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BEITRÄGE:

AutorenbildChristoph Lorenz

Goethes Erben - Leichtmatrose - Radioaktivists (2018)


Goethes Erben - Am Abgrund (2018)

Genre: Alternative

Release: 05.10.2018

Label: Dryland Records (Samsonido)

Spielzeit: 48 Minuten

Fazit:

„Wer hätte gedacht, dass die Welt wieder einmal scheinbar so nah am Abgrund stehen könnte? In ihrem neuen Album thematisieren „Goethes Erben“ weltliche sowie auch persönliche Abgründe.“, verkündet die offizielle Pressemitteilung und verspricht zeitgleich ein Werk, welches die charakteristische Bandbreite an Emotionen, die seit Beginn des Schaffens für jene Band so wichtig sei, in sich vereine. Wie gewohnt, sind es nicht selten immer dieselben großen und vollmundigen Worte, die hier werbewirksam von der Balance zwischen Weiterentwicklung und Traditionsbewusstsein einer Band berichten... Also mitunter genau das, was der geneigte Fan oftmals nur allzu gern lesen möchte und letztlich sehnlichst zu bekommen wünscht. Dass das im realen Endergebnis jedoch noch längst nicht in jedem Fall auch der ganzen Wahrheit entsprechen muss, belegen unzählige Releases aus diversen Genres und Jahrgängen. In diesem speziellen Fall ist ebenjene Kernaussage aber nicht weniger wahr, wie einem gerade dann schlagartig bewusst werden sollte, wenn man bemerkt, um welche(n) Künstler es sich genau handelt: „Goethes Erben“. Seit jeher ein sicheres Qualitätssiegel der schwarzen Szene. Im Jahr 1989 von Oswald Henke und Peter Seipt, die sich in der Ausbildung zum angehenden Krankenpfleger kennenlernten, gegründet, gehört seit nunmehr fast dreißig Jahren zu den prägendsten Formationen des nationalen Gothic und Dark Wave. Später wandte man sich auch dem Avantgarde zu, bis hin zu Stücken, die am ehesten dem Musiktheater zuzuordnen sind. Am Anfang stand der Vorsatz, größtenteils gesprochene Texte mit Melodien zu vereinen, woran sich auch die Namensgebung des ambitionierten Projekts orientiert, der einem der wohl bekanntesten deutschen Dichter entlehnt ist. So lernte Henke anfangs etwa Bruno Kramm und Stefan Ackermann von „Das Ich“ kennen, unter deren eigenem Label Danse Macabre das erste Tape unter dem verqueren Titel „Der Spiegel, dessen weg durch stimme zeugen zum Ende führt“ vertrieben wurde. Im Sommer 1990 kam es dann zur ersten Live-Erfahrung, die den Stein endgültig ins Rollen brachte. Jedoch gab Seibt seinerseits schon davor seinen baldigen Ausstieg bekannt, da er sich mit dem zu erwartenden Publikum nicht identifizieren könne. Dafür erlangte er später mit seiner Folk-Band „The Seek“ einige Bekanntheit. Unterdessen traf Henke in einem Bayreuther Club auf eine junge Frau namens Mindy Kumbalek, mit deren Hilfe er eine musikalische Reformation wagte, die bereits ein Jahr später zudem auf die Bühnen kommen sollte. In der Folgezeit nahm das Augenmerk auf die visuelle Inszenierung einen größeren Stellenwert ein. So erhielt etwa „Nichts Bleibt Wie Es War“ unterstützende Videos und die Aufführung zu „Schattendenken“ eine eigene DVD. 2004 wurden weitere Aktivitäten vorerst auf unbestimmte Zeit eingestellt, offiziell aufgelöst hatten sich die Erben aber nicht. Ganze drei Jahre fand ein Doppelkonzert in Berlin statt, welches aufgrund des hohen Interesses um einen weiteren Zusatztermin ergänzt wurde, bis ein offener Brief an die Fans danach eine erneute Pause ausrief. Im Frühjahr 2009 startete der Mastermind neben „Artwork“, „Erblast“ und „fetisch:Mensch“ ein viertes Solo-Projekt unter dem Namen „Henke“, das insgesamt eine Single, zwei EPs, sowie die beiden Alben „Seelenfütterung“ und „Maskenball Der Nackten“ hervorbrachte. Eine hervorragende Option für alle Anhänger, die weiterhin auf eine Fortsetzung der Erben warteten. Eine Hoffnung, die spätestens 2012 endgültig im Keim erstickt werden sollte, als Kumbalek ihren Ausstieg über die Homepage kommunizierte. Der Vorsatz, unter diesen Bedingungen keine weiteren Shows mehr spielen zu wollen, wurde zum fünfundzwanzigsten Jubiläum mit einer überraschenden Rückkehr revidiert, eine Single in Kooperation mit Sara Noxx unter dem Titel „Weg Zurück“ schloss sich ebenso an, wie ausgewählte Gigs auf dem Amphi Festival oder Wave Gotik Treffen und die aufwändige Theaterproduktion zu „Menschenstille“. „Goethes Erben“ waren endlich zurück! Am 05.10.2018 erscheint mit „Am Abgrund“ unter Dryland Records das erste, reguläre Studioalbum nach insgesamt dreizehn Jahren...

