Kraftwerk - Hocico - Suicide Commando (2017)
Kraftwerk - 3-D - Der Katalog (2017)
Genre: Electro / Pop
Release: 26.05.2017
Label: Parlophone Label Group (Warner)
Spielzeit: 352 Minuten
Fazit:
"Die Guten sterben jung, doch die besten sterben nie!" - Kein anderes Sprichwort weiß die nachfolgende Erfolgshistorie wohl besser zu umschreiben, als dieses. Seit nunmehr fünf Jahrzehnten sind die Düsseldorfer aktiv und dabei schon längst nicht mehr aus dem Geschäft wegzudenken. Sie schrieben wahre Musikgeschichte, machten sich noch lange vor den herannahenden 2000ern unsterblich, sind heute zurecht eine lebende Legende. Im Jahr 1970 durch Ralf Hütter und Florian Schneider formiert, galten sie schon früh als bezeichnende Gründungsväter verschiedenste Musikstile wie Electro, Hip-Hop, Minimal und Techno. Diverse Bands von ruhmreichen Weltrang, wie etwa "Rammstein", "Depeche Mode", "Joy Division", "Moby" oder "New Order" nennen sie seit ihren Anfängen als bedeutsamsten Einfluss und größte Inspiration für das eigene Schaffen. Ohne das ambitionierte Multimedia-Projekt wären sie alle ganz sicher nicht zu dem geworden, was sie heute letzten Endes sind. Und fürwahr waren die Thematiken schon damals ihrer Zeit um einiges voraus. Von der Entstehung, Entwicklung und Verbindung moderner Technologien mit humanoiden Emotionen, bis die Grenzen zur völligen Einheit von Mensch und Maschine immer mehr verschwimmen, irgendwann gar eine gleichgeschaltete Einheit bilden. Es sollte der geschichtsträchtige Soundtrack zu unserem Leben mit gar weitreichendem Blick in die Zukunft sein. Einer, der bis zum heutigen Tage nichts von seiner Aktualität verloren hat. Die weitestgehend geheim gehaltenen Wurzeln im prägenden Kraut-Rock, entwickelte sich ab 1974 mit dem Epos "Autobahn" der danach stringent anvisierte Weg, welcher nur ein Jahr später mit "Radio-Aktivität" fortgesetzt wurde. Es folgten "Trans-Europa-Express", das umjubelte "Mensch-Maschine" und "Computerwelt", bis "Techno Pop", "The Mix" und zuletzt "Tour De France" das unerreichbare Erbe in der Neuzeit beschlossen. Es sollte das Lebensgefühl übergreifender Generationen werden, das anschließend mit "Minimum-Maximum" im Live-Format für die Nachwelt festgehalten wurde, bis anno 2009 der gesamte Schaffenszyklus eines beeindruckenden Lebenswerks als umfassende Retrospektive auf Tonträger gebannt erschien: "Der Katalog". Das Ende einer Ära? Vielleicht.
Ganze acht Jahre später, wartet die Welt noch immer vergeblich auf ein neues Album der rheinländischen Kult-Formation. Doch anstatt den fordernden Rufen der breiten Fangemeinde doch endlich nachzugeben, legt das illustre Quartett um Hütter Ende Mai mit einer weiteren Compilation in Ton und Bild nach. "3-D - Der Katalog" nennt sich die neuerliche Sammlung und erscheint in rein digitaler Form, als CD-Box, auf Doppel-DVD oder wahlweise auch Blu-ray. Zu hören und vor allem auch zu sehen, gibt es, wie der Titel bereits unschwer erahnen lässt, alle bisherigen Veröffentlichungen nach streng chronologischer Reihenfolge. Dazu wurden im Zeitraum von 2012 bis 2016 ausgewählte Auftritte in namhaften Locations, wie etwa dem Museum of Modern Art in New York, der Tate Modern in London oder auch der Neuen National Galerie Berlin aufwändig mitgeschnitten und zusammen mit den stimmigen, dreidimensionalen Visuals zu einem spektakulären Gesamtbild gefügt. Besonders auffällig ist dabei, dass sich die Aufnahmen ausnahmslos auf die die erwähnte Video-Show und die vier Protagonisten selbst konzentrieren. Echtes Konzert-Feeling kommt dabei ganz bewusst nicht auf, viel mehr liegt der Fokus auf dem stimmigen Zusammenspiel der akustischen und optischen Einflüsse, wodurch sich der Eindruck einer intimen Private-Session manifestiert. Der reine Audio-Genuss hingegen, wurde eigens von Fritz Hilpert abgemischt und hebt sich gegenüber den bereits erhältlichen Versionen durch seine Nähe zu den aktuell gespielten Live-Fassungen ab, was unter anderem auch die nahtlose Verknüpfung aufeinanderfolgender Titel zur Folge hat. Dieser Art des alternativen Feintunings ist es unterm Strich dann auch zu verdanken, dass das Paket sowohl für Neulinge als auch Veteranen gleichermaßen attraktiv wird. Ein kluger Schachzug, die Brücke zwischen dem Damals und Heute galant zu schlagen und ebenjene Lücke zu schließen. Dass sich die heutige Musikwelt nahe immerzu im Wandel befindet, gilt für "Kraftwerk" schon lange nicht mehr, denn die nationale Ikone hat schon vor langer Zeit alle gängigen Regeln des Gewöhnlichen außer Gefecht gesetzt und existiert durch die Unsterblichkeit ihres Schaffens in einem ganz eigenen Universum.
