Phil Collins - „Not Dead Yet!"-Tour - Lanxess Arena, Köln - 15.06.2017
Veranstaltungsort:
Stadt: Köln, Deutschland
Location: Lanxess Arena
Kapazität: ca. 20.000
Stehplätze: Ja
Sitzplätze: Ja
Homepage: http://www.lanxess-arena.de/startseite.html
Vorwort:
Es ist Donnerstag, der 15.06.2017. Und erfreulicherweise hat die sonst so rege Arbeitswelt heute mitten unter der Woche eine kurzzeitige Pause im Kalender der Allgemeinheit zu verzeichnen, denn es ist Feiertag, um genauer zu sein Fronleichnam. Während die freien Stunden von einem nicht unerheblichen Großteil vorausschauend zur zwischengeschobenen Erholung genutzt werden, habe ich mich hingegen bewusst gegen die scheinbar allerorts herrschende, vorzeitige Sonntagsstimmung entschieden und stattdessen geplant, meine Reserven anderweitig wieder aufzutanken. Wobei hier und heute von einem wirklichen Plan eigentlich auch gar nicht die Rede sein kann, immerhin festigte sich meine zuerst zunächst zögerliche Entscheidung wieder einmal eher spontan und zudem aufgrund einer äußerst glücklichen Fügung. Vergangenen Dezember sollte sich diese nämlich noch deutlich schwerer gestalten, als vor ein paar Tagen. Wie es zu dieser kalten Jahreszeit nämlich mittlerweile üblicher Brauch zu sein scheint, stand ich, wie nahezu jeder andere Feiertagsgetriebene auch, unmittelbar vor Heiligabend plötzlich nicht nur zwischen diversen Geschenkideen und überfüllten Kaufhäusern, sondern wusste vermutlich zum allerersten Mal in diesen Tagen zudem nicht so recht weiter. Vielleicht auch gerade deswegen, weil es einem mit steigendem Alter nicht mehr primär darauf ankommt, welche Päckchen unter dem Christbaum man denn nun genau freudestrahlend aufreißen darf, sondern viel mehr darauf, welche Freude man dem jeweils anderem im Gegenzug dafür machen kann. Wenn ich beim schreiben dieser Zeilen jetzt einmal ganz ehrlich zu mir selbst bin, habe ich in der Vergangenheit nie sonderlich viele Gedanken daran verschwendet. Wahrscheinlich auch gerade deswegen, weil ich den Sinn und Wert dieser ganz speziellen Zeit seit nunmehr einigen Jahren mit einem gänzlich anderen Maß messe, als es der offensichtliche Löwenanteil der scheinbar nimmermüden (Konsum-)Gesellschaft tut und ich darüber hinaus auch ganz sicher weiß, dass es die beiden zu Beschenkenden ebenfalls aufrichtig tun und mir dies auch nie anders vorgelebt hätten. Was also soll man nun zwei Personen schenken, denen bei nahezu jedem gegebenen Anlass der, zugegeben nicht sehr hilfreiche, Satz "Ich brauche nichts!" fast schon wie vorprogrammiert auf den Lippen liegt? Aber auch in dieser Angelegenheit bin ich vermutlich nicht anders gepolt und so gestaltet sich jeder klassische Festtag zu einem kleineren oder eben machmal größeren Rätsel. Möchte man genügsamen Personen zu solchen Anlässen ab und mal an eine kleine Freude machen, ist es aber keineswegs so, dass man wahnsinnig viel falsch machen oder mit der Wahl gar meilenweit daneben liegen könnte. Im Gegenteil, oft scheint hier schon die kleinste Kleinigkeit zu viel des Guten zu sein und dennoch habe ich die letzten Jahre immer wieder nach dem einen, ganz besonderen Geschenk Ausschau gehalten, dessen Zauber nicht schon nach dem bloßen Öffnen der ungeschickt eingewickelten Packung verfliegt, sondern viel mehr noch für sehr lange Zeit, möglichst für immer, bleibt. Will man auf seiner Suche jedoch irgendwann einmal fündig werden, genügt es nicht, einfach nur schnellen Schrittes durch die heimische Innenstadt von A nach B zu hetzen, um dem nächstbesten Fließband-Franchise sein sauer Verdientes in die Kassen zu spülen. Nein, viel mehr braucht es manchmal einfach nur Geduld, ein wachsames Auge und den richtigen Zeitpunkt dazu. Diesen kann man nicht einfach spontan einen Tag vor dem obligatorischen, vierundzwanzigsten Dezember heraufbeschwören. Manchmal muss man einfach nur warten. Auch und insbesondere dann, wenn es nicht einfach nur ein paar Stunden, Tage oder Wochen, sondern eben Jahre sind. Dass exakt dieser Zeitpunkt unversehens gekommen ist, merke ich direkt. Nämlich genau dann, als ich morgens mit verschlafenen Augen die bunten Anzeigen der örtlichen Tageszeitung überfliege und mir ein wohlbekanntes Gesicht verschmitzt zulächelt. Es ist Phil Collins. Sichtlich gealtert, aber noch immer unverkennbar. "Not Dead Yet" steht in dicken Druckbuchstaben darüber - "Noch nicht tot". Irgendwie muss ich angesichts dieses selbstironischen Galgenhumors kurz lächeln, bedenkt man doch, wie drastisch sich der Gesundheitszustand des legendären Sängers in den letzten Jahren doch verändert hat. Unmittelbar daneben sind zwei Daten und der jeweilige Austragungsort aufgeführt: 11. / 12.06.2017 - Köln, Lanxess Arena. Ich überlege keine einzige Sekunde. Bingo! Immerhin sind meine Eltern, die es hiermit zu beschenken gilt, glühende "Genesis"-, wahrscheinlich aber noch größere Collins-Fans. Sie haben von früher noch ausnahmslos jede Platte auf Vinyl, wippen zu den Songs im Radio nach wie vor freudig mit und haben die Band in ihrer Originalbesetzung zuletzt vor weit über zwanzig Jahren live gesehen. Was könnte also passender sein? Ich speichere mir Datum und Uhrzeit für den anstehenden Vorverkauf in die Notizen meines Handys ein. Jetzt bleibt mir nichts anderes als Abwarten übrig. Als ich mich gut eine Woche später überpünktlich beim Ticketanbieter Eventim" einlogge und via Verlinkung direkt um zehn Uhr durchkomme, blicke ich beim analysieren der Preise fassungslos auf den Bildschirm. Das es nicht gerade günstig werden würde, war mir bereits von Vornherein klar. Aber das? Die günstigsten Karten liegen bei fast hundert Euro, dafür sitzt man in den letzten Reihen des Oberrangs und wer schon einmal selbst in der Lanxess Arena war, kann die gegebenen Dimensionen einigermaßen einschätzen und weiß auch, dass man von dort aus ohne Opernglas, Feldstecher oder Fernrohr nicht viel mehr als winzige Lichtpunkte vom Künstler selbst sehen kann. Möchte man im komplett bestuhlten Innenraum Platz nehmen, müssen erst noch einige Scheine gleichen Wertes draufgelegt werden und ein exklusives Paket mit verfrühtem Einlass, Buffet und Soundcheck gibt es sogar auch noch. Für sage und schreibe sechshundert Euro pro Person. Sechshundert! Fassungslos logge ich mich vorerst wieder aus und überlege, was man tun könnte... Ohne die leiseste Ahnung, dass ich nur knapp zwei Wochen später noch mehr ausgeben würde.