Eine Gemeinsamkeit, die alle der insgesamt zehn Lieder inhaltlich miteinander eint, ist der, vom aussagekräftigen Albumtitel bereits vorgegebene, thematische Leitfaden, welcher fortan diverse Abgründe aus verschiedenen Perspektiven beleuchten wird. Was dabei zu jeder Zeit über ausnahmslos allen Arrangements wie ein dunkler, hauchdünner, aber jederzeit wahrnehmbarer Schleier schwebt, ist die aufwändige und nicht minder pointierte Dramaturgie, die keinen Zweifel mehr an der theaterbasierten Erfahrung des Projekts lässt und insbesondere im direkten Vergleich zu den früheren Werken eine deutlich gereifte Weiterentwicklung im Songwriting offenbart. Auch, dass die instrumentalen Wurzeln der Erben seit jeher weitestgehend dem Klassik entspringen, wird durch den klaren Fokus auf eine teils stark reduzierte Zurückhaltung deutlich, die sich sowohl beim eröffnenden „Wucht“ und „Es Ist Still“ als auch im folgenden Verlauf in Form eines Klaviers durchzieht, immerzu durchsetzt mit feinen und vor allem bereichernden Nuancen. So ist es nicht der angestrebte Overkill an aufgefahrenem Bombast-Instrumentarium, sondern viel eher die zeitweise, wohl akzentuierte Hinzunahme von E-Gitarre oder hintergründig wabernden Electro-Collagen, die etwa auch das nachfolgende „Rot“ oder „Verstümmelung“ umso wirkungsvoller, eindringlicher und intimer macht. Ganz und gar anders dann „Darwins Jünger“, eine hasserfüllt intonierte Schauer-Anklage, die sich gegen die verklärenden Extremen der Neuzeit richtet und nicht zu unrecht nur harte, ehrliche Worte für so manche Unreflektiertheit der Menschheit übrig hat. Henke speit hier zu stampfenden Beats und rabiat ausgestalteten Rhythmen mit unüberhörbarer Verachtung Gift und Galle, bevor „Denn Es Ist Immer So“ und „Zu Lange Geschwiegen“ wieder in weitaus ruhigere Bahnen einlenken. „Lazarus“ ist manch einem Hörer vielleicht bereits als vorab ausgekoppelte Single-Veröffentlichung bekannt und das völlig zurecht, kristallisiert sich dieser Song doch in gleich mehreren Aspekten als echter Hit heraus. Nahezu jede einzelne Silbe ist in pechschwarzen Sarkasmus getränkt und prangert egomane Volksvertreter, faschistische Gedankenzüge, menschenunwürdige Handlungen, Hilfsverweigerung Notleidender und propagandagetriebene Abschottung an, wie auch gleichsam gefährlichen Fundamentalismus und religiösen Fanatismus. Wenngleich sich „Goethes Erben“ und Oswald Henke mit seinen Nebenprojekten schon in der Vergangenheit immer wieder sozial- und politkritisch zeigten, geht man hier noch ein ganzes Stück weiter, tritt ungewohnt direkt auf und legt den Finger unverblümt in die Wunde dieser Gesellschaft: Harte Zeiten erfordern harte Methoden und „Götter gebären nur Deformierte!“. Auch in „Schlaflos“ geht es um gefährliches Halbwissen, welches Fakten und nicht zuletzt den klaren Menschenverstand rapide zerrüttet. Wir erliegen unbewusst blinden Gehorsam, fügen uns, funktionieren automatisch. Wir vertrauen, ohne zu hinterfragen und lassen uns lieber aufwiegeln, anstatt den Weg zur Erkenntnis zu gehen. Der Titeltrack kommt abschließend trotz alldem nicht umhin, am Ende einen kleinen Hoffnungsschimmer für uns brennen zu lassen. Wir stehen, leben und tänzeln gefährlich nahe am äußersten Rand der Klippe, jeden Tag gefühlt ein bisschen mehr. Den finalen Schritt haben wir jedoch nicht getan... Noch nicht. „Am Abgrund“ ist nicht allein nur die stille Rückkehr von „Goethes Erben“, sondern zudem ein kleines Phänomen in der überladenen Musiklandschaft, ist es doch einmal mehr ein Beleg für die scheinbare Selbstverständlichkeit Henkes, nicht auf Spitzenpositionen in Clubs und Charts hinzuarbeiten. Im Gegenteil: Das neue Werk ist zu großen Anteilen überraschend introvertiert, ruhig, entschleunigt, nachdenklich und zutiefst melancholisch, gleichzeitig aber auch genauso kühl analytisch, verständnislos, polternd und zornig, ohne die weitreichenden Wurzeln, das ureigene „Erbe“, zu vernachlässigen und jenes stattdessen um jüngere Facetten und Erfahrungswerte, wie etwa aus „Menschenstille“, zu ergänzen. So ist das neue Album anno 2018 eine ausgewogene, bestimmte und klar definierte Gratwanderung zwischen klassischen Einflüssen, balladesker, aber nicht überbordender Theatralik und sperrigem Post Rock, das sich ob all seiner definitiv innewohnenden, schwermütigen Dunkelheit dennoch auch eine lebensbejahende Attitüde bewahrt und unterstreicht, dass letztlich jeder von uns selbst in der Hand hat, wer wir eigentlich sein wollen.

