Schritt ihren Weg weiter nach oben. Bereits mit ihrem Debüt „Stahlmann“ im Jahr 2010 sorgte die Band für Aufsehen. Schon mit ihrem zweiten Album „Quecksilber“ gelang der Sprung in die Top 40 der Albumcharts. Seitdem hat die Band die Media Control-, sowie Clubcharts praktisch im Abo fest gebucht. Wenn am 08. und 22.02. die ersten Single-Vorboten erscheinen, ist das mehr als nur ein Statement. Im elften Jahr ihres Bestehens setzen Stahlmann in jeglicher Hinsicht neue Maßstäbe. Das neue und insgesamt sechste Studioalbum der Göttinger namens „Kinder Der Sehnsucht“ findet ab dem 22.03.2019 über AFM Records (Soulfood) als digitaler Download, CD im Digipak oder auch als auf siebenhundertfünfzig Einheiten limitiertes Box-Set seinen Weg zu den treuen Fans.

Ein kleiner Schub verzerrter Elektronik gibt das Signal für den rau rockenden Einstieg mit „Vom Himmel Verloren“. Eine Melange aus tiefe gestimmtem Bass und harten Gitarren, gepaart mit melodisch arrangierten Rhythmen und einem hymnischen Refrain. Trotz dessen wirkt die Eröffnung irgendwie seltsam schwachbrüstig, erwartbar und gewöhnlich. Es fehlt einfach am nötigen Druck, dem wohldosierten Pathos und beliebten Trademarks, die hier nahezu völlig ausbleiben, wobei man sowohl in instrumentaler als auch textlicher Hinsicht dennoch weitestgehend in klassischer Manier an das bisherige Schaffen anknüpft. So auch beim folgenden „Wahrheit Oder Pflicht“, das mit seinen Elementen aus sanfter Spieluhr, simplen Kinderreimen und bitterböser-horroresker Rache-Attitüde trumpft. Die in den Strophen bedrohlich pochende Elektronik wird schließlich von einem wütenden Hauptpart abgelöst, der wortwörtlich das nahende Ende verheißt und in die typische NDH-Kerbe schlägt, was einerseits zwar einen charmanten Bonus verdient, da man sich nun endlich wieder auf von den Fans erwünschten Terrain bewegt, andererseits aber auch kaum mehr überrascht. Jener Effekt stellt sich danach aber bei „Die Besten“ ein, wenn auch nicht unbedingt zum musikalischen Vorteil. Eine Ode an die Freundschaft, Zusammenhalt, gemeinsame Erlebnisse und Vertrauen, die zu Beginn erst einen weiteren Nackenbrecher antäuscht, sich dann jedoch als einfach gehaltener Up-Tempo in lupenreiner Deutschrock-Manier entpuppt, dessen arg gewöhnungsbedürftige „Ohoho“-Chöre im Refrain die allgemeine Eingängigkeit der flotten Nummer fördern, die in den rund dreieinhalb Minuten aber durchweg nur mit einfallslosen Plattitüden um sich schlägt. Das ging alles schon mal viel besser! Monotone Synthies und metallisches Gewitter: „Mein Leben Fällt“. Druckvolle wummernde Beats und stimmlich verfremdete Lyrics muten überraschend experimentell an, während emotional-balladeske Parts sich mit einer brettharten Saiten-Walze immerzu die Waage halten. Ein erster Lichtblick, der gerade durch seine konträren Abschnitte enorm interessant ist und ehrlich zu gefallen weiß. Der Titeltrack „Kinder Der Sehnsucht“ beschreiten danach abermals gewohnte Pfade und tut dies auf die beste Art: Wild flirrender Electro wird mit kräftigen Drums und aufstrebend powernden Gitarren gekreuzt, sodass sich ein äußerst homogenes, rundes Gesamtbild ergibt. Der Refrain bemüht sich wiederum viel zu sehr um etwaiges Mitsing-Potential, was hier leider deplatziert und unfreiwillig komisch wirkt. Ein verwässernder Schnitzer, der den ansonsten grundsoliden Eindruck unnötig trübt, was nicht hätte sein müssen. Schade. Deutlich besser macht es da schon „Schließ Die Augen“. Ein energetischer Song mit pulsierenden Synth-Linien, die für tanzbare Rhythmik sorgen. Gesanglich zeigt der stimmlich deutlich gereifte Soer hier endlich wieder verstärkt seinen Facettenreichtum auf, wechselt stetig zwischen kratzig gehauchten Passagen und leidenschaftlich impulsiver Innbrunst. „Hörst Du