Pet Shop Boys - „Super"-Tour - RuhrCongress, Bochum - 17.07.2017
Veranstaltungsort:
Stadt: Bochum, Deutschland Location: RuhrCongress
Kapazität: ca. 5.000
Stehplätze: Ja
Sitzplätze: Ja
Homepage: https://www.ruhrcongress-bochum.de
Einleitung:
Es ist der 17.07.2017 und eigentlich hatte ich den heutigen Tag bereits seit einigen Monaten mit heller Vorfreude herbeigesehnt. Doch zu allem Überfluss ist heute auch Wochenanfang, dementsprechend abgeschlagen ist die eigene Verfassung nach dem ersten Arbeitstag. Sicher, um das eher unrühmliche Datum wusste ich bereits zum Zeitpunkt des Ticketkaufs, jedoch denkt man in solchen Momenten eher wenig über die eigene Müdigkeit an einem Montagabend nach. Wirklich ausruhen kann ich mich also nicht, als ich gegen 16.00 Uhr zuhause die Tür aufschließe, dazu sitzt mir die Uhr zu sehr im Nacken. Immerhin habe ich in weiser Voraussicht schon alle notwendigen Vorbereitungen getroffen und muss mich somit nicht mehr um allzu viele Dinge kümmern. Eine kalte Dusche muss an diesem warmen Sommertag zuvor natürlich dennoch sein und so schlüpfe ich nur wenig später in meine abendliche Garderobe. Als meine Begleitung und ich dann endlich im Auto sitzen, überwiegt die Vorfreude schließlich doch. Sie ist von uns beiden wohl der deutlich größere "Pet Shop Boys"-Fan, ist seit den Anfängen dabei und kann zahlreiche CDs und Schallplatten des britischen Duos ihr stolzes Eigen nennen. Ich hingegen kenne und schätze neben den weltbekannten Hits vor allem die neueren Werke, hatte mich noch im vergangenen Jahr über den ungünstigen, verpassten Termin im Kölner Palladium geärgert. Für uns Zwei ist es das erste Konzert der legendären Synthie-Pop-Pioniere, folglich ist unsere Spannung seit dem Vorverkauf konstant angestiegen. Jedoch ist die Halle bei weitem nicht ausverkauft, wie wir durch regelmäßige Besuche auf der Plattform "Eventim" und intensivierte Werbemeldungen im lokalen Radiosender vorab erfahren. In der bloßen Qualität der Musik dürfte dieser Umstand ganz sicher nicht begründet sein, wohl aber eher in der Kostengestaltung, die mit Preisen bis zu neunzig Euro im gehobenen Segment liegt. Ein schlechtes Omen? Zumindest bei der Anfahrt scheinen wir schonmal erhebliches Glück zu haben, denn anders als zunächst erwartet, erhaschen wir direkt einen günstig gelegenen Parkplatz in unmittelbarer Nähe zur Location. Nach einem kleinen, aufgeregten Plausch machen wir uns dann in Richtung des zentral gelegenen RuhrCongress auf, in welchem die heutige Show stattfinden soll. Auf dem großen Vorplatz tummeln sich bereits einige Besucher. Die Zielgruppe ist gemischt, kein klares Muster erkennbar. Von Mitfünfzigern und Alteingesessenen, über zahlreiche Jugendliche, bis hin zu einigen Kindern ist hier alles vertreten. Auch einige Szene-Zugehörige kann ich anhand der T-Shirts ausmachen und einen Nachbarn aus meiner Siedlung sehe ich sogar auch. Wie man sieht, sind Tennant und Lowe mit ihrem Schaffen nach wie vor aktuell und über Generationen hinweg beliebt, haben nichts von ihrer