Informationen: http://www.goetheserben.de

https://www.facebook.com/goetheserbenoffical/

 

Leichtmatrose - Heile Welt (2018)

Genre: Pop / Alternative

Release: 26.10.2018

Label: Believe Digital GmbH (Soulfood)

Spielzeit: 74 Minuten

Fazit:

„Wir waren die heißesten Cowboys der Nacht, für uns hab'n die fettesten Bars aufgemacht. Wir waren so easy, denn wir wollten anders sein...“. Im Jahr 2005 wollte der Münsteraner Bewährungshelfer Andreas Stitz, der zuvor noch in diversen anderen Bands gespielt hatte, genau das und somit endlich seine eigenen, kreativen Ideen umsetzen. Zunächst folgten auf der Plattform „MySpace“ erste Schritte, um den eigenwilligen Electro-Chanson mit Elementen des Alternative Rock und Pop flächendeckend bekannt zu machen. Das Vorhaben sollte eine gar unerwartete Wendung nehmen, denn schon bald wurde NDW-Ikone Joachim Witt auf den jungen Künstler aufmerksam und beschloss, diesen in seinem Schaffen zu fördern. So stellte er etwa den Kontakt zu einigen Plattenfirmen her und ermöglichte das Debüt „Gestrandet“, welches am 01.05.2009 das Licht der Welt erblickte und weitestgehend gute Kritiken einfuhr. Als Support auf der „Neumond“-Tournee machte sich der selbsternannte Seefahrer weiterhin einen Namen und kann zudem mittlerweile selbst umjubelte Gigs auf dem Wave Gotik Treffen oder Méra Luna für sich verbuchen. Nach insgesamt acht Singles, darunter „Sexi Ist Tot“, „Jonny Fand Bei Den Sternen Sein Glück“ oder dem Duett „Hier Drüben Im Graben“ mit Entdecker Witt, ist der „Leichtmatrose“ nun auch weitestgehend in den Clubs der schwarzen Szene angekommen, wie die beiden Longplayer-Nachfolger „Du, Ich Und Die Anderen“ und „Remixed“ zusätzlich belegten. Darüber hinaus hat sich in der Zwischenzeit eine ganze Menge getan, ist das einstige Solo-Projekt gemeinsam mit Keyboarder Thomas Fest, sowie Ex-„Scooter“-Member Rick J. Jordan als Bassist und Produzent immerhin zum illustren Trio angewachsen. Nach drei Jahren der musikalischen Funkstille werden die Segel nun erneut gesetzt: Das neue Studioalbum „Heile Welt“ erscheint am 26.10.2018 unter dem Label Soulfood. Im November und Dezember geht es dann zusammen mit Stimmwunder Peter Heppner auf große „Confessions & Doubts“-Reise, um bei insgesamt dreizehn Gigs in Deutschland und der Schweiz das Vorprogramm zu gestalten. Einen kleinen Ausblick auf das kommende Material gibt es jetzt...

Das bereits bekannte „Jerusalem“ eröffnet die zwölf Track starke Seefahrt auf eine ungewohnt wavige Art und tariert dabei den streng genommen unmöglichen Balanceakt zwischen ausreichend Komplexität und angenehmer Eingängigkeit, zu welcher die Stimme von Stitz hier ganz neue Höhen erreicht. Die Textzeile „Ich werde dich immer lieben, mein Feind. Das ist mein größter Sieg!“ verblüfft mit ihrer Verquickung aus fast schon berechenbarer Einfachheit und Tiefsinn gleichwohl, was längst nicht der einzige Widerspruch in sich bleiben soll. Das folgende „So Schmeckt Es Frei Zu Sein“ mutet mit den unheimlichen Klängen einer Spieluhr und dunkel geraunten Lyrics merklich finsterer an, legt den Fokus deutlich auf ein Höchstmaß an Atmosphäre und implodiert im beatlastigen Refrain zur wahren Gohtic-Hymne mit leichtem Indie-Einschlag. Ein weiterer Beweis für den schier unberechenbaren Stil, der seinen bissigen Sarkasmus nur schwer verstecken kann. Ebenso dann der Titeltrack „Heile Welt“, der sich sowohl vor heimeliger Sanftmütigkeit als auch starken 90er-Vibes keineswegs