Wie Mein Herz Schlägt“ ist eine Ballade über tragische Trennung und verlorene Liebe. Den signifikanten Gitarren-Sound sucht man hier der Abwechslung zuliebe vergebens, dafür wartet sphärische Elektronik mit dezenten, melancholischen Beats auf, die dem Hörer etwa schnell Erinnerungen an „Out Of The Dark“ von „Falco“ ins Gedächtnis rufen. Der durchweg einfühlsame und fast schon modern-poetisch gesprochene Text wird resigniert vorgetragen und gemahnt in all seinem intensiven Spirit beispielsweise an vorherige Nummern der Marke „Nichts Spricht Währe Liebe Frei“. Der unkonventionelle Chorus gestaltet sich mehrstimmig und zeigt eindrucksvoll, welch verborgene Kräfte eigentlich in dem Mann aus Stahl schlummern. In Zukunft gerne mehr davon! Bei „Regen“ gibt das Schlagzeug den marschierenden Takt an, bevor sich brodelnde Gitarrenwände immer weiter in den Vordergrund spielen und das Tempo wieder ordentlich nach vorne bringen. Lyrisch offenbaren sich, bestimmt nicht ganz zufällig, einige starke Parallelen zur „Welle“ vom „Sündenklang“-Debüt. Zarte Piano-Tupfer leiten hingegen behutsam das tragische „Wenn Du Gehst“ ein, dem ein symphonisches Grundgerüst folgt. Die Ballade ist ein Feature mit dem Electro-Pop-Projekt „Blue May Rose“, ehemals „Blue Metal Rose“, aus Oberhausen, dasSängerin Liz mit ihrer samtigen Stimme tatkräftig unterstützt. Gerade durch die ausgeklügelte Zusammenführung der Gegensätze harmoniert das gesamte Duett so hervorragend, bis „Sinnlich“ dann mit ordentlich Druck zum großen Finale peitscht. Fordernd harsche NDH: Eingängig, packend und ohrwurmig mit markanten Vibes aus Anfangstagen... Es ist nicht gerade zu leugnen, dass die zahlreichen Besetzungswechsel der letzten Jahre ihre Spuren deutlich im einst so glänzenden Stahl hinterlassen haben: So verließ etwa nicht nur das wichtige Gründungsmitglied und Soers‘ enger „partner in crime“ Tobias „Tobi“ Berkefeld die Band anno 2013 nach dem dritten Album. Nein, auch die beiden namhaften Schlagzeuger Niklas Kahl und Maximilian Thiele oder Riff-Meister Neill Freiwald und Frank Herzig wandten sich, wie übrigens noch einige andere Musiker, über die letzten Jahre von den Göttinger Silberlingen ab. Dass jene Mitglieder den Sound von „Stahlmann“ über die Zeit offenbar zumindest teilweise prägten, macht sich auf „Kinder Der Sehnsucht“ ganz besonders deutlich. Bis auf den charakteristischen Gesang ist in der Summe nicht mehr allzu viel übrig geblieben und so steht Martin „Mart“ Soer heuer mit einem gänzlich neuen Line-Up vor dem Quasi-Neustart. Vielleicht auch der ausschlaggebende Impuls dafür, sich jetzt zu gewissen Anteilen neuerfinden und den eigenen Kosmos um neue Nuancen erweitern zu wollen. Das ist mutig, notwendig und erfrischend. Gerade der versierte Fokus auf mehr Elektronik gefällt, dafür fällt der gewollt lässige Deutsch-Rock umso negativer auf, mit welchen man scheinbar zu sehr mit der ausgedienten NDH-Komponente brechen möchte und dabei an dessen krampfhafter Aufmachung scheitert. Soer scheint in kreativer Hinsicht mehr denn je an einer bedeutenden Weggabelung zu stehen, sich der Entscheidung für einen Weg noch nicht sicher. Lieferte zuletzt der „Bastard“ schon eher ausschließlich solide Kost, so dürfen neue Szene-Hits wie „Hass Mich... Lieb Mich“, „Stahlwittchen“, „Spring Nicht“, „Tanzmaschine“, „Süchtig“, „Schwarz“ oder „Plasma“ auf dem aktuellsten Ableger leider abermals nicht erwartet werden. Ein echter Totalausfall ist „Kinder Der Sehnsucht“ zwar selbstredend noch lange nicht, wirklich an vorherige Glanztaten anknüpfen können „Stahlmann“, gemessen an der eigenen Diskographie, hiermit aber ebenfalls nicht. Alle Die-Hard-Fans greifen ohnehin zu, restliche Interessenten und Genre-Begeisterte hören vor dem Kauf lieber einmal ausgiebig Probe.

