Eisbrecher - „Sturmfahrt"-Tour - Turbinenhalle, Oberhausen - 29.09.2017
Veranstaltungsort:
Stadt: Oberhausen, Deutschland
Location: Turbinenhalle 1
Kapazität: ca. 3.500
Stehplätze: Ja
Sitzplätze: Nein
Homepage: http://www.turbinenhalle.de
Einleitung: Es ist Freitag, der 29.09.2017. Ich gleiche die Zeit auf meiner Armbanduhr noch schnell mit der Anzeige auf dem Display meines Handys ab: 18.24 Uhr. Pünktlich. Gerade eben noch. Ich laufe die steinige Einfahrt entlang und finde mich schon bald auf dem großen Parkplatz vor der Turbinenhalle 1 wieder. Ein Ordner weist zwei herannahende Autos ab, die Kapazitäten sind ganz offensichtlich vollkommen ausgeschöpft. Wenig verwunderlich, immerhin spielen "Eisbrecher" den Auftakt ihrer heute beginnenden "Sturmfahrt"-Tournee vor restlos ausverkauftem Haus. Davon zeugt unter anderem auch die immens lange Warteschlange vor der Lokalität selbst, welche sich angefangen von den vielen Treppenstufen hinab, bis um den gesamten Gebäudekomplex und nahe des angrenzenden Clubs Kulttempel zieht. Durchaus beachtlich. Das letzte Mal, dass ich hier einen ähnlich hohen Ansturm erlebt habe, liegt schon einige Jahre zurück. In wenigen Minuten beginnt der offizielle Einlass und noch immer reihen sich weitere Besucher ein. Ich stelle mich ein wenig abseits des Gedränges und wähle die Telefonnummer von Toby Fuhrmann, dem Schlagzeuger von "Unzucht", welche die Konzertreihe der Münchner Erfolgsformation einmal mehr als Support-Act musikalisch begleiten. Nur wenig später hebt der freundliche Drummer ab und ich schildere mein Anliegen. "Hast du vielleicht ein Erkennungsmerkmal, damit wir wissen, wo genau du stehst?", fragt er mich. Ich überlege kurz. "Hm, ich habe ein dunkelgraues Sakko an und eine Umhängetasche dabei...", bemühe ich mich einer möglichst passenden Beschreibung. Er verspricht, einem Zuständigen umgehend Bescheid zu geben und so machen wir einen Treffpunkt vor der Halle aus. Während die Fans nun reihenweise ins Innere der Halle strömen, um einen möglichst guten Platz zu erhaschen, warte ich am Eingang zum Backstagebereich neben den Bussen. Eine gute Viertelstunde darauf ist es dann auch schon soweit und ich werde abgeholt. "Hey! Ich habe schon die ganze Zeit nach jemandem Ausschau gehalten, der nicht komplett in Schwarz gekleidet ist.", begrüßt mich der Tourleiter freundlich und rückt den drahtigen Zaun ein gutes Stück zur Seite, damit ich passieren kann. "So, dann folge mir mal durch das Labyrinth hier!", winkt er mich zu sich und öffnet eine Tür. Wir steigen einige steile Stufen hinauf und finden uns plötzlich im Graben unmittelbar vor der Bühne wieder. Die ersten Reihen vor dem Wellenbrecher sind schon mit einer dichten Ansammlung besonders treuer Anhänger besetzt, die dem baldigen Beginn bereits gespannt entgegenfiebern. Wir laufen quer durch den gesamten Saal und das Foyer.
