Oomph! - Ritual (2019)
Genre: Metal / Alternative
Release: 18.01.2019
Label: Napalm Records (Universal Music)
Spielzeit: 57 Minuten
Pressetext:
Aufbruch und Kontinuität - "Oomph!" stehen seit knapp drei Jahrzehnten für Selbsterneuerung, Pioniergeist und unbändige Kreativität. Was im EBM, Rock und New Wave fußte, in den 90er Jahren eher beiläufig ein neues Subgenre erschuf (Neue Deutsche Härte) und Crossover war, als es noch gar keinen Crossover gab, spricht viele Jahre später Tausendschaften von Fans aus den unterschiedlichsten Lagern an und ist Stammgast in den schwindelerregendsten Höhen der deutschen Charts - 2018 erhielten Crap, Dero und Flux erstmals Platin für "Wahrheit oder Pflicht". Mittlerweile ist das Trio bei Album Nummer dreizehn angekommen, und es darf erneut konstatiert werden: Bleibt alles anders auf "Ritual". „Es wird so heftig, hart und düster wie schon lange nicht mehr“, orakelte Frontmann Dero im Vorfeld, und er sollte recht behalten! Mit dem peitschenden Stakkato-Triumvirat "Tausend Mann und ein Befehl", "Achtung! Achtung!" und "Kein Liebeslied" gibt es einen höchst aggressiven Start in ein mäanderndes Biest von einem Album, das kurz darauf in das über-eingängige "Europa" (feat. Chris Harms / "Lord Of The Lost") und den Tanzflächenfüller "Im Namen des Vaters" mündet. Der überdrehte Elektro-Metal-Reißer "TRRR - FCKN - HTLR", quasi "Oomph!" in a nutshell, geht als einzige ironische Nummer auf "Ritual" durch: Eine Platte, die sich sonst schweren Themen wie Politik, Krieg und Missbrauch annimmt. Eloquent, streitbar, unberechenbar und unausweichlich - "Oomph!" ist ein packendes und reifes Werk gelungen, das mit der eigenen Vergangenheit Frieden schließt und forsch nach vorne blickt.
Kritik:
"Wir sind alle Trümmerkinder
Und unsere Eltern alle Sünder
Durch unser Haus weht kalter Wind
Der Vater taub, die Mutter blind Wollt ihr eure Kinder retten?
Dann füttert sie mit Schlaftabletten
Dass keines eurer Kinder sieht
Wie eure Welt in Schutt und Asche liegt!"
Augen auf, sie kommen! Im Jahre 1989 beschlossen die drei Braunschweiger Thomas „Andreas Crap“ Döppner, Rene „Robert Flux“ Bachmann und Stephan „Dero Goi“ Musiol auf einem Indie-Festival bei Wolfsburg, ihr Projekt „Cunning Toy“ hinter sich zu lassen und stattdessen „Oomph!“ ins Leben zu rufen. Dabei ist der kryptische Name auf einen Begriff zurückzuführen, den die drei angehenden Musiker zufällig in einem Wörterbuch fanden und der frei übersetzt so viel wie „das gewisse Etwas“ oder „Schwung“ bedeutet. Nur ein Jahr später erfolgte die erste Entdeckung durch Jor Mulder, der die jungen Künstler folglich bei seinem Berliner Label Machinery Records unter Vertrag nahm. Mit ihrem Debüt, das die Wurzeln noch verstärkt im EBM hatte, konnte man sich schnell einen Namen machen. Später durch die Single „Ich Bin Du“ sogar auch international, was 1993 dann einen ersten Auftritt in den USA nach sich zog. Auf dem Nachfolger „Sperm“ zeigte man eine starke Affinität zum Crossover, beeinflusst durch die damals aktuellen „Sepultura“ oder „Pantera“. Der Erfolg in Deutschland stellte sich mit „Wunschkind“ ein, zeitgleich erfolgte ein Wechsel zum bekannten Major-Label Virgin Records. Der absolute Durchbruch gelang 1999 mit dem sechsten Ableger „Plastik“, der folglich ein ganzes Genre aus der Taufe heben sollte: Neue Deutsche Härte. Das alles konnte wohl nur noch 2004 vom Hit „Augen Auf!