Informationen:

http://www.stahlmann-band.de

https://www.facebook.com/Stahlmann-138756019513864/

 

Onenine - Hirato (2019)

Genre: Electro / Alternative

Release: 19.04.2019

Label: Noiselab / Studio600

Spielzeit: 29 Minuten

Fazit:

Im Jahr 1993 gründen Kay Jäger und Oliver Müller das gemeinsame Projekt namens „Cyber Axis“, arbeiteten fortan an einigen Demos. Ein Vertrag beim Label Paradise Rising ging danach dem Debüt „The Final Sign“ voraus. Neben Julie Schott brachte man zudem wechselnde Live-Gitarristen, wie etwa Thorsten Scheuermann, der später noch fest ins Line-Up integriert werden sollte, ins angestammte Ensemble ein, um dem Sound mehr Druck und Härte zu verleihen. So eröffnete man alsbald sogar für die heute weltberühmten Berliner Provokateure von „Rammstein“, der Nachfolger „Fool Energy“ brachte weiterhin mehr Aufmerksamkeit ein. Alles schien auf einem sehr guten Weg, bis Jäger und Schott später aus unterschiedlichen Gründen ihren Ausstieg entschieden und Müller somit 1997 das jähe Ende bekannt gab. Obgleich dessen wandte er sich der Musik aber nicht vollends ab, sondern war fortan hinter den Kulissen als Produzent tätig, wodurch er Matthes Ewald kennenlernte, mit dem er beschloss, das Projekt wiederzubeleben. Auf einer Release-Party von „Megadump“ traf das frisch zusammengeschlossene Duo dann auf Axel Kleintjes, der durch sein bisheriges Engagement als Keyboarder und Stimme von „Page12“ bereits einiges an Erfahrung mitbrachte. Das daraus resultierende „Skin“ zelebrierte 2003 den Crossover-Style der späten 90er und gemahnte damit unter anderem an Größen wie „Nine Inch Nails“... Zeitsprung: 2011. Ich stehe nichtsahnend am Bochumer Hauptbahnhof und werde durch die kurze Werbeschaltung auf einer übergroßen LCD-Reklametafel auf die lokale Band „Held der Arbeit“ aufmerksam, die ich mir, zuhause wieder angekommen, über einen Streaming-Dienst sofort anhöre. Es ist eine ziemlich stimmige Mischung aus Oldschool-EBM und Synthie-Pop mit melancholischen, ehrlichen Texten, die das Leben so manches Mal selbst schreibt. Ich bin begeistert. So sehr, dass ich direkt beschließe, über deren zweites Album „In Anno Futuro“ pünktlich zum Release eine Rezension zu verfassen. Zusätzlich vereinbare ich mit Sänger Oliver Müller ein persönliches Interview beim Gig in der Rotunde, bei welchem ich noch alle anderen, wirklich sympathischen Mitglieder und somit auch Kleintjes selbst kennenlerne. Der „Held der Arbeit“ ist mittlerweile übrigens zum Quintett angewachsen, lässt eine erhebliche Steampunk-Note in seine Musik einfließen und arbeitet am nunmehr dritten Album. Zeitsprung: 2019. Vor wenigen Tagen erhalte ich via Facebook die Einladung, eine neue Seite mit dem berüchtigten „Gefällt mir“ zu markieren. Soweit nichts Ungewöhnliches, aber in diesem speziellen Fall deshalb so überraschend, weil die Anfrage hier von Axel Kleintjes direkt stammt, der sich im reizüberflutenden News-Wahn sämtlicher Social-Media-Kanäle sonst angenehm zurückhält. Ein kurzer Blick verrät mir, dass es sich dabei um ein neues Solo-Projekt von ihm handelt. Da ich mit seinen musikalischen Wurzeln spätestens nach dem Interview gut vertraut bin, klicke ich nur zu gerne auf die Weiterleitung zu SoundCloud. Nur wenig später bekomme ich auch schon eine Nachricht über den Messenger, die erfreulicherweise einen Dropbox-Link zum vollständigen Album enthält, welches am 19.04.2019 digital und komplett kostenlos über Bandcamp veröffentlicht werden wird.

