Amphi Festival - Tag II - Tanzbrunnen, Köln - 29.07.2018
Veranstaltungsort:
Stadt: Köln, Deutschland
Location: Tanzbrunnen
Kapazität: ca. 12.000
Stehplätze: Ja
Sitzplätze: Nein
Homepage: http://www.amphi-festival.de
Samstag, 29.07.2018 - Amphi Festival Tag 2:
Bedingt durch den kleinen Umstand, bereits heute Abend wieder abreisen zu müssen, habe ich schon an der Rezeption ausgecheckt und mein Gepäck ordnungsgemäß eingelagert, was zeitgleich allerdings auch den positiven Nebeneffekt hat, nicht der verlockenden Versuchung des Tiefschlafs erlegen zu sein. Demnach bin ich jetzt mehr oder weniger wider Willen nicht nur früh auf den Beinen, sondern auch auf dem Gelände des Tanzbrunnens. Wie schon am Vortag, geht es hier noch eher entspannt zu. Wer nicht vor einer der beiden Bühnen wartet, entspannt am Rheinufer und Beach-Club oder geht an den zahlreichen Ständen, die mir dennoch weitaus weniger als in den Vorjahren erscheinen, shoppen. Um wenigstens einmal da gewesen zu sein, besuche ich die abgetrennte VIP-Area am Strand auf ein kühles Getränk, hier erfreulicherweise ganz ohne die chaotische Pfandrückgabe des öffentlichen Ausschanks. Hätte ich das mal eher gewusst... Noch etwas müde, schlürfe ich an meinem gut gekühlten Mineralwasser bei bestem Blick auf den Kölner Dom und drehe noch eine kleine Runde, bevor ich schließlich wieder an der Mainstage ankomme.
Mainstage, 11.00 Uhr - ES23:
Wie auch schon am gestrigen Morgen, startet man hier mit ordentlichem Dark Electro in den Tag. „ES23“ ist das 2004 in Bochum gegründete Projekt von Daniel Pad, das derzeit bei Infacted Recordings unter Vertrag steht. Neben zwei frühen Demo-Alben und etlichen Remixen für namhafte Kollegen, wie etwa „[:SITD:]“, „Solitary Experiments“ oder sogar „Suicide Commando“, gehen mittlerweile ganze drei Studioalben auf das Konto der jungen Kombo: Das Debüt „Heaven Or Hell“, der Zweitling „Mutatio Ex Machina“ und das aktuelle „Erase My Heart“. Nachdem Tym N. und Pat Rinzler die Band just verließen, ist Pad seit 2017 wieder solo unterwegs, wird bei den Live-Shows aber zusätzlich von Micha Meyer an den E-Drums und Heiko Lachmann tatkräftig am Keyboard unterstützt. Mit offensichtlicher Spielfreude und geballter Energie werden nun etablierte Songs, wie „Wake Up“ oder „Lost In Time“ zelebriert, während „Shouting Out Of Me“, „Get Out Of My Head“ und „Destiny“ einen Blick auf die neueren Taten werfen. Was neben dem spürbaren Enthusiasmus des jungen Acts vor allem gefällt, ist der vielschichtige Facettenreichtum mancher Tracks, die mit ihren teils überraschenden Tempowechseln und genreuntypischen Grenzüberschreitungen eine ganz eigene Note offenbaren, noch lange danach im Kopf bleiben und einfach Spaß machen. So muss das! Wer sich einmal selbst von den Qualitäten überzeugen möchte, hat etwa schon beim nächsten e-Tropolis die Gelegenheit dazu.
Mainstage, 12.10 Uhr - Heldmaschine:
Nach so viel geballter Elektronik ist es jetzt wieder mal an der Zeit, die metallischen Gitarren regieren zu lassen und was wäre für diesen Anlass wohl besser geeignet, als eine ordentliche Ladung NDH? Und in der Tat gibt es mittlerweile wahrlich so einige vielversprechende Vertreter dieses Genres, insbesondere unter den stetig nachrückenden Newcomern. Ein solcher waren die umtriebigen Mannen von „Heldmaschine“ vor nicht allzu vielen Jahren auch einmal: Zunächst noch als parallel laufendes Zweitprojekt zur „Rammstein“-Tribute-Band „Völkerball“ ins Leben gerufen, entwickelte man sich rasend schnell zu einem ernstzunehmenden Mitspieler, wozu nicht zuletzt auch die spürbar konstante Weiterentwicklung und gleichzeitig damit verbundene Entfernung vom großen Vorbild beigetragen haben dürfte. Demnach ist es wenig überraschend, dass an diesem Morgen so einige Besucher ihren Weg aus den Betten und vor die Mainstage gefunden haben, um die sympathischen Koblenzer angemessen zu empfangen, die von Moderator Mark Benecke überraschend zehn Minuten eher als geplant angekündigt werden. Zu den mystischen Klängen eines elektronischen Windspiels laufen nun Schlagzeuger Dirk Oechsle, Bassist Marco Schulte, sowie die Saitenfraktion aus Dejan Dean Stankovic und Tobias Kaiser in blau leuchtenden LED-Westen auf, um den „Himmelskörper“ auf Kölner Grund und Boden zu entsenden, bis zum Schluss auch Sänger René Anlauff dazustößt: „Hallo Amphi, wir sind die „Heldmaschine“! Seid ihr da?“. Dass dem so ist, beweisen nun allesamt bei „Kein Zurück“, in dessen Refrain alle Hände gleichmäßig im Takt wogen. „Vielen Dank! Sagt mal, gibt es hier zufällig einige von euch, die das „R“ rollen? Es gab ja immer wieder mal Vergleiche mit einem gewissen Herrn Lindemann und da habe ich mich gefragt, „Darf ich das jetzt eigentlich oder darf ich das nicht?“. Hier kommt die Antwort auf diese Frage!“, schmunzelt er und findet die perfekte Überleitung zum selbstironischen „R“, das jetzt nur so durch die Menge rollt und alles mitreißt. „Wisst ihr Bescheid!