“ gesteigert werden, der unerwartet die Spitze der Single-Charts erklomm und die Aufmerksamkeit des Mainstreams auf sich zog. Das zugehörige Album „Wahrheit Oder Pflicht“ wurde auf den zweiten Platz katapultiert und erreichte Gold-Status. Zahlreiche Preise, wie beispielsweise die „1 Live Krone“ waren die Folge. Nicht ganz so viel Glück hatte das Trio dann bei der „Echo“-Veranstaltung, von welcher das Trio aufgrund von Bedenken des Veranstalters kurzerhand wieder ausgeladen wurde. Dafür gewannen die aufstrebenden Drei die Ausgabe des „Bundesvision Song Contest“ 2007 mit „Träumst Du?“, das nachfolgende Album „Monster“ konnte an die gefeierten Erfolge dann weitestgehend anknüpfen. Mit „Des Wahnsinns Fette Beute“ offenbarte die Band 2012 dann ihre humoristische Seite und überraschte ihre Fans... Nicht ausnahmslos positiv, wusste die gewöhnungsbedürftige Mischung aus Rock, Pop und überspitztem Klamauk längst nicht jedermann zu gefallen. Nach einer ausgiebigen Tournee durch ganz Europa konnte „XXV“ zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen allerdings wieder einiges an Boden gutmachen. Sicher nicht zuletzt auch durch die Mitarbeit der beiden „Subway To Sally“-Musiker Simon „Michael“ Schmitt und Michael „Bodenski“ Boden, die tatkräftig bei der Textarbeit unterstützten und ihnen Fragmente der „MitGift“-Ära überließen. Die Mühen wurden belohnt und so konnte man sich abermals in den Top Zehn gegen die Konkurrenz behaupten. Nach rund vier Jahren der Funkstille ist es am 18.01.2019 nun wieder soweit und das dreizehnte Studioalbum erscheint über Napalm Records. „Ritual“ heißt es und verspricht, so „heftig, hart und düster“ zu werden, wie schon lange nicht mehr. Ob das stimmt und was es sonst noch so darüber zu berichten gibt, lest ihr jetzt.
Ein Kampfflieger zeigt sich über den finsteren Wolken, braust haarscharf über den Kopf des Hörers hinweg und zerschneidet dabei förmlich die dünne Luft... Das war knapp! Mit einem Mal macht sich eine düstere Atmosphäre breit, verdichtet sich zunehmend und sorgt somit effektiv für ein ungemein beklemmendes Gefühl, bis schließlich aggressive Riffs in angriffslustiger Manier und ein mächtig donnerndes Schlagzeug im Mid-Tempo zusammen vorpreschen, das blutgetränkte Schlachtfeld mit infernalischer Kraft folglich für den mächtigen Auftakt „Tausend Mann Und Ein Befehl“ zu eröffnen. Mit der ersten Strophe, die hier von rhythmisch peitschendes Drumming untermauert und später zudem noch mit eingängigen Sing-Along-Chören verfeinert wird, setzt auch Deros‘ rauer Gesang ein, ehe das schwermetallische Konstrukt dann plötzlich von einem positiv powernden Refrain mit wahrem Hymnen-Charakter aufgebrochen wird. Ein echter Anti-Kriegssong als packender Opener, der seinen Standpunkt mit einer klaren Message unmissverständlich verdeutlicht und dabei die schwierige Balance zwischen brachialer Wut und nachvollziehbarer „Make Love, not war“-Attitüde in bester „Oomph!