Casper - Lang Lebe Der Tod (2017)
Genre: Rap / Alternative
Release: 01.09.2017
Label: Columbia (Sony Music)
Spielzeit: 44 Minuten
Pressetext:
Mit »Hinterland« hat Casper die Grenzen dessen, was HipHop sein kann, neu definiert. Der Nachfolger des Durchbruchalbums »XOXO« hievte seinen Sound auf ein ganz neues Level. Eine Innovationsleistung, die nicht zuletzt mit Platinalben, ausverkauften Tourneen und Headliner-Auftritten bei den größten und wichtigsten Festivals der Republik belohnt wurde.
Casper ist der große Innovator in einer Zeit, in der HipHop aus Deutschland ohnehin so aufregend und vielseitig ist wie noch nie. Und während da draußen unzählige Produzenten und Musiker noch damit beschäftigt waren, den »Hinterland«-Sound als Inspiration zu nutzen, war Casper schon wieder ganz woanders. Monatelang hat er sich zurückgezogen, gemeinsam mit dem Produzenten Markus Ganter getüftelt und geschrieben, aufgenommen und verworfen, Lines verfeinert und Beats kreiert. Denn eins war klar: Wiederholt werden soll hier bitte schön gar nichts. Das war zu jeder Zeit die Maxime eines Mannes, der auf seinen bisherigen drei Alben stets neue musikalische Welten kreiert hat. Inoffizielle Grundregel: Immer wenn die Charts so klingen wie das jeweils letzte Casper-Album, ist er schon wieder ganz woanders.
Nun ist Casper endgültig zurück aus dem „Hinterland“. Mit einem Album, dessen Titel die explosive Sprengkraft eines Klassikers von Sergio Leone hat: »Lang lebe der Tod«. Mit »Hinterland« hat er das Leben umarmt, den Aufbruch und die Suche. Nun begibt sich Casper in die Dunkelheit und umarmt den Tod, aber natürlich nicht nur das. »Lang lebe der Tod« wartet mit zahlreichen musikalischen Überraschungen auf, präsentiert ebenso unerwartete wie sensationelle Feature-Gäste, und vor allem: einen Casper, der sich ein weiteres Mal hinterfragt hat und dabei zu ganz neuen und aufregenden Antworten gekommen ist.
Kritik:
"Bin und war kein Held, den ihr braucht
Will untergehen in Wellen von Applaus
Überwältigend laut, oh ja
Und wenn's soweit ist, dann hält mich nichts auf
Macht mir kein Denkmal und stellt mich nicht auf
Will einfach endlich hier raus, oh ja"
"Lang lebe der Tod, unser täglich Brot. Alles schon gesehen, alles schon gewohnt, alles schon erlebt - Unterhalt uns, los!". Und lange Zeit hat es in der Tat gedauert, doch jetzt ist endlich soweit und "Casper" ist wieder zurück in der deutschen Musiklandschaft. Der aus Lemgo bei Bielefeld stammende Deutsch-Amerikaner, der mit bürgerlichem Namen Benjamin Griffey heißt, wurde einst durch einen guten Freund zur Teilnahme an örtlichen Freestyle-Events motiviert und legte damit den Grundstein für eine außergewöhnlich erfolgreiche Karriere, die bis heute andauern soll. Gemeinsam mit Andreas "Abroo" Biernat gründete er darauf die "Kinder Des Zorns", die sich fortan auch außerhalb des Projekts bei kommenden Solo-Aktivitäten unterstützen. Ihr erstes Album veröffentlichten sie 2004 unter dem Titel "Rap Art War", es sollte aufgrund interner Differenzen die einzige Veröffentlichung bleiben. Mit "A Fear Called Treason" und "Not Now Not Ever" wandte sich der junge Musiker alsbald zwei gänzlich anderen Genres, dem Metalcore und Hardcore, zu. Nach diesem Engagement erschien mit dem Mixtape "Die Welt Hört Mich" 2006 ein weiteres Lebenszeichen des aufstrebenden Westfalen, nun allerdings wieder ganz im Zeichen des deutschen Sprechgesangs, worauf zwei Jahre später das Debütwerk "Hin Zur Sonne" folgen sollte. Griffey schien sich seinem Weg dieses Mal umso sicherer, das Album stieß zudem fast ausnahmslos auf positive Resonanz. Doch dann wurde es erneut