Magie eingebüßt. Das spricht für sich. Um Punkt 18.00 Uhr öffnen sich die Eingangstüren und der Einlass beginnt. Die Kontrollen fallen standardisiert aber ausreichend aus, an jedwede Zwischenfälle will man ob der derzeitigen Zustände auch heute Abend lieber nicht denken. Es dauert nicht lange und schon befinden wir uns im geräumigen Foyer der ehemaligen Ruhrlandhalle, einige Besucher steuern ob der warmen Temperaturen sofort auf die Thekenzeile zu. Wir hegen eher reges Interesse am Merchandising und werden nach kurzer Suche fündig: Fast schon ein wenig versteckt, wurde neben der linken Treppe zum oberen Geschoss ein kleiner, unscheinbarer Stand errichtet, der von einem einzelnen Mitarbeiter bedient wird. Erfreut stellen wir fest, dass hier eine recht große Auswahl an Artikeln zu erstehen ist, die im Shop der Band nur noch als Restposten erhältlich oder gar ausverkauft sind. Neben Schlüsselanhängern, Pins und Tassen, gibt es hier natürlich auch eine Vielzahl an T-Shirts und eine Jacke im "Super"-Design. Sehr schön! Meine Begleitung wählt ein buntes Motiv mit den beiden Musikern, ich hingegen entscheide mich für ein mattgraues Exemplar mit einer abstrakten Discokugel und den aktuellen Tour-Daten, sowie für das offizielle Programmheft. Der sympathische Verkäufer spricht nur Englisch, was aber kein Problem darstellt. Zügig holt er die gewünschten Stücke hervor und kassiert ab. Wie sich im Laufe des Abends herausstellt, soll er noch viel zu tun bekommen und dabei dennoch deutlich schneller agieren, als so mancher Verkaufsstand mit erheblich mehr Mitarbeitern. Meinen Respekt! Mit einem Blick auf den Tickets, steigen wir die Stufen in die erste Etage hinauf und öffnen die Tür zum rechten Rang. Ein paar Besucher sitzen schon auf ihren Plätzen, der zugunsten von zusätzlichen Tribünen verkleinerte Innenraum füllt sich derweil beständig. Einen Support-Act gibt es heute nicht, stattdessen dröhnt elektronische Musik aus den Boxen im Saal. Ein wenig Trance, ein bisschen House. Sehr angenehm. Ich lausche einigen Liedern, dann hole ich mir eine Berechtigung zum erneuten Einlass in Form einer kleinen Plastikkarte und gehe auf eine Zigarette vor die Tür. Meine Begleitung kommt wenig später dankbarerweise mit zwei Getränken hinzu. Wir checken den Saalplan auf meinem Handy, direkt gegenüber der Bühne sind noch einige gute Plätze frei. Wir überlegen kurz und beschließen dann, vom Balkon auf den mittleren Block zu wechseln. Wieder im Inneren angekommen, entscheiden wir uns für zwei Sitzplätze in der Nähe des großen Lichtpults. Von hier aus ist die beste Übersicht auf das Geschehen garantiert. Der nahende Beginn ist für 20.00 Uhr angesetzt, rund eine Stunde früher als sonst bei Veranstaltungen üblich. Durchaus arbeitnehmerfreundlich. Ich lasse den Blick schweifen und sehe mich im Saal um. Obgleich das Ticket-Kontingent alles andere als erschöpft ist und einige Plätze an diesem Abend leer bleiben, soll es rückblickend eines der wohl eindrucksvollsten Konzerte der letzten Jahre für uns werden...