“-Manier am grausamen Puls der Zeit hält. Zusammen gegen das ungeheuerliche Kommando machthungriger Befehlshaber und ein menschenunwürdiges Spiel, das seit jeher schon auf dem Rücken Unschuldiger ausgetragen wird, denn in diesem Kampf gibt es keine Sieger. Ganz allein kann niemand etwas bewirken, darum der immerzu progressiv skandierte Devise: „Stellt euch quer!“... Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Eines der wohl liebsten, thematischen Steckenpferde der drei Wolfsburger war auch immer schon religiöser Fanatismus, manipulativer (Irr-)Glaube und der damit verbundene, blinde Gehorsam einer folgsamen Schafsherde, die wie hypnotisiert zur eigenen Schlachtbank trabt. Das undurchschaubare System scheinbar höherer Mächte, stets weitergetragen durch obskures Regelwerk und alte Schriften, verlangt nicht selten völligen Verzicht bis hin zur Selbstaufgabe im Namen der allmächtigen Herren und schlägt somit die geistige Brücke zu vorherigen Song. Was am Ende bleibt, ist nicht selten Angst und Schrecken: „Achtung! Achtung!“ wird von stark verzerrten Gitarren bestimmt, die erbarmungslos aus den Boxen knallen und fortan einen gar bitterbösen Reigen entfachen. Der Gesang kommt unterdessen stakkato-artig gepresst daher und ist durchweg dunkel gehalten, immerzu abgelöst von schräg leiernden Synthie-Spitzen, die sich giftig ins Arrangement bohren. Der wehklagende Chorus trieft anschließend nur so vor überspitztem Sarkasmus und gemahnt in seiner verklärenden Interpretation etwa an die selige „Unrein“-Ära - Was für ein Brett! So auch „Kein Liebeslied“, welches dem geneigten Fan mit Sicherheit bereits als erste, offiziell veröffentlichte Single-Auskopplung bekannt sein dürfte. Und für diese Funktion ist jener Track ungewöhnlich hart ausgefallen. Wahrscheinlich so sehr, wie zuletzt schon lange nicht mehr. Im absoluten Gegenteil: Hier geht es überraschend grobschlächtig und sperrig zur Sache, von Null auf Hundert. Dabei wird das heftige Saiten-Gewitter zuweilen von feinsinnigen Piano-Salven durchsetzt, wodurch diese augenzwinkernde Hass-Hymne instrumental ein wenig an den kommerziellen Über-Hit „Augen Auf!“ in extrem heavy erinnert, wenn sich das illustre Trio textlich dem Monster Mensch annimmt und so all unsere Sünden kokettierend zum Vorschein bringt. „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder. Böse Menschen haben keine Lieder!“. Was bleibt da noch weiter zu sagen?
Doch haben „Oomph!“ längst nicht ausschließlich nur die rein psychischen Abgründe schonungslos beleuchtet, sondern auch Kritik an zerrütteten Sozialgefügen geübt. So wendet man sich in „Trümmerkinder“ den aktuellen, politische Entwicklungen und folgsam einer Thematik zu, welche dieses Land bereits seit geraumer Zeit beschäftigt und immer weiter auseinanderklaffen lässt. Das obskur verspielte, maschinelle Pfeifen von „Schlaf, Kindlein, schlaf“ wird heuer vom martialisch marschierenden Takt in bedrohlicher Stechschritt-Manier