“, grinst Anlauff und gönnt sich zusammen mit den übrigen Mitgliedern erstmal einen kräftigen Schluck aus einem länglichen Kanister, um das Getriebe zu ölen. Das ist auch notwendig, denn im Folgenden wird unmissverständlich klargemacht: „Die Maschine Spricht“. Passend zum Text wird das Publikum jetzt kurzerhand dazu aufgefordert, gemeinsam im 4/4-Takt zu stampfen. „Ist das geil!“, ruft der Frontmann begeistert und behält absolut Recht. So viel geballte Energie und das zu dieser frühen Stunde... Ganz bestimmt alles andere, als selbstverständlich. Mit auf dem Gesicht festgeschnallten VR-Brillen, setzt sich der Fünfer sodann den errektiven „Sexschuss“ und lässt sich ordentlich feiern. Es sind charmante Kleinigkeiten wie diese, die selbst ein kurzes Festival-Set äußerst unterhaltsam gestalten und immer wieder auch etwas fürs Auge bieten. Danach wird die Bühne abermals von dichten Nebelwolken eingehüllt, während die aufgestellten Lichtsäulen wild aufblinken und Anlauff zu „Radioaktiv“ mit einer stählernen Apparatur auf dem Rücken zurückkehrt, aus der nun giftgrüne Laserstrahlen schießen. Immerzu steigen hohe CO2-Fontänen unterstützend aus dem Boden empor, doch das grelle Sonnenlicht lässt dem sonst so stimmungsvollen Effekt leider kaum eine richtige Chance. „Auch wir sind Mario-aktiv... Bitte einmal einen großen Applaus für unsere Crew, die dafür sorgt, dass im richtigen Moment die richtigen Sachen auf der Bühne sind!“, stellt der Sänger einen der Techniker spaßend vor, der ihn seiner schweren Rüstung wieder entledigt. „So, wir müssen leider langsam aufhören, denn es gibt hier einen strammen Zeitplan.“, werden darauf kurzzeitig ernstere Töne angeschlagen. Etwas Ernüchterung macht sich unter den Fans breit, aber mit „Das Maß Ist Voll“ haben die Maschinisten noch einen weiteren Song vom aktuellen Studioalbum in petto. „Dankeschön, liebes Amphi! Es ist unglaublich heiß, oder? Aber ich glaube, hier oben ist’s gerade sogar noch ein bisschen wärmer. Danke für die Annahme, wir dürfen noch einen spielen!“, verkündet das Sprachrohr der Maschine zum abschließenden Nackenbrecher „Auf Allen Vieren“, dessen finaler Refrain als Publikumschor noch lange nachhallen soll. „Der Kölner Karneval lebt! Wir haben noch Zeit für genau eine Nummer, wenn ihr Bock habt?“. Natürlich haben die Gäste noch Lust auf eine weitere Zugabe und so geht es schließlich hitlastig „Weiter!“, bei dem es sich Anlauff nicht nehmen lässt, kurzerhand in die jubelnde Menge zu springen und sich auf Händen tragen zu lassen. „Zur Bühne geht es aber da entlang!“, lacht er, als die Reihen ihn stattdessen immer mehr nach hinten durchreichen. Letzten Endes schafft er es aber doch noch rechtzeitig zurück auf die Bretter und verabschiedet sich mit der „Heldmaschine“ nach rund fünfzig Minuten vom Tanzbrunnen.
Theaterstage, 12.55 Uhr - Synthattack:
Pünktlich zur Mittagszeit verschlägt es mich dann heute zum ersten Mal wieder ins Theater, in welchem die Luft nun erfreulicherweise bedeutend kühler und angenehmer ist, als gestern noch. Trotzdem lasse ich es mir nicht nehmen, vor dem nächsten Act noch einmal schnell ein kleines Getränk an der örtlichen Bar zu ordern, bevor ich mir einen Platz mit guter Sicht in der Menge suche. Jetzt soll es wiederum verstärkt elektronisch zugehen und das mit einer noch recht jungen Formation, von der ich bisher zwar schon eine Menge gehört, aber nichts gesehen habe. Umso besser, jede Premiere ist für mich immer wieder ziemlich spannend. Hierbei geht es um die in 2015 gegründeten „Synthattack“, welche just immer wieder bei Facebook und Co. plötzlich in den Vorschlägen auftauchten. Das Duo aus Sänger Martin Schindler und Keyboarderin Nicole Linde hat sich einer äußerst eiexplosiven Mischung aus tanzbarem Industrial, fetten Beats, bissigen Lyrics und hartem Aggrotech verschrieben, die, wie bereits das Debüt titulierend verhieß, klar und deutlich auf nicht weniger, als die gesamten Tanzflächen der schwarzen Clubs abzielt. Das gelingt beispielsweise mit den jeweiligen Titeltracks der beiden bisherigen Alben „Club Takeover“ und „Harsh Is Back“ oder knackigen Gassenhauern, wie etwa „Insomnia“, „Blood Dance“ und „Life Is A Bitch“, die allesamt von den stark verzerrten Vocals des dämonisch geschminkten Sängers und eingängigen Melodien profitieren, die trotz der durchschlagenden Progressivität immer klar strukturiert vorhanden sind. All das zusammen wird, wie nun mal im Genre so üblich, optisch von zwei leicht bekleideten Tänzerinnen an den Seiten der Bühne und einer mittelgroßen Videoleinwand untermalt, auf der mal mehr und mal weniger treffende Visuals oder einzelne Textzeilen zu sehen sind. Mit dem elegischen „Final Salvation“ von der aktuellen EP, gibt es dann zum Schluss sogar noch eine lupenreine Ballade zu hören, die eine emotionale Note in dem markanten Sound vereint, was zwar recht gut funktioniert, zuerst aber auch arg gewöhnungsbedürftig wirkt. Überhaupt erscheint die energetisch powernde Performance gegen Ende gefühlt etwas abzubauen und statisch zu werden, was die echten Fans im Raum aber keineswegs stört, die jetzt mit der laut gebrüllten Parole „Work, Sleep, Repeat!“ zu „One Love, One Pain“ nochmal so richtig feiern, bevor dann das traditionelle Abschlussfoto gemacht wird.