scheut und nicht zuletzt deswegen genauso charmant-chaotisch, wie skurril daherkommt. Die verquere Thematik von Losertum und sexueller Ersterfahrung strotzt nur so vor lauter Klischees, bricht gerne mit allen Regeln der Kunst und des guten Geschmacks, biedert sich nicht an und gefällt exakt deswegen so sehr, weil es das offensichtlich eigentlich gar nicht will. Nach dem anrüchig tänzelnden „Bodensee“ setzt das Dreigespann zu „Chill Indianer“ auf einen markanten Sound mit klarer Reminiszenz an die 80er und gewährt einen Blick hinter die oftmals so scheinheilige Fassade des Musikbusiness. Eine bitterböse Breitseite gegen fragwürdige Stars, dunkle Backstage-Geheimnisse und zunehmende Kommerzialisierung, die gegen Ende einen flüssigen Wechsel von NDW zu NDH vollzieht, was überraschend gut harmoniert. Natürlich darf eine laszive Klavier-Ballade mit Akkordeon nicht fehlen und so bekommt der Hörer mit „Wenn Es Nacht Wird In Paris“ genau das. Augenzwinkernd schnulzig und romantisch fast schon überladen, was dem pointierten Gesang jedoch zu keiner Zeit einen echten Abbruch tut. Viel eher im absoluten Gegenteil. „Für Immer Stumm“ bewegt sich in einem ähnlich ruhigen Fahrwasser und erzählt, rein akustisch ausgestaltet, von langsam zerbrechender Liebe, bis sich das vielschichtige Arrangement letztlich gar zu einem wahren Orchester-Bombast aufbäumt. Das ebenfalls bereits vorab veröffentlichte „Jasmin“ zieht das Tempo plötzlich drastisch an und erinnert in all seiner extravaganten Coolness schnell an „Falco“, was nicht zuletzt darin begründet sein dürfte, dass ebenjener weltbekannte Österreicher hier äußerst geschickt als Sample eingeworben wurde, wodurch das Quasi-Duett positiv wie aus Zeit gefallen wirkt. Hinter dem vordergründig amüsant betitelten „Das Schicksal Kann Ein Mieses Arschloch Sein“ verbirgt sich eine lupenreine Pop-Nummer in Kooperation mit Rick Stedler, die in ihrem späteren Verlauf unter anderem mit Streicher-Zusatz und weiteren Absurditätrn auftrumpft. Temporeiche Beats im EDM-Style treiben „Borderline“ an, welches, passgenau auf seinen Inhalt, freimütig mit konträren Twists und Emotionen experimentiert, bis das sonderbar verträumte „Raumpatrouille“ das Neuwerk danach friedlich abschließt. Wie sieht sie nun also aus, die plakativ versprochene „Heile Welt“? Das muss letzten Endes wohl jeder Hörer ganz für sich allein entscheiden, denn es ist damals wie auch heute beinahe ein offenes Geheimnis, dass sich der „Leichtmatrose“ nur wenig um die klassischen Hörgewohnheiten und üblichen Konventionen des Songwritings schert. So hält Stitz unbeirrt weiter an seiner unnachahmlichen Formel fest, lyrische und musikalische Genialität in Widersprüche, Abstrusitäten und Seltsamkeiten zu verstricken, geschickt jedes Limit auszuloten, das bloße Anderssein zu zelebrieren und dem ureigenen Sound mehr Facetten denn je zu entlocken. Das ist über weite Strecken wirklich gewöhnungsbedürftig und zugleich interessant, macht mal Freude und mal nachdenklich und erfüllt somit das Charakteristikum jeglichen Individualismus innerhalb der Kunst, die seit jeher gleichermaßen spaltet, begeistert, abstößt und wiedervereint. Alle bisher längst eingefleischten Fans des Trios werden also einmal mehr zufrieden mit dem vorliegenden Material sein und auch denen, die sich Neuem nicht grundsätzlich von vornherein verschließen, sei dieses unabhängig schildernde Exponat musikalischer Grenzüberschreitung wärmstens empfohlen.