lange Zeit still um den jungen Künstler, ganze fünf Jahre. Nach dem eher schweren Start im ohnehin stark umkämpften Business, wurden langsam Fragen innerhalb der Fangemeinde laut, ob es überhaupt ein weiteres Comeback geben würde. Im Juli 2011 sollte es dann soweit sein: Durch "XOXO" meldete sich "Casper" mit der Kraft eines unüberhörbaren, medialen Donnerschlags überraschend zurück. Sowohl die Backpacker-Hymne "Auf Und Davon" als auch der Titeltrack mit Feature-Partner Thees Uhlmann und insbesondere "So Perfekt" mit Gastsänger Marten "Marteria" Laciny, verhalfen dem Album zu einem deutlich gesteigerten Bekanntheitsgrad und ließen es direkt auf den ersten Platz charten. Wenig verwunderlich, legte der Mann mit der außergewöhnlichen Stimme seinen Fokus doch überwiegend auf alltägliche und aktuelle Thematiken, fernab des üblichen Proll-Manifestes. Mit seinen Songs, die von Aufbruch, Wut, Angst und dem Glauben an sich selbst handeln, konnte sich eine ganze Generation identifizieren, die sich nunmehr verstanden fühlte. Radio- und Fernsehsender, Magazine und Zeitungen stimmten zurecht in die Loblieder ein und pushten den Erfolg zunehmend, was sich infolgedessen auch anhand großteilig ausverkaufter Konzertsäle in ganz Deutschland zeigen und mit dem ersten Live-Album "Der Druck Steigt" beeindruckend dokumentiert werden sollte. Widererstarkt und neue Energie aus dem kreativen Fluss aller Eindrücke gezogen, stand 2013 mit "Hinterland" bereits der Nachfolger ins Haus, der seine Schwerpunkte nunmehr im Indie-Rock beheimatete und den Facettenreichtum des einzigartigen Crossovers weiterhin auszuloten wusste. Die Tour-Aktivitäten führten den Bielefelder in bedeutend größere Hallen und auch das Konzept einer eigenen Open-Air-Reihe, genannt "Castivals", ging vollends auf. Für den Herbst 2016 wurde sodann das nächste, mit großer Spannung erwartete Werk angesetzt. Kurz vor der Veröffentlichung und den Konzerten wurde der kollektiven Vorfreude der treuen Anhängerschaft allerdings ein mächtiger Dämpfer versetzt: In einem offenen Brief wandte sich Griffey an seine Wegbegleiter und verkündete die kurzfristige Verschiebung des Releases. Das Material sei derzeit noch nicht ausgereift genug, hieß es in der schriftlichen Entschuldigung an Label, Kollegen und Fans, die auf flächendeckendes Verständnis stieß.
Mit einem ganzen Jahr Verspätung erscheint am 01.09.2017 jetzt endlich das neue Album "Lang Lebe Der Tod". Die Gesellschaft krankt an einer zerreißenden Unsicherheit gegenüber der eigenen Identität, begreift die Zusammenhänge und das Große ganze schon längst nicht mehr. Wir können uns den täglichen Schlagzeilen und Schockmeldungen kaum erwehren, die damit einhergehenden Probleme schon längst nicht mehr richtig begreifen und dabei am wenigsten doch unsere Eigenen erfassen. Wir sind, wie in lähmender Starre, unfähig geworden, Lösungen zu finden. Geplagt von Sorgen isolieren wir uns und kapseln uns immer weiter ab, verkriechen uns in unsere ganz eigene Welt, in der wir Schutz und Ruhe vor dem oft zitierten "Hundeleben" am Fließband des Alltags zu finden glauben. Zunehmend verängstigt und gebeutelt von drohendem Krieg und Terror, welche die Medien und Politik beherrschen, tanzen wir gemeinsam auf Messers Schneide in Richtung Abgrund. Es ist die Depression eines Volkes, eine schleichende Seuche, welche die ganze Welt befällt. So in etwa lässt sich die Thematik des Titeltracks zusammenfassen, bei welchem "Casper" zudem musikalische und gesangliche Unterstützung von Blixa Bargeld, Dagobert und Sizarr erhält. Der Eröffnungssong pendelt unberechenbar zwischen ruhigen Melodien, druckvollen