Informationen:
http://www.kraftwerk.com/
https://de-de.facebook.com/hellokraftwerk/
Hocico - The Spell Of The Spider (2017)
Genre: Electro / Alternative
Release: 21.07.2017
Label: Out Of Line (rough trade)
Spielzeit: 158 Minuten
Fazit:
Wenn die sechsbeinige Spinne im fast einjährigen Rhythmus ruft, folgen ihre Anhänger hörig in Scharen! Es gibt nur wenige Bands, die eine musikalische Sparte dergleichen nachhaltig geprägt haben und auch heute noch von ebenso hoher Bedeutung für deren heutige Entwicklung sind. Eine davon ist das Duo aus Erk Aicrag und Racso Agroyam, welches sich 1993 in Mexiko formierte. Die beiden Cousins, die mit bürgerlichen Namen Erik Garcia und Oscar Mayorga heißen, agierten zu Gründungszeiten noch unter dem Namen "Hocico De Perro" und teilen bereits seit frühen Kindheitstagen kreative Erfahrungen und das gemeinsame Interesse für Musik. Alles fing mit einem einfachen "Yamaha"-Keyboard an und entfachte ein loderndes Feuer, das bis heute weltweit seine Spuren ziehen sollte. Der sozialkritische Aggrotech wird dabei zusätzlich mit Texten von Hass, Gewalt und religiöser Ablehnung untermauert und lenkte die ungeteilte Aufmerksamkeit dabei schon früh auf das, für die schwarze Szene bis dato eher unbeachtete, Mexiko. Durch diesen klugen Schachzug erhöhte man auch gleichsam die Aktivität und den Wachstum im eigenen Land, gilt als einflussreicher Mitbegründer und engagierter Förderer einer ganzen Subkultur. So wurde nicht nur ausschließlich ein fruchtbares Fundament geschaffen, sondern gleich eine neue Stilbewegung, denn das furiose Zweigespann war eine der ersten Kombos, welche die Spielart der dunklen Elektronik maßgeblich verändert und deren Grenzen durchbrochen haben. Harsche Beats, mächtiger Bass, unbändige Wut, aggressive Shoutings und vernichtende Thematiken sind seit jeher die brodelnde Rezeptur für den Erfolg. Ein Faustschlag in die Magengrube der heilen Pop-Musik und der damals teils melancholisch gearteten Gothic-Szene. Eine wegweisende Richtung, die bis heute genauso viele Trittbrettfahrer inspirieren, wie Anhänger finden sollte. Ein Blick zurück im Zorn...