Nur wenig später sind beide Konzerte restlos ausverkauft... Was zur erwarten war. Dafür werden mit dem 14., 15. und 16.06. noch kurzerhand drei Zusatztermine hinzugefügt... Was zu erwarten war. Leider sind Konzerte unter der Woche für Berufstätige generell eine mehr als unentspannte Angelegenheit. Besonders dann, wenn man nicht mal eben spontan Urlaub einreichen kann oder aus der unmittelbaren Nähe des Veranstaltungsorts kommt. Es bleibt also lediglich der wohl begehrteste Tag, der 11.06.2017, ein Sonntag. Merke: Wenn man möchte, dass es ein schönes Ereignis wird, muss man zumindest in diesem Sektor unweigerlich tief in die eigene Tasche greifen und wenn man dann noch zusätzlich nicht möchte, dass die Beschenkten dieses in schwindelerregender Höhe in der letzten Holzklasse durchleben müssen, sogar noch um einiges mehr. Von da an machen "eBay", "Facebook" und die offizielle Homepage der Lanxess Arena einen Großteil meines täglichen Suchverlaufs an Computer und Smartphone aus. Zahlreiche Angebote werden durchforstet, Preise verglichen und Telefonate geführt, bis ich dann vermehrt einen Blick auf den in "Eventim" integrierten Service namens "FanSale" werfe. Immer wieder in der unerschütterlichen Hoffnung, dass wie üblich doch noch ein paar Plätze frei werden. Dass ich mich dabei auf einen bestimmten Tag festlegen und gleich zwei zusammenhängenden Tickets im Unterrang beschränken muss, macht es nicht gerade einfacher. Doch dann werde ich in genau dieser Kombination endlich fündig. Über diese Plattform können Käufer ihre bereits erworbenen Karten problemlos wieder weiterverkaufen, etwa wenn sie terminlich oder gesundheitlich verhindert sind. Quasi von Fan zu Fan. Anders als bei vergleichbaren Portalen, geht das Angebot dabei nicht an den Meistbietenden, sondern wird von dem Inhaber mit einem Festpreis belegt. Das System prüft dann im Sinne des Interessenten nach, ob der Kauf authentifiziert und der Preis gemessen am Original fair ist. Das entsprechend signalisierende Symbol in Form eines bejahenden Hakens, gibt mir Aufklärung darüber und so wähle ich den Eintrag erleichtert an, nur um wenige Sekunden später ein weiteres Mal ungläubig auf den Bildschirm zu starren. Über dreihundert Euro wird hier für einen Sitzplatz im Unterrang mit guter Sicht verlangt, was in etwa dem Doppelten der vorherigen Einstufung entspricht. Kaufte ich die beiden Karten zusammen, entspräche das einer Summe von gut siebenhundert Euro. Skeptisch und mittlerweile leicht gereizt, nehme ich abermals den abgebildeten Haken in genauen Augenschein und direkt danach die blaue Raute mit der grafischen Visualisierung eines Handshakes - "Fairer Deal"! Wenn es nicht so offensichtlich unverschämt und dreist wäre, hätte ich darüber wahrscheinlich müde gelacht. Wohl aber auch, weil ich dann wie sonst üblich schon lange gültige Tickets vor mir auf dem Tisch liegen hätte, die preislichen Dimensionen beruhigt mit einem verständnislosen Kopfschütteln abtun und einfach sagen könnte, "Wer gibt denn bitte so viel Geld dafür aus?". Leider ist dem dieses Mal nicht so und zwar kein einziges bisschen. Eine ungeschriebene Regel besagt: Je länger man über eine bestimmte Sache nachdenkt, umso komplizierter wird sie. Warum? Weil sich einem dadurch nicht nur mehrere Lösungsmöglichkeiten, sondern allen voran auch zuerst ungeachtete Risiken eröffnen. Ganz sicher nicht immer die höchste Erfolgsquote, dafür aber definitiv den meisten Spaß, hat man, wenn man gegenteilig dazu handelt, seine gewohnten Abläufe einmal gänzlich ablegt und den Kopf für einen kurzen Moment einfach ausschaltet. Wie eigentlich immer im Leben entstehen die besten und denkwürdigsten Momente meist genau dann, wenn man sich nicht ständig um die ideale oder grundlegend richtige Lösung müht und sind ab einem gewissen Punkt einfach die logische Folge eines blitzartigen Anfalls aus Spontanität, Kontroll- und Realitätsverlust, Leicht- und Wahnsinn. Gelegentliche Unvernunft tut gut! Vielleicht, weil sie vom sonst so sorgsam durchstrukturierten Handeln und der eigentlich maximal langweiligen Spießer-Alternative abweicht, Flucht vor dem Gewöhnlichen und tristen Alttag bedeutet. Genau so, wie dieses Geschenk auch bei seinem Empfänger wirken soll. Einmal völlig sorglos sein, alle Probleme vergessen, Freude haben, lachen, leben. Einfach mal nicht bloß denken, sondern stattdessen machen. Mit diesem Gedankengang betätige ich den "Kaufen"-Button, trage meine Daten in die jeweils dafür vorgesehenen Felder ein und muss die getätigten Eingaben abschließend nur noch kurz bestätigen. Also überfliege ich die erstelle Rechnung und bleibe plötzlich beim Endpreis hängen. Anstelle der vereinbarten siebenhundert Euro, steht jetzt ein Betrag von rund Achthundert. Eine erneute Prüfung bringt schließlich die Lösung. Bei jedem Kauf über den Dienst "FanSale" wird, ähnlich der gewohnten Vorverkaufsgebühr, eine Service-Pauschale für die durchgeführte Abwicklung berechnet, welche sich durch einen gewissen Prozentsatz der gekauften Tickets ergibt. Will also heißen: Je höher der Preis des jeweiligen Angebots, desto höher der Betrag der zu entrichtenden Gebühr. Da ich selbst mich beim Kartenkauf glücklicherweise noch nie zuvor in einem ähnlichen Rahmen bewegen musste und es in derartigen Kostenregionen quasi sowieso schon nicht mehr wirklich darauf ankommt, zucke ich nur noch mit den Schultern. Gerade der schöne Gedanke daran, auf diese doch sehr besondere Art endlich etwas Angemessenes für all die Jahre zurückgeben zu können, ist es schon dreifach wert und gleichsam stärker, als selbstsüchtig dem eigenen Weihnachtsgeld hinterherzutrauern. Das kommt ja immerhin ein Jahr später wieder, eine derartige Gelegenheit jedoch nicht. Vielleicht sogar nie wieder. Diese große Chance aus derart niedrigen Beweggründen ungenutzt zu lassen, wäre um einiges schlimmer und diesen einen Moment könnte ich mir, wie ich mich kenne, nie wieder verzeihen. Als ich den Kauf mit einer plötzlich aufkommenden, protestantischen "Jetzt-erst-recht"-Haltung endlich bestätige, muss ich erleichtert und zufrieden lächeln. Geschafft! Irgendwie fühle ich mich kurzzeitig wie der Weihnachtsmann 2.0 und Jochen Schweizer in einer Person. Ich werde dieses Mal zu Weihnachten keinen bloßen Gegenstand vom Fließband, keinen bald vergessenen Staubfänger fürs Regal, aber auch eben keinen einfachen Gutschein von einer Website verschenken. Ich werde ein Erlebnis verschenken. Eines, das für die Beschenkten hoffentlich so einmalig schön wird, wie ich es mir seit Wochen in meinen Gedanken ausmale. Eines, das für immer bleibt.