abgelöst, die Strophen dann regelmäßig mit einem stark drückenden Riff-Gewitter durchbrochen. Später reichert man das eher klassische NDH-Konstrukt durch prägnante Electro-Flächen an, was der eingängigen Melodiösität enorm zuträglich ist und diesen bitteren Tadel-Hammer zu einem wahren Ohrwurm macht. Das folgende „Europa (feat. Chris Harms)“ gliedert sich an dieser Position inhaltlich schlüssig ein und könnte in seiner wirksamen Funktion, als Tropfen, der das sprichwörtliche Fass zum überlaufen bringt, wohl kaum besser gewählt worden sein. Wie bereits bekannt, haben sich „Oomph!“ hier gesangliche Unterstützung vom „Lord Of The Lost“-Fronter geholt, der sich auf diesem Wege für das hitzige Duett „Abracadabra“ revanchiert, welches sich auf der prall gefüllten Bonus-Disc des aktuellen Studioalbums „Thornstar“ seiner Hauptband findet. Brexit, Flüchtlingskrise, gesellschaftliche Abkapselung, zunehmende Spaltung und Entfremdung... Eine Union, die unter der untragbaren Last sich weiter zuspitzender Ereignisse vielleicht schon in nicht allzu ferner Zukunft in sich zusammenstürzt. So trägt das fulminante Zweigespann in dieser schwerfälligen Mid-Tempo-Nummer die ächtenden Überreste einer einstigen Vision zu Grabe, die langsam aber sicher ihren letzten Atemzug zu tun scheint. Veredelt wird der bissige Trauermarsch mit teils brutalen Seitenhieben, denn beide Sänger nehmen hier definitiv kein Blatt vor den Mund und agieren lyrisch sehr direkt. Das Hauptaugenmerk liegt innerhalb der bewusst reduziert untermalten Strophen klar auf den Textpassagen, zum Finale mischen sich noch prozessierende Chöre in die kalte Dystopie aus lüstern sägenden Riffs, die authentische Dramaturgie weiter hochzutreiben. Trotz oder gerade wegen des ungleich bitteren Beigeschmacks ein absoluter Hochgenuss, der nur durch den Fakt ein wenig geschmälert wird, dass Harms gewohntes Können hier über weite Strecken leider arg limitiert anmutet und hinter den eigentlichen Möglichkeiten weit zurückbleibt. Dass es lyrisch nicht gleich jedes Mal dergleichen „into your face“-like zugehen muss, sondern stattdessen auch gern verschachtelt und doppeldeutig sein darf, veranschaulicht jetzt „Im Namen Des Vaters“. Rein von der offensichtlichen Ebene aus betrachtet, werden hier die neuesten Erkenntnisse der Genforschung thematisiert, welche die Zucht von perfekten Klonen zur missbräuchlichen Nutzung in der Kriegsführung vielleicht schon eher möglich machen, als es uns lieb ist. Weitaus weniger entfernte Utopie, dafür aber erschreckend nahe Realität, ist da schon der weitreichende Einfluss von Angst-Propaganda sensationslüsterner Parteien, denen die Besorgnis der potentiellen Wähler nur zugute kommt. Gefährliche Meinungsmache, alternativer Fakten und Gehirnwäsche resultieren dabei nicht selten in unreflektiertem Extremismus auf allen Seiten. Gleichgeschalteter, genormter Herdentrieb und das Hinterhecheln falscher Gallionsfiguren und Leitbilder lässt jedenfalls nichts Gutes erahnen, wie dieser walzende Up-Tempo aus der Perspektive eines wahnsinnigen Forschers mit Gott-Komplex zeigt.