Pet Shop Boys:
Pünktlich um 20.00 Uhr wird die ausgiebige Beleuchtung an der Hallendecke des RuhrCongress behutsam heruntergedimmt, bis der breite Saal langsam und tief in vollkommene Dunkelheit sinkt. Für einen kurzen Moment ist es sowohl im schmalen Innenraum als auch auf den nahezu komplett ausgefüllten Rängen ganz und gar ruhig. Friedvolle Stille legt sich wie ein hauchdünner Schleier über die gesamten Reihen, jede einzelne Sekunde scheint nun mindestens doppelt so lange anzudauern, die gemeinsam angehäufte Spannung beginnt geradezu elektrisierend zu knistern und wirkt jetzt fast wie zum Greifen nah. Bochum hält kollektiv den Atem an und lässt die Zeit gefühlt still stehen. Schlagartig erhellt sich die komplette Szenerie: Hellblaues Licht bricht zögerlich aus den am Boden platzierten Scheinwerfern heraus, durchflutet die dichten Reihen und taucht den Veranstaltungsort schlussendlich in ein ruhig wogendes Meer aus purer, reiner Illumination. Plötzlich formieren sich zwei kleine, bunte Kreise im ansonsten völlig abgedunkelten Hintergrund, scheinen wie durch Magie mitten in der Luft zu schweben. Sie spiegeln und spalten, duplizieren und vermehren sich. Wechseln zuerst die ursprünglichen Farbgebungen und optischen Texturen, dann ihre Anordnung und das Bewegungsmuster. Zwei gebündelte Laser-Kegel errichten sich jetzt über das Publikum und ziehen imposant ihre weiten Strahlen. Meterhohen Säulen gleich, schrauben sie sich in die Höhe und erleuchten das surreale anmutende Bild wie helle Fackeln. Die beiden weißen Plattformen zu den Seiten beginnen nun, sich geheimnisvoll zu wenden und offenbaren schließlich, was sie verdeckt hielten. Es sind die beiden Musiker Chris Lowe und Neil Tennant. Beide sind in elegante, schwarze Maßanzüge gekleidet, darunter weißes Hemd zur dunklen Krawatte. Ein ebenso klassischer, wie auch gänzlich unverbrauchter, zeitloser Stil. Sie tragen metallische Konstrukte, welche dystopischen Discokugeln gleichen, wie futuristisch anmutende Helme auf ihren Köpfen. Zu den hellen Chören und basslastigen Klängen des technoiden Openers "Inner Sanctum", steigt das Duo mit langsamen Schritten gleichzeitig von seinen Podesten und positioniert sich sodann mit einigem Abstand zueinander am vorderen Rand der Bühne, um den Song zu Ende zu performen, der nahtlos in das augenzwinkernde "Opportunities (Let's Make Lots Of Money)" übergeht. Bewusst sozialkritische werfen die beiden Künstler hier nicht nur einen weiten Blick in der eigenen Karriere-Historie zurück, sondern gleichsam auch auf die gewinnorientierten Absichten der Konsum- und Leistungsgesellschaft. Das großteilig transparente Backdrop fungiert dabei stets als riesige Projektionsfläche für passende Animationen. So zeigt diese nun etwa zahlreiche Dollar-Noten in verschiedenen Größen und freudestrahlende Smileys, welche danach bei den folgenden Titeln einem bunten Kubus und grell leuchtenden Disco-Farben weichen. "Es ist Montag Nacht. Bochum, ihr und wir, sind zusammen die Pop Kids!", begrüßt der Sänger das Publikum knapp aber charmant zur gleichnamigen, aktuellen Single "The Pop Kids" und lädt anschließend mit "In The Night" und einem Höchstmaß an 80er-Vibes zur retrolastig angehauchten Party. Grell blitzende Stroboskope lassen zu deren finalen Tönen plötzlich unscharfe Silhouetten hinter der abstrakten Video-Installation erkennen.