Einleitung:
Das alles schießt mir wie eine umfangreiche Rückblende durch den Kopf, als ich schließlich im ICE auf dem Weg nach Köln-Deutz sitze. Wieder einmal hatte der Zug Verspätung und wieder einmal ist es unglaublich voll auf Gleis 3 des Bochumer Hauptbahnhofs. In etwa so wie jedes einzelne Mal, wenn ich mich von dort aus auf den Weg in die Rheinstadt mache. Egal ob morgens oder abends, egal ob unter der Woche oder am Wochenende. Nur ist das alles heute weitaus weniger schlimm, denn anders als sonst, habe ich mich dieses Mal bewusst gegen den RE entschieden. Erst als ich dann auf meinem Platz sitze, bemerke ich langsam, für wie viel Entspannung dieses kleine Luxus-Upgrade doch eigentlich sorgen kann. Zwar habe ich diesen zuvor nicht reserviert, eine kleine LED-Anzeige über meinem Kopf verrät mir aber, dass ich zumindest bis zum Ausstieg Ruhe haben werde. Darüber hinaus ist das Abteil nicht wirklich voll, eher ziemlich leer. Eine angenehme Abwechslung zum sonstigen Geschiebe. Vielleicht sollte man sich das auch in Zukunft einfach hin und wieder mal selbst erlauben. Entspannt hole ich meine Kopfhörer hervor und drücke auf den Knopf meines sichtlich veralteten, aber dafür immer noch einwandfrei funktionierenden MP3-Players. Für die anstehende Fahrt habe ich mir extra eine kleine "Gute-Laune"-Playlist mit ausgewählten Hits der offiziellen Single-Collection von Phil Collins zusammengestellt. So pflege ich das eigentlich immer zu tun, wenn ich mich ganz besonders auf ein Konzert freue, um vorab in die richtige Stimmung zu kommen und vor allem auch, um danach noch eine ganze Weile in der zuvor geschaffenen Euphorie-Blase bleiben zu können. Es ist dieses unbeschreiblich befreite Gefühl, welches eigentlich schon mit dem Betreten der Halle beginnt, sich im weiteren Verlauf des Abends kontinuierlich steigert und einen zum Abschluss bestenfalls auf dem Höhepunkt der positiven Gefühle zurücklässt. Dieses gemeinsame Ziel haben und teilen sich Musiker und Fan in der Regel. Ist diese Etappe erreicht, kann man sich sicher sein, eine wirklich umwerfende Show mit allen Sinnen gesehen, gehört und gefühlt zu haben. Mit der steigenden Zahl am Erlebten, ist die Wahrscheinlichkeit dafür jedoch nicht gerade gering, dass es mit der Zeit immer schwieriger wird, in diesen Zustand zu kommen. Vielleicht ist es manchmal einfach nur Übersättigung, vielleicht sind Kopf und Herz aber auch manchmal nicht offen und frei genug dafür. wie oft kommt dann noch etwas zusätzlich dazwischen? Sei es reiner Alltagsstress, die eigene Gesundheit, das Wetter, Probleme bei der Anfahrt oder beim Einlass, ein Platz mit eingeschränkter Sicht, schlechtem Sound oder andere, rücksichtslose Gäste in unmittelbarer Nähe... Es sind also jedes Mal wieder wirklich viele, unberechenbare Faktoren, die in ihrer Summe darüber entscheiden, ob der Abend gelingt, auf die man aber gleichzeitig schlicht keinen Einfluss hat. Alles was man tun kann, ist, sich ein Ticket zu kaufen und zu hoffen, dass es schön wird. Am ehesten besteht die Möglichkeit dazu, wenn man den jeweiligen Act bisher verhältnismäßig selten oder noch gar nicht gesehen hat und es somit fast unabhängig von allen genannten Eckpunkten zu dem wird, was es eigentlich auch sein sollte. Etwas Besonderes. Und wenn ich mir jetzt so die strahlenden Augen der Beschenkten auf dem Foto ansehe, welches ein Sitznachbar beim Konzert von ihnen gemacht hat, scheint es das auf jeden Fall gewesen zu sein. Ich habe mir seit Dezember nichts anderes für sie gewünscht. Und dabei sah ich noch knapp eine Woche zuvor meinen harmoniebedürftigen Wunsch in sich zusammenfallen, als am 07.11.2017, also insgesamt nur vier Tage vor dem Auftakt in der Lanxess Arena, besorgniserregende Meldungen im Internet ihre Runde machten: In der Vornacht war Collins in seinem Hotelzimmer in London gestürzt und hatte sich verletzt, musste noch in derselben Nacht ins Krankenhaus. Zugegeben, es hätte wohl beruhigendere Neuigkeiten geben können. Dennoch war der unerschütterliche Vorsatz des Sechsundsechzigjährigen, das angesetzte Show-Quintett unbedingt spielen zu wollen. Eine Absage sollte es nicht geben. Und tatsächlich gab es sie auch nicht. An dieser Stelle meinen allerhöchsten Respekt und größten Dank dafür! Von solch einem unbeirrten Einsatz könnte sich manch anderer Künstler in deutlich besserer Verfassung eine gehörige Scheibe abschneiden. So hat Collins bei einem seiner vermutlich letzten Deutschland-Konzerte genau das geschenkt, was auch ich zu Weihnachten verschenken wollte: Freude.
Dass das allgemeine Feedback in den sozialen Medien und auch vor Ort selbst überwiegend positiv aus ausgefallen ist, bemerke ich schon wenig später, als ich, mittlerweile die letzten Klänge von "Don't Loose My Number" auf den Ohren, mit dem Zug an der Station des Messegeländes einfahre. Direkt in der Eingangshalle tummeln sich einige Personen, die sich ob ihrer Tour-Shirts als Fans zu erkennen geben und offensichtlich schon eines oder mehrere der fünf Konzerte besucht haben. Während ich an der Kasse des gut gefüllten "Subway"-Stores auf meine Bestellung des sichtlich überforderten Mitarbeiters warte, lausche ich ihren euphorischen Gesprächen, was meine eigene Vorfreude merkbar zu steigern weiß. Nachdem ich in Ruhe gegessen habe, räume ich mein leeres Tablett in das schmale fache des dafür vorgesehenen Wagens und trete nach draußen. Obwohl langsam graue Wolken am Himmel aufgezogen sind, ist die Luft sonderbar stickig. Sofort werden Erinnerungen an das vergangene Amphi Festival wach, irgendwie ist es in Köln immer warm. Immer. Vom Deutzer Bahnhof ist es jetzt gar nicht mehr weit zum Zielort. Wenn man sich ein wenig beeilt, ist man gute zehn Minuten später schon auf dem Gelände. Gemeinsam mit einigen anderen Besuchern, die jetzt beständig immer mehr zu werden scheinen, pilgere ich den langen Weg auf der linken Straßenseite hinauf. Die kleine Brücke erstmal passiert, bietet sich dem aufmerksamen Auge von der höhergelegenen Plattform aus definitiv ein ansehnlicher Ausblick über den Stadtteil. Nun sind es nur noch wenige Meter. Am großen Parkhaus vorbei, erblicke ich schon einige Schwarzhändler, die selbstgedruckte Shirts zu kleinen Preisen anbieten und auch einige Suchende sind zu sehen, die kleine Pappschilder in die Höhe recken. Anders als sonst üblich, zeigen die dicken Edding-Buchstaben auf diesen allerdings nicht "Biete Karte!", sondern "Suche Karte!". Ob für sich selbst oder zum erneuten Verkauf, sei mal dahingestellt. Mitten auf dem Weg steht ein Straßenmusiker mit einer Gitarre und covert innbrünstig "Dance Into The Light". Selbst das ist heute gänzlich anders als sonst, denn es klingt verdammt cool und er hat sichtlich Spaß dabei, wenngleich die meisten Besucher achtlos vorbeigehen. Als plötzlich leichter Regen einsetzt, stelle ich mich an einem der umliegenden Gebäude-Komplexe unter, sortiere vorsorglich meine Tasche nochmals für die anstehende Kontrolle durch und werfe dabei einen Blick auf mein Ticket: Block 216, Reihe 7, Platz 21. Vor den jeweiligen Eingängen haben sich mittlerweile schon erheblich lange Schlangen gebildet und da ich ungern minutenlang im Regen anstehen möchte, nur um im Anschluss wieder weggeschickt zu werden, halte ich bereits im Schutz der Überdachung Ausschau nach der richtigen Position. Ich habe ziemliches Glück, denn