„Das Schweigen Der Lämmer“ lässt danach zumindest im Hinblick auf den Titel eine klare Referenz an den gleichnamigen, bekannten Film-Klassiker vermuten, nur um unverblümt eine gänzlich andere Richtung einzuschlagen. Die dunkel-sakrale Instrumentierung weiß schon ab der ersten Sekunde mit ihrer beklemmenden Stimmung, stilsicher gefangen zu nehmen. Ein Tabuthema, das in den letzten Jahren durch so einige erschreckende Aufdeckungen immer mehr an Relevanz in Öffentlichkeit gewonnen und dabei nichts an Brisanz und Wichtigkeit verloren hat, ist der Kindesmissbrauch innerhalb der Kirche. Auf den Spuren von Songs wie „Wunschkind“ oder „Das Letzte Streichholz“ paart sich hier erhabene Gitarrenarbeit mit nachhallenden Glockenschlägen zu einem klangliches Epos der Extraklasse, das nur noch von Deros überzeugendem Gesang überschattet wird, der in den Strophen eine erzählende Rolle einnimmt und sich an der Bridge dann erschreckend glaubhaft in den Täter hineinversetzt. Dabei pendelt seine Interpretation stets zwischen tiefem Mitleid, leidenschaftlicher Sehnsucht und grausamer Wolllust: „Oomph!“ in Höchstform! Das um seine zugehörigen Vokale charmant zensierte „TRRR - FCKN - HTLR“ liest sich quasi wie die feinsäuberlich gefilterte Quintessenz aktueller Schlagzeilen aus Internet, Tageszeitung, Funk und Fernsehen, welche die schiere Sensationslust der Medien, wie auch der Gesellschaft gleichermaßen auf die drei Säulen Angst, Sex und Nationalsozialismus herunterbricht. Wichtige Information wird unterschlagen und gegen vielversprechende Quote getauscht, anstelle des ursprünglichen Zwecks beruht das Interesse auf steigenden Zahlen. Clickbait für die Masse und Opium fürs Volk! Anders, als noch bei den vorherigen Nummern, rücken nun die elektronischen Elemente verstärkt auf den Plan, um das aggressiv polternde Industrial-Rock-Manifest abzurunden. Auch wenn die plumpe Direktheit und das eher grobe, simple Arrangement manch einen Hörer abschrecken könnte, liegt hier zweifelsohne eine angenehm kurzweilige Dampfwalze zum abgehen auf den Live-Shows vor! „Phönix Aus Der Asche“ dürfte insbesondere für alle Fans ab „Wahrheit oder Pflicht“ und „Glaube Liebe Tod“ interessant sein, das vor dem Refrain nochmal etwas an Härte aufschließt und sodann in einem echten Ohrwurm mit dezent romantischer Note mündet, wodurch das Gesamtpaket somit um einiges softer, geradliniger und zugänglicher, als der ganze Rest des Albums. Ein wirklich schöner, wenngleich sehr plötzlicher Stilbruch, der auf diese Art etwas zu gewollt, kitschig und leicht deplatziert wirkt, auch wenn dies natürlich nichts über dessen hohe Qualität aussagt. Bei „Lass‘ Die Beute Frei“ geht es dafür wieder um einiges energiegeladener zur Sache, der schnelle Beat wirkt passend gehetzt und seltsam freudig verspielt, bis sich das Blatt wendet und zu einem gestandenen Nackenbrecher entwickelt, der sogar einige krasse Growls bereithält. Jetzt wird der Jäger zum Gejagten... Waidmanns Heil! Der nahende Abschluss kommt danach ziemlich abrupt mit „Seine Seele“ und hat es dafür aber nochmals so richtig in sich. In dieser emotionalen Halb-Ballade aus powerndem Rock und sanften Piano-Einschüben rächt sich ein entführtes Kind an seinem Peiniger. Das Stück ist inhaltlich definitiv richtig schwere Kost und nichts für zartbesaitete Gemüter. So bleibt der Hörer mit einem durch und durch trostlosen Gefühl zurück und wird seiner selbst überlassen... Das „Ritual“ ist beendet, der Kreis geschlossen.