Mit "The Spell Of The Spider" versammeln "Hocico" nun endlich alle absoluten Höhepunkte, bisherigen Single-Auskopplungen, Club-Hits, aber auch eigenen Favoriten und sogar seltene Raritäten nach zwanzig Jahren des Schaffens und persönlicher Auswahl um sich. Frisch überarbeitet und neu gemastert, werden so auch ältere Perlen, von denen es hier wirklich einige zu hören gibt, auf den aktuellen Stand von 2017 gebracht. Der peitschende Reigen beginnt auf CD 1 des umfassenden Doppel-Albums mit "Scars" und "Bloodshed", bevor es danach mit "Forgotten Tears", "Poltergeist" und dem giftigen Industrial-Kracher "Tiempos De Furia" Schlag auf Schlag und ohne Pause weitergeht. Aber auch das unverzichtbare "Untold Blasphemies", der temporeiche Dancefloor-Filler "Bite Me!", "Dead Trust" und "Bienvenido A La Maldad" dürfen auf dem Silberling keinesfalls nicht fehlen. Die zweite CD gönnt dem Hörer ebenfalls keinerlei Ruhe und prescht mit zahlreichen Everblacks aus dem gesamten Fundus unermüdlich weiter voran. Ganz egal ob "La Gloria Del Odio", "Possessed", "Without A God", "Tales From The Third World" oder auch "Thy Kingdom Come" und das abschließende "What Is Your Name?" sind mit von der Partie. Wer etwas tiefer in die Tasche greifen möchte und sich unterdessen ein Exemplar der stets streng limitierten und heiß begehrten Fan-Boxen sichern konnte, wird einmal mehr reichlich für die Treue entlohnt. Exklusiv in dieser ist nämlich eine dritte Disc zu finden, die unter anderem auch bisher unveröffentlichte Stücke und Seltenes bereithält. Darunter beispielsweise "I Abomination", "Conjuro", "The Secret Window" und "Derramando Lagrimas Negras". Es ist ein umfangreicher und dabei noch sehr gelungener Querschnitt durch alle erhältlichen und teilweise lange vergriffenen vierzehn Studioalben, dreizehn Singles und EPs, sowie insgesamt vier Compilations. Die ultimative Zusammenstellung für alle Hocicones und insbesondere auch jene, die dem Ruf der Spinne künftig noch nachfolgen wollen. Empfehlung!
Informationen:
http://www.hocico.com/
https://www.facebook.com/hocicoofficial
Suicide Commando - Forest Of The Impaled (2017)
Genre: Electro / Alternative
Release: 27.07.2017
Label: Out Of Line (rough trade)
Spielzeit: 53 Minuten
Fazit:
Diesen Juli ist es endlich soweit: Das Selbstmordkommando ist zurück! Einst 1986 in Belgien gegründet, bewegt sich das ambitionierte Hard Electro-Projekt um Mastermind Johan von Roy seit nunmehr dreißig Jahren in absoluter Pionier-Position durch die bezeichnenden Genres des Industrial und Aggrotech. Schwarze Alltime-Favorites wie "God Is In The Rain", "Hellraiser" oder "Face Of Death" wummern seit ihrem Bestehen beständig durch die nationalen und internationalen Szene-Clubs - Kein Ende in Sicht. Nach dem letzten Studioalbum "When Evil Speaks" von 2013, sowie einigen gesundheitsbedingten Absagen und Verschiebungen geplanter Headliner- und Festivalshows, ist es dieser Tage endlich soweit und das lange Warten der treuen Fangemeinde wird reichlich belohnt. "Forest Of The Impaled" nennt sich das neue Werk und wird am 21.07.2017 über Label-Flaggschiff Out Of Line vertrieben. Bist du mutig genug, dich deinen Ängsten in den Weg zu stellen? Es beginnt.