Direkt neben dem Merchandising-Stand drückt mein Abholer eine weitere Doppeltür auf, hinter welcher ein langer Gang wartet. Als wir diesen passiert haben, stehen wir inmitten einer weiteren, komplett leeren Halle. Ich werfe einen flüchtigen Blick aus dem Fenster und erkenne, dass wir uns in den mittlerweile leerstehenden Räumlichkeiten des ehemaligen T-Clubs befinden. Auf der linken Seite befinden sich zwei kleinere, nebeneinanderliegende Zimmer. "Umkleide Unzucht", steht auf einem kleinen Schild an der Wand. "Dann komm doch einfach mal kurz mit.", ermutigt mich der Tourmanager. Also trete ich ein und stehe direkt in der Garderobe, in welcher sich die gesamte Band gerade auf ihren nahenden Auftritt vorbereitet. "Grüß dich. Schön, dass du hier bist", lächelt Sänger Daniel Schulz. Alle Bandmitglieder begrüßen mich freundlich und geben mir die Hand, auf einem Sofa an der Wand sitzt auch Toby Fuhrmann. "Hallo, ich bin heute dein Mann fürs Interview", grinst er und wir treten wieder in die Halle hinaus. "Wollt ihr das Interview gleich hier machen? Wartet mal, hier steht sogar noch eine Couch.", schaut der Leiter in den kleinen Nebenraum. "Magst du vielleicht etwas trinken?", fragt er mich und ich entscheide mich dankbar für ein Bier. Der Schlagzeuger und ich nehmen auf zwei Barhockern an einem kleinen Rundtisch Platz und nachdem ich alle Details kurz erläutert habe, klickt der "Record"-Button meines Aufnahmegeräts. Was sich für die freundliche "Unzucht" von nebenan seit damals alles verändert hat, weswegen sie ihre erste Live-DVD ausgerechnet in Hamburg aufgezeichnet haben und warum bis heute manchmal noch immer einiger "Widerstand" nötig ist, erfahrt ihr im exklusiven Interview. Nach einer Viertelstunde verabschieden wir uns wieder voneinander, ich bedanke mich für die Zeit und fülle mein Bier aus der Glasflasche in einen Plastikbecher um. Dann geht es wieder zurück ins Foyer, wo ich an der Gästeliste noch Ticket und Fotopass erhalte. Mit dem Beck's in der Hand schaue ich mich ausgiebig am bestens besuchten Merch um, an dem es zahlreiche Artikel zu erstehen gibt. Neben neuen T-Shirts, Hoodies und Outdoorjacken im "Sturmfahrt"-Design, sind auch schöne Kleinigkeiten wie Schals, Flachmänner, Tassen, Schlüsselbänder und Feuerzeuge käuflich. Ich treffe das ein oder andere bekannte Gesicht wieder und nach einigen Gesprächen im örtlichen Raucherbereich geht es wieder zurück. Der Innenraum ist schon weit über die Hälfte hinaus gefüllt. Ein Blick auf die darüberliegenden Ränge verrät mir, dass es dort nur wenig anders aussieht. Dennoch steige ich die hintere Treppe hinauf und suche mir einen annehmbaren Platz auf der rechten Empore. Nur wenige Sekunden später ist es auch schon soweit. Es beginnt...
Unzucht:
Um Punkt 20.00 Uhr erlischen die Lichter in der Turbinenhalle blockweise, bis nahezu alles in vollkommener Dunkelheit versinkt und nur noch einzig und allein das Backdrop der nun aufspielenden Band in violettem Schimmer zu sehen ist: "Unzucht". Zu den mystischen Klängen von "Der Dunkle See" betreten Schlagzeuger Toby Fuhrmann, Bassist Alex Blaschke und Gitarrist Daniel De Clercq die Bühne, bevor Frontmann Daniel "Der Schulz" Schulz als Letzter die Bretter entert. "Wir freuen uns so sehr, heute Abend hier zu sein. Habt ihr Lust zu feiern? Tourauftakt mit "Eisbrecher"!", begrüßt der sympathische Sänger die jubelnde Menge freudig und legt sogleich mit brachialen Klängen nach: "Widerstand". Der brettharte Nackenbrecher, welcher im übrigen auch das titelgebende Aushängeschild für die aktuelle Live-Veröffentlichung