„Things aren‘t different. Things are things.“ - Dieses ebenso simple, wie bei genauerer Betrachtung gleichzeitig auch bedeutungsschwere Zitat aus der Roman-Trilogie „Neuromancer“ (auch bekannt als „Sprawl Series“) des preisgekrönten US-amerikanischen Wahl-Kanadiers William Ford Gibson, begrüßt den Interessenten beim Besuch der frisch ins Leben gerufenen Homepage sogleich als Erstes. Ein kryptischer Hinweis auf versteckte Beweggründe? Ein philosophisch-nihilistisches Credo? Die von frühem Cyberpunk inspirierte und düstere Zukunftsvision verheißende Literaturvorlage bietet dahingehend jedenfalls so einiges an spekulativem Zündstoff. Genauso auch die sich darunter befindliche, knackige Aussage „Dislike the silence“, die wohl bezeichnendes Mantra für das Material darstellt. „Hirato“, heißt das Debüt. Neben der Nahaufnahme eines scheinbar übergroßen Insekts werden alle, der insgesamt acht Tracks, im Artwork nochmals separiert in koreanischen Schriftzeichen dargestellt. Eine knappe Kurz-Bio verweist auf die bisherigen Projekte: „Page12“, „Cycloon“, „Mindware“ und „Cyber Axis“. Erstellt, aufgenommen und produziert im Noiselab, gemastert wurde das Release hingegen von niemand Geringerem, als „Rotersand“-Chef Krischan Wesenberg im Studio600. In der Tat eine ordentliche Ansage, die sich in den folgenden neunundzwanzig Minuten fortsetzen soll. Einen speziellen Song analytisch aus dem großen Ganzen herauszulösen, macht hier nur wenig Sinn, obgleich jedes Stück auch einzeln hervorragend für sich allein stehen kann und somit bestens funktioniert. Ein übergeordnetes Konzept ist bestenfalls anhand der einzelnen Benennungen zu erahnen. Viel mehr drücken sich etwaige Aussagen hier durch ihre pointiert strukturierten und exakt getakteten Arrangements aus, welche die erwünschten Gefühlswelten fortan zielsicher transportieren, denn Gesang oder Lyrics gibt es bis auf das ein oder andere Sample nicht. So besticht schon der Opener „Machines“ schnell mit fordernd treibenden Rhythmen, dicken Beats und verzerrten Versatzstücken, ehe immerzu unberechenbare Tempowechsel einsetzen. Fast schon entschleunigt, aber nicht annähernd weniger bedrohlich kommt danach „Nothing To Talk About“ im stampfenden Takt daher, das mit seinen sägenden Synths und konträr sakralen Chören mächtig Unheil schürt, bis rohe Bässe und verdrehte Disharmonien bei „Be Aimed“ alles niederpeitschen oder sich der futuristische Kern eines „Lead Astray“ etwas verspielter gibt. Alle Fäden laufen vorerst im technoid surrenden Interludium „Incident“ zusammen, bevor die pulsierend-pochende Übermacht eines „Witness“ kurzzeitig orchestrale Elemente und beunruhigend dröhnende Echo-Samples einstreut. Die gestreng prügelnde, abstrakte Düster-Sinfonie „And Again“ markiert dann nochmal so richtig schwere Kost und lässt das finale „Bait“ fast minimalistisch erscheinen. Der übergreifende Sound ist durchgehend kühl, knarzend, schroff und gestattet zumeist nur arg kurz gesetzte Ruhepole. Eine beständig brodelnde Mischung aus fließend wechselnden Anteilen der stoisch traktierenden EBM und unheimlichem Dark Ambient, irgendwo zwischen ungnädig bretterndem Industrial und krachigem Noise. Konstruiertes Chaos, exzessive Wut, fatale Dystopie, geplanter Lärm. Ein ritueller Fiebertraum, eine dunkel rauschende Trance kalt schimmernder Maschinen-Ästhetik, bei der Freunde von artverwandten Acts wie beispielsweise „Iszoloscope“, „Soman“, „iVardensphere“ und „This Morn‘ Omnia“ ganz sicher auf ihre Kosten kommen dürften. Keine Macht der Stille!