Theaterstage, 14.05 Uhr - Priest:
Wer kennt sie bitte nicht, die ominöse wie auch äußerst beliebte Metal-Band „Ghost“, welche mit ihren erstklassigen Songs schon seit einigen Jahren die Szene gehörig aufmischt und seitdem vollkommen gerechtfertigt auf einer schier gigantischen Welle des Erfolgs schwimmt? Die Formation um Mastermind Tobias „Papa Emeritus“ Forge ist nicht mehr aufzuhalten und wird vielerorts als der neue Messias ihres Genres gelobt, doch zuletzt verdichteten sich temporär zunehmend dunkle Wolken über dem aufstrebenden Kollektiv, als einige der sogenannten „Nameless Ghouls“ neben ihrem Ausstieg just einige Informationen über die aktuelle Besetzung bekannt gaben. Jene Ex-Mitglieder wandten der Musik folglich jedoch nicht den Rücken. Im Gegenteil, sie wagten einen bravourösen Neuanfang und das in einer gänzlich anderen Sparte. So entstand mit dem im vergangenen Herbst veröffentlichten „New Flesh“ und einem hochkarätigen Produzententeam aus Alpha und Air im Hintergrund, erst kürzlich ein fürwahr vielversprechendes Debüt der Extraklasse. Einige nur allzu markante Parallelen zum vorherigen Betätigungsfeld können und sollen dabei aber nicht verleugnet werden, welche sich nicht allein nur in den unglaublich eingängigen Songs, sondern insbesondere auch in der gesamten Präsentation mit all ihren visuellen Aspekten zeigen, die sich hier dramaturgisch inszeniert der Verwendung von Anonymität und okkulten Symboliken zuwenden. Ansonsten ist nicht allzu viel über das mysteriöse Trio aus Schweden bekannt, das heute auf dem Amphi Festival seine furiose Deutschland-Premiere feiern wird: „Priest“. Während die spärlich ausstaffierte Bühne im gut gefüllten Theater nun behutsam in dunkelblaues Licht und dichten Nebel eingetaucht wird, ertönen tiefe Glockenschläge und lassen in regelmäßigen Abständen den gesamten Boden erzittern. Unter noch recht verhaltenem Applaus seitens des gespannten Publikums, betreten die beiden Keyboarder Sulphur und Salt die Bretter und begeben sich versiert an ihre Instrumente. In schwere Lederjacken gehüllt und mit einschüchternden Pestdoktor-Masken auf den Häuptern, beginnen die beiden Musiker zur rein instrumentalen Session namens „Tria Prima“ damit, fokussiert an den Knöpfen und Reglern der Synthesizer zu drehen, bis zuletzt auch Sänger Mercury in schwarzer Priesterrobe und Killernieten-Sturmhaube zum stampfenden Opener „The Pit“ auf der Bühne erscheint. Das EBM-lastige „Populist“ schließt sich inklusive forderndem Drum-Solo nahtlos an und mündet sodann im völlig konträren, weil gefällig-poppigen „History In Black“. Wussten die zahlreichen Zuschauer ob der geringen Vorabinformationen zuerst nicht recht, was hier eigentlich zu erwarten war, so schlägt die anfängliche Reserviertheit verdient in pure Begeisterung um. Der lang anhaltende Applaus ist gerade für einen eher unbekannten Underground-Newcomer bahnbrechend, was auch den Frontmann sichtlich freut: „Danke! Es ist wirklich schön, hier zu sein.“, begrüßt er Köln mit ruhiger Stimme und kündigt mit „Private Eye“ die aktuelle Single an, welche ebensolchen Anklang findet, wie auch das schwelgerische „Call My Name“ oder „The Cross“. Die perfekt abgestimmte Mischung aus retrolastigen Achtziger-Vibes und experimenteller Moderne schindet offenkundig bei so ziemlich allen Anwesenden ordentlich Eindruck und wird in regelmäßigen Abständen lautstark beklatscht. Das derzeit noch unveröffentlichte „Neuromancer“ besticht dann mit einem unberechenbaren Wechselspiel aus temporeichen Beats und ruhigen Passagen, ein kleiner Ausblick in die musikalische Zukunft der drei Maskenmänner, der zu gefallen weiß. Auf eine deutschsprachige Ansage folgt das drückende „Vaudeville“, bei dem es abermals die etwas eigenen Tanzschritte von Mercury zu bestaunen gibt. Nach rund vierzig Minuten verlässt die Band unter tosendem Jubel die Bühne und tatsächlich verlangt die Menge einheitlich nach einer Zugabe. Sehr unüblich für einen Festival-Act, kommen „Priest“ nochmal zurück, um mit dem balladesken „Radiohead“-Cover von „Street Spirit“ einen würdigen Abschluss zu finden. Ein voller Erfolg! Anders als erwartet, verzichtete man auf allzu ablenkende und spektakuläre Show-Elemente oder Provokation und beruft sich stattdessen angenehm auf eine ausgeklügelte Lichtinstallation, geheimnisvolle Selbstinszenierung, fast durchweg großartige Kompositionen und nicht zuletzt das eigene Können. Nicht nur für mich persönlich wahrscheinlich die Neuentdeckung auf dem diesjährigen Amphi Festival schlechthin. Besser kann man falsche Vorstellungen kaum enttäuschen...