Mit den ersten Takten des hymnischen "Burn" fällt unerwartet der hinten liegende Vorhang hinab zu Boden und gibt den Blick auf den erweiterten Aufbau der gesamten Konstruktion frei. Vor einer weiteren Leinwand reihen sich drei niedrige Plattformen aneinander, auf denen jeweils einer der begleitenden Live-Musiker postiert ist. Zur linken Seite Percussionistin Afrika Green an einem ausladenden Drum-Set, zur Rechten Simon Tellier am Keyboard. Das mittlere Feld besetzt Multiinstrumentalistin Christina Hizon, die sich nun aber mit einem futuristisch anmutenden Helm auf dem Kopf direkt neben Tennant an vorderster Front behauptet und die einzelnen Strophen gesanglich unterstützt. Zum energetisch powernden Refrain kann sich dann auch der sonst eher reserviert zurückhaltende Mastermind kaum mehr wirklich beherrschen und schreitet schnellen Schrittes ungewohnt aktiv von der einen zur anderen Seite. Von der kürzlich durch die Presse so oft rezipierten Kälte und Distanz ist spätestens jetzt absolut nichts mehr zu bemerken. Im Gegenteil, die fünfköpfige Band scheint die Show viel mehr regelrecht zu genießen. "Bochum, das fühlt sich so gut an!", ruft Tennant lächelnd in gebrochenem Englisch und erntet dafür zurecht herzlichen Beifall in der gesamten Halle. Die hochkarätige Ballade "Love Is A Bourgeois Construct" des letzten Ablegers "Electric", leitet Hizon zunächst durch ein verfremdetes Geigen-Solo ein, bevor der ganze RuhrCongress beim ikonischen "New York City Boy" in jede Textzeile sicher einstimmt. "Se A Vida É (That's The Way Life Is)" hält die Stimmung auch weiterhin an der obersten Marke fest und animiert schon jetzt den ein oder anderen Gast schnell dazu, sich von seinem Platz zu erheben. Heiße Samba-Rhythmen und fordernde Trommeln entfachen eine stimmungsvolle Mischung aus Mardi-Gras-Parade und buntem Karneval in Rio de Janeiro. Ein wahres Fest für die Sinne! Danach soll es zum ersten Mal an diesem Abend schließlich etwas ruhiger zugehen, wie nun schon die ersten, sanft erklingenden Synthie-Spuren früh erahnen lassen. Mit dem berührenden „Love Comes Quickly“, vom Debüt „Please“ aus dem Jahr 1986, entfachen die „Pet Shop Boys“ schnell eine herzerwärmende Romantik auf ihre ganz eigene, unnachahmliche Art. Passend zur behutsam verwobenen Elektronik, reduziert man jetzt auch die imposante Lichtshow auf ein angenehmes Minimum. Auf der Leinwand gibt sich währenddessen ein verliebtes Paar einem kunstvollen Ausdruckstanz hin, die Farbgebung bleibt gedeckt in Schwarz-Weiß. Neil Tennant ist sichtlich in jede gesungene Zeile vertieft, agiert großteilig mit geschlossenen Augen und verlässt den Platz vor seinem Stativ hin und wieder nur, um sich für einige Sekunden dem pointierten Spiel an einem eigenen, kleinen Keyboard hinzugeben. Auch im direkten Anschluss bleiben die Briten beim Thema Liebe, wenn auch wieder um einiges basslastiger und kraftvoller: „Love Etc.“ steht an dieser Stelle durchaus stellvertretend für die homogene, fließende Verbindung der damaligen Anfängen mit dem Sound der Jetztzeit. Diesen bekannten Radio-Hit der frühen 2000er kennt hier wohl jeder im Saal und singt kräftig mit, doch schon bald darauf soll es ungleich düsterer werden. Kryptische Video-Sequenzen von undefinierbaren Mustern, marschierenden Schatten, DNA-Strukturen und wimmelnden Ameisen bestimmen den visuellen Aspekt, während vereinzelte Scheinwerfer lediglich die Konturen der Musiker anstrahlen. Dichte Nebelschleier ziehen auf und verhüllen das Bühnenbild streckenweise bis zur Unkenntlichkeit. In einen langen, militant anmutenden Parka gehüllt, tritt der Frontmann in einen der fahlen Lichtkegel und intoniert mit steifer Gestik und regungslosem Gesichtsausdruck das bedrohliche „ The Dictator Decides“. Nicht nur eine klare Kritik in Richtung politischer Kriegsführung, sondern auch ein abrupter, absolut wirkungsvoller Stilbruch und darüber hinaus eine inszenatorische Meisterleistung, die ihren verdienten Anklang bei den Gästen findet.