Informationen:

https://www.onenine.de

https://www.facebook.com/Onenine-465304927136730/

 

Massive Ego - Church For The Malfunctioned (2019)

Genre: Electro / Alternative

Release: 26.04.2019

Label: Out Of Line Music (rough trade)

Spielzeit: 66 Minuten

Fazit:

„Massive Ego“ sind zurück mit ihrem neuen Album „Church For The Malfunctioned“. Ein sehr viel härteres Biest, als man es bisher von ihnen kannte. Aufgebaut auf Beats, wie man sie von dieser Band noch nicht gehört hat, mit Songs, die den Kern religiösen Glaubens herausfordern und seine Bedeutung in der heutigen Gesellschaft hinterfragen. Auf der Basis von 80's Electro-Pop, vereint „Church For The Malfunctioned“ Industrial-Elemente mit Gothic-Klängen und euphorischen Höhen. Das Ergebnis ist härter, lauter und wütender als jemals zuvor, bleibt dabei aber immer unverschämt eingängig. Für all jene, die bisher noch nichts von den Briten gehört haben sollten, zitiere ich an dieser Stelle aus meiner Kurzbiografie: Im Jahr 2017 frisch bei Label-Gigant Out Of Line unter Vertrag genommen, veröffentlichte das kultige Quartett, welches aktuell zum Trio aus Schlagzeuger Oliver Frost, Keyboarder Scot Collins und Sänger Marc Massive reduziert wurde, nach zahlreichen Cover-Versionen, Remixen, Singles, einer erfolgreichen EP und zwanzigjährigem Bestehen im Februar endlich das erste, vollwertige Studioalbum unter dem dunkel-süffisanten Titel "Beautiful Suicide". Bereits 1996 durch das Duo aus Ex-Model Marc Massive und Andy JT gegründet, startete man anschließend einen geschichtsträchtigen Streifzug durch die teils eingefahrene Musiklandschaft, um bestehende Grenzen fortan mehr und mehr niederzureißen. Kein großes Wunder also, dass die experimentierfreudigen Avantgardisten in Fachkreisen und Presse gleichermaßen schon früh von sich hören machten und zuletzt vor allem auch live ihr Publikum schnell in den Bann zogen, etwa als Support von „Blutengel“ oder auf namhaften Großveranstaltungen wie etwa dem Amphi Festival. „Während unser erstes Album ein Herantasten war, springen wir nun kopfüber ins Wasser!“, kommentiert Sänger Marc Massive. „Weil wir schwarze Kleidung, smoky Eyeliner tragen und dunkle Musik hören, hält uns die Gesellschaft für fehlerhaft oder merkwürdig. Also warum sollten wir nicht einer Kirche beitreten, in der wir unseren Lebensstil zelebrieren, anstatt falsche Götter anzubeten?“. Die streng limitierte Erstauflage im Digipak mit Bonus-CD enthält unter anderem Remixe von „Blutengel“, „Agonoize“, „Solar Fake“ und „Ost+Front“ und kann zudem als lohnendes Bundle mit exklusivem T-Shirt ab dem 26.04.2019 über Out Of Line bezogen werden.