Mainstage, 14.50 Uhr - Qntal:
Leider läuft im Leben manches Mal nicht immer alles so reibungslos, wie zunächst geplant, doch kann sich auch aus jeder noch so dunklen Vergangenheit dafür eine umso hellere Zukunft hervortun. So geschehen bei den 1991 zwischen München und Berlin gegründeten „Qntal“: Die Band, deren Namensfindung sich auf ein Fantasiewort aus einem Traum der Sängerin beruft, wurde von „Deine Lakaien“-Kopf Ernst Horn und deren einstigem Live-Musiker Michael Popp mit dem ambitionierten Ziel erdacht, avantgardistischen Electro und folkloristisches Instrumentarium zu verbinden. Ein Jahr später erschien über Chrom Records das erste Album und fuhr weitestgehend positive Resonanzen ein, ehe es 1999 dann zum großen Streit zwischen beiden Gründern kam, in welchem es um die Definition von Popps Zugehörigkeit zu den Lakaien ging. Man trennte sich schließlich und ein jeder ging wieder seine eigenen Wege. Horn rief gemeinsam mit Susanne Lutzenberger die artverwandten „Helium Vola“ ins Leben, doch „Qntal“ bestanden weiterhin und ließen sich nicht unterkriegen. Die bis dato nie gehörte Mischung aus mittelalterlicher Lyrik in provenzalischer, lateinischer, altfranzösischer, englischer und mittelhochdeutscher Sprache in Kombination mit Samples und Aufnahmen historischer Klänge, sollte seine treuen Fans finden und so gehen mittlerweile insgesamt fünf Singles, eine EP, eine DVD, eine Best-Of-Compilation und acht Studioalben auf das Konto der außergewöhnlichen Formation. Heute gehört das kreative Kollektiv, neben den eigenen Nebenprojekten „VocaMe“ und „Estampie“, unstrittig zu den Vorreitern seines selbst geschaffenen Genres. Nach ihrem letzten Auftritt in 2015, ist das Gespann nun endlich wieder beim Amphi Festival mit von der Partie. Selbstverständlich also, dass bereits so einige Besucher gespannt im Infield warten und herzlichen Beifall spenden, als Schlagzeuger Markus Köstner, Produzent Leon Rodt, Violinistin Sarah „Mariko“ Newman, Multiinstrumentalist Michael Popp und Sängerin Sigrid „Syrah“ Hausen gegen 15.00 Uhr die Bühne zum verträumten Titeltrack des aktuellen Albums „Nachtblume“ betreten. Das neue Konzeptwerk, welches unter anderem die Lyriken des nationalen Romantikers Joseph von Eichendorff oder des Autoren Markus Heitz, der mit Sicherheit einigen Besuchern durch seine unterhaltsamen Lesungen auf dem Méra Luna ein fester Begriff ist, behandelt, soll heute Nachmittag natürlich unter anderem eine große Rolle spielen, doch auch der Vorgänger wird etwa mit dem anmutigen „Frühlingslied“ angemessen bedacht. Neben altbekanntem Liedgut, wie beispielsweise dem „Palästinalied“, „Ecce Gratum“ oder „Ad Mortem Festinamus“ vom Debüt, präsentiert man mit „O Fortuna“ und „Die Finstere Nacht“ weiter neues Material, das ebenso sehr angenommen wird, wie auch die gestandenen Klassiker. Das durchweg harmonische Zusammenspiel der Musiker beeindruckt dabei nicht weniger, als die imposante Auswahl an Instrumenten, wie etwa Laute und Schalmei. Es ist wirklich interessant zu beobachten, wie still und aufmerksam das sonst so feierwütige Publikum nun zwischen den einzelnen Liedern, die beständig zwischen pompöser Hymnenhaftigkeit und zarter Zerbrechlichkeit wandeln, ist und erst nach dem Verklingen des letzten Tons zu applaudieren beginnt. Generell hat die Musik von „Qntal“ eine sehr entschleunigende Wirkung, zwischen all den harten Gitarren und dem donnernden Electro der letzten Stunden, wodurch auch Folk- und Avantgarde-Fans endlich mal wieder voll auf ihre Kosten kommen. Fernab der nicht zu leugnenden Pionierarbeit, dem hohen Zuspruch der Gäste und nicht zuletzt auch der immensen Qualität, wäre, ob der mystischen Atmosphäre des Gebotenen, von Seiten des Veranstalters ein Slot im angrenzenden Theater eventuell die bessere Wahl gewesen. Als das viel zu kurze Set nach fast einer Stunde mit dem fragilen „Schnee“ endet, kommen auch die Gäste langsam wieder im Hier und Jetzt an. Eine wunderschöne, temporäre Zeitreise in gänzlich andere Welten, welche der gewohnten Kost an diesem Nachmittag einen punktgenauen Kontrast entgegenzusetzen wusste und mitunter auch genau deshalb würdig honoriert wurde. Manchmal ist leise eben das neue laut!
Mainstage, 16.10 Uhr - Solar Fake:
Die nächste Band ist aus den Köpfen und Gehörgängen vieler Besucher wahrscheinlich so sehr nicht mehr wegzudenken, wie kaum eine andere. Im Jahr 2007 in Berlin von „Zeraphine“- und „Dreadful Shadows“-Mastermind Sven Friedrich erschaffen, um seinen elektronische Songs eine angemessene Plattform zu geben, konnte man bereits wenige Monate danach mit dem Debüt „Broken Grid“ oder später auch als Support für „Camouflage“, „Project Pitchfork“, „Covenant“ und „VNV Nation“ zunehmend von sich reden machen. Mit jedem neuen Release stiegen „Solar Fake“ nun sowohl in den internen DAC-Charts, in denen sich der Zweitling für den längstmöglichen Zeitraum hielt, als auch in der Gunst der schwarzen Szene immer weiter auf. Neben eigenen Club-Shows wurden jetzt auch die namhaften Festivals, wie das e-Tropolis, Nocturnal Culture Night oder Méra Luna bespielt. In 2014 trennte sich der angestammte Live-Keyboarder schließlich aus persönlichen Gründen von der Band und ließ diese als das allseits bekannte Duo zurück, was man bis heute kennt. Mit dem letzten, regulären Studioalbum „Another Maniac Episode“, erreichten die beiden Musiker dann vor drei Jahren ihren bisherigen Schaffenshöhepunkt: Platz 31 in den offiziellen Media Control Charts, so einige ausverkaufte Shows und die aufwändige Aufzeichnung der emotionalen Akustik-Tournee... Was will man mehr? So haben sich auch heute Nachmittag wieder einmal viele Interessierte und Fans vor der Mainstage zusammengefunden, als Keyboarder André Feller und Sänger Sven Friedrich gemeinsam mit einem Live-Drummer zum eröffnenden „Not What I Wanted“ auflaufen. Der Empfang ist von der ersten Sekunde an auf beiden Seiten so frenetisch, wie herzlich. Das ändert sich auch beim beliebten „Under Control“ vom letzten Release keineswegs, ganz im Gegenteil: Schon jetzt feiert die Menge so, als gäbe es keinen Morgen mehr. Friedrich zeigt sich sichtlich erfreut und kann sein Lächeln kaum mehr zurückhalten und bedankt sich mehrmals aufrichtig bei den jubilierenden Fans. Für diese gibt es jetzt zudem eine schöne Überraschung, denn das Zweigespann hat ihnen mit dem wütenden „Sick Of You“ eine Kostprobe des kommenden Albums „You Win. Who Cares?“ mitgebracht, welches so euphorisch wie ein alter Bekannter aufgenommen wird. Könnte es ein schöneres Kompliment für die eigene Arbeit geben? Wohl kaum. „All The Things You Say“, „I Don‘t Want You In Here“ und „More Than This“ bietet weiterhin lange Bewährtes und längst Bekanntes, was die ausgelassene Stimmung jedoch nur noch mehr pusht. Sogar so sehr, dass die glücklichen Besucher letzteren Titel in ihrer regen Begeisterung nahezu übertönen und somit fast allein intonieren. Das düstere „Parasites“ vom Zweitling „Frontiers“ oder „Reset To Default“ gehen dann vorerst wieder ein paar Schritte in der Historie zurück, bevor das ebenfalls bislang unveröffentlichte „The Pain That Kills You Too“ und das mitreißende „Editors“-Cover von „Papillon“ abermals einen vielversprechenden Ausblick in die nahende Zukunft wagen. Mit „Where Are You“ und dem unverzichtbaren „Observer“ endet das unterhaltsame Set nach über fünfzig Minuten guter Unterhaltung. Also alles wie gehabt, oder?