der mir zugewiesene Zugang liegt direkt gegenüber, weswegen ich im Gegensatz zu vielen anderen den absoluten Luxus genieße, die breite Lanxess Arena nicht erstmal komplett durchnässt umrunden zu müssen. Leicht aufgeregt reihe ich mich anständig ein und warte auf den Einlass, der nun immer näher heranrückt. Während ich schon in Gedanken an die kommenden Stunden schwelge, meldet sich auf einmal einer der Sicherheitsbediensteten zu Wort: "Entschuldigung? Alle kurz herhören, bitte. Halten Sie ihre Taschen schon einmal bereit und öffnen diese. Wir arbeiten hier zusätzlich noch mit Metalldetektoren, also räumen Sie bitte alle Gegenstände dieser Art aus und halten diese hoch, damit wir sie sehen können und alles reibungslos abläuft. Danke!". Gesagt, getan. Wie gut, dass ich in meiner kleinen Umhängetasche nur das Nötigste mitgenommen habe. Ich ziehe am Reißverschluss und gebe dem Personal zur Erleichterung eine kurze Übersicht: "Hier wären einmal mein Portemonnaie und Handy, eine Digitalkamera und Zigaretten.". "Alles klar, Danke. Und einmal bitte die Arme weit auseinander machen...", fordert der freundliche Mitarbeiter. Ich lasse mich geduldig abtasten und bekomme grünes Licht. An der verglasten Doppeltür angekommen, krame ich den Umschlag mit meiner Eintrittskarte hervor, die auch sogleich gescannt wird. "Super. Viel Spaß!", wünscht mir die Security-Dame und lässt mich vorbei. Ich bedanke mich fröhlich und schon stehe ich im weiten Rund Deutschlands größter Veranstaltungshalle. Es ist exakt auf die Minute 18.00 Uhr und dennoch tummeln sich schon unzählige Wartende in den Gängen. Die Türen ins Innere des Saals sind allesamt verschlossen, wie ich nach einem prüfenden Rütteln an einer dieser schnell bemerke. Nicht schlimm, immerhin gibt es hier mit Sicherheit noch genug zu entdecken! Bereits nach wenigen Metern, sehe ich die erste Menschentraube, die sich vor einer der zahlreichen Theken zwischen den Eingängen versammelt hat. Neben standardisierten Imbiss-Speisen, wie Pommes, Brezeln und Bratwurst, gibt es natürlich auch das obligatorische Kölsch zu kaufen und das an nahezu jeder Ecke. Auf dem Weg zur großen Ansammlung, laufe ich fast in einen der mobilen Bier-Verkäufer, der mit seinen sekündlichen "Gilden-Kölsch! Willst du ein Gilden-Kölsch?"-Rufen eigentlich weder zu überhören noch zu übersehen ist. Ich lehne dankend ab und erkenne den Grund des Aufruhrs, den ich mir ob meiner Erfahrung eigentlich schon hätte denken können. Die Antwort: Merchandising. Aus irgendwelchen Gründen scheinen es alle ganz eilig zu haben, sich ihr persönliches Andenken mitzunehmen und davon gibt es einige. Neben zahlreichen T-Shirts, unter anderem mit dem offiziellen "Not Dead Yet"-Motiv, einem "Susudio"-Schriftzug in College-Optik oder dem Konterfei von Collins, sind auch ein "Easy Lover"-Girlie und ein Tour-Hoodie erhältlich. Doch auch an diverse Kleinigkeiten wurde gedacht und so finden auch einige bedruckte Tassen und Becher oder Schweißbänder ihren Weg zu den Besuchern. Ich gehe ein ganzes Stück weiter. Dort fällt mir ein weiterer Stand auf, den noch nicht allzu viele Interessierte entdeckt zu haben scheinen. Nachdem ich mich in aller Ruhe umgesehen habe, entscheide ich mich für ein gebundenes Programmheft im edlen Schuber und ein besticktes Polohemd. Dafür, dass ein einfaches Shirt mit gut dreißig Euro zu Buche schlägt, bin ich mit lediglich einem Zehner mehr für das Hemd und fünfzehn Euro für das Buch, bei qualitativ hochwertiger Ware verhältnismäßig günstig dabei. Sehr gut! Doch das Problem folgt auf dem Fuße: Da zugunsten einfacherer Kontrollen nur Taschen bis zu einem Format von DINA 4 zugelassen waren, habe ich erhebliche Mühen, das doch recht breite Tour-Programm unterzubringen. Nach langwierigen Versuchen, das Heft in seiner Länge oder Breite unterzubringen, gebe ich schließlich entnervt auf, schiebe es bis zur Hälfte hinein und ziehe den Reißverschluss soweit wie möglich zu. Augen auf, beim Merch-Kauf! Natürlich hätte man es auch nach dem Konzert erwerben können, aber was, wenn es dann ausverkauft gewesen wäre? Undenkbar.
Da nun immer noch etwas Zeit übrig ist, ziehe ich vor dem bevorstehenden Door-Opening in Erwägung, für eine Zigarette nochmals an die frische Luft zu gehen. Leider stellt sich dieses Vorhaben als weit schwieriger heraus, als bisher gedacht. Da an allen regulären Eingängen noch immer der Einlass stattfindet, ist hier schon einmal nicht daran zu denken. Dafür soll es laut Personal einen extra eingerichteten Bereich geben, der aber nicht aufzufinden ist. Nachdem ich mittlerweile meine nunmehr zweite Runde durch die Arena drehe, bemerke ich dann auch endlich mal die Beschilderungen an den Säulen und folge den Pfeilen. Wie auch in den schmalen Gängen der Halle selbst, ist es auch in der abgetrennten Smoking-Area so voll, dass man sich kaum bewegen kann und beim Anzünden der eigenen Nikotinzufuhr erheblich aufpassen muss, seinen direkten Nebenmann nicht gleich mit in Brand zu stecken. Fast noch um einiges gehetzter, als ich den Bereich vor wenigen Minuten betreten habe, verlasse ich ihn schnellstmöglich wieder und mache anderen Wartenden Platz. Wie ich langsam am eigenen Leib bemerken muss, hat die stickige Hitze auch das Innere der Lanxess Arena nicht wirklich verschont und so entschließe ich mich dann doch noch für ein kühles Gilden-Kölsch, welches mir an der Bar auch sogleich ungemein charmant aus mehreren, voreingeschenkten Bechern frisch zusammengeschüttet wird. Die unerbittliche Wärme macht alles andere als wählerisch. Der Durst zwingt's letztlich rein. Pünktlich um 19.00 Uhr werden dann endlich die Türen geöffnet und ich erhebe mich von meinem Platz auf einer der ellenlangen Treppen, die weiter nach oben führen. Innen angekommen, prüfe ich anhand des Tickets abermals die Nummerierung meines Platzes nach und steige mit zaghaft suchendem Blick die vielen Stufen in Block Nummer 216 hinunter. Die richtige Reihe gefunden, gehe ich weiter durch und stehe schließlich vor meinem Sitz. Ich habe ziemliches Glück, denn ich befinde mich etwa auf Höhe der Bühne und dazu auch noch in unmittelbarer dieser, bei kompletter Einsicht und ohne jegliche Einschränkung der eigenen Sicht. Zufrieden lasse ich mich auf das bequeme Polster mit erfreulich großzügiger Beinfreiheit fallen. Manchmal hat man in diesen Angelegenheiten ungemeines Pech und manchmal kann es einfach nicht mehr besser laufen, sodass man fast schon an der Realität des Erlebten zweifeln möchte. Entspannung und ganz viel Zufriedenheit machen sich unverzüglich breit und das, obwohl es sich hier lediglich um angenehme Rahmenbedingungen handelt. Auch schön. Die Bühne ist derzeit noch von einem langen Vorhang verhüllt, der hier als breite Projektionsfläche für eine umfangreiche Dia-Show aus schwarz-weiß Fotos dient, welche die unterschiedlichsten Portraits von Collins aus allen Jahren zeigen. Aus dem Off erklingt Musik aus den 70er und 80er Jahren. Etwas Jazz, etwas Soul. Einen Support gibt es nicht. Angenehm ruhig zurückgelehnt auf dem Sitz, lasse ich den Blick interessiert durch die Reihen schweifen. Meine Eindrücke bestätigten genau das, was ich zuvor erwartet hatte: Heute Abend ist nahezu jede Altersklasse und jede Gruppierung vertreten. Von Kindern und Jugendlichen, bis hin zu ihren begleitenden Elternteilen und Senioren. Vom unauffälligen