Beats und später auch schrill verzerrten Gitarrenwänden. Wütend intoniert Griffey die Lyrics, prangert dabei den unbändigen Voyeurismus und die Sensastionlust einer Generation an. Der Zwischenpart bricht dann einem mit konträren Arrangement und dem unvergleichlichen Gesang des "Einstürzende Neubauten"-Masterminds. "Alles Ist Erleuchtet"kommt dann wieder weitaus zugänglicher daher. Der dunkel pumpende Sound in den einzelnen Strophen wird von einem hymnischem Refrain abgelöst, der sich nur allzu schnell in den Gehörgängen festsetzt und auf den baldigen Konzerten für ordentlich Stimmung sorgen wird. Wir finden unseren scheinheiligen Rückhalt offenbar nur noch in der Suche und Verehrung von Idolen. Wir lenken uns mit aktuellen Geschichten der Klatschpresse und Massenmedien ab, um die Realität für einen winzigen Augenblick ausblenden zu können. Doch kann das der richtige Weg sein? Ganz gleich wie es um uns auch mittlerweile stehen mag, wir sind bemüht vergnügt, verbissen fröhlich. Wohlwissend darum, dass das Loslassen und ausblendende Ertränken oftmals die einzige Option ist, die uns zur Erhaltung temporärer Lichtblicke bleibt. Wir ziehen uns Scheuklappen auf, wir zwingen uns zum Glaube an bessere Zeiten, wir zeigen vordergründig "Keine Angst". Im Duett mit Indie-Newcomer Max "Drangsal" Gruber liefert man hier einen fein pointierten Pop-Rock-Track, fängt den mitmachenden Hoffnungsschimmer wie eine Momentaufnahme ein und lässt die Menge sorgenfrei und ausgelassen tanzen, bis die schützende Decke über uns endgültig einzustürzen scheint. Bedrohliche Atmosphäre macht sich akustisch breit, die Stimme einer jungen Frau wendet sich persönlich an den Hörer und erzeugt ein dystopisch-verstörendes Unwohlsein, unheilvoll vibrierend in der Magengegend. Als der Prolog endet, ergeben sich die nachhallenden Worte in ein donnerndes Beat-Gewitter, welches packende Salven düsteren Electros freisetzt. "Sirenen" ist ein straightes Crossover aus schepperndem Industrial und Alternative-Elementen, gemahnt in seiner rohen Energie an Vorreiter wie "Prodigy" oder "Nine Inch Nails". Der treibende Rhythmus und das gnadenlose Thema machen diese tanzbare Nummer zur wohl überraschendsten und schwersten Walze in der bisherigen Karriere von "Casper".
Das folgende "Lass Sie Gehen" kommt im direkten Vergleich zur bisherigen Konzeption eher untypisch daher und fällt am ehesten aus dem Rahmen heraus. Mit im Boot sind hier Ahzumjot und die Band "Portugal. The Man", welche der geneigte Fan vielleicht schon durch ihren Support-Slot auf der vergangenen Tournee zum Album "Hinterland" kennt. Auf rein inhaltlicher Ebene verträgt sich der Titel aber umso mehr mit dem übrigen, geschlossenen Liedgut. Die resignierenden Zeilen berichten von verheerender Isolation, begründet und deutlich entkräftet durch die derzeitigen, sozialen Verhaltensweisen, die ihrer selbst durch das stetig steigende Maß an gesellschaftlichem Egoismus, Rücksichts- und Rückgratlosigkeit alles andere als gerecht werden. Das anschließende "Morgellon" fügt sich hingegen umso schlüssiger in das kritische Bild des nahtlos konzipierten Gesamtwerks ein. Hier verweben sich fragwürdige Fakten mit klischeehaften Verschwörungstheorien und bekannten Halbwahrheiten, zu pulsierenden Synth-Vibes und treibenden Beats. Eine Ode an die krankhafte, mediale Paranoia und die weltfremde Verschleierung realer Problematiken. "Wo Die Wilden Maden Graben" legt sogleich mit einem einschneidenden Kontrast nach. Dabei stellt man ein weiteres Markenzeichen des facettenreichen Interpreten heraus, das dessen musikalische Vergangenheit einmal mehr mit