Mainstage, 17.35 Uhr - Agonoize:
Gegen 17.35 Uhr steht schließlich ein Auftritt an, der im Vorfeld via Social Media mindestens schon so hitzig und breit diskutiert worden ist, wie die auftretende Band über all die aktiven Jahre selbst: „Agonoize“. Zurecht, denn an den selbsternannten „Godfathers“, oder auch „OMD des Hellectro“, wie Moderator Jens Domgörgen jetzt bei der Ansage augenzwinkernd spaßt, scheiden sich seit jeher die Geister der schwarzen Szene... Und das will schon etwas heißen. Trotzdem sind die Berliner von „Agonoize“ in den Clubs und auf den Bühnen ein stets gern gesehener Gast bei einem absoluten Großteil des Publikums und so tummeln sich auch jetzt wieder tausende Besucher gespannt vor der nebelverhangenen Mainstage im grellen Sonnenlicht. Gründungsmitglied Oliver Senger ist bei den diesjährigen Festival-Shows leider verhindert, weswegen nun zum orchestralen Intro sowohl ein maskierter Live-Keyboarder als auch -Drummer die Bretter zur unterstützenden Vertretung entern. Letzterer positioniert sich mit zwei Baseballschlägern in den Händen vor einigen Fässern am vorderen Bühnenrand, auf die er im donnernden Takt einschlägt. Nur wenige Sekunden später folgt auch Frontmann Chris L., mit kugelsicherer Weste, weißen Kontaktlinsen und diabolischen Hörnern auf seiner Stirn. Auch er versucht sich zur anderen Seite an der atmosphärischen Trommel-Einlage, doch das sonst so massive Holz bricht überraschend. Mit finsterem Blick feuert er die losen Einzelteile in die Ecke und begibt sich zum Opener „Teufelskind“ ins Zentrum der Mainstage. In der Hand eine Flex, beginnt er jetzt allmählich damit, eine an seinem linken Bein befestigte Metallplatte zu bearbeiten. Eindrucksvoll sprühen zahlreiche Funken zu den mitreißenden Beats des noch unveröffentlichten Songs vom kommenden Studioalbum „Midget Vampire Porn“, doch den Text versteht man leider so gut wie kaum. Das liegt nicht zwangsweise an den gewohnt verzerrten Vocals des Masterminds, sondern viel mehr an der Aussteuerung und dem damit einhergehenden Nachhall. Das fällt nicht nur den Zuschauern allein sofort auf und so kickt L. das Stativ kurzerhand um und verlässt wutentbrannt die Bühne. Sofort eilt ein zuständiger Techniker herbei, um das Problem bestmöglich zu beheben. Mit neuem Mikrofon und marginalen Verbesserungen im Sound, besingt man zusammen die „Femme Fatale“ und erklärt sich selbst offiziell zum „Staatsfeind“, zu dessen Refrain ein Statist mit Merkel- und Trump-Kostüm auf den Plan tritt. Wer heute mehr neues Material hören möchte, wird beim temporeichen „Dead But Not Gone“ fündig. Unter euphorischen Zurufen steigt der Fronter mit starrem Blick auf eine der hohen Boxen vor dem Graben, das geschärfte Messer dabei fest im Anschlag. Er wird doch wohl nicht? Nein, wird er nicht. Wie zuvor angekündigt, bleibt das berühmte Splatter-Spektakel zur Enttäuschung aller treuen Fans an diesem jungen Abend leider aus. Anstatt sich, wie sonst üblich, mit der stählernen Klinge die Arme aufzuschlitzen, um sodann Unmengen an Kunstblut in die vorderen Reihen zu vergießen, knüpft sich Chris L. milde lächelnd die Weste auf. Darunter kommt unter lautem Johlen ein T-Shirt mit einem äußerst selbstironischen Slogan zum Vorschein: „Sorry, no blood for you!“. Schade, aber ganz ohne geht es dann wohl doch nicht, wie sich nach „Schaufensterpuppenarsch“ und „Koprolalie“ zeigen soll: Zum technoid poppigen „Bloodqueen“ tänzelt plötzlich eine Gestalt in pinkfarbenem Morphsuit mit Tutu über die Bretter und verteilt mit Wasserpistole, Klobürste und Gieskanne den roten Lebenssaft in kleinen Rationen. „Und sowas passiert dann halt, wenn man uns das Blut verbietet!“, giftet der Sänger hörbar entnervt. „A Vampire Tale“ wirft abermals einen Blick in die nahe Zukunft, „Eternal Darkness“ führt hingegen weit zu den Anfängen des Hellectro zurück. „Ihr nervt langsam mit eurem scheiß Wasser! Habt ihr keinen Schnaps?“, kommentiert L. sarkastisch und feuert die kleinen Plastikflaschen wild durch die Gegend. Dass jene Erfrischung bei diesen Temperaturen vor der Bühne mindestens genauso gut aufgehoben wäre, denken sich wohl auch die Moderatoren und verteilen freigiebig einige Becher in den ersten Reihen. Beißende Sozialkritik regnet es dann mit Dubstep-Einschüben beim sozialkritischen „Dafür“, ehe zu „Glaubenskrieger“ das Backdrop mit dem bekannten Bandlogo im Hintergrund fällt und eine weitere, horroreske Szenerie offenbart. Leider gibt es hier abermals starke Probleme mit dem Mikrofon, welches sodann erstmal ausgetauscht werden muss. So dermaßen kurz vor Abschluss des Sets, gibt sich der Frontmann nach all den Hürden merklich keine Mühe mehr, die Fassade des personifizierten Bösen weiter aufrechtzuerhalten und bittet kopfschüttelnd um einen großen Applaus für seine Crew, die ihn sich nach der vergangenen Stunde auch redlich verdient hat. „Deutsch“ und der beliebte Club-Kracher „Bis Das Blut Gefriert“, zu dessen Ende Chris L. von zwei Mönchen mit einer Handfeuerwaffe exekutiert wird, schließen die Show ab. Dass heute Abend die bekannten Effekte ausbleiben mussten, ist für alle Fans natürlich sehr schade, entpuppte sich aber noch als kleinstes Übel für Band und Zuschauer: Wie auch schon auf dem Amphi Festival 2015, war der Sound fast durchgehend durchwachsen. Diverse technische Probleme mit dem Mikrofon, die nicht genutzten Feuerschalen und andere Kleinigkeiten machten so ziemlich allen Anwesenden vor und insbesondere auf der Bühne einen Strich durch die Rechnung. Trotzdem ließ man sich den Spaß nicht völlig nehmen und machte die widrigen Umstände mit viel selbstironischem Humor wieder wett. Zwar nicht perfekt, aber ganz sicher alles andere als blutleer!