Normalo, über den klischeehaften Studenten-Hipster samt Jutebeutel und Hornbrille, bis zum klar erkennbaren Schlager-Fan, Junggebliebenem oder Rockmusik-Puristen. Wo genau ich mich in dieser illustren Liste denn nun einordnen soll, weiß ich ehrlich gesagt nicht genau. Vielleicht in der Sektion "Melancholiker alter Kindheitserinnerungen"? Immerhin durfte ich schon damals eine bunt zusammengestellte Einschlaf-Kassette mit Stücken wie "Another Day In Paradise" stolz mein Eigen nennen. Jedenfalls gehöre ich schon mal einer bestimmten Kategorie nicht an: Auch jetzt greift, wie in den letzten Jahren immer deutlicher spürbar, extrem aufmerksamkeitsheischender Event-Tourismus der ganz üblen Sorte um sich. Wie lässt es sich sonst erklären, dass, ansonsten vollkommen desinteressiert wirkende Personen, ihr mittlerweile gefühlt dreißigstes Selfie vor dem Hintergrund der Arena schießen, nur um dann schnellstmöglich wieder höchst konzentriert am Handy zu tippen, um vermutlich der versammelten Social-Media-Welt ihre neuste Trophäe zu präsentieren. Ich bleibe gedanklich lieber bei Bandsalat und Kassette, verdrehe ich innerlich leicht entnervt die Augen und lasse die wundersam friedliche Atmosphäre auf mich wirken. Ab und an möchte mal jemand vorbei, sucht seinen Platz. Genauso höflich wie ich meine Nachbarn vorbeilasse, wird auch mir freundlich Platz gemacht, als ich mich nach einer halben Stunde nochmals dazu entschließe, für eine finale Zigarette vor dem nahenden Beginn und ein weiteres Getränk ins Foyer zu gehen. Wie immer aber mit äußerst strengem Blick auf die Uhrzeit und stets penibel darauf bedacht, so früh wie möglich wieder an Ort und Stelle zu sein, um die anderen Zuschauer nicht störend zu beeinträchtigen oder gar selbst etwas vom laufenden Geschehen zu verpassen. Es funktioniert und nachdem endlich alles erledigt ist, sitze ich eine gute Viertelstunde vorher wieder gespannt auf meinem Platz. Der große Moment ist gekommen!
Phil Collins:
Es ist genau 19.56 Uhr und obwohl die gesamte Szenerie bisher gänzlich unverändert geblieben ist, kocht die Stimmung schon jetzt deutlich spürbar hoch. Dass der Beginn nun unmittelbar bevorsteht und zum greifen nah ist, bemerkt hier jeder. Eine sonderbar unbändige Spannung liegt in der gesamten Luft und doch fehlt jede Spur von kollektiver Unruhe oder gar wimmelnder Hektik. Dafür gibt es ungewohnt viel positive Energie vorab, das gesamte Rund der Lanxess Arena beginnt euphorisch zu applaudieren und sich gegenseitig zu einigen La-Ola-Wellen zu animieren. Alle verhalten sich gesittet, sind herzlich zueinander und freuen sich einfach bedingungslos. Aus den zahlreichen Boxen erklingt "Souareba" von Salif Keita. Nun aber um einiges lauter, als die vorherigen Songs. Ein untrüglicher Hinweis darauf, dass es nicht mehr lange dauern kann. Und tatsächlich soll es auch der letzte Titel der eingerichteten Warm-Up-Playlist sein. Pünktlich um 20.05 Uhr wird die Belichtungsanlage komplett heruntergefahren, bis Deutschlands größte Veranstaltungshalle unter tosenden Jubelstürmen in fast vollständiger Dunkelheit liegt. Nur die zwei runden Standscheinwerfer im Zentrum der Bühne spenden jetzt noch ihren warmen Schimmer und wirken angesichts der gigantischen Kulisse dabei doch bloß, wie sich langsam verlierende Leuchtsignale in gefühlt unendlicher Leere. In deren Mitte steht ein unscheinbar anmutender Drehstuhl mit schwarzer Ledergarnitur, daneben ein etwa hüfthoher Tisch, auf dem eine kleine Flasche Wasser platziert ist. Für einen kurzen Moment, der sich jedoch mit zunehmender Dauer wie eine halbe Ewigkeit anzufühlen scheint, ist es ganz still. So unwirklich still, dass man scheinbar jeden einzelnen, noch so kleinen Laut als intensives Störgeräusch wahrnehmen könnte. Doch dann brechen schließlich alle Dämme, als sich plötzlich eine unauffällige, zunächst kaum wahrnehmbare Silhouette aus dem undurchdringlichen Dunkel abzeichnet. Langsam, ganz langsam werden die Umrisse eines Mannes sichtbar. Es ist Phil Collins. Mit kleinen, bedachten, fast schon vorsichtigen Schritten nähert er sich dem zentralen Spotlight. Er geht an einem Stock, zudem leicht geduckt. Das hält ihn allerdings nicht davon ab, seine körperlich eingeschränkte Situation zu einer humoristischen Triumph-Geste auszubauen, bevor er zunächst seine Gehhilfe sorgsam über die Lehne des Stuhls hängt und anschließend Platz nimmt. Genauso sympathisch, geerdet und wenig glamourös wie sein gänzlich dezentes Auftreten, ist auch das gesamte Erscheinungsbild des Mittsechzigers. Er trägt keine spektakuläre Garderobe und somit nicht zu dick auf, zieht den Casual-Look in dunkelblauem Hemd und Jeans vor. Der Einzug auf die große Bühne hat seine Wirkung nicht verfehlt und zieht seine Magie aus der puren Anwesenheit des Künstlers, fernab von selbstbeweihräuchernder Inszenierung oder unnötig überladenen Bombast. Von den sonst so berüchtigten Star-Allüren, die sich der weltbekannte Sänger nach all den Jahren seines künstlerischen Schaffens wohl durchaus erlauben könnte, keine einzige Spur. Collins ist eine lebende Legende und dadurch eigentlich generell unnahbar, doch scheint er zu keiner Sekunde darin bestrebt, dies unbedingt unterstreichen zu wollen. Und das muss er auch gar nicht, das hat er schlicht nicht nötig und weiß darum. Es scheint kein "Ich hier oben und ihr dort unten" zu geben, er ist und bleibt Mensch, ist einer von uns. Noch ehe er auch nur ein einziges Wort sagen kann, erheben sich sowohl im komplett bestuhlten Innenraum als auch auf den gesamten Rängen alle Besucher voller Begeisterung und klatschen dem Engländer herzlichen Beifall zur Begrüßung. Collins muss lächeln und macht beschwichtigende Gesten, doch der Applaus will nicht abnehmen. Als es allmählich etwas ruhiger wird und sich die meisten wieder gesittet setzen, greift er nach einem kleinen Blatt Papier und legt seine Hände ruhig um das unmittelbar vor ihm platzierte Mikrofonstativ. "Ich weiß, dass ich eigentlich gesagt hatte, dass ich aufhören wollte...", beginnt er in gebrochenem Deutsch vorzulesen und blickt dann abwartend über den Rand seiner Brille. Köln hält den Atem an und wartet gespannt auf die restlichen Worte. "Aber um ehrlich zu sein... Ich habe euch vermisst!". Selten, wenn nicht sogar noch nie, schallte es bereits zum Auftakt frenetischer aus dem Publikum. Mit der melancholischen Ballade "Against All Odds (Take A Look At Me Now)" startet das Set. Ein mindestens ebenso ungewöhnlich charmanter Beginn für ein Konzert, wie dessen Rahmen selbst. Der anfangs noch recht reduzierte Song nimmt, wie auch die originale Studio-Fassung, erst durch die Hinzunahme weiterer Instrumente im mittleren Part vollendet an Tempo auf. Als das Schlagzeug schließlich einsetzt, treffen zwei Generationen spektakulär aufeinander: Die Lichter gehen an und hellen den Vorhang im Hintergrund auf, gewähren einen spekulativen Blick auf das, was sich zu diesem Zeitpunkt noch vor allen Blicken geschützt dahinter verbirgt. Durch die starke Illumination werden jetzt die schemenhaften Umrisse von Nicholas Collins an den Drums sichtbar, dessen Abbild sich fast über die gesamte Fläche erstreckt. Der Sechzehnjährige beherrscht sein Handwerk hörbar, spielt in einer Liga mit den übrigen Musikern, während Phil den letzten Refrain besingt. Im Schatten des Sohnes. Unbeschreiblich. Unvergesslich. Legendär.
