Lord Of The Lost - Interview (2018)
Roggenfaenger: Hallo und vorweg schon mal ein ganz großes Dankeschön dafür, dass ihr euch so kurz vor dem Release und den Festivals noch die Zeit für dieses Interview hier nehmt. Euer letztes Studioalbum, „Empyrean“, liegt ja mittlerweile rund zwei Jahre zurück. Darauf folgte vergangenen Herbst dann der zweite Unplugged-Ausflug „Swan Songs II“ und mit „The Eternal Silence“ gab es pünktlich zum ersten April sogar ganze vierzehn Songs voller Stille für eure Fans. Der Output von „Lord Of The Lost“ ist mit Zunahme an Bekanntheit gefühlt konstant angestiegen, zudem ist Chris noch als Produzent für diverse andere Künstler tätig. Wann genau habt ihr also dazwischen die Zeit gefunden und mit den Arbeiten an „Thornstar“ begonnen? Soweit ich richtig informiert bin, war der kreative Auslöser quasi die gecancelte US-Tournee...
Chris "The Lord" Harms: „The Eternal Silence“ hat uns sehr geschlaucht und kreativ ausgebrannt. Ein so lange Album mit reiner Stille zu schreiben und zu produzieren, in einer Welt voll Lärm und Hektik, ist viel schwieriger, als man denkt. Wir mussten teilweise sehr weit reisen, um Plätze zu finden, die Still genug sind. Wir waren sogar in der Antarktis für einige Songs, Schnee ist ein hervorragender Lärm-Dämmer. Dieses Album ist unserer Meinung nach wie vor nicht nur das beste LOTL-Album sondern auch ganz grundsätzlich das beste Album der Welt. Es war dann an uns, nur sehr kurze Zeit später das ganze mit „Thornstar“ zu toppen. Das ist zwar misslungen, aber „Thornstar“ ist dennoch ganz ok geworden. Der kreative Auslöser war die gecancelte US-Tour nicht, der kreative Auslöser kam vorher, wir wussten, bis wann das nächste Album stehen sollte und hatten das grobe Konzept bereits erarbeitet. Der Plan war dann, viel auf Tour zu schreiben. Das hatte bereits für „Empyrean“ sehr gut geklappt, viele der Songs entstanden auf der US-Tour 2014 auf langen Reisen im Bus. Als nun klar war, dass die orangene Trompete keine alten Europäer in seinem Reich haben will, und wir jedoch bereits eine Kerbe von 4 Wochen für eine US-Tour in unseren Kalender gesägt hatten, nutzten wir die Zeit kreativ. Der Startschuss fiel dann so richtig bei unserem Songwriting-Camp in einem Studio in Mallorca, welches wir spontan angesetzt haben.
Roggenfaenger: Nach insgesamt sechs Alben seid ihr seit 2017 nun nicht mehr beim Label Out Of Line unter Vertrag, sondern bei Napalm Records. Wie kam es eigentlich zu dieser Entscheidung und wie liefen die Studioarbeiten ab? Hat sich da mittlerweile eine gewisse Routine eingestellt oder gab es besondere Veränderungen im Vergleich zu den letzten Malen? Wie im Making-Of bereits zu sehen ist, wurde hinsichtlich des Sounds offensichtlich recht viel und vor allem unkonventionell experimentiert, um das Spektrum erneut zu erweitern.
Chris "The Lord" Harms: Der Wechsel fand nach „Empyrean“ statt, das war unser 5. Album. Die „Swan Songs“-Alben zählen wir hier nicht mit. Wikipedia weigert sich leider, dass so zu übernehmen. Aber die wissen ohnehin mehr über uns und über mich als wir oder ich selbst. Zum Labelwechsel kam es ganz unspektakulär: Der Vertrag war erfüllt, wir haben uns umgesehen und verschiedene Angebote eingeholt, Napalm Records hat den Zuschlag bekommen. Mit Recht, wie wir nach dem grandiosen Charterfolg von „Thornstar“ und dem wesentlichen größeren internationalen Impact nun sehen. Bei uns gibt es immer Veränderungen, man kann aber durchaus sagen, dass wir noch nie so detailliert, experimentell und ausschweifend produziert haben, wie dieses mal.
Roggenfaenger: Zudem hat sich das Mitglieder-Karussell erneut gedreht: Erst gegen Ende 2016 hat Borislav „Bo Six“ Crnogorac seinen Ausstieg bekannt gegeben, seine Nachfolge an der Gitarre hat Pi angetreten. Den Platz von Tobias Mertens hinter dem Schlagzeug nimmt hingegen aktuell Niklas Kahl ein. Wie habt ihr euch denn kennengelernt und diese Veränderung beschlossen? Inwieweit und in welchen Bereichen nehmen die beiden „Neuen“ mittlerweile auch Einfluss auf die kreative und kompositorische Arbeit an kommendem Material?