Mainstage, 19.05 Uhr - Oomph!:
Nach dem erneuten Rundgang über das weitläufige Gelände, einem kleinen Snack in Form einer recht leckeren Gyros Pita und einem weiteren Besuch im gemütlichen Beach-Club, ruft die Pflicht auch schon wieder. Die kurzzeitige Entspannung tat mir wirklich gut, aber jetzt muss alles ganz schnell gehen, denn bereits in weniger als fünf Minuten steht der heutige Co-Headliner auf der Mainstage. Es ist, wie es seltsamerweise immer ist und so trifft man die meisten bekannten Gesichter zufällig genau dann, wenn am wenigsten Zeit ist. Während ich mich vorsichtig aber bestimmt durch die Reihen pflüge, halte ich leider nur überhastet ein bisschen Smalltalk und suche mir zielstrebig meinen Weg, was sich als gar nicht so einfach herausstellt. Wenngleich es nach ihrem letzten, gefeierten Amphi-Gig in der Lanxess Arena doch abzusehen war, hätte ich im Vorfeld tatsächlich nicht damit gerechnet, dass dermaßen viele Besucher so reges Interesse an den Braunschweigern hätten. Trotzdem schaffe ich es ganz knapp noch, mir einen Platz im mittigen Infield unter einem der weiten Sonnensegel zu sichern. Gut für mich, denn die glühende Abendsonne hat sich unterdessen wieder zwischen den dichten Wolken hervorgeschoben und sorgt kurz vor Schluss doch nochmal für erhöhte Temperaturen. Dass es auf dem großen Platz am Tanzbrunnen zunehmend voller wird, macht es dahingehend zwar nicht gerade besser, ist für die Band aber selbstredend ein schönes Kompliment. Unter tosendem Applaus und den unheilvoll drückenden Klängen des atmosphärischen Intros, betreten nun Schlagzeuger Michele Silvestri, Percussionist Patrick „Okusa“ Lange, Keyboarder Felix Vonk und Bassist Hagen Gödicke die Bretter. Letzterer positioniert sich sodann mit den beiden Gitarristen Thomas „Andreas Crap“ Döppner und Rene „Robert Flux“ Bachmann am vorderen Rand, um mit metallischen Saiten den kraftvollen Opener „Das Weiße Licht“ anzustimmen, zu dessen ersten Takten auch Frontmann und Sänger Stephan „Dero Goi“ Musiol erscheint. Köln kann bereits jetzt nicht mehr an sich halten und heißt die beliebten Szene-Heroen mit einem Höchstmaß an Euphorie herzlich Willkommen. „Hat sich das Warten nicht gelohnt?“... Doch, hat es. Ungewöhnlich früh feuert man anschließend direkt den medialen Erfolg „Gott Ist Ein Popstar“ hinterher und die Show geht, wie im eingängigen Refrain sarkastisch besungen, endlich los! „Vielen Dank, Köln!“, begrüßt Goi die schwarze Masse und entledigt sich rasch seiner schweren Lederjacke. „Kann’s jetzt endlich losgehen? Ich kann euch nicht hören... Könnt ihr eigentlich springen? Dann wollen wir das von der ersten bis zur letzten Reihe sehen!“, fordert er zu „Träumst Du?“ und fast alle machen mit. Ein tolles Bild! „Habt ihr Spaß und seid ihr gut drauf? Könnt ihr noch? Wollt ihr noch!?“, stachelt er das Publikum bei „Mein Schatz“ sichtlich begeistert zu neuen Höchstleistungen an und ja, natürlich will Köln noch. „Ihr seid großartig, Danke. Aber sagt mal, ist euch eigentlich auch so warm, wie uns?“, lacht Goi mit ungläubigem Blick auf die eigenen Monturen. Allzu viel Zeit verlieren will man verständlicherweise jedoch nicht und so geht es auch schon wieder weiter: „Der Neue Gott“ versprüht charmante Oldschool-EBM-Vibes und führt zu den Anfängen, das sozialkritische „Sandmann“ dann wiederum in die aktuelle Ära zurück. Nach dem brachialen „Gekreuzigt“ bemerkt der Sänger: „Ihr seid ja noch viel lauter, als das verkackte Rock am Ring, Köln!“. Doch es sind nicht nur die sichtlich begeisterten Fans, die hier den Stimmungspegel konstant hochhalten. Auch die Songs selbst haben einige Änderungen erfahren und kommen nun stellenweise um einiges rauer daher und härter daher, was dem Sound erfreulich guttut. Die Jubiläumshymne „Jetzt Oder Nie“ ist davon nicht ausgenommen und wird ebenso sehr abgefeiert, wie das emotionale „Niemand“, zu welchem es sich Goi nicht nehmen lässt, zum Crowdsurfing kurzerhand in die Menge springen. Der bissige „Kleinstadtboy“ repräsentiert als einziger Track das humorige „Des Wahnsinns Fette Beute“, danach geht es ins „Labyrinth“ mit launiger „We Will Rock You“-Einlage. Überhaupt herrscht viel Energie und Bewegung auf den Brettern: Die drei Gründungsmitglieder und die Live-Musiker wirken wahnsinnig gut eingespielt und haben sichtlich ehrlichen Spaß an ihrem Tun. Der Fronter fegt in gewohnter Manier umher, springt im Kreis oder verdingt sich gar an einer Trommel. Nicht verwunderlich, dass der berühmte Funke schnell auf die Gäste übergeht, die nach dem Hit „Augen Auf!“ unbedingt eine letzte Zugabe fordern. „Seid ihr da ganz sicher? Dann spielen wir jetzt unseren ältesten Song. Kennt ihr den noch?“, fragt Goi, bevor der Klassiker „Mein Herz“ das Set nach einer Stunde endgültig abschließt und sich die NDH-Vorreiter zum Gruppenfoto vor einem restlos begeisterten Publikum verbeugen. Was für eine Energie, was für eine Stimmung! Wenig verwunderlich, dass hier im Folgenden nicht gerade wenige Gäste vom "heimlichen Headliner" des Abends schwärmen. Wenn dieser Auftritt die glühende Vorfreude auf das in 2019 kommende, neue Studioalbum und eine damit verbundene, baldige Wiederkehr zum Tanzbrunnen nicht geschürt hat...