Während die letzten, verzerrten Töne langsam im großen Nichts verhallen, verlassen alle Mitglieder bis auf Chris Lowe die Bretter. Allein an seinem hohen Pult stehend, schafft er einen atmosphärischen Übergang zum nächsten Song und bereitet das klangliche Fundament für ebendiesen. Feinsinniger Electro schwebt hypnotisierend durch die Reihen, vereint sich mit einer hohen Frauenstimme und öffnet langsam die Tore in eine unwirkliche Traumwelt. Die Leinwand wird unterdessen von matt leuchtenden Farbtönen dominiert. Sie umspielen und vermischen sich, formen verschiedene Formen und Figuren, bis sie schließlich übergroß das Konterfei von Neil Tennant zeigen, der jetzt jeden einzelnen Besucher durch seine wachen Augen mit analytischem Blick direkt anzusehen scheint. In hallenden Worten beginnt das Profil des Sängers zu den Fans zu sprechen und leitet auf diesem Weg das mystische „Inside A Dream“ ein. Schnell verändert sich das Tempo des psychedelischen Tracks, als die Live-Band bald wieder ihre zugewiesenen Plätze einnimmt und das surreale Konstrukt in einen modernen Dancefloor-Filler verwandelt. Nach dieser Ballade vom 2013 erschienenen Longplayer „Electric“, wagt man erneut wieder einen weiten Blick in die Vergangenheit und greift auf altbewährtes Material zurück, welches zurecht wohl niemals nicht aktuell oder geschweige denn alt werden wird. „West End Girls“ passt allein aufgrund seines markanten Titels wohl so gut wie kein zweiter Titel in die bekannte Ruhrgebietsmetropole und spielt seine adäquaten Klassiker-Qualitäten von Beginn an voll aus. Das kann dem begeisterten Publikum nur recht sein, wie ein tanzender Innenraum klar zeigt und auch auf den Rängen stehen nun wieder so einige Besucher auf, um den Soundtrack ihrer Jugend zu feiern. Tennant selbst scheint insbesondere diese Art der ureigenen Meilensteine zu genießen und performt den weltbekannten Pop-Gassenhauer in silbern schimmernder College-Jacke sichtlich engagiert, zeigt sich immerzu freudig über die zugelassenen Reaktionen der Bochumer. Das ermutigende „Winner“ repräsentiert dann anschließend wieder aktuelleren Sound aus 2012. Die Single-Auskopplung des Albums „Elysium“ pusht die Stimmung gekonnt weiter nach oben und mündet danach im elegischen „Home And Dry“, der vor genau fünfzehn Jahren „Release“ eröffnete. Diese und zwei weitere Veröffentlichungen sind übrigens ab jetzt in um Bonus-Material erweiterten und speziell remasterten Versionen wieder auf dem Markt erhältlich. So enthalten etwa auch „Nightlife“ und „Fundamental“ eine üppige Ausstattung an zahlreichen Remixen und alternativen Fassungen. Wer seine CD-Sammlung um einige lohnende Exemplare erweitern oder mögliche Lücken in der Diskographie des Duos schließen möchte, ist hier genau richtig beraten. Klare Empfehlung!