Fast rund zwei Jahre nach dem vollkommen zurecht hochgelobten Debüt ist es endlich wieder soweit: „Massive Ego“ lassen ihren viel erwarteten Nachfolger auf die Szene los und stoßen damit die Tore zu ihrer ganz eigenen Religion, der „Kirche der Außergewöhnlichen“, ganz weit auf. „Ich begann mit dem Schreiben des Albums, kurz nach der Beerdigung meiner Mutter. Dies beeinflusste meine Art zu schreiben sehr. Ich hatte bereits beschlossen, dass ich über meine Abneigung gegen die Religion schreibe und der Tod meiner Mutter bekräftigte das Ganze. Sie war eine anständige, religiöse Frau und half in der Vergangenheit in der Kirche aus und unterstützte sie finanziell. Jetzt, als für sie die Zeit kam, uns zu verlassen, war die Kirche nicht für sie da. Dies brachte mich dazu, über die Institution der Religion und des Glaubens mehr zu schreiben, als je zuvor und dies zweifellos ohne dabei durch die rosarote Brille zu blicken.“, äußert sich der Sänger und kreative Kopf hinter dem ambitionierten Projekt zu den Hintergründen. „Zum größten Teil wurde das Album in einem Jahr geschrieben, in dem auch das Weltgeschehen seinen Einfluss auf die Lyrics nahm. Sie reflektieren aktuelle und laufende Probleme in der Welt, Fake-News, sogar gefakte Präsidenten. Die durch Menschenhand ausgelöste Notlage der Tiere. Das Bedürfnis zur Selbstzentrierung, um auf Social Media beliebt zu sein und seine Wirkung auf das Wohlbefinden. Den Verlust von Angehörigen und das beenden von Fake-Freundschaften, all diese Themen werden abgedeckt. Ich schreibe keine Liebeslieder oder Songs über glückliche Themen, wie gewohnt lasse ich die Hörer in etwas Tiefdunkles eintauchen, was ihnen sehr stark ihr eigenes Spiegelbild aufzeigt mit der Bitte, dass sie ihr eigenes Leben unter die Lupe nehmen.“, erläutert Massive die Themengestaltung des Zweitlings weiter. Dass die hier aufgegriffenen Inhalte ebenso vielseitig sind, wie ihre jeweilige musikalische Basis, zeigt bereits die Eröffnungszeremonie mit „The Last Sunrays In June“, dessen sonderlich psychedelische Klänge schon innerhalb der ersten Sekunden auf einen düster-bizarren Jahrmarkt der puren Abstraktion entführen, welche sich alsbald überraschend in eine groß inszenierte Dramaturgie aus dunklem Synthie-Pop verkehrt. Eine Ouvertüre der Dunkelheit, die fast schon etwas von einer burton‘schen Theateraufführung, einem Düster-Musical der Sonderklasse hat. Zusätzlich angereichert und aufgeladen mit viel schwarzem Pathos und schillernder Melancholie, bis die erste Single „Digital Heroin“ den Hörer dann ruppig aus jenen verdrehten (Alb-)Traumwelten herausreißt. Das Tempo erhöht sich mit fetten Beats und dreckig-rockigen Riffs, um direkt danach mit dem Quasi-Titeltrack „Malfunctioning Me“ wieder in mystische Sphären hinabzuziehen. Messerscharf-technoide Abschnitte treffen im absoluten Kontrast auf poppige, anschmiegsame Anleihen. So auch beim druckvollen Dark-Electro-Hammer „My Religion Is Dark“, der sich thematisch in einem ganz ähnlichen Fahrwasser bewegt. Worum es dabei genau geht, verrät der Sänger in eigenen Worten: „Weil wir schwarze Kleidung tragen, dunkle Musik hören, verschieden aussehen und entsprechend handeln, werden wir alle als „malfunctioned“, auf Deutsch „außergewöhnlich“, seltsam oder merkwürdig von der Mainstream-Gesellschaft wahrgenommen. Warum also nicht lieber eine neue Religion, eine neue Kirche, die eben diesen Lebensstill zelebriert, als eine Kirche gefüllt mit Fake-Göttern und Ikonen, welche Verschiedenheit verspotten und verfolgen? Es ist an die jungen Goth-Mädchen und -Jungen gerichtet, welche es schwer haben, ihre Einzigartigkeit auszuleben und sich anzupassen. Ich möchte, dass sie Kraft durch das Hören des Albums erlangen und sich gestärkt fühlen, unserer Gemeinschaft beizutreten, der „Church for the Malfunctioned“!