Dass sich der Sänger keinesfalls selbst in den Vordergrund spielen und die anderen Mitwirkenden dadurch zu blassen Nebenfiguren verkommen lassen will, zeigt schon der darauffolgende Titel: "Another Day In Paradise". Zunächst werden die zahlreichen Scheinwerfer kollektiv auf den schweren Stoff ausgerichtet, welcher sich nun unter mystischen Synthie-Spuren langsam gen Hallendecke erhebt. Der laute Jubel ist allgegenwärtig, nicht erst dann, als die Zuschauer den Song erkennen. Zeitgleich weicht das fahle Dämmerlicht einer gigantisch angelegten Installation und gibt endlich einen vollständigen Blick auf das Geschehen frei. Unmittelbar hinter Collins selbst ist ein breites Podest errichtet. In dessen Mitte sitzt sein Nachwuchs Nicholas hinter dem großen Schlagzeug, direkt zu seiner Linken steht Luis Conte für zusätzliche Percussion. Davor Leland Sklar am Bass und die beiden Gitarristen Ronnie Caryl und Daryl Stuermer. Rechts neben dem Drumset Keyboarder Brad Cole und ein kleiner Chor bestehend aus Amy Keys, Lamont van Hook und Bridgette Bryant für den unterstützenden Background-Gesang. Dessen viertes Mitglied, Arnold McCuller, fehlt bereits seit der letzten Show ersatzlos. Die Wahl dieser Protagonisten ist nicht grundlos gefallen. Für den Kenner sind es bei weitem keine Unbekannten, keine bloßen Statisten, kein reines Mittel zum Zweck, sondern alte Bekannte und Mitstreiter, die über die Jahre und vorherigen Tourneen zu Freunden geworden sind. Den großflächigen Hintergrund säumt eine ausfüllende LED-Leinwand, auf welcher einerseits entweder atmosphärische Sequenzen oder direkte Live-Übertragungen der jeweiligen Akteure gezeigt werden, wozu sowohl vor als auch auf der Bühne selbst einige Kameras angebracht sind. Mit dem verträumten "One More Night" geht es dann nahtlos weiter, bevor sich der Altmeister erneut an sein Publikum wendet. "Das nächste Lied haben wir bisher noch nie live gespielt. Es ist vom Album "Testify"., blickt er erwartungsfroh in die Menge. Vereinzelter Jubel ist zu vernehmen. "Ah, vielen Dank an alle sechs Personen, die sich das Album gekauft haben. Sehr schön!", lacht Collins. Es handelt sich um das rhythmische "Wake Up Call", zu dessen Klängen nun riesige Zahnräder und Zifferblätter auf den Screens erscheinen und in ihrer Gesamtheit ein eindrucksvolles Uhrwerk symbolisieren. Für alle Liebhaber alter Zeiten hat man dann auch noch eine schöne, durchaus unerwartete Überraschung im Repertoire: "Follow You Follow Me". Einer der begnadeten Songs von "Genesis". Die Leinwände zeigen einen anrührenden Zusammenschnitt verschiedener Videoaufnahmen aus diversen Abschnitten der umfassenden Bandgeschichte. Banks, Rutherford, Collins. Eine beängstigend greifbare Melancholie macht sich in der Lanxess Arena breit, ob es ein Abgesang an vergangene Tage oder vielleicht doch ein hoffnungsfroher Ausblick auf eine eventuelle Réunion in naher Zukunft ist? Niemand weiß es und doch stehen jetzt alle geschlossen auf, um dieses musikalische Vermächtnis gebührend zu feiern. Der Titel funktioniert mit dem leicht differenziertem Arrangement auch perfekt als reines Solo-Stück. Die Band nutzt ihr facettenreiches Können und rekonstruiert den Hit, macht ihn zu so viel mehr, als einer bloßen Cover-Version ohne vollständige Besetzung. Bewegende Momente beschert im Folgenden die Ballade "Can't Turn Back The Years", die gerade vor dem Hintergrund der Aktualität durchweg herzzerreißend und authentisch daherkommt. Bei manchen Titeln scheint es an diesem Abend ganz so, als seien sie nicht zufällig oder ausschließlich nach reiner Beliebtheit, sondern mit feinsinnigem Bedacht gewählt worden. Anders als auf den Alben selbst, stehen die Stücke nicht länger nur für sich und um ihrer selbst Willen alleine. Heute Abend werden sie erschreckend real, denn Collins gibt ihnen eine persönliche Note, eine Geschichte und haucht ihnen mit seiner eigenen Vergangenheit Leben ein. Er hat ein Taubheitsgefühl in den Händen und seinem rechten Fuß, kann nicht mehr wie früher Schlagzeug spielen. Zu einem starken Nervenleiden und einem fast vollständigen Verlust des linken Gehörs, kamen erschwerend eine Operation am Rücken und Alkoholsucht hinzu. Er ist indirekt der lebende Beweis dafür, dass Berühmtheit, Macht und Geld noch lange nicht unverletzlich machen und Gesundheit das höchste Gut bleibt. Collins wirkt genau deswegen nicht wie der typische Star, agiert auf Augenhöhe. In der Tat kann er all die Jahre mit ihren ganzen Höhe-, aber vor allem auch Tiefpunkten nicht zurückdrehen, das kann keiner und wahrscheinlich macht ihn gerade das für sein Publikum so unwirklich nahbar, zerbrechlich und menschlich. Der Spannungsbogen ist perfekt koordiniert, reiht behutsam seine ruhigen Momente an Mid- und Up-Tempo, wirkt homogen und in sich geschlossen. So auch bei "I Missed Again", welches die andächtig bedrückende Stimmung wieder etwas löst, bevor das druckvolle "Hang In Long Enough" mit seinem Soul dann wirklich alle von den Sitzen hochreißt. Dazu darf die charakteristische Bläser-Fraktion natürlich nicht fehlen und so entern Harry Kim und Dan Fornero an der Trompete, sowie Saxophonist George Shelby und Posaunist Luis Diego Bonilla alsbald die Bretter. Die instrumentale Aufstockung verleiht dem Song einen zusätzlichen Drive, macht sie stark und tanzbar. Selbst Collins strahlt jetzt zufrieden über das ganze Gesicht und wippt in seinem Stuhl rhythmisch mit dem Fuß zum treibenden Takt. Danach lässt er es sich zudem nicht nehmen, das gesamte Ensemble auf äußerst charmante Weise vorzustellen. Zu jedem der insgesamt dreizehn Musiker fällt ihm eine kleine Anekdote ein, wenngleich auch zeitweise nicht der Name selbst. Als er sich Gitarrist Caryl zuwendet, stutzt er kurz. "Diesen Man kenne ich jetzt sogar schon so lange, dass mir sein Name glatt entfallen ist". Herzliches Gelächter allerorts. Es ist genau diese Art des ungekünstelten und gänzlich unbeschwerten Umgangs, die den heutigen Abend so unfassbar sympathisch macht. Man scheut sich nicht davor, kleine und große Schwächen einzugestehen, vom perfekt geplanten Programm abzuweichen. Nicht perfekt, aber dafür umso menschlicher zu sein. Doch auch an echte Kenner, die Rares zu schätzen wissen, hat man weiterhin gedacht: "Separate Lives", ein Cover des gleichnamigen Titels von Stephen Bishop, wurde zuletzt auf der "The Serious"-Tour im Jahre 1990 im Duett mit Bryant gesungen, genießt mittlerweile Kultstatus unter Fans. Vor der zauberhaften Kulisse eines alles überdeckenden Sternenhimmels, teilen sich Collins und die Sängerin die ersten beiden Strophen im einzigen Lichtkegel auf der Bühne nebeneinander sitzend auf, bevor sie gemeinsam zum großen Refrain ansetzen. Ein ganz besonderer Moment voller Schönheit, der trotz der gigantischen Ausmaße der Arena unglaublich intim und vertraut wirkt. Das rasante "Only You Know And Know" bietet dann mit voller Besetzung nochmal einen energetischen Kontrast auf ganzer Linie. Anschließend hat Phil noch einen Hinweis für die Zuschauer: "Wir machen jetzt eine kleine Pause von etwa zwanzig Minuten. Also könnt ihr jetzt erst einmal ganz in Ruhe auf die Toilette gehen und wir auch und dann sehen wir uns gleich wieder, ja?", lächelt er verschmitzt. Geschlossen und unter bahnbrechendem Applaus verlassen alle Akteure die Bühne, die Lichter gehen langsam wieder an.