Wer bisher glaubte, dass die „Pet Shop Boys“ an diesem Abend bereits ihr absolutes Maximum an Showelementen aufgefahren hatten, soll sich rückblickend mehr als nur stark geirrt haben. Hohe Chöre vermischen sich mit satten Beats, zahlreiche dunkelblaue und grellgrüne Laserstrahlen vereinen sich zu riesigen Licht-Bündeln. Mit einem druckvollen Bass-Gewitter erstrahlt die Szenerie plötzlich in tiefem Rot, flackernde Lichter zucken ungebändigt auf und grelle Scheinwerfer ziehen ihre langen Bahnen durch den breiten Saal. Musikalisch wird die perfekt abgestimmte Choreografie von einem Ausschnitt des bombastischen Instrumentals „A Man From The Future“ untermalt, genannt „The Enigma“. Das zitierte Epos ist in seinem Original ein ausladendes Musikstück von rund fünfundvierzig Minuten, welches Lowe und Tennant einst in Gedenken an den Mathematiker und Technik-Pionier Alan Turing komponierten und ihm somit ein Denkmal setzten, das 2014 in der berühmten Royal Albert Hall zu London seine umjubelte Live-Premiere feierte. Ohne auch nur den Hauch einer kurzen Unterbrechung, gelingt der Übergang zum elektrisierenden „Vocal“. Zu dieser technoiden Nummer im Eurodanke-Stil, fahren die beiden Briten nun die ganz schweren Geschütze auf und verwandeln den RuhrCongress in eine bebende Großraumdisco. Der Bass pulsiert unaufhaltsam und erschafft in direkter Verbindung mit dem Meer aus Stroboskopen und Laserlicht ein unbeschreibliches und bis dato nie gesehenes Erlebnis. Die Messlatte lag vermutlich selten dermaßen weit oben und wird in Zukunft bei allen Besuchern dieses Events ihres gleichen suchen. Im Zusammenspiel mit dem alleinigen Status des Duos, kennzeichnet dieser spezielle Moment ein wahres Ereignis, mit dem sich folgende Konzerte vergleichen lassen müssen. Musik und Show gehen eine schlüssige Liaison ein, geben sich einander hin und werden schließlich eins. „ The Sodom And Gomorrah Show“ treibt das Set dann weiter voran, bevor alle Aufmerksamkeit ein weiteres Mal auf Lowe ruht. Der Mann, der den gesamten Abend über ohne eine nennenswerte Bewegung auskommt, konzentriert sich auch jetzt unablässig auf sein Tun an den Tasten. Im gleißenden Kegel eines großen Strahlers stehend, gibt er erste Hinweise auf den folgenden Song frei. Einige wenige scheinen allein anhand manch untergemischter Klänge schon zu erahnen, was gleich folgen wird und senden begeisterte Rufe aus. Die Bühne wird in die warmen Farben von tiefem Orange und Rot getaucht, zusätzliche Spots auf dem Boden leuchten stark in Richtung der Zuschauer. Dann eine Fanfare, auf die es nur eine Antwort geben kann: „It’s A Sin“! Endlich ist es soweit und der Punkt erreicht, an dem es niemanden mehr auf den Sitzen hält. Voller Euphorie erhebt sich Reihe um Reihe, einige Fans im Innenraum können sich nicht mehr halten und springen auf und ab. Alle klatschen im Takt und singen den ganzen Text dieses Hits sicher mit.