Informationen:

http://www.soulfood-music.de https://www.facebook.com/derleichtmatrose/

 

Radioaktivists - Radioakt One (2018)

Genre: Electro / Alternative

Release: 30.11.2018

Label: Dependent (Alive)

Spielzeit: 44 Minuten

Fazit:

Als im Mai 2012 ganz plötzlich die rhythmischen Beats und eingängigen Melodien von „Pieces Of Me“ unversehens aus den Boxen der hiesigen Szene-Clubs dröhnten und somit die Tanzflächen füllten, war schnell klar, dass hier etwas ganz Großes auf uns zukommen sollte und definitiv Profis am Werk waren... Aber wer? Schnell ließ der Tanzbären Ohrwurm erste Hörer nach mehr fragen, doch war entsprechender Song, der exklusiv auf dem damaligen „Dependence“-Sampler des Labels verfügbar war, alles an veröffentlichtem Material. Mit so einem Erfolg hätte man nicht gerechnet, wie man anschließend selbst zu Protokoll gab. Das Projekt, das seinen Namen im weitesten Sinne aus dem Ursprung der 80er bezieht, in denen man einzig mithilfe des Radios neue Bands für sich entdecken konnte, gründete sich just vor rund sechs Jahren und dringt erst jetzt langsam weiter in die Öffentlichkeit vor. Das mag mitunter auch darin begründet sein, dass dessen Mitglieder nicht selten in andere, spannende Kreativarbeiten ihrer sonstigen Haupt- und Nebenengagements involviert sind: Frank Spinath („Lionhearts“, „Edge Of Dawn“, „Seabound“), Krischen Wesenberg („Future Lied To Us“, „Rotersand“), Daniel Myer („Liebknecht“, „Architect“, „Haujobb“ und „Covenant“) und Vokalist Sascha Lange, die am 30.11.2018 unter dem kryptischen Banner „Radioaktivists“ endlich ihr lang erwartetes Debüt „Radioakt One“ über Dependent Records auf den Markt bringen.