Mainstage, 20.40 Uhr - And One:
Das Wochenende neigt sich langsam aber sicher seinem Ende entgegen und so auch das Amphi Festival 2018. Während die zahlreichen Crew-Mitglieder emsig letzte Umbauarbeiten für den Headliner des zweiten Abends verrichten, strömen aus den Boxen anstelle der diesjährigen, gemischten Playlist die hypnotischen Klänge von „Ghama Voodoo“ aus den Boxen. Auch wenn die Vorfreude auf den Hauptact natürlich größtenteils ungebrochen scheint, ist nicht zu leugnen, dass nun eine gewisse Schwermut über dem gesamten Tanzbrunnen schwebt. Noch ein letztes Mal versammeln sich alle Besucher traditionell vor einer der insgesamt drei Bühnen, um nochmal kräftig zusammen zu feiern. Das geschieht nun entweder mit Altmeister Joachim Witt auf der MS RheinEnergie, der Szene-Ikone „Goethes Erben“ im Theater oder dem Synthie-Pop-Urgestein „And One“. Wie ich vorab den Posts in den sozialen Medien entnehmen konnte, fällt die individuelle Wahl bei diesem musikalischen Angebot nicht nur mir persönlich alles andere als leicht. Eher im absoluten Gegenteil: Ich bin großer Fan all dieser Bands und habe zum abschließenden Gipfeltreffen somit die Qual der Wahl, welche mehrere Bühnen nun mal automatisch mit sich bringen. Da ich direkt nach dem letzten Song leider wieder in Richtung Bochum aufbrechen muss, muss Witt durch die Location bedingt leider ausscheiden. Wie auch schon 2017 herrscht in Köln nämlich erneut Niedrigwasser, weswegen das schöne Event-Schiff erneut unvorteilhaft dazu angehalten ist, das gesamte Wochenende über an der Frankenwerft im Altstadtufer vor Anker liegen zu müssen. Das aufwändige Ensemble um Oswald Henke hingegen werde ich bereits diesen Herbst noch im Kulttempel Oberhausen zu sehen bekommen. Aus diesem Grund und der unmittelbaren Nähe zu meiner Unterkunft, aus der ich später meinen Koffer abholen muss, fällt die Entscheidung auf elektronische Musik zum Finale. Am schlicht komplett in Weiß gehaltenen, gleichzeitig aber imposanten Bühnenbild der Hauptstädter Institution hat sich seit der Best-Of-Tournee vor zwei Jahren nichts getan: Die drei Instrumente stehen nach wie vor auf einem hohen Podest, im Hintergrund wirft eine dreidimensionale Replikation des Hammermann-Logos seine langen Schatten voraus. Gegen 20.40 Uhr treten Schlagzeuger Joke Jay, sowie die beiden Keyboarder Rick Schah und Nico Wieditz unter monotonen Klängen ins blutrote Rampenlicht. Ohne zu viel Zeit zu verlieren oder einen längeren Spannungsaufbau, folgt wenig später Mastermind Steve Naghavi im schwarzen Shirt zum eröffnenden „Sometimes“. Die melancholische Mid-Tempo-Nummer eignet sich ob ihrer eher langsamen Rhythmik nur bedingt als Opener, punktet dafür aber gleich mit bekanntem Hit-Charakter. „Hallo, Amphi. Leute, das hier ist euer Festival! Wir sind „And One“ und kommen aus Berlin... Sehr verehrte Damen und Herren, es erwartet Sie heute ein kunterbunter Abend mit der Band Ihrer Wahl. Wir haben extra für euch die Sonne abbestellt, jetzt kann die Party losgehen, oder? Der nächste Song handelt von Sex, Liebe, Zärtlichkeit und Gewalt!“, begrüßt der quirlige Sänger die lautstark applaudierende Menge in seiner gewohnten Art und legt mit „Military Fashion Show“ überraschend früh einen weiteren Club-Klassiker nach, der unter den tausenden Gästen sogleich ordentlich Stimmung macht und einige Tänze entfacht. „Köln? Scream!“, animiert er mit dem lieb gewonnenen Ritual und die Fans folgen ohne Zögern. Ganz egal, ob es die poppige Hymnenhaftigkeit eines „Für“ oder die harten Klänge eines „Technoman“ sind, hier zielt jeder einzelne Song in seinem schieren Facettenreichtum genau auf den richtigen Nerv. Nach dem verschrobenen „Schwarz“ ist es mit „Unter Meiner Uniform“ erstmalig an der Zeit für leisere Töne und einen angenehmen Ruhepol, im Folgenden gehört die Bühne dann für einige Minuten ganz E-Drummer Joke Jay, der mit „Most Of The Tears“ seinen Solo-Part eingeräumt bekommt. Wie auch schon auf dem vergangenen Méra Luna bleibt die emotionale Power-Ballade der einzige neue Track und somit einzige Ausblick auf die seit langem angekündigte „Trilogie II“, über deren Release nach wie vor nichts bekannt ist oder heute gar gegeben wird. Erinnert man sich jedoch an so manch voreilig kommunizierten Schnellschuss aus der Vergangenheit, ist das vielleicht aber auch besser so... Stattdessen berufen sich die Vier lieber weiterhin auf den eingangs versprochenen Mix: Die Ankunft der „Traumfrau“, das launige „Get You Closer“ oder „Krieger“, mit einem fließenden Wechsel zum „Eurythmics“-Evergreen „Sweet Dreams (Are Made Of This)“, funktionieren beim Publikum offensichtlich noch immer bestens, wenngleich sich bei mir, aufgrund des mittlerweile doch sehr berechenbaren Programms, merklich Ermüdungserscheinungen bei mir breitmachen. Nach nunmehr vier Jahren ohne Material und fast jährlichen wechselnden Gigs auf den einschlägigen Festivals, wäre es zur gesunden Abwechslung und vor allem kommenden „World Vibration“-Tour tatsächlich schön, zwischen Altbekanntem auch bald mal wieder Neues hören zu dürfen... Sowohl auf der heimischen Anlage als auch live. Worin Naghavi allerdings schon immer gut war und offenbar auch niemals müde wird, ist die Provokation: So folgt auf das seit seiner Veröffentlichung umstrittene „Deutschmaschine“ eine fragliche Ansage, die es in sich hat, bei welcher der Sänger die Fans überraschend darum bittet, kollektiv „A.D.O.L.F.