Was für eine erste Hälfte, schlicht beeindruckend! Das gleiche scheinen sich wohl auch einige der anderen Besucher zu denken und lassen sich vorerst sprachlos zurück auf ihren Sitzplatz fallen. Das Erlebte muss sich erstmal festigen, greifbar werden. Auch bei mir. Es soll nicht mehr allzu lange dauern, bis sie alle wieder ausreichend Worte finden, um ihrem neugewonnenen Gesprächsstoff zu frönen. Doch auch in der Pause ist für liebevolles Entertainment gesorgt: Der herab gesenkte Vorhang fungiert nun abermals als Projektionsfläche. Anstelle der einstigen Dia-Show flimmern jetzt kurze, witzige Spots über den schweren Stoff, die im Stil von Werbe-Clips der 60er-Jahre allesamt augenzwinkernd für verschiedene Pseudo-Produkte begeistern wollen. Von einem Casino namens "Against All Odds", über Betten und Matratzen der Marke "Wake Up Call", bis zum Deodorant "Invisible Touch" ist nahezu jedes Klischee bedient und sorgt für einige Lacher. Nachdem ich alles gesehen habe und mir sicher bin nichts zu verpassen, beschließe ich, nochmals an die frische Luft zu gehen und dem Getränkeausschank auf gleichem Wege nochmals einen Besuch abzustatten. Zurück in meinem Block, stelle ich fest, dass auch ein Großteil der anderen Fans wieder überpünktlich anwesend ist. Niemand will auch nur eine Minute versäumen. Schön, wenn alle so umsichtig und aufmerksam sind. Mittlerweile ein wahres Unikum, auch im Miteinander der Konzert-Landschaft. Ich setze mich wieder und warte gespannt. Um 21.30 Uhr wird es erneut dunkel, es geht weiter! Unter druckvollem Sound hebt sich der Vorhang wieder in die Höhe, dahinter sind Luis Conte und Nicholas Collins an ihren Instrumenten zu sehen. Ansonsten ist die Bühne restlos unbemannt. Die Scheinwerfer richten sich auf die beiden Protagonisten, die nun zeitgleich damit beginnen, ihr Können an den Trommeln unter Beweis zu stellen. Collins hat das Spiel der Drums erblich im Blut, das spürt man direkt. Conte beherrscht sein Tun sowieso, ist ein Meister des Fachs. Erfreulicherweise ergänzen sich die beiden Percussionisten viel mehr, als das sie gegeneinander anzuspielen versuchen. Leicht wird die Intensität gesteigert, das Tempo immer weiter angezogen, bis selbiges dann langsam wieder gedrosselt wird und man zusammen eine Fusion eingeht, im gleichen Rhythmus bleibt. Während die LED-Screens unruhiges Bildrauschen zeigen und die ansonsten dunkle Bühne unregelmäßig illuminieren, kehrt auch der Mann des Abends ruhigen Schrittes wieder zurück und nimmt schließlich seinen angestammten Platz auf dem Stuhl in der Mitte ein. Zum ersten Mal seit der "Both Sides"-Tour 1994, ist das raue "I Don't Care Anymore" wieder im Programm. Wie auch schon in der offiziellen Album-Fassung, ist der rein instrumentale Fokus eher reduziert und verstärkt auf das Schlagzeug ausgelegt, was Text und Gesang ungemein zugute kommt. Bei "Something Happened On The Way To Heaven" wird dann jedoch wieder im ganz großen Stil aufgefahren. Nacheinander nimmt das komplette Ensemble wieder seine zugewiesenen Positionen ein und treibt den Titel in musikalische Höhen. Wie bei ausnahmslos jedem Song an diesem Abend, sind auch hier kleinere Abänderungen im klanglichen Gewand zu vernehmen. Man greift nicht auf maschinelle Backups aus der Konserve zurück, sondern schöpft aus dem reichhaltigen Instrumenten-Pool der Band. Die Songs werden somit lebendig, jeder Einzelne für sich. Wer jetzt noch sitzen bleibt, ist selber Schuld! Danach setzt man wieder auf Entschleunigung als ruhenden Gegenpol. Von rechter Seite aus wird nun ein imposanter Flügel auf die Bühne geschoben, an dem nur wenig später Phil und Nicholas dicht nebeneinander gemeinsam Platz nehmen. "Das ist übrigens mein Sohn. Er findet die Musik, die sein Papa da macht, wirklich sehr gut, hm?", stichelt er lächelnd und gibt seinem Jungen einen neckischen Stupser mit dem Ellenbogen. "Und er hat seinen Papa auch wirklich sehr lieb, oder?", schaut er ihn ernst an und dann müssen plötzlich beide laut lachen. Ein wirklich schöner Moment, den es mit "You Know What I Mean" im Folgenden noch weiter zu vertiefen gilt. Zuletzt bei den Konzerten der "A Trip Into The Light"-Ära fest im Programm, entfaltet die emotionale Ballade heute ihr breites Spektrum an vollendetem Gefühl. Nicholas spielt den Track leidenschaftlich, rein akustisch und vollkommen ohne jedwede Unterstützung am Piano, sein Vater singt dazu. Als der 16-jährige seinem alten Herrn nach einer Umarmung noch einen liebevollen Kuss auf die Stirn drückt, kann Köln gar nicht mehr anders, als diesem ergreifenden Duett herzlich zu applaudieren. Zwei Generationen treffen aufeinander. Ein ganz großer, bedeutender Moment in der Musikgeschichte! Mindestens ebenso sehr, wie der darauf folgende.