Chris "The Lord" Harms: Bo und Tobias haben das selbst beschlossen. Ein Beschluss, den wir zunächst als traurige Notwendigkeit und nachträglich als großen Fortschritt empfinden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die beiden das genauso empfinden, insofern war das das beste für alle. Mit Pi und Nik hätten wir es nicht besser treffen können. Pi war bereits fast 2 Jahre unser Guitar Tech und war somit bereits fest im Team integriert, Nik kennen wir seit vielen Jahren, noch aus seinen Stahlmann-Zeiten und ich habe als Produzent für ERDLING bereits zwei mal intensiv im Studio mit ihm gearbeitet. Pi war am Songwriting bereits aktiv beteiligt, Nik stieg fest ein, als das Album fertig geschrieben war.
Roggenfaenger: Da wir gerade schon mal von allgemeinen Veränderungen sprechen: Euere musikalische Ausrichtung ist geradezu unberechenbar. „Empyrean“ hat den Fokus seinerzeit verstärkt auf die Hinzunahme elektronischer Elemente und deren Implementierung in euren bekannten Sound gelegt. Wie kam es dazu, dass ihr den 2016 eingeschlagenen Weg nicht weitergegangen seid, sondern nun viel eher darauf setzt, den gnadenlosen Metal-Stil weiterhin auszubauen? Viele der neuen Songs enthalten zwar ebenfalls unterstützend synthetische Einflüsse, allerdings nicht mehr ganz so dominant. Viel eher kommen sie streckenweise ungemein hart, rau, komplex und zeitgleich doch gewohnt melodiös daher, erinnern in ihrer Ausrichtung zum Beispiel wieder an „From The Flame Into The Fire“ oder „Full Metal Whore“. War das für euch schon weit im Voraus klar oder entwickelt sich dieser Prozess dann parallel zu den Ideen und dem Konzept praktisch von selbst? Was würdet ihr dabei vielleicht in Zukunft noch gern einmal ausprobieren oder umsetzen?
Chris "The Lord" Harms: Ich kann das leider nur ganz lakonisch beantworten: Weil wir Bock darauf hatten! Das ist in sehr vielen Fällen die korrekte Antwort auf diverse komplexe Fragen zu unseren klanglichen und optischen Veränderungen. Das entsteht im Eifer des Gefechts und wird dann zu einem Plan.
Roggenfaenger: Wie weiter oben bereits erwähnt, heißt euer neues Album „Thornstar“. Bei der Ankündigung über Social Media habe ich zunächst mit einem augenzwinkernden Wortspiel im typischen „Lord Of The Lost“-Humor gerechnet, musste aber schon bald darauf feststellen, dass sehr viel mehr dahintersteckt. Auf eurer Website kann sich jeder Interessierte die umfassende Hintergrundgeschichte dazu durchlesen, weswegen ich bei dieser schieren Masse an Informationen auch niemanden dazu nötigen möchte, etwas dazu zu erzählen. Doch wie seid ihr überhaupt erst auf diese Thematik gestoßen und wo habt ihr bei den Recherchen dazu angesetzt, zumal über entsprechende Kultur so gut wie nichts bekannt ist...
Chris "The Lord" Harms: Ach, den Link dazu kann man ja trotzdem mal hier einfügen: http://lordofthelost.de/thornstar. Aber wer weiß, vielleicht ist das ja alles auch nur totaler Käse und wir haben uns das alles nur ausgedacht, um genau die Verwirrung mit dem ursprünglichen Pornstar-Wortspiel zu stiften. Auf die Thematik sind wir alle immer mal wieder in unserer Jugend gestoßen, bis auf Class, der war da unbelastet. Intensiv damit beschäftigt haben ich mich erst, nach vielen nächtlichen Diskussionen mit einem angehendem Priester auf Malta, der darüber viel wusste, das war 1998.
Roggenfaenger: Die Spiritualität der Paganen ist tatsächlich eine sehr Positive und unterscheidet sich in einem ganz wesentlichen Punkt erheblich von den meisten anderen Religionen, da sie ein erfülltes Leben zum Ziel hat und dieses nicht im Tod oder Paradies ansetzt. Wie denkt ihr selbst darüber?
Chris "The Lord" Harms: DAS ist der Punkt! Wir sind davon überzeugt, dass unsere Welt mit dieser Religion eine bessere wäre. Wären wir religiöse Eiferer, würden wir missionieren gehen. Das liegt uns als Agnostiker aber nicht, deshalb sehen wir hier eher den philosophischen Aspekt und möchten diese Geschichte einfach nur gern erzählen. Vielleicht regt sie ja den ein oder anderem zum Nachdenken und Umdenken an, was das Verhältnis zu gewissen Werten und Ideologien angeht.