Mit "The Gates Of Oblivion" werden auch sogleich die schweren Tore zu einem psychedelischen, ja fast horroresken Albtraum aufgestoßen, aus dem es in den darauffolgenden Minuten kein Entkommen mehr geben soll. Zunächst erfüllen exotisch angehauchte Klänge die beunruhigend verdächtige Stille. Ein mystisches Glockenspiel, sakrale Gesänge und ein deplatziert wirkender Kinderchor, schaffen eine gespenstische Atmosphäre. Spannung breitet sich langsam aus und lässt ihr sonderbar intensive Ungewissheit dicht folgen. Das grausame Unheil könnte jetzt in nahezu jedem Winkel wohnen, hinter jeder Ecke gierig auf den Hörer lauern, um dann unversehens erbarmungslos zuzuschlagen. Wenig später festigt sich das subversives Gemisch zu einem düsteren Monster, erwacht in mittlerem Tempo zum Leben und wird dann immer schneller. Die stark verzerrte Stimme van Roys kommt hier besonders zur Geltung und trägt den eindrucksvollen Opener mit. Bereits hier wird ersichtlich, dass das Ein-Mann-Projekt aus einem reichhaltigen Pool an Ideen, Samples, Melodien und ureigenen, obligatorischen Kernelementen zu schöpfen weiß. So auch bei "My New Christ", welches sich brachialer Beats und viel Bass bedient. Drückend geht dieser Song in äußerst tanzbarer EBM-Reinform direkt geradeaus. "Too Far Gone" ist dann wieder deutlich ungewöhnlicher, spielt mit seinen mannigfaltigen Facetten. Das abstrakte Muster, das sich durch den experimentellen Sound hindurch ergibt, wirkt zunächst bewusst verwirrend und lässt in einem scheinbar unkoordinierten Konzentrat aus Chaos zurück. Mehrmaliges Hören sei hier dringend empfohlen. Ganz anders hingegen "Death Lies Waiting", welches futuristisch und modern daherkommt und mit seiner technoiden Mixtur direkt aus einer anderen Welt zu kommen scheint... Zumindest bis der altbekannte Sound danach unerbittlich aufräumt. Zusätzlich überraschende Finessen, wie etwa die unterstützende Hinzunahme einer Trompete, brechen das ansonsten eher minimalistisch gehaltene Konzept auf. "The Pain That You Like (feat. Jean Luc De Meyer)" war bereits zuvor als EP erhältlich und dürfte somit schon dem ein oder anderen Anhänger geläufig sein. Hier geht es wieder schnell und knüppelhart zur Sache! Der Gesang kommt gänzlich ohne Nachbearbeitung oder Effekte aus, was das kühle Duett mit dem "Front 242"-Kopf homogen macht. Ein energetischer Club-Hit! "Poison Tree" ertönt wieder eher geradlinig und straight, während sich "The Devil" vielschichtiger zeigt. Eine Spieluhr verheißt die Ankunft des Höllenfürsten, welcher entgegen der Erwartungen, die eventuell aufgrund der Betitelung bestehen, komplett in deutscher Sprache besungen wird. Etwas schleppend entfaltet sich über die Spielzeit eine volle Synthie-Wand und verlässt die Grenzen des abgesteckten Genres. "Chasm Of Emptiness" und "Crack Up" bestechen dann wieder durch dicken Bass und klare Strukturen. Lupenreiner Dark Electro mit platzierten Kontrasten ist an der Tagesordnung. Im verspielten "Schiz(o)topia" finden sich dann hingegen sogar stimmungsvolle Streicher-Arrangements. Härte, Bass und Schnelligkeit werden zurückgefahren, es geht eher atmosphärisch zu, wobei einige Samples ihren Anteil beitragen. Das Stimmengewirr spaltet immer weiter und lässt den Hörer langsam in die Spirale des Wahnsinns abdriften. Beim abschließenden "We Are Transitory" breitet sich der zunächst nur angedeutete, orchestrale Bombast erst in vollkommener Gänze aus. Die organische Komponente wird von einer maschinellen Stimmfarbe konterkariert. Dann endet es. "Forest Of The Impaled" zeigt das ganze Spektrum aus rund dreißig Jahren Bestehen auf, "Suicide Commando" ist dunkler und vielseitiger denn je. Anders als zuvor, gibt es dieses Mal nicht ausschließlich länger nur hartes Clubbing für die Tanzflächen. Nein, die Eckpfeiler des Projekts bleiben bestehen, doch werden zusätzlich durch filigran eingewobene Elemente und Sound-Spielereien ergänzt. Dadurch bleibt man interessant und gleichzeitig abwechslungsreich, es gibt immer etwas Neues zu entdecken. So verwundert es nicht, dass Johan van Roy mit seiner Musik bisher als wegweisend für die Szene-Nachwelt galt. Er bleibt klar erkennbar bei den beliebten Wurzeln, klammert sich aber nicht an diesen fest. Ohne Rücksicht auf Verluste erweitert der Belgier sein standardisiertes Repertoire und ruht sich nach auf Glanztaten der Vergangenheit aus. Viel mehr gestaltet sich das hintergründig konzeptionell angelegte Werk als Reise in die düstere Psyche und die Tiefen menschlicher Abgründe. Das Ergebnis ist eine donnernde Urgewalt aus Beats, Bass und aggressiven Shouts, aber auch ruhigeren, intimen und vor allem beängstigenden Momenten. Ein durch und durch komplexes Werk, bei welchem es doch sehr lohnt, Mut und Zeit aufzubringen, sich genügend Zugang zu verschaffen.
Informationen:
http://www.suicidecommando.be/
https://de-de.facebook.com/IIXIII