Stark verzerrte Samples werden beim eröffnenden „Radioactive“ vor instrumentalem Hintergrund eingestreut, der mächtig Atmosphäre aufbaut, bis das nachfolgende „Raiders“ dann überraschend direkt in die Kerbe des Dark Electro schlägt. Die grundiert melancholische Note drückt die Stimmung schwer und stürzt den Hörer mit ihren druckvollen Beats und vibrierenden Collagen der Synthies in tiefe Dunkelheit, immerzu erhellend durchbrochen vom sonoren Gesang. Ein unfassbar intensiver Einstieg! Nicht minder finster, wenngleich um einiges dystopischer anmutend, entfaltet sich danach „Skin And Bones“. Hallende Echo Effekte eröffnen ein ganz und gar bedrohliches Spektrum, konträr dazu werden symphonische Elemente durch Streicher geschaffen, die abermals den vielschichtigen Facettenreichtum der hier unberechenbar pulsierenden Ader ebenso aufzeigen, wie auch bei „Sinner“. Das sperrige, maschinell inspirierte Grundgerüst steckt sich seinen eigenen Rahmen bewusst eng und lässt die Melodie dennoch natürlich grooven, ohne jedoch der Leichtigkeit zu viel Raum zu geben, bis zu „Reach Out“ die gebündelten Energien bedrohlich hochkochen, sich beständig kanalisieren und in einer treibenden Synergie für die Tanzfläche implodieren. Am Ende wartet gar ein Hybrid auf, als alternative Rock-Anleihen durch organische instrumentierte Drums einsetzen und sich in dezent sphärischer Träumerei verlieren. „Lovers“ steuert auf klassischen Future Pop mit balladesker Note zu, die einen angenehm heimeligen Ruhepol setzt. „I Want You“ steigert sich hingegen pochend in seinem klimaxartigen Grundtenor, ohne die düster funkelnden Wurzeln zu unterschlagen, bevor es abermals in abwechslungsreiche Klangwelten sendet. Der komplette Gegensatz ist dann „Sense Of Destruction“, welches mit einer apokalyptisch fräsenden Marschrichtung aufwühlend, aggressiv und verheerend nach vorne peitscht. Das bereits angesprochene „Pieces Of Me“ reicht, trotz oder gerade wegen seiner ausgiebigen Spielzeit, weit über die übliche Standard-Marke heraus und entfaltet sich somit als umso packender und bedrückender. Mit dem schlicht betitelten Outro „Leere“ schließt sich der Kreis, indem hier abermals elementare Grundzüge der einstigen Einleitung aufgegriffen werden, um sich die akustische Maschinerie zum letzten Mal Aufbäumen zu lassen, bevor sie endgültig verstummt... Vorerst. Dass hier äußerst erfahrene Musiker lange etablierter Acts am Werk sind, ist nicht annähernd zu überhören. Davon zeugen schon allein beim ersten Durchgang die dichten, melodischen und hochwertigen Soundscapes, über denen stets der konzeptionell futuristische, postmoderne Einfluss schwebt. So ist „Radioakt One“ absolut auf der Höhe seiner Zeit, perfekt produziert und konstant interessant, ohne das Genre-Rad bemüht experimentell neu erfinden zu wollen, sodass der zweite Akt hoffentlich nicht mehr allzu lang auf sich warten lassen dürfte.

Informationen:

https://de.dependent.de/artists/radioaktivists/

https://www.facebook.com/Radioaktivists/

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