Roggenfaenger: Die futuristische Storyline zu „Empyrean“ hatte damals zum Inhalt, dass sich die Menschheit nach ihrer fortwährenden Selbstvernichtung schließlich auf die Suche nach einem vermeintlich perfekten Planeten begibt, um dort von vorn anfangen zu können. Ebenso sehr ist sowohl der erste Liebesakt zwischen Morgana und Haythor, welcher grobe Ähnlichkeiten zur Urknall-Theorie aufweist, als auch deren zweite Zusammenkunft eine Art Neubeginn und Ende für ein bestimmtes Zeitalter gleichermaßen. Ist es reiner Zufall, dass genau diese beiden Alben mit ihren jeweiligen Konzepten direkt aufeinanderfolgen oder beabsichtigt und sind ihre Erzählstränge vielleicht sogar miteinander verknüpft?
Chris "The Lord" Harms: Gut beobachtet! Zunächst war angedacht, Empyrean logisch forzuführen, mit dem aufbau einer neuen Welt auf Planet X, inklisive einer Neudefinition aller Ideale. Das allerdings keine wirkliche Neudefinition mit Wissen über die Vergangenheit möglich ist, entschieden wir uns zu dem fast gleichen Thema, nur eben viele Tausend Jahre früher: Die Pangaen. Und wer weiß, vielleicht waren die ja eigentlich eine Alienrasse, die nach ihrem Empyrean suchte und unsere Erde fand? Alles ist im Bereich des möglichen.
Roggenfaenger: Gerade eben habe ich schon einmal die beiden Gottheiten Morgana und Haythor erwähnt, welche auch jeweils ihren eigenen Song spendiert bekommen haben. Genauso etwa Loreley, Naxxar oder die Mortarianer, die ebenfalls eine wichtige Rolle in diesem Kosmos spielen und demnach separat Erwähnung in eurem bereitgestellten Info-Kit finden. Allerdings gibt es mit Edriel, Katali, Lif, Pari, Zagon, Shangho und Valefhar noch eine ganze Reihe wichtiger Charaktere, da das sogenannte Allpaar im Schöpfungsprozess einige weitere Halbgötter, Dämonen, Geister und Zwischenwesen erschuf. Jene haben allerdings keinen separaten Titel erhalten. War dies eine bewusste Entscheidung und wird es vielleicht nochmal einen zweiten Teil von „Thornstar“ geben?
Chris "The Lord" Harms: Es gab einfach bestimmte Figuren, die wir als besonders spannend oder wichtig empfanden. Einen zweiten Teil schließe ich so lange aus, bis nicht eine zündende Idee da ist, das als ebenbürtiges Sequel fortzuführen. Die sprituelle Welt der G'hahyr umfasst ca. 2000 Charaktere, theoretisch ist dort Material für 10 Herr der Ringe Trilogien. Wenn man Zugang zu bestimmten Archiven hat. Alle Websites zu dem Thema sind verboten oder gesperrt oder nur im Darknet zu finden. Religiöse Zensur?
Roggenfaenger: Sowohl Morgana als auch Haythor weisen durch ihre jeweiligen Emotionen fast schon menschliche Züge auf und haben daher äußerst nachvollziehbare Motive für ihr Denken und Handeln. Mit welcher Seite sympathisiert ihr mehr, wenn man das in diesem Kontext überhaupt so einfach fragen kann?
Chris "The Lord" Harms: Darum geht es ja eben, Morgana und Haythor sind nicht gut oder böse, genauso wenig wie wir. Wir sind Menschen, das schließt all das mit, vor allem den Konflikt zischen den Polen. Wir alle verstehen dieses Konflikt deshalb verstehen wir auch die Beweggründe von Morgana UND Haythor.
Roggenfaenger: Auf euren letzten Veröffentlichungen hattet ihr stets namhafte und interessante Gäste zur Unterstützung mit an Bord, so zum Beispiel Ulrike Goldmann, Douglas Blair, Nina Jiers oder auch Newcomerin Scarlet Dorn, die bald sogar selbst mit ihrem Debüt an den Start geht. Dieses Mal gibt es auf der Bonus-CD mit „Abracadabra“ ein Duett mit Dero Goi, dem Frontmann von „Oomph!“, die mittlerweile ebenfalls bei Napalm Records unterschrieben haben und darüber in 2019 ihren neuen Longplayer vorlegen werden. Wie kam es denn eigentlich zu dieser spannenden Kooperation?
Chris "The Lord" Harms: Dero und ich treffen uns regelmäßig zu kreativen Studiozeiten, bisher ohne festes Ziel. Bei einem Abendessen im Steakhaus auf St. Pauli stand auf einmal das Thema „Duett“ im Raum...
Roggenfaenger: Das war‘s auch schon, ihr habt es geschafft! Dankeschön für eure Zeit und die Mühe. Habt ihr abschließend vielleicht noch ein paar letzte Worte an die Leser?
Chris "The Lord" Harms: Mit dieser Frage bin ich immer überfordert. Können wir hier vielleicht einfach ein niedliches Katzenbaby-Bild einfügen?
Roggenfaenger: Klar!