ist, sorgt schon zu Beginn für ordentlich Bewegung in den vorderen Reihen und reißt direkt mit, ehe es mit dem dramatischen "Lava" etwas ruhiger zugeht. "Geile Scheiße, wir brauchen eure Hände!", lautet die unmissverständliche Ansage und sofort geht es mit der bezeichnenden Hymne "Unzucht" weiter, in deren Refrain sich Oberhausen stimmgewaltig zeigen und den prägnanten Bandnamen mitsingen darf. Spätestens jetzt scheint das Eis endgültig gebrochen: Das Publikum feiert den Vierer aus Hannover lautstark, die Stimmung scheint bereits auf seinem vorzeitigen Höhepunkt zu sein. Ganz so, als seien die rund dreitausend Zuschauer eigens für das niedersächsische Quartett angereist. Kein Wunder, immerhin ist die Formation in der Szene längst kein unbeschriebenes mehr und zieht unter anderem auf diversen Festivals immer mehr Besucher in ihren unzüchtigen Bann. An ihren Hits kommt keiner so recht vorbei, erst recht nicht an Dauerbrennern wie etwa "Deine Zeit Läuft" ab, den es nun als nächstes zu feiern gilt. Nach dem Titeltrack des aktuellen Studioalbums "Neuntöter", wendet sich der Fronter in einem ruhigen Moment persönlich an die Fans. "Das ist der Wahnsinn, vielen vielen Dank! Für den nächsten Song brauchen wir alle eure Hände als Sonne. Das ist für alle Freunde, die viel zu früh von uns gegangen sind. Lasst sie scheinen, sie sind heute alle bei uns!". Natürlich folgt der Großteil dieser Aufforderung nur zu gerne, bis sich die gesamte Halle zum Refrain von "Nur Die Ewigkeit" in ein wogendes Meer aus Armen verwandelt.
"Vielen Dank, Oberhausen! Jede Band kann sich glücklich schätzen, solche Fans wie euch zu haben. Als nächstes haben wir eine Auskopplung aus unserer Live-CD für euch.", freut sich Schulz sichtlich gerührt über die große Anteilnahme des Ruhrgebiets. Das energetische "Ein Wort Fliegt Wie Ein Stein" und der absolute Klassiker "Engel Der Vernichtung" beschließen das kurze Set, nach welchem sich die vier Musiker unter tosendem Applaus verabschieden. "Vielen lieben Dank! Und so feiert ihr heute noch die ganze Nacht weiter, okay? Wir machen jetzt noch ein Foto zusammen und dann sehen wir uns am 04.11. in Essen, wenn ihr Bock habt. Wir würden uns freuen!". Ein toller Auftritt einer durch und durch sympathischen Band, die ihren Weg nach wie vor selbstbewusst weitergeht und den steigenden Erfolg zurecht verdient. Die Stimmung in der vergangenen Dreiviertelstunde spricht jedenfalls ganz für sich und so können sich "Unzucht" sehr sicher sein, auf ihrer kommenden Headliner-Tournee im November so einige Besucher dieses Abends genau dort wieder begrüßen zu können. Als ich die lange Treppe von der Empore wieder hinabsteige, muss ich schnell bemerken, dass es mittlerweile ziemlich voll geworden ist. Vielleicht zu voll? Nicht nur die Ränge und der vordere Teil des gesamten Innenraums sind restlos ausgefüllt, sondern auch in der hinteren Hälfte werden die Kapazitäten langsam aber sicher immer knapper. Zudem drängen sich immer mehr Gäste an den Türen aus dem Foyer ins Halleninnere. Es scheint ganz so, als seien zu viele Karten verkauft worden. Ein Vorankommen scheint alles andere als schwierig. Um es mir selbst und vor allem dem übrigen Publikum nicht unnötig schwer zu machen, unterlasse ich es, mich auf die Suche nach dem besten Platz zu begeben und entscheide mich nach einem Besuch an der Theke und mit einem kühlen Getränk in der Hand dazu, auf der rechten Seite zu verweilen. Durch die Treppenaufgänge zu den Balkonen ist die Sicht hier zwar etwas eingeschränkt, aber dennoch ausreichend. Es kann also losgehen!