einbezieht. Eine ungezügelte Rock-Attitüde mit rauem Punk-Einschlag zeigt sich ebenso sehr präsent, wie auch schon bei "Die Letzte Gang Der Stadt". Hier allerdings um einiges weniger leichtfüßig groovend, dafür viel eher mit einem klaren Appell an die Gemeinschaft, einem Aufruf zu Protest und widerständlerischer Revolution im Untergrund versehen. Der befreiende Refrain bricht die brodelnde Energie der einzelnen Strophen schließlich gelungen auf und setzt alle Kraft gebündelt frei. Einen erneuten, konterkarierenden Dämpfer dieses kurzzeitig auflodernden Hoffnungsschimmers setzt unverzüglich "Deborah". Das klaustrophobisch angelegte Arrangement erzeugt ein drückend unheilvolles Flair, unterstreicht die ausweglose Situation und Folgen schwerer Depression, bis die reduzierte Ader schließlich von verzerrtem Gesang und zerreißendem Electro abgelöst wird. Rein unplugged und nur von Gitarre begleitet, ist danach "Meine Kündigung". Entkräftet und fast schon mutlos resümiert Griffey über das aufwühlende Leben im Scheinwerferlicht und stellt allen voran dessen Schattenseiten fernab der großen Bühne in den Vordergrund. Nicht mehr nur als bloßes Leitbild glorifiziert und bedrängt zu werden, wehrt sich der Musiker gegen Oberflächlichkeiten, ein Leben auf der Flucht und die Jagd nach Erfüllung. Das abschließende "Flackern, Flimmern" bildet auf dem Weg zur Zielgeraden sowohl das ergreifende Finale als auch ein logisches Pendant zu "Kontrolle, Schlaf", dem letzten Song auf "XOXO". Mit über sechs Minuten Spielzeit der längste Track des Albums, wartet dieser nochmals mit einigen Überraschungen auf. Psychische Erkrankung ist hier abermals das Leitmotiv, wird dieses Mal aber durch inneren Frieden durch Liebe aufgelöst und erzählt die Geschichte des 2011er Albums zu Ende. Ein einschneidender Stilbruch aus grollenden Black Metal-Einflüssen und mächtigen Blastbeats verwandelt das Stück in eine wahrhaftige Postrock-Nummer, welche dieses Konzeptwerk so unerwartet enden lässt, wie es begonnen hat.
Tracklist: 01. Lang Lebe Der Tod (feat. Blixa Bargeld, Dagobert, Sizarr)
02. Alles Ist Erleuchtet
03. Keine Angst (feat. Drangsal)
04. Sirenen - Prolog
05. Sirenen
06. Lass Sie Gehen (feat. Ahzumjot, Portugal.The Man)
07. Morgellon
08. Wo Die Wilden Maden Graben
09. Deborah
10. Meine Kündigung
11. Flackern, Flimmern
Fazit:
"Lang Lebe Der Tod" ist die lyrische und instrumentale Zusammenfassung des aktuellen Zeitgeists. Das neue Studioalbum lässt mögliche Erwartungen des Hörers bewusst außen vor, strebt keinerlei Erfüllung von eventuellen Wünschen oder Verfolgung von Trends an und steuert bewusst gegen vorhersehbare Massentauglichkeit. Der streckenweise nihilistisch aufgeladene Ansatz mit deutlich experimenteller Kante bricht mit radiotauglichen Zielen, bietet dafür aber vor allem eine klar strukturierte Weiterentwicklung, Komplexität und Andersartigkeit, anstelle von angenehmer Stagnation bei bewährten Erfolgsrezepturen. "Casper" bringt anno 2017 mit variablen Instrumentals und kritischen Lyrics zur Reflexion der eigenen Gedanken und individuellen Handlungen, zwingt dabei sowohl inhaltlich als auch musikalisch zur Umstellung und Gewöhnung an eine gänzlich andersartige Basis. Der Fokus liegt hier mehr denn je auf der umfassenden Aussage des Gesamtwerks, als auf eingängiger Hit-Reproduktion. Es ist keine Musik auf Nummer sicher, sondern teils sperriges Material, welches merklich mehr Zeit braucht, dann aber sein ganzes Potential entfalten kann. Ein Geheimtipp, der sich lohnt.
Informationen:
http://www.casperxo.com/langlebedertod/
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