In Extremo - "Uferlos"-Tour - MS RheinEnergie, Köln - 16 + 17.12.2016
Veranstaltungsort:
Stadt: Köln, Deutschland
Location: MS RheinEnergie
Kapazität: ca. 1.000
Stehplätze: Ja
Sitzplätze: Ja
Homepage: http://www.amphi-festival.de
Einleitung:
Es scheint grundsätzlich vollkommen unbedeutend zu sein, in welchem Quartal, an welchem Wochentag und zu welcher Uhrzeit ich meine zugegeben recht zahlreichen Reisen in die rheinische Metropole plane, denn überfüllt ist es kurz vor Ankunft des Zuges am Gleis in Bochum immer und meine jahrelange Pendler-Erfahrung verrät mir bereits zu diesem Zeitpunkt, dass es innerhalb der Abteile nicht viel besser aussieht. Ich soll recht behalten und genieße nur wenig später das fragwürdige Vergnügen, mich mit meinem Gepäck durch die durchweg besetzten Reihen zu wuseln. Die Augen abwechselnd nach links und rechts gerichtet, um vielleicht doch noch einen freien Fleck zu erhaschen. Tatsächlich erwische ich einen solchen, jedoch nicht, ohne mein Gesuch zuvor in eine ungewollte Erkundungstour ausgeweitet zu haben. Nahezu jedes einzelne Abteil einmal von innen gesehen, finde ich im letzten Wagon schließlich mein fragwürdiges Glück, in Form eines unbemannten Klappsitzes genau neben der örtlichen Toilette. Wobei es damit jedoch leider noch lange nicht getan ist, da diese einerseits in nur allzu regelmäßigen Abständen von den zahlreichen Reisenden aufgesucht wird und andererseits der Schließmechanismus ebendieser auch noch zu allem Überfluss defekt zu sein scheint. Hat ein Fahrgast also sein Geschäft verrichtet, steht danach die Tür derart sperrangelweit offen, dass im Anschluss daran alle Augenpaare erwartungsvoll in meine Richtung wandern, als wollten sie mir unauffällig zu verstehen geben: „Tür zu, es zieht!“. Die ersten Haltestellen lasse ich mir dieses Spiel noch gefallen und stehe langsam und mit wackeligen Beinen bei voller Fahrt auf, meine Mission zu erfüllen. Immerhin hat ein kleiner Fahrgast seine helle Freude an dem dysfunktionalen System und lässt dies die übrigen Mitfahrenden lautstark wissen, was seiner Mutter während der gut einstündigen Fahrt offensichtlich den letzten Nerv raubt. Kurz vor meinem Ziel fällt dann auch endlich einem der Kontrolleure, der den Gang die vergangene Fahrt bereits geschätzte zwanzig Mal patrouillierte, der vorherrschende Zustand mit den verwunderten Worten "Ach, was ist denn mit der Tür los?" auf. Zumindest das ist jetzt nicht mehr mein Problem, denn mir stellt sich eine gänzlich neue Herausforderung.