Eisbrecher:
Pünktlich um 21.15 Uhr wird es abermals dunkel in der komplett ausverkauften Turbinenhalle. Die Reihen stehen dicht an dicht, tosende Jubelstürme branden augenblicklich auf. Eine ganze Weile bleibt es noch finster und erst, als sich die örtliche Geräuschkulisse wieder etwas gelegt hat, zeigen sich die sehnlichst erwarteten Münchner bereit dazu, die Leinen endlich loszumachen und abzulegen. Hinaus auf hohe See! Noch wird die breite Bühne von einem großen Vorhang verhüllt, auf dem das respekteinflößende Maul eines Eisbären vor gekreuzten Spitzhacken und einem roten Stern zu sehen ist. Das durchdringende Dröhnen eines tiefen Schiffhorns hallt durch die Weiten der ehemaligen Industriebauten. Zu aufbrausendem Meeresrauschen ziehen die gewaltigen Kegel der zahlreichen Scheinwerfer gemächlich ihre Bahnen durch die vordere Hälfte des gespannten Publikums, bevor donnernde Riffs und wildes Strobolicht den Saal zuckend erhellen. Mit dem plötzlichen Einsetzen der gewaltigen Drums fällt der schwere Stoff zum Boden hinab und gibt schließlich den Blick auf die imposanten Aufbauten frei: Auf einem hohen Podest, unter welchem sich eine Pforte mit Bullauge und metallischer Stahlverkleidung befindet, thront das wuchtige Schlagzeug, hinter dem nun Achim Färber sitzt. Zu dessen Seiten sind zwei weitere Erhöhungen errichtet worden, die durch kleine Brücken und Aufgänge jeweils alle miteinander verbunden sind. Den Hintergrund dominieren vier längliche LED-Wände und Lichtanlagen, welche die gesamte Fläche ausfüllen. Die vordere Front wird von der Saitenfraktion aus Bassist Rupert Keplinger, sowie den beiden Gitarristen Jürgen Plangger und Jochen "Noel Pix" Seibert bestimmt. In der Mitte steht Kapitän und Sänger Alexander Wesselsky, der jetzt zum Mikrofonstativ schreitet und beschwörend die ersten Zeilen des aktuellen Titeltracks und gleichzeitigen Openers "Sturmfahrt" besingt. Alle Akteure sind stilecht in dunkle Marineuniformen gekleidet und zeigen sich bei diesem Auftakt gewohnt energetisch, während immer wieder dichter Rauch aus den Öffnungen des brodelnden Maschinenraums aufsteigt und im finalen Refrain meterhohe CO2-Fontänen rhythmisch in die Luft empor schießen. Der martialische "Eisbrecher" läuft auf Hochtouren. "Guten Abend Oberhausen, was für ein Hexenkessel!", begrüßt der Frontmann die nordrhein-westfälischen Kadetten sichtlich erfreut. "Hattet ihr Spaß mit "Unzucht"? Ja, oder? Ihr seid herzlich Willkommen!", kündigt er das gesellschaftskritische "Willkommen Im Nichts", bei dem ein erster Vorgeschmack auf die ausgefeilte Lichtinstallation gegeben wird.