“, erklärt er seine lobenswerte Vision und kann sich des vielfachen Zuspruchs sicher sein. „Fallen From Grace“ hält eine weitere Neuerung bereit und führt verstärkt metallische Gitarren ins Spiel. Die Grenzen werden also weiterhin aufgesprengt und verschwimmen nun äußerst galant zum interessanten Crossover-Style zwischen Industrial, Rock und Electro. Deutlich ruhiger geht es danach mit dem balladesk angehauchten „The Wolf“ zu, das symphonische Himmel aus klagenden Violinen offenbart. „Point Of No Return“ kommt hingegen dynamisch packend und antreibend daher, was nicht zuletzt auf die Kooperation mit „Auger“ zurückzuführen sein dürfte. Überraschend retrolastig und oldschool tänzelt dann der sarkastisch angepriesene „Super Selfie Superstar“ durch die plötzlich reanimierten 80er und auch das kritische „Killing For Gods“ verschont den Rezipienten nicht vor der bitteren Wahrheit. Auf das merklich zurückhaltende Minimalismus-Exponat „World In The Gutter“ folgt mit dem dröhnenden „Kill The Conspiracy“ das bis dato wahrscheinlich härteste Stück der drei Briten! Kein Wunder, immerhin hat man sich als Duettpartner mit „Funker Vogt“- und „Agonoize“-Oberhaupt Chris L. einen wahren Experten auf diesem Fachgebiet ausgesucht. Ein perfekter Mix aus aggressivem Aggrotech und angriffslustiger EBM - Ganz groß! „Die Beats sind härter, lauter und wütender, als jemals zuvor. Es stellt ebenso einen Neubeginn dar, eine Art Wiedergeburt, aufgrund dessen das ein Bandmitglied uns vor dem Start des Schreibprozesses verließ. Da wir an das Schicksal glauben, folgten wir unseren Gefühlen und dem, was uns unser Herz sagte, so entstand nach einem Jahr eine eklektische Mischung aus Gesang und Musik, bestehend aus Industrial-Elementen und Gothic-Klängen. Euphorische Höhen und der Einfluss der 80er-Jahre sowie der Altersunterschied von uns Dreien, reflektieren sich in der musikalischen Vielfalt des Albums. Es gibt keine zwei Songs, die sich gleich anhören. Ich denke, sie sind unverwechselbar mit „Massive Ego“ als Ganzem.“, gibt der Mastermind zu Protokoll und führt anschließend noch weiter zum bezeichnenden Teil-Stilwechsel aus: „Es wird immer einen musikalischen Unterschied zwischen dem geben, was wir zuvor machten, eine härter klingende Richtung war schon immer der Weg den wir gehen wollten. Während unser erstes Album ein vorsichtiger Schritt in die Szene war, tauchen wir mit diesem kopfüber und schwimmend hinein. Auch wenn das erste Album uns ein Gefühl der Sicherheit gab und eine klare Richtung hatte, wurde daraus ein langer Weg, bis wir nach zwanzig Jahren schlussendlich die Unterstützung von einem Label bekamen das unseren Traum verwirklichte.“. Etwas unkonventionell ist dann das Cover des bekannten „And One“-Klassikers „Military Fashion Show“. Das charmante Tribute hält sich gerade hinsichtlich der vielen, kleinen Details sehr eng am Original und wahrt somit dessen einzigartigen Kult-Charakter, wenngleich die maßgeblich prägnante Einbindung der Gitarre zunächst etwas ungewohnt erscheinen mag. Nach dieser Interpretation eines schwarzen Club-Krachers stellt das in sich gekehrte „Is The Universe Trying To Tell Me Something“ nochmals alle wichtigen (Glaubens-)Fragen, bevor die majestätische Kirchenorgel in „Mother Requiem“ schließlich das Ende der Messe markiert... Keine Frage: Das mit insgesamt vierzehn Titeln randvoll gepackte Zweitwerk von „Massive Ego“ präsentiert sich deutlich anders, als noch das Debüt, was allen voran darin begründet ist, dass jenes deutlich dunkler und härter ausfällt. Die ureigene Catchyness von „Beautiful Suicide“ dabei glücklicherweise nicht aus dem Blick gelassen, vernachlässigt man jedoch den teils bewusst verkitscht inszenierten Glamour-Sound zugunsten einer harscheren Ausrichtung, die mal schwarzromantisch und dann wieder erbarmungslos prügelnd schonungslos ehrliche Kritik äußert oder das aktuelle Weltgeschehen unverblümt realistisch an den Pranger stellt. Wer beispielsweise „Drag Me In, Drag Me Under“ vom Vorgänger mochte, wird „Massive Ego“ anno 2019 also erst recht lieben. All das mit der ungemein ausdrucksstarken Stimme von Charakterkopf Marc Massive, dem enorm hohen Abwechslungsreichtum, der unkonventionellen Kreativität und schier brillanten Qualität zusammengenommen, steht am Ende eine erfreulich mutige, grenzüberschreitende Electro-Perle, die in diesem Genre bestimmt noch länger Ihresgleichen suchen wird. Und so soll diese Rezension auch zum Ende hin mit den Worten von Marc Massive schließen, dessen Intention das eigentliche Fazit direkt beinhaltet: „Church For The Malfunctioned“ zeigt eine Reife und ein Gefühl der Zugehörigkeit und ist den Liebhabern von allem Dunklen und Gothic gewidmet. In diesem Sinne: Amen!

Informationen:

http://www.massiveego.co.uk/

https://www.facebook.com/massiveego/

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