Als wir tatsächlich planmäßig am Hauptbahnhof in Köln eintreffen, ist es genau 16.15 Uhr. Genau eine Viertelstunde später habe ich meinen Interviewtermin, doch dazu muss erst einmal das Chaos in der großen Eingangshalle und der Stadt selbst geschickt umgangen werden. Leichter gesagt, als getan. Hunderte Leute strömen mir mit ihren Koffern, Taschen und Tüten entgegen oder haarscharf an mir vorbei, Hektik pur! Meine geplante Abkürzung muss kurzerhand der standardisierten Strecke weichen, da der große Platz um den Dom herum von zahlreichen Glühwein- und Imbissständen gesäumt wird. Wer hätte auch schon damit rechnen können, dass mitten im tiefsten Dezember und in einer von Deutschlands pulsierendsten Großstädten, die Wahrscheinlichkeit auf einen Weihnachtsmarkt besteht? Selbst schuld. Um jeden möglichen Anflug von Verzögerung zu vermeiden, haste ich über zahlreiche Straßenzüge und gelange schließlich mit einer persönlichen Bestzeit von unter fünf Minuten am Rheinufer an. In nicht allzu weiter Ferne kann ich das große Event-Schiff schon umrisshaft erspähen und nachdem ich unter der berühmten Hohenzollernbrücke hindurch gesprintet bin, stehe ich auch wenig später schon am geschlossenen Kassenhaus der Frankenwerft. Hier hat sich schon eine beachtliche Anzahl an Fans eingefunden und anständig in eine Schlange gereiht, um möglichst früh an Bord zu kommen. Noch beeindruckender als das wetterunabhängige Durchhaltevermögen der Anhänger, ist die MS RheinEnergie selbst. Das Oberdeck ist mit zahlreichen, im Wind wehenden Fahnen verziert, auf denen in wechselnder Manier sowohl das markante Schmierkreuz-Logo, als auch das Album-Cover von „Quid Pro Quo“ zu erkennen ist. Um ein vielfaches beeindruckender sind jedoch die mächtigen Backdrops der Hallentournee, welche hier ebenfalls ihre Verwendung gefunden haben und die mächtige Front des Ausflugsdampfers zieren. Was für ein Bild! Ich hole mein Handy hervor, wähle die Nummer der zuständigen PR-Agentur und warte einen Augenblick. Wenig später meldet sich meine Ansprechpartnerin am anderen Ende der Leitung und ich erfahre, dass sie selbst ebenfalls noch auf dem Weg ist. Dafür übersendet sie mir kurzerhand die Kontaktdaten des Tourmanagers, den ich direkt danach anrufe. Er erklärt mir freundlich, dass gerade in diesem Moment noch der finale Soundcheck stattfindet. Wir verabreden uns auf unbestimmte Zeit nach dem Einlass und so tue ich, wie mir geheißen und stelle mich an den rechten Rand des Absperrgitters und erläutere einem der Sicherheitskräfte meine Situation. Alles klappt und so gehe ich danach die breite Rampe Richtung Eingang hinunter und melde mich an einem kleinen Stehtisch für die Gästeliste. Nachdem ich mein Bändchen erhalten habe und die Tasche kontrolliert wurde, ist es geschafft und ich bin drin. Zeit also für eine kleine Erkundungstour, immerhin ist mein letzter Aufenthalt hier schon gut zwei Jahre her, damals noch zur berühmten Amphi-Pre-Party „Call The Ship To Port“. Wirklich viel verändert hat sich in dieser Zeit und das ist weder schlimm, noch notwendig. Das gepflegte Innere der MS RheinEnergie lädt durch sein stimmiges Ambiente nach wie vor zu einem längeren Aufenthalt ein und besticht insbesondere durch das zuvorkommende, stets hilfsbereite Service-Personal. Hier fühlt sich jeder gleich herzlich Willkommen. Die örtliche Ausstattung steht gängigen Lokalitäten ins nichts nach und bietet neben einer Garderobe, ausreichend Sanitäranlagen, zahlreichen Sitzgelegenheiten und einem Info-Point, auch eine Cocktailbar und einige Verköstigungsmöglichkeiten, unter anderem in Form von frischen Salaten, Nudeln oder Currywurst.