Die Fans sind bereits jetzt nicht mehr zu halten und feiern den Klassiker des Debütwerks begeistert wie eh und je. Erst dann wendet sich Wesselsky ausführlicher an das Publikum. "Braucht hier vielleicht jemand ein Handtuch? Bitte sei so gut und bring mir noch eins!", spielt er auf die drückende Hitze in der Turbinenhalle an und blickt in Richtung seiner Crew-Mitglieder. "Wir in Deutschland kennen ja dieses "Mehr". Wie ich erfahren habe, sind hier heute viele Länder vertreten. Vielen Dank für die Reise und natürlich auch an die Locals, Danke Oberhausen!", ruft er und geht sogleich zum augenzwinkernden "Das Gesetz" vom neuen Album über. Das Ruhrgebiet scheint größtenteils textsicher und so ist es nicht verwunderlich, dass schon bald alle zusammen das frische Material feiern und der Schweiß wortwörtlich von der Decke tropft. Die Luft ist wahrhaftig zum schneiden dünn, was auch dem Mastermind keinesfalls zu entgehen scheint. "Zieht euch ruhig aus, wenn euch heiß ist. Wir haben doch nichts zu verbergen!", scherzt er charmant und erntet dafür einige Lacher. Der elektronisch scheppernde EBM-Stampfer "Automat" führt weiter durch das eiskalte Set und besteht seine Live-Premiere bravourös. Mit großer Sicherheit auch bei den kommenden Konzerten ein echtes Highlight. "Haben einige von euch schon mal Fehler gemacht? Nie zugeben! Auf die Frage, ob man einen Fehler gemacht hat, heißt es grundsätzlich immer "Nein". Es war auch niemand von euch in der letzten Woche wählen, oder? Aber keine Sorge, Politik wird heute kein Thema sein. Ich hab's aufgegeben, denn die, die das betrifft, sind heute sowieso nicht hier und deshalb werden wir sie damit auch nicht erreichen.", spielt Wesselsky auf das unrühmliche Ergebnis der Bundestagswahlen an und bekommt für seine klaren Worte verdienten Applaus. Das schwermetallische "Fehler Machen Leute" reißt jetzt auch die hinteren Reihen aus ihrem tiefen Winterschlaf und bringt Bewegung in die Turbinenhalle, die wenig später von flirrenden Synthie-Flächen erfüllt wird. Die Band tritt in schneeweißen Blazern zurück auf die Bretter. Während Pix sich an ein ausladendes Keyboard-Konstrukt auf dem rechten Podest begibt, bearbeitet Färber eine große Trommel neben seinem Drum-Set. Keplinger und Plangger werfen die begehrten Plüschbären ins Publikum und alles ist klar, dass jetzt nur ein Song folgen kann: Das "Grauzone"-Cover von "Eisbär". Die reduzierte Performance ist ungewöhnlich, wirkt gerade dadurch aber auch umso erfrischender und bietet eine gelungene Abwechslung zum harten Gitarren-Sound der vergangenen Titel. Diese stürmische Reise ist wahrlich facettenreich.
Unmittelbar danach wird es wieder für einige Zeit dunkel, während auf der Bühne derweil einige Umbauarbeiten stattfinden. Unverständliche und stark verzerrte Nachrichtenmeldungen breiten sich über die Boxen aus und erschaffen eine unheilvolle Atmosphäre, während ein druckvolles Grollen hintergründig immer weiter ansteigt. Bis auf den Kapitän selbst, positionieren sich nun alle Mitglieder hinter schweren Fässern, welche sie zum provokanten "Amok" als taktgebende Trommeln nutzen. Jedes Mal wieder einer der absoluten, optischen Höhepunkte! Mit "So Oder So" geht es nochmals zum letzten Studioalbum "Schock" zurück, doch auch der ein oder andere ältere Titel darf selbstverständlich nicht fehlen. "Habt Ihr Lust auf einen Klassiker? Die Mischung macht's!", lächelt der Sänger verschmitzt und holt "Die Engel" gemeinsam mit den Fans vom Himmel herab. Nachdem er sich rückversichert hat, ob sowohl auf den Rängen als auch im Innenraum auch gute Stimmung herrscht, baut sich Wesselsky aus den ausgesuchten Attributen der Gäste seinen ganz eigenen "Prototyp" und flucht zu "Himmel, Arsch Und Zwirn", bei dem es sogar mittendrin eine kleine, traditionell bayerische Jodel-Einlage als kurze Auflockerung zu hören gibt. Dass die Welt immer mehr aus den Fugen gerät, ist schon bei einem kurzen Blick in die Tageszeitung nicht zu übersehen, doch wenn sich ob der menschlichen Gräueltaten selbst der einst so gefürchtete Höllenfürst nach seiner eigentlichen Berechtigung fragen muss, läuft doch etwas verdammt falsch, oder? Das sehen auch "Eisbrecher" ganz genauso und fragen sich anschließend "Wo Geht Der Teufel Hin?". Die poppige Ballade verfehlt ihre Wirkung nicht und wird so herzlich wie ein alter Bekannter von den Anwesenden aufgenommen. Aus den Tiefen der Hölle geht es sogleich in die klirrende Kälte der "Eiszeit".