Tracklist:
01. Tausend Mann Und Ein Befehl
02. Achtung! Achtung!
03. Kein Liebeslied
04. Trümmerkinder
05. Europa (feat. Chris Harms)
06. Im Namen Des Vaters
07. Das Schweigen Der Lämmer
08. TRRR - FCKN - HTLR
09. Phönix Aus Der Asche
10. Lass' Die Beute Frei
11. Seine Seele
Fazit:
Ganze vier Jahre nach dem viel gefeierten Jubiläumswerk „XXV“ melden sich die drei Niedersachen von „Oomph!“ endlich mit ihrem neuesten Geniestreich unter dem verheißungsvollen Titel „Ritual“ zurück. Und auch, wenn sie auf dem nunmehr dreizehnten Album nicht gänzlich mit allen standardisierten, etwas abgedroschenen und erwartbaren Prinzipien des mittlerweile doch sehr festgefahrenen Genres der NDH aufräumen, geben sie sich dabei so dermaßen intelligent, reflektierend, eloquent und vor allem konsequent, wie schon lange nicht mehr. Natürlich geschieht das nicht ohne jedwede Selbstzitate, etwa wenn die bewährten Eckpfeiler aus Krieg, Religion, Missbrauch und psychologischen Abgründen wie so oft als Themengebiete und Zielscheibe für berechtigte Kritik herangezogen werden. Der schauerliche Titel ist also durchaus Programm, wendet man sich in den rund sechzig Minuten Spielzeit doch gerade den schrecklichsten aller Konventionen der Menschheitsgeschichte zu, die sich folglich wie ein blutroter Faden durch die gesamte Tracklist ziehen. Entgegen dessen, präsentiert man sich anno 2019 deutlich weniger im Rock-Segment verortet, kokettiert viel eher mit angedeuteten Metal, leichten Industrial-Elementen und angenehm stilsicher austarierter, denn klischeebeladener Gothic-Note. Anstelle versessen kalkuliert auf Chartstürmer-Exponat und den nächsten großen Hit zu schielen, besinnt sich das Trio auf erstaunlich stark auf seine ureigenen Wurzeln und traut sich, der Sub-Sparte „Neue Deutsche Härte“ ebenjene Kompromisslosigkeit zurückzuführen. So kommt ein Großteil der Songs weitaus weniger einschmeichelnd, poppig und ohrwurmig daher, als noch zuletzt bei „Des Wahnsinns Fette Beute“ und „Monster“. Dafür geht es in den insgesamt elf Tracks fast durchweg finster, bissig und rau zu, man zeigt bewusst wieder Ecken und Kanten und gemahnt somit nicht selten an „Defekt“ oder „Unrein“. Leider zieht die Maximierung des allgemeinen Härtegrades gleichzeitig auch eine gewisse Limitierung der großen Melodien nach sich, was sich auch beim Gesang zeigt, wenn Dero Goi sein volles Potential zugunsten einer aggressiveren Interpretation nicht ausnutzen kann. Dennoch wohnt so einigen Perlen, wie etwa „Achtung! Achtung!“, „Trümmerkinder“ und „Seine Seele“ der typische, unverkennbare „Oomph!“-Spirit inne, der hier mit so einer Leichtigkeit, Perfektion und Exzellenz dargeboten wird, wie ihn nur die Wenigsten zu beherrschen und transportieren vermögen. Gewissermaßen wird an Szene-Pioniere jedweder Couleur natürlich auch immer eine ungemein hohe Erwartungshaltung gestellt, die es zu erfüllen über die Jahre zunehmend schwerer wird. Und so muss ehrlich gestanden werden, dass auf „Ritual“ in so ziemlich allen Belangen keine Revolution oder Neudefinition stattfindet, die dem berühmt-berüchtigten Muster neue, richtungsweisende Nuancen, Einflüsse oder Denkanstöße zufügt. Hier gibt es wahrlich nur wenig, was man über die Zeit von dem Trio und allen artverwandten Kollegen nicht schon so oder so ähnlich gehört hätte, was aber auch nicht das Ziel sein muss. Viel mehr ist es in diesem Fall eine Frage des „Wie?“ und exakt dabei macht dem erfahrenen Kollektiv aus Braunschweig, das hier eines seiner wohl besten Alben und darüber hinaus ein echtes Paradestück für die Szene vorlegt, so schnell sicher niemand mehr etwas vor.
Informationen:
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