“ zu schreien. Wer zuerst mit der Buchstabierung des Bandnamens gerechnet hatte, sieht sich jetzt wohl zurecht fragend um. Einige Besucher verlassen das Gelände empört und machen ihrem Ärger direkt in der Kommentar-Sektion im Netz Luft. Ob diese Aktion eine weitere Kostprobe seines typischen Humors oder doch intelligente Demonstration blinden Massengehorsams war, bleibt offen. Dass „Steine Sind Steine“, welches bis heute ganz ähnliche Fragen bei Kritikern und Fans gleichermaßen aufwirft, sich sogleich daran anschließt, hinterlässt mit Sicherheit nicht zufällig einen bitteren Beigeschmack. Das partytaugliche „Second Voice“ macht diesen kritischen Moment mit viel wechselseitiger Energie zwischen Musikern und Besuchern schnell wieder vergessen, hier werden nochmal alle verfügbaren Reserven abverlangt. Wer jetzt noch immer nicht genug Bodypop intus hat, wird mit einer kleinen Zugabe belohnt: Das sphärische „High“, wieder von Jay am Mikrofon intoniert, verwandelt die dichten Reihen in ein ausdauernd schwenkendes Händemeer und lässt nicht mehr an ein Morgen denken, bis das obligatorische „Shouts Of Joy“ das große Finale schlussendlich würdig besiegelt.
Das war es also mal wieder, das diesjährige Amphi Festival am Kölner Tanzbrunnen. Drei wirklich anstrengende, aber dafür nicht weniger schöne Tag liegen nun plötzlich hinter mir und sind, eigentlich wie immer, viel zu schnell vorbeigegangen. Zu beanstanden gibt es dabei nur wenig, zumal es praktisch jedes Jahr erneut die gleichen Kritikpunkte sind, an denen der Veranstalter selbst auch kaum mehr etwas ändern kann: Für die immens hohen Temperaturen kann selbstredend genauso wenig jemand etwas, wie für den damit verbundenen Umstand des vorherrschenden Niedrigwassers, der die dritte Bühne auf der MS RheinEnergie unglücklich weit vom sonstigen Gelände abschneidet. Der gut organisierte Shuttle-Service konnte mit seinem zuverlässig funktionierenden Transfer zwischen Tanzbrunnen und Altstadtufer dafür jedoch Abhilfe schaffen und einen weitestgehend reibungslosen Ablauf für die Gäste gewährleisten. Ein nicht gerade unwesentlicher Fakt, der mit dem Wetter zudem zwangsläufig einhergeht, ist der ungewöhnlich hohe Absatz von Erfrischungen. Die von der lokalen Gastronomie angesetzten Getränkepreise sind noch immer viel zu hoch und scheinen jährlich weiter bis zur oberen Schmerzgrenze anzusteigen. Zwar wird seitens der Protain GmbH mit öffentlich zugänglichen Wasserstellen und dem eigenen Water-Stand als günstigere Alternative unlängst versucht, dieser unrühmlichen Entwicklung möglichst wirksam gegenzusteuern, ein kulantes Entgegenkommen zu einer humaneren Preisgestaltung wäre seitens der Stadt Köln dennoch mehr als wünschenswert. Gleiches gilt hier für die kulinarische Verköstigung, welche festivaltypisch ebenfalls zu weiten Teilen im gehobenen Preissegment lag, dafür aber mit einem breiten Angebot an Burgern, Currywurst, Gyros, Pommes, Salaten, sowie vegetarischen und veganen Alternativen mehr als solide aufgestellt war. Allgemein muss weiterhin angemerkt werden, dass die sonst so vielseitige Shopping-Meile in diesem Jahr stellenweise arg gestutzt wirkte und so einige essenzielle Händler oder Artikel leider vermissen ließ. Auch wenn ich persönlich in dieser Hinsicht glücklicherweise abermals keinerlei Probleme hatte, so schien der Einlass am Theater mit seinen Stopps aufgrund zu knapper Kapazitäten für viele andere Besucher doch gelegentlich wieder ein rotes Tuch zu sein. Ob und wann man hier wieder auf das Staatenhaus oder ein anderes Gebäude als zusätzliche Location hoffen darf, bleibt allerdings nach wie vor ungewiss. Dafür konnte das Amphi Festival bei seiner Kernkompetenz, der Musik, mit einem relativ ausgewogenen Line-Up punkten, welches mit seiner gesunden Mischung aus Electro und Gitarren für ein Gleichgewicht zwischen den Genres sorgte. Hier gab es, sofern der Besucher gewillt war, tatsächlich so manch schöne Überraschung oder Experimente zu bestaunen, wie die Psychobillys von „Mad Sin“ oder Newcomer der Marke „Priest“ eindrucksvoll belegten. Aber auch deutlich seltener performende Ikonen, wie „Midge Ure“ und „Orchestral Manoeuvres In The Dark“ grenzten angenehm vom üblichen Standard der schwarzen Szene ab. Was das nächste Amphi Festival, das übrigens am 20. und 21.07.2019 auf gewohntem Boden stattfinden wird, alles für seine Gäste bereithält, steht derzeit zwar noch in den Sternen, sicher ist aber, dass das bereits bestätigte EBM-Urgestein „Nitzer Ebb“ mit seinem ersten Festival-Gig in Europa seit ganzen acht Jahren, wohl eines der absoluten Highlights markieren wird. Der Vorverkauf hat bereits begonnen...
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Holger Bär - AllDark-Foto
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