Laute Sirenen heulen und tiefrote Warnlichter blinken warnend auf, während sich die einzelnen Bandmitglieder in dicken Felljacken und Schutzbrillen durch die dichte Nebelwand kämpfen. Wesselsky gestikuliert mit Spitzhacke und Eispickel in den Händen, während im Refrain zahlreiche Schneeflocken ins Publikum rieseln. Ein tolles Bild. "Immer schön das Deck sauber halten!", ruft er seiner Crew zu, die danach einige Mühen damit hat, die Flocken von den Brettern zu fegen. Das temporeiche "1000 Narben" markiert dann eine der absoluten Hymnen des fortgeschrittenen Abends, bevor es an der Zeit für ernstere Worte ist. "Also ein Handtuch würde ich nochmal nehmen. Früher hat man gesoffen und heute schwitzt man... Das nächste Stück handelt vom Versagen an sich und der Unfähigkeit, zur richtigen Zeit das Richtige zu tun.", kündigt Wesselsky den folgenden Track an, bevor er jäh unterbrochen wird. "Was? Du willst ein Kind von mir? Dann musst du nur das Handtuch hier anfassen!", reagiert er spaßend auf einen übermütigen Zuruf aus dem Publikum. Die folgende Frage muss danach aber in jedem Fall "Was Ist Hier Los?" lauten. Im stroboskopischen Blitzlichtgewitter der Scheinwerfer performen die Mannen ihre aktuelle Single-Auskopplung und legen den Finger ganz tief in die Wunde der Gesellschaft. "Seid ihr noch da? Könnt ihr noch?", fragt der Sänger danach mit einem spitzbübischen Lächeln. Natürlich ist Oberhausen noch da und natürlich können die Fans noch. Für ihr stringentes Durchhaltevermögen werden die Anwesenden nun mit dem obligatorischen Mundharmonika-Intermezzo belohnt, dann erklingt eine wohlbekannte Melodie: "This Is Deutsch". Zum treibenden Takt marschieren die Musiker im Stechschritt über die Bretter und geben die hörigen Roboter, während Wesselsky nationale Klischees aufzählt. Der Refrain wird wieder von gewaltigen Rauchsäulen begleitet, die sich imposant zur Hallendecke schrauben und abschließend die gesamte Lokalität vernebeln.
Selbstverständlich hat der Ruhrpott noch lange nicht genug von "Eisbrecher" und fordert die Band mit lauten Rufen für eine Zugabe zurück. Tatsächlich müssen die Zuschauer nicht lange warten und so kehrt die fünfköpfige Besatzung im dunkelroten Schimmer wieder, um mit "Verrückt" durchzustarten. Im Folgenden gehört die Bühne aber erstmal wieder Schlagzeuger Achim Färber und Noel Pix ganz allein, der sich nun abermals hinter die Tasten seines Keyboards begibt und sich mit dem Drummer ein powerndes Duell liefert. "Der Disco-King himself, Pix... Und der gut aussehende, immer jung bleibende und talentiert Achim Färber!", stellt der Kapitän seine Mannschaft witzelnd vor und wendet sich danach an die Damenwelt. "Der nächste Song ist der kompletten, ersten Reihe gewidmet. Sofern weiblich.", zwinkert er. Vollkommen klar, dass jetzt einfach der Ur-Klassiker aus alten "Megaherz"-Zeiten folgen muss: "Miststück". Immer wieder beugt sich der Sänger mit seinem Mikrofon nach vorne und lässt die Fans den Refrain singen, bevor der Song in einem krachenden Finale gipfelt und die Band erneut geschlossen die Bühne verlässt. Manche Besucher glauben schon an ein vorzeitiges Ende und wollen sich auf den Heimweg machen, doch