Kein Wunder, dass der nachfolgende Applaus tosend und lautstark ausfällt, was sich auch bei „Left To My Own Devices“ keineswegs ändern soll. Die helle Melodie eines schallenden Horns verkündet unverkennbar „Go West“, zu welchem jetzt zahlreiche, verschiedenfarbige und bunte Ballons aus den Höhen der Bühnendecke herabgelassen werden. Ein spektakuläres Bild! Der Ruhrpott ist scheinbar auf den Geschmack gekommen und denkt nicht einmal daran, sich wieder zu setzen. Das bemerken auch die „Pet Shop Boys“ und honorieren die ausgelassene Power ihrer Gäste mit purer Spielfreude. Minimalistische Sounds treffen auf drückende Elektronik: „Domino Dancing“ scheint wie geschaffen für das große Finale eines jeden Konzerts und ist mit seinen eingängigen Passagen geradezu als einer der letzten Titel prädestiniert. Den Refrain singen natürlich alle gemeinsam im Chor, was Tennant direkt beim ersten Anlauf freudestrahlend mit „Sehr gut, Bochum!“ kommentiert. Zurecht. Einen stimmlich derart starken Enthusiasmus seitens der Konzertbesucher erlebt man immerhin recht selten. Die hohe Stimmungskurve nutzen die „Pet Shop Boys“ dann auch sogleich für den letzten Titel des heutigen Abends, der natürlich „Always On My Mind“ heißen muss. Zur orchestral angehauchten Reprise von „The Pop Kids“, verabschiedet sich der Sänger stellvertretend für den Rest der Band beim Bochumer Publikum. „Vielen Dank euch allen, gute Nacht und bis bald!“, lächelt er und winkt zum Abschied. Dann verlassen er und Chris Lowe zusammen die Bühne, während die drei Live-Musiker unter donnernden Jubelstürmen die letzten Töne spielen und es anschließend wieder für kurze Zeit dunkel wird. Der Beifall will kein Ende nehmen, Bochum ist im Pet-Fieber. Und doch müssen nun alle endgültig Abschied von den beiden Briten nehmen, als die Beleuchtung im RuhrCongress wieder hochgefahren wird. Während sich ein Großteil der Anwesenden auf den Heimweg macht, bleibe ich noch einige Minuten auf meinem Platz sitzen und blicke in Richtung der Bühne, vor welcher sich jetzt einige Fans glücklich gegenseitig fotografieren. Genug Zeit, um das Vergangene wie gewohnt ein wenig Revue passieren. Auch wenn sich die Welt seit den ersten Werken von Lowe und Tennant unaufhaltsam weitergedreht hat, so verstehen es die beiden Musiker doch wie kaum ein anderes Kollektiv, den Geist und die Seele der eigenen Ursprünge über die Jahre hinweg sicher zu transportieren und dem auszeichnenden Charakter des bisherigen Schaffens dabei treu zu bleiben. Die legendären „Pet Shop Boys“ ruhen sich keineswegs lediglich auf der bloßen Zugkraft ihrer bekanntesten Hits aus und reduzieren ihre Shows nicht zu einem standarisierten Museumsbesuch in den Ruhmeshallen der Vergangenheit, sondern zeigen sich viel mehr ehrlich interessiert daran, sich auch im Jahr 2017 an den studio- und produktionstechnischen Standards und Maßstäben der Neuzeit zu orientieren. Reine Reproduktion oder gar Stillstand war für die beiden Briten noch nie Option. Das ist es, was sie an diesem Abend klar demonstrieren und das ist es auch, wofür ihre Anhänger sie so sehr lieben. Darüber hinaus hat Stage-Designer Es Delvin großartige Arbeit geleistet und durch die schlüssige Kombination verschiedenster Elemente eine schier atemberaubende Produktion geschaffen. Das, was den Ticketinhabern auf der aktuellen „Super“-Tournee präsentiert wird, ist nicht weniger als ein gigantisch choreografiertes und modern inszeniertes Gesamtkunstwerk aus Licht, Laser, Video und Musik auf der Höhe der Zeit - Die Realität gewordene Erfüllung der eigentlich kaum erfüllbaren Begrifflichkeit „State of the Art“.
Setlist:
01. Intro
02. Inner Sanctum
03. Opportunities (Let's Make Lots Of Money)
04. The Pop Kids
05. In The Night
06. Burn
07. Love Is A Bourgeois Construct
08. New York City Boy
09. Se A Vida É (That's The Way Life Is)
10. Love Comes Quickly
11. Love Etc.
12. The Dictator Decides
13. Inside A Dream
14. West End Girls
15. Winner
16. Home And Dry
17. The Enigma
18. Vocal
19. The Sodom And Gomorrah Show
20. It's A Sin
21. Left To My Own Devices
22. Go West
23. Domino Dancing
24. Always On My Mind
25. The Pop Kids (Reprise)