Was mir bei meiner Ankunft in der Domstadt durch all die Hektik entfallen ist, präsentiert sich mir mit der nötigen Ruhe nun umso deutlicher: Jeder Meter ist dem Anlass entsprechend festlich geschmückt. Große Sterne und Weihnachtskugeln hängen geschmackvoll angeordnet von der Decke herab, während helle Lichterketten an den Wänden eine wohlig-warme Atmosphäre erzeugen. Kitschfrei und effektiv. Unverhofft kommt eben so manches Mal doch oft und somit gelingt es der örtlichen Crew irgendwie doch noch, meinem persönlichen Dezember das gewisse Quäntchen Weihnachtsstimmung einzuhauchen. Kompliment dafür! Doch meine Eindrücke sollen jäh erschüttert werden, als ich ein lautes "Wo geht's 'n hier zu den Fanartikeln?" vernehme. Mitten im Eingangsbereich steht ein groß gewachsener Mann, bekleidet mit einer kurzen Hose und einem roten, glitzernden Cowboyhut auf dem Kopf. Ich muss schon zwei Mal hinsehen und frage mich, ob er nicht versehentlich hier gelandet ist und eigentlich im Inbegriff war, den nächsten Flieger nach Mallorca zu nehmen. Ein wiederholtes, aber nicht weniger schroffes "Wo is 'n der Merch?!", reißt mich aus meiner Überlegung. Ein Mitarbeiter verweist auf die zweite Ebene und schon ist er verschwunden. Der Befragte und ich blicken uns einen Moment lang mit einer Mischung aus Belustigung und Entsetzen fraglos an, dann zucken wir reflexartig mit den Schultern. Fast hätte ich im selben Augenblick nämlich vergessen, wo denn der Merchandising-Stand nun seine Zelte aufgeschlagen hat und so steige ich die Treppen eine Etage höher empor. Tatsächlich auf der linken Seite findet sich fast alles, was das Fan-Herz begehrt, selbst zwei verschiedene T-Shirts zu den beiden "Uferlos"-Events und einen großen Leinwanddruck mit dem Abbild von "Dr. Pymonte", gibt es hier neben weiteren aktuellen Artikeln zu erstehen. "Betreten auf eigene Gefahr!", ist auf einigen Schildern zu lesen, möchte man auf eine Zigarette hinaus an die frische Seeluft treten. Durchaus verständlich, könnte es bei den vorherrschenden Temperaturen doch durchaus glatt sein.
Ich lasse ein wenig Zeit verstreichen und wähle dann ein weiteres Mal die Nummer des Tourmanagers. Kurz darauf habe ich ihn auch schon in der Leitung: "Wir sind soweit! Wo bist du denn?", fragt er mich freundlich. Gute Frage... Wo bin ich denn? Nervös blicke ich umher versuche, einen markanten Treffpunkt auszumachen. Da kommt mir der Mann mit dem roten Cowboyhut wieder in den Sinn. "Ich stehe, von der Bühne aus gesehen, auf der rechten Seite. Also quasi gegenüber vom Merchandise.", antworte ich. Suchend schaue ich mich um und plötzlich sehe ich nur wenige Meter entfernt eine ebenfalls telefonierende Person, die genau in diesem Augenblick zu mir herüber späht und signalisierend winkt. Geschafft! Wir gehen aufeinander zu und begrüßen uns, danach werde ich in den hinteren Bereich des Schiffs gebracht, in welchem mit ein paar Trennwänden auch ein provisorischer Backstage errichtet worden ist. "Ist das so in Ordnung? Du kannst dir dann ruhig schon mal einen Platz aussuchen und ich hole die Jungs. Micha hat übrigens schon fest zugesagt. Ich schaue mal, wen ich noch so erwische!", verabschiedet er sich und verschwindet wieder, nicht aber ohne mir zuvor noch einige Wertmarken für Garderobe und Getränke dazulassen. Toll! Ich freue und bedanke mich, dann hole ich das Diktiergerät aus meiner Tasche hervor. Gerade als ich es auf den Tisch lege, trifft auch schon mein erster Interview-Partner ein: Bassist Kay Lutter. Ich