kehren die Münchner ein weiteres Mal überraschend zurück. Die ikonische Melodie von Klaus Doldingers Soundtrack-Meisterwerk "Das Boot" erklingt und laute Jubelstürme erfüllen den Saal. Zahlreiche Hände und Smartphone-Bildschirme strecken sich in die Höhe, um der Power-Ballade "In Einem Boot" ihren Tribut zu zollen. Unter tosendem Applaus versammelt sich die Band danach am vorderen Bühnenrand und verbeugt sich. Während der Frontmann jedes Mitglied nochmal einzeln vorstellt, gehen die entsprechenden Musiker nach vorne und werfen jeweils einen Plüscheisbären ins Publikum. "Oberhausen, tausend Dank! Ich hoffe, ihr hattet Spaß. Vielen Dank, wir sehen uns beim nächsten Mal. Empfehlen Sie uns weiter, bis bald.", verabschiedet sich Alexander Wesselsky vom Oberhausener Publikum und verlässt mit seiner Band die Bühne. Als das Hallenlicht wieder angeht, strömen die Besuchermengen hinaus ins Foyer. Ich hingegen bleibe noch eine kurze Weile und warte ab, bis sich das Aufkommen etwas gelegt hat. Keine Frage, "Eisbrecher" gehören mittlerweile zur Speerspitze deutschsprachiger Rock-Musik. Davon zeugte nicht nur der immense Erfolg ihres aktuellen Albums "Sturmfahrt" in den Charts, sondern vor allem auch die komplett ausverkaufte Turbinenhalle beim Tourauftakt an diesem Abend. Bühnenbild, Show und Effekte sind diesem Status deutlich angepasst worden, die Zeit der kleineren Clubs ist endgültig vorbei. Dennoch ist es gerade für Alt-Fans etwas schade gewesen, dass einige, eigentlich unverzichtbare Hits wie "Leider", "Antikörper" oder "Schwarze Witwe" ersatzlos fehlten. Auch für Rares war aufgrund der vielen neuen Songs kein Platz mehr, man konzentrierte sich klar auf Bewährtes und insbesondere die letzten Alben. Auch der "Sturmfahrt"-Pool selbst wurde stellenweise eher unglücklich ausgeschöpft. So verzichtete man etwa auf "Der Wahnsinn", "Krieger" oder "D-Zug", die für ein Live-Set eigentlich prädestiniert schienen, spielte dafür aber eher schwächere Titel wie "Das Gesetz". Auch das angesetzte Ticketkontingent schien weitaus über den eigentlichen Kapazitäten der Turbinenhalle zu liegen, wie mehrfach zu beobachten war. Eventuell sollte hier mal über einen Wechsel in eine etwas geräumigere Location nachgedacht werden. Sieht man von diesen genannten Kritikpunkten einmal ab, so war der Auftakt der 2017er-Tournee dennoch ein voller Erfolg und ganz sicher keine Enttäuschung für die Fans, die sich bestimmt schon auf ein Wiedersehen am 16.12. diesen Jahres freuen. Denn dann gastieren "Eisbrecher" und ihr internationaler Support "Clawfinger" im Rahmen ihres Jahresabschlusskonzerts ebenfalls wieder am gleichen Ort. Auf ein Wiedersehen, auf kalt!
Setlist:
01. Intro 02. Sturmfahrt 03. Willkommen Im Nichts 04. Das Gesetz 05. Automat 06. Fehler Machen Leute 07. Eisbär 08. Amok 09. So Oder So 10. Die Engel 11. Prototyp 12. Himmel, Arsch Und Zwirn 13. Wo Geht Der Teufel Hin? 14. Eiszeit 15. 1000 Narben 16. Was Ist Hier Los? 17. This Is Deutsch 18. Verrückt 19. Drum- und Keyboard-Solo 20. Miststück 21. In Einem Boot
Impressionen:
Jobst Meese - Jodocus Obscurus Photography
http://www.jobstmeese.de
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