Schlagartig wird es dunkel und die Lanxess Arena versinkt unter einem unheilvollen Dröhnen erneut in tiefer Dunkelheit. Mystische Synthesizer-Sequenzen bilden die atmosphärische Basis, die unverständlichen Wortfetzen einer stark verzerrten Vocoder-Stimme hallen einem Echo gleich durch die weiten Reihen. Die tiefblau gefärbten Strahlen einiger Scheinwerfer ziehen langsam kreisend durch die Lüfte, immerzu flackert wild stroboskopisches Licht dazwischen auf, eine dichte Nebelwand verhüllt die klare Sicht. Die düsteren Töne werden allmählich klarer, lassen nun eine Struktur erkennen. Als sich die elektronischen Spuren mehr und mehr zu einer wohlbekannten Melodie formieren, zerreißen erste, euphorische Ausrufe die gespannte Stille. Sanft legt sich der geordnete Klangteppich über den gesamten Innenraum und die Ränge, bleibt in seiner einnehmenden Atmosphäre gleichzeitig bedrohlich als auch seltsam abgeklärt und ruhig. Ein metallisches Gitarrenriff von Stuermer schneidet sich durch diese hindurch. Collins selbst sitzt mit festem Blick nach vorn auf seinem Stuhl, die Hände ruhen auf seinen Knien. Ein pulsierender Schimmer beleuchtet sein ernstes Gesicht, nimmt gleichmäßig zu und dann wieder ab. Dann singt er die ersten Zeilen. Seine helle Stimme ist der ermutigende Gegenpart, kämpft gegen die Finsternis an und lässt sie mit einem Mal zerbersten. Lässt sie zu etwas gänzlich anderem, etwas Besserem, zu purer Hoffnung werden. Er ist wie die symbolische Fackel im ewigen Dunkel, leuchtet den Weg aus jeder noch so ausweglosen Situation. Es ist vermutlich sein ikonischster und gleichzeitig größter Hit: "In The Air Tonight". Zum Finale setzt dann das wohl bekannteste Schlagzeugspiel der Welt ein, welches Nicholas so dermaßen pointiert und druckvoll intoniert, wie einst sein Vater selbst. Gegen Ende wird Collins Stimme immerzu kraftvoller, steigert sich unter turbulentem Applaus in bis dato ungeahnte Höhen. Seine Fans geben ihm spürbar die notwendige Energie dazu, pushen den charismatischen Sänger weiter und er zahlt es Ihnen zu jeder Zeit dankbar doppelt zurück. Einfach nur beeindruckend, einen legendären Song wie diesen, einmal live erleben zu dürfen. Und davon gibt es jetzt noch viel mehr: Das beliebte Cover "You Can't Hurry Love" von "The Supremes" legt mindestens so stark vor, wie das rhythmische "Dance Into The Light", bei dem Collins wieder gesanglich von Bryant, Keys und van Hook unterstützt wird, die abwechselnd um den Altmeister tänzeln und die Zuschauer vom vorderen Bühnenrand aus zu noch mehr Stimmung anheizen. Der unsterbliche "Genesis"-Gassenhauer "Invisible Touch" reiht sich in musikalischer Hinsicht danach nahtlos in diesen Block ein und geht anschließend flüssig zu "Easy Lover" über. Die Gesangparts von Philip Bailey übernimmt einmal mehr der Background-Chor, wobei insbesondere Bryant sichtlich Freude daran hat, gemeinsam mit Phil zu albern. Wie schon zu Beginn, schwebt die Lanxess Arena einer schützenden Blase aus familiärem Miteinander und herzlicher Partylaune. Die oftmals so kräftezehrenden Alltagssorgen und das derzeit ungemein erschreckende Weltgeschehen werden einfach ausgeblendet, nicht zugelassen, scheinen für die Dauer des gesamten Konzerts fast nicht mehr existent. Das alles ist irgendwie ungewohnt beruhigend, friedlich, einfach schön.
Mit "Sussudio" zieht das Ensemble nochmals alle Register und verwandelt Deutschlands größte Veranstaltungshalle mit funkigen Beats, einer bunten Video-Installation und von der Bühnendecke herabregnendem Konfetti, in die überdimensionale Tanzfläche einer echten 80er-Disco. Die Musiker verlassen zusammen die Bretter, doch Köln will seine Helden noch nicht endgültig gehen lassen. Und so kehrt die Band schon bald unter euphorischen "Zugabe"-Rufen zurück, um den restlos begeisterten Forderungen der Fans nachzukommen. Zum Abschluss hat man sich passend für den hymnenhaften Abschiedsgruß "Take Me Home" entschieden, eine mehr als treffende Wahl. Noch ein letztes Mal ist das gesamte Ensemble vereint, singen alle gemeinsam mit dem Publikum den melancholischen Refrain aus Fernweh und dem wohligen Gefühl, endlich am richtigen Platz angekommen zu sein. Für diesen einen Abend war dieser Platz definitiv Köln, das fühlt hier jetzt jeder ganz tief in sich. Danach versammeln sich abschließend alle dreizehn Musiker kollektiv um Collins, schütteln sich gegenseitig anerkennend die Hände, umarmen sich herzlich. Sollte es überhaupt noch einen kleinen Anteil an Gästen gegeben haben, die bis jetzt noch auf ihren Plätzen saßen, so erheben sich nun auch diese für ausufernde Standing Ovations in Reinform. Sichtlich erleichtert über den reibungslosen Ablauf und ergriffen vom großen Zuspruch, verbeugt sich die gesamte Band und winkt den jubelnden Fans freudig strahlend zu, während sich der Vorhang behäbig wieder herabsenkt und schlussendlich sanft auf dem Boden zum erliegen kommt. Allmählich gehen die Lichter in der Lanxess Arena wieder an, doch der Applaus soll auch noch lange Zeit danach nicht vollends versiegen. Die allgegenwärtige Magie verfliegt nicht, im Gegenteil, sie bleibt bestehen und lebt zusammen mit diesem denkwürdigen Abend weiter. Nicht nur für wenige Minuten oder die nun folgenden Stunden, Tage und Wochen. Sondern für immer. In jedem Einzelnen. Ganz sicher. Ja, Phil Collins ist sichtlich älter geworden, so wie seine Hörer auch. Er hat versiert und beständig gegen all seine Krankheiten, Leiden, Krisen und inneren Dämonen angekämpft und klar gewonnen. Die letzten Jahre sind dabei keinesfalls spurlos an ihm vorbeigezogen. Das merkt man ihm zu jeder Zeit deutlich an und genau das versucht Collins auch weder beschönigen, noch zu vertuschen. Er bleibt ehrlich, authentisch, greifbar, menschlich. Anders als viele andere große Namen im Business, stilisiert sich der Mann mit der charismatischen Stimme nicht zum unangreifbaren Pop-Idol hoch und zelebriert kein peinlich unangemessenes Theater, sondern trägt seine Last für alle ersichtlich in Würde. Er sucht nicht um seiner selbst Willen die große Show, drängt sich nicht mit aller Gewalt ins Scheinwerferlicht und nimmt sich selbst niemals zu ernst. Das Können und die individuellen Charaktere seiner langjährigen Wegbegleiter dafür aber umso mehr, heute Abend waren sie alle zusammen die umjubelten Stars. Einer wahre Meisterleistung an hochwertigem Entertainment. Sein gesamtes Tun hat einen enorm starken Einfluss auf die wandelbare Musiklandschaft als solche, wie auch auf zahlreiche andere Künstler selbst. Damals wie heute. Die Lieder haben ihre ganz eigene Substanz und Dynamik, einen unverwechselbaren Charme und prägenden Stil, welcher zusammen mit dem unvergleichlichem Songwriting zu großen Teilen dafür verantwortlich ist, dass sich die zeitlose Kunst des Mittsechzigers auch anno 2017 noch gegenüber den schnelllebigem Einheitsbrei der Charts generationsübergreifend behaupten kann. Phil Collins unterstreicht mit diesem Schaffen seine führende Spitzenposition und hinterlässt als einer der wahrscheinlich letzten großen Künstler, einen schier unerreichbaren Meilenstein der kulturellen Geschichte als sein unangefochtenes Erbe. Dieser Mann hat sich in seinem bisherigen Leben zurecht zu einer ikonischen Galionsfigur von internationalem Weltrang aufgeschwungen. Eine Legende ist zurück und mit ihm Musik voller Erfahrung, Herz, Seele, Liebe, Gefühl und lebendigen Geschichten. Auf das uns allen diese bereichernde Persönlichkeit noch lange erhalten bleiben mag: "Not Dead Yet"!
Setlist:
01. Intro
02. Against All Odds (Take A Look At Me Now)
03. Another Day In Paradise
04. One More Night
05. Wake Up Call
06. Follow You Follow Me
07. Can't Turn Back The Years
08. I Missed Again
09. Hang In Long Enough
10. Separate Lives
11. Only You Know And I Know
12. Drum Duet
13. I Don't Care Anymore
14. Something Happened On The Way To Heaven
15. You Know What I Mean
16. In The Air Tonight
17. You Can't Hurry Love
18. Dance Into The Light
19. Invisible Touch
20. Easy Lover
21. Sussudio
22. Take Me Home