stehe vom bequemen Leder der gemütlichen Sitzecke auf und wir geben uns zur Begrüßung die Hand. "Ach, wir kennen uns doch!", höre ich hinter eine weitere Stimme zu meiner Linken. Es ist Frontmann Michael Rhein. "Stimmt!", entgegne ich erfreut darüber, dass sich der sympathische Sänger offenbar noch an unser Interview erinnert, welches Mitte diesen Jahres und somit pünktlich zur Veröffentlichung von "Quid Pro Quo" in der Bochumer Zeche stattfand. Wir unterhalten uns ein wenig, kurze Zeit später drücke ich den Knopf des Diktiergeräts. Wie auch schon das vorherige Interview vor sechs Monaten, verläuft auch dieses äußerst freundlich entspannt und ohne Zwischenfälle. Fast. Mitten im Gespräch gibt es ein lautes Geräusch und die MS RheinEnergie Beginn zu schaukeln. Haben wir abgelegt? Sind wir auf Kiel gelaufen oder gehen gar unter? Das zum Glück nicht, doch sind wir tatsächlich von einem vorbeifahrenden Schiff erfasst und beiseite gedrängt worden. Für einen kurzen Moment herrscht vorsichtige Stille an Bord. Micha ist der Erste, der die Sprache wiederfindet: "Hat der den jetzt echt gerammt? Der hat den doch voll mitgenommen!", ruft er und blickt ungläubig durch das große Fenster. Davon ab geht alles seines Weges und nach einem gemeinsamen Abschlussfoto verabschieden wir uns schließlich. Immer wieder eine große Freude, die glorreichen Spielmänner nach dem neuesten Stand befragen zu dürfen! Über was genau wir uns alles unterhalten haben, mit welchen Gedanken die beiden Musiker auf das nun langsam ausklingende Jahr zurückblicken und welche Überraschungen für die Zukunft geplant sind, könnt ihr natürlich an dieser Stelle nachlesen. Um 19.00 Uhr legen wir ab und die große Fahrt auf dem Rhein kann endlich beginnen. Ich vertreibe mir die restliche Stunde bis zum offiziellen Startschuss mit einem kleinen Snack und damit, mir das abendliche Köln anzusehen, welches am Ufer langsam an mir vorbeizieht.
Pampatut:
Pünktlich zur kommunizierten Zeit ist es dann auch soweit und "Pampatut" betreten gegen 20.00 Uhr die kleine Bühne. Bei wem der klangvolle Name des kultigen Duos bis dahin noch keine Erinnerung wach gerufen hat, dürfte schon nach einem kurzen Blick auf das Geschehen ebendiese wieder als aufgefrischt betrachten können, müssten Holger Hoffmann und Max von Gluchowe dem ein oder anderen Gast bereits als Moderatoren-Team des "20 Wahre Jahre"-Festivals ein Begriff sein. Lediglich mit Laute und Drehleier ausgestattet, beweisen die beiden bunt Gewandeten, dass sie immer noch kein Stück von ihrem eigenwilligen Humor eingebüßt haben. Die jeweiligen Strophen und Refrains der gewitzten Kompositionen sind gleichermaßen kurz und einprägsam, werden aber immer wieder vom inszenierten Disput der beiden komplett unterschiedlichen Charaktere unterbrochen. Überhaupt stehen die komödiantischen Einlagen mit ihren Anekdoten und Sprüchen deutlich im Vordergrund, die Musik agiert viel eher als unterstützendes Zwischenspiel. Mit dieser ungewöhnlichen Konzipierung und einer spontanen, ungemeinen Schlaffertigkeit im Hinblick auf Publikumszurufe, gewinnen "Pampatut" die Aufmerksamkeit der Anwesenden und wissen, in ihren Bann zu ziehen. Stimmungsvolle Songs und reichliche Interaktion, wie etwa beim Ohrwurm "Feuerwasser", runden die Dreiviertelstunde perfekt ab und lassen diese wie im Fluge vergehen. Ein toller Anheizer, der mindestens genauso besonders ist, wie das folgende Set von "In Extremo" selbst. Doch wie sagen die beiden Herren selbst? "Pampatut tut gut!". Word!
In Extremo:
Es ist genau 21.15 Uhr, als das helle Licht auf dem Veranstaltungsdeck langsam abgeschwächt wird. Die übliche Dunkelheit geschlossener Konzertsäle wird aber nicht erreicht, ist der gesamte Raum doch in das warme Licht der zahlreichen Lichterketten gehüllt, welche unter anderem Teil der festlichen Weihnachtsdekoration an Bord sind. Überhaupt ist am heutigen Abend einiges ganz anders als sonst. Künstler und Fan sind etwa nicht durch einen wuchtigen Wellenbrecher meterweit voneinander getrennt, sondern stehen sich beinahe Auge in Auge direkt gegenüber. Hinzu kommt, dass das Kontingent der verfügbaren Tickets für die beiden Shows extrem limitiert war, wodurch räumliche Engpässe oder gar Drängeleien im Innenraum und der darüber liegenden Gala bereits im Vorfeld ausgeschlossen wurden. Es ist und bleibt also familiär. Auch die Band selbst versucht nicht, mit diesem eher unkonventionellen Rahmen zu brechen und hat exklusiv dafür ein spannendes Konzept reaktiviert, das es in dieser Form zuvor nur in wenigen Städten unter dem Banner der "Tranquilo"-Shows, sowie 2015 anlässlich des Jubiläums auf dem Fahrwasser der Loreley zu erleben gab. Passend zur vorweihnachtlichen Zeit und den kühlen Außentemperaturen haben die sieben Spielmänner nach ihren ausgedehnten Headliner-Tour Strom-Gitarren und Pyrotechnik beiseite gelassen, um den Angereisten die mittlerweile vielerorts spürbare Besinnlichkeit und Harmonie ein Stück näher zu bringen. Dazu wurden sowohl einige alte Bekannte, als auch viele neue Songs aufwändig umarrangiert und in ein rein akustisches Gewand gekleidet. Diesem besonderen Anlass angemessen gekleidet, betreten nun nacheinander und in einer Kombination aus feinem Zwirn und legerem Freizeit-Dress gekleidet Marco "Flex der Biegsame" Zorzytzky, Boris "Yellow Pfeiffer" Pfeiffer, André "Dr. Pymonte" Strugala und Frontmann Michael „Das letzte Einhorn" Rhein die in warme Farbtöne getauchte Bühne. "Schönen guten Abend! Wir wünschen euch ganz viel Spaß. Hier kommt passend zur Jahreszeit ein kleines Stück, das wir noch nie live gespielt haben.“. Bei der angekündigten Premiere handelt es sich um "Herr Winter Stammt Vom Kaukasus", einem Beitrag für die 2013 veröffentliche Kinderlieder-Compilation "Giraffenaffen 2". Ein trefflicher Schachzug, durch welchen sich direkt ein atmosphärischer Schleier über die MS RheinEnergie legt, welche sich zum diesem Zeitpunkt ihren Weg über die rheinländischen Gewässer sucht. "Eigentlich haben wir für dieses Jahr schon genug live gespielt, aber hiermit wollten wir einfach nochmal Dankeschön sagen. Wir freuen uns, genau zehn Minuten für euch zu spielen!", begrüßt der Sänger das Publikum gewohnt scherzhaft. Um die getätigte Aussage und das damit einhergehende Zusammengehörigkeitsgefühl dieser Veranstaltung zusätzlich zu unterstreichen, geht man zur Fan-Hymne "Nur Ihr Allein" über, bei der auch die übrigen Mitglieder Bassist Kay "Die Lutter" Lutter, Gitarrist Sebastian "Van Lange" Lange und Schlagzeuger Florian "Specki T.D." Speckardt die Bretter entern, unverzüglich Position an ihren Instrumenten beziehen und das Quartett somit komplettieren. Diese sind es auch, die bei der folgenden Titel-Auswahl den treibenden Charakter der einzelnen Stücke stärken und mit ihrem pointiertem Einsatz exakt dafür sorgen, dass der heutige Abend in seinem Verlauf nicht allzu andächtig wird.
Den Beweis tritt man mit "In Diesem Licht" vom Erfolgsalbum "Sängerkrieg" an, zu dessen ersten Takten sich Rhein behände seines Sakkos entledigt, worunter ein himmelblaues Hawaiihemd zum Vorschein kommt. "Waren "Pampatut" cool oder wären die arschcool?", fragt er das amüsierte Publikum, welches diese selbstverständlich johlend bejaht. "Diese Gruppe begleitet uns schon seit fast zwanzig Jahren und sind über diese Zeit hindurch echte Freunde von uns geworden. Danke dafür!", knüpft er weiter an. Überhaupt scheint es den glorreichen Sieben in diesem, für sie überaus erfolgreichen Jahr ganz besonders wichtig zu sein, sich bei allen Wegbegleitern auf, hinter und vor der Bühne immer wieder erkenntlich zu zeigen, woraus die Spielmänner auch zu keiner Zeit Hehl machen. Anders als bei den auswendig gelernt anmutenden Interaktionen anderer Künstler jedoch, fällt es hier wohl keinem der Anwesenden schwer, den sympathischen Authentizitätsträgern Glauben zu schenken. Mindestens ebenso ehrlich, echt und ungeschönt kommt dann auch der Stimmungsgarant "Viva La Vida" daher, der von der ersten Strophe an frenetisch gefeiert wird. "Kann man sich hier vielleicht auch ein Hefeweizen an der Theke bestellen?", erkundigt sich Rhein danach interessiert. Kaum sind seine Worte ausgesprochen, sprintet auch schon ein Gast aus dem Innenraum hin zur Bar, um den gewünschten Tropfen zu ordern. Mit dem verträumten "Moonshiner" stimmt man im Anschluss wieder etwas sanftere Töne an, zu denen sich die auf dem Backdrop befindliche Szenerie einer alten Schnapsbrennerei in einen glänzenden Sternenhimmel aus Licht verwandelt. Mit den intuitiven Zeilen "Oh Kölle, oh Kölle. Du bist immer noch wach.", beschließen "In Extremo" die einfühlsame Ballade und ernten dafür lauten Beifall. "Vielen Dank, das macht echt Spaß. Das ist ein kleines Geschenk für uns, danach sind wir erstmal eine Weile vom Erdboden verschwunden.". Das daraufhin aufkommende Murren ist keinem der Besucher zu verdenken, doch ist für heute an Abschied noch lange nicht zu denken. So unterzieht man sich gemeinsam der groovigen "Feuertaufe", die selbst im Unplugged-Gewand noch ordentlich nach vorne geht und legt danach die "Lebensbeichte" auf Country-Art ab. Spätestens an dieser Stelle gebührt der Band ein ehrliches Lob für die erfrischend abwechslungsreiche Setlist, auf der sich aktuelle und altbewährte Hits, an rare Klassiker und selten Gespieltes reihen. "Prost Köln, auf eine schöne Weihnacht!", lächelt „Das letzte Einhorn" und genehmigt sich einen Schluck Weizen. Temperamentvoll wird es dann mit rhythmischen Klatsch- und Kastagnetten-Einlagen. Das spanische "En Esta Noche" hat über die vergangenen Jahre fürwahr nichts von seiner Wirkung eingebüßt. "Das sind echt unbequeme Stühle hier, das muss ich echt mal sagen. Das nächste Mal nehme ich mir einen Sessel mit. Sind eigentlich alle hier aus Köln oder ist zufällig auch jemand aus Düren?", witzelt der Frontmann. Und tatsächlich bekennt sich am linken Bühnenrand eine junge Frau zu ihrer Stadt. Ein Running Gag, der sich noch die gesamte Spielzeit über fortsetzen soll.
Das sakrale "Ave Maria" und der Publikumsliebling "Frei Zu Sein" treiben, so gegensätzlich sie im direkten Vergleich zueinander auch sein mögen, die ohnehin ausgelassene Stimmung weiter in die Höhe und sorgen für die ersten Tänze zu den Seiten des kleinen Innenraums. Einer der Gäste treibt es gar zu übermütig und hält es seit Showbeginn anscheinend für seine Pflicht, in regelmäßigen Abständen zwischen den Songs herumzubrüllen. Es ist der Mann mit dem roten Cowboyhut, der bereits kurz nach Einlass ein ums andere Mal unangenehm auffiel. Absolut unangemessen, findet auch Michael Rhein: "Kannst du das vielleicht mal lassen?". Als sich selbst nach dieser kurzen Ansage keinerlei Besserung einstellt und gleich nochmal mit weiteren Zurufen provoziert wird, erwächst auch hinter dem Mikrofon die Einsicht, dass hier jedes mahnende Wort Zeitverschwendung ist. "Na, dann schrei halt rum und mach dich hier zum Vollpfosten!", schüttelt der Sänger den Kopf und erhält dafür deutlich hörbar die Zustimmung des übrigen Publikums. Doch von derlei Zwischenfällen will sich am heutigen Abend keiner so schnell die Laune verderben lassen. "Geht ihr eigentlich auf Weihnachtsmärkte? Dort kann man diese Leute nämlich noch manchmal sehen. Unterstützt sie und verbreitet diese Kultur.". Die Rede ist hier natürlich vom fahrenden Volk der "Gaukler". Es gibt wohl kaum ein anderes Stück des Albums "Kunstraub", das besser in dieses Set gepasst hätte und kein Spielmannskollektiv, das ein solches glaubhafter hätte intonieren können. Ganz großes Gefühlskino! "Fahren wir eigentlich noch? Alles klar. Wer von den Leuten die nicht aus Köln sind, bleibt denn über Nacht? Hier gibt es eine richtig gute Kneipe, da bin ich oft. Die heißt "Stiefel". Da gehe ich nachher noch mit Py hin, ich schwöre!". Wohl dem, der die offensichtlich-unoffensichtlich gekreuzten Finger hinter den Rücken der beiden Musiker bemerkt hat. Um das Erlebnis auf hoher See noch ein ganzes Stück greifbarer zu machen, gibt es mit der punkigen Freibeuter-Hommage "Störtebeker" noch einen neuen Titel zu hören, bevor man sich schließlich mit "Küss Mich" verabschiedet. "Wir spielen jetzt das letzte Stück, aber mal sehen, was in Köln noch so abgeht. Wollt ihr denn noch etwas hören oder wollt ihr lieber saufen? Na gut, ist ja auch erst das vorletzte Stück.", neckt Rhein die aufmerksamen Fans. "Hier ist ja auch immer Karneval, das hat kürzlich wieder angefangen. Da werde ich dann immer gezwungen mitzugehen, aber nach zwanzig Bier macht's schon Spaß. Wir haben dieses Mal keine Kosten und Mühen gescheut. Am Ausgang bekommt jeder von euch umsonst ein "Underberg", damit könnt ihr dann auf die schöne Zeit anstoßen.", verrät er und sorgt mit dieser Überraschung für glückliche Gesichter. Und welche Nummer könnte da besser passen, als der neue Party-Hit "Sternhagelvoll", zu dem sich nochmal alle Gäste dem sogenannten "Koma-Schunkeln" hingeben und auch nach Verklingen des finalen Tons, den spaßigen Refrain noch im Chor singen. Wie auch schon bei der kürzlich absolvierten Tour, ein toller Moment! "Der Song ist wirklich in einer absoluten Nacht- und Nebel-Aktion entstanden, den kriegen wir jetzt nie wieder von der Backe! Aber es macht nach wie vor Spaß, ihn zu spielen.". Folgerichtig schließt sich der Kreis sodann mit dem schwelgerischen "Aufs Leben", danach verlassen "In Extremo" erstmalig geschlossen die Bühne. Das kann die zahlreich angereiste Anhängerschaft natürlich keinesfalls so stehen lassen und fordert die Sieben mit lauten Rufen für eine Zugabe zurück an Deck.
Eine solche soll es dann nur wenige Minuten später auch geben, zu welcher Michael Rhein und Sebastian Lange vorerst lediglich zu zweit zurückkehren. "Rasend Herz" erklingt in einer komplett neu arrangierten, ungewohnt reduziert anmutenden Version und sorgt für durchweg gespannte Stille. Das markante Sackpfeifen-Solo bleibt aus und findet seinen Ersatz sowohl in A-capella-Gesängen, als auch in einer stimmigen Mundharmonika-Einlage. Für das hoffnungsspendende "Siehst Du Das Licht" ist die Band dann wieder vollständig, danach hat „Das letzte Einhorn" noch etwas zu sagen: "Nach den nächsten beiden Liedern entlassen wir euch. Danke für diesen geilen Abend und das Jahr! Wir gehen jetzt saufen und dann werden wir uns erstmal vier Monate nicht sehen. Anschließend kehren wir in alter Frische zurück, Danke Köln!". Ein besseres Abschlusswort hätte wohl niemand finden können und so feiert die Menge nochmal kräftig zu "Sieben Köche" ab und entlädt alle bis dato unverbrauchten Energiereserven. "Es gibt so ein Festival, das ist auch immer hier. Das heißt "Summerjam", kennt das zufällig jemand? Ich nehme mir da immer frei für. Manchmal klappt es, manchmal nicht. Hier ist unser letzter Song für heute.“, verkündet der Mastermind und schafft so den perfekten Übergang zum Titeltrack des aktuellen Albums "Quid Pro Quo", welcher in einem unverbrauchten Reggae-Gewand daherkommt. Jeder hat jetzt die Arme in der Luft und wippt im entspannten Takt mit absolutem Urlaubsfeeling mit, obwohl in den örtlichen Altstadtgassen frostige Kälte durch die Straßen weht. Nach über hundert Minuten findet das exklusive Set schließlich ein gelungenes Ende und die Spielmänner verabschieden sich ausgiebig von den applaudierenden Fans. Wenn schon ein Jahresabschluss, dann bitte so! Obwohl die MS RheinEnergie seit einer guten halben Stunde wieder an der Frankenwerft vor Anker liegt, denken nur die wenigsten daran, nach Hause zu gehen. Viele suchen ein weiteres Mal den Merchandising-Stand von Puk auf, der sich vor Bestellungen mal wieder kaum retten kann, genehmigen sich in geselliger Runde noch ein Kaltgetränk an den Theken oder blicken einfach vom Oberdeck aus auf die nächtliche Domstadt. Ich tue es ihnen gleich und stelle mich mit einem Kölsch an die breite Reling. Es war wirklich ein ereignisreiches Jahr, sowohl für Fans, als auch für die "In Extremo" selbst. Nach schier unvergesslichen Festivitäten auf der Loreley, kehrten die glorreichen Sieben Mitte diesen Jahres mit einem unüberhörbaren Donnerhall zurück in die Musikwelt und eroberten diese erneut für sich wie im Sturm. Zu recht, enthielt "Quid Pro Quo" doch all die beliebten Trademarks und verband diese mit aktuellen Thematiken und neuen Einflüssen. Zurück zu den eigenen Wurzeln und dabei doch ganz weit nach vorn, den Blick klar auf die Zukunft gerichtet. Ausverkaufte Club-Konzerte in Deutschland, Russland und die anschließende Headliner-Tour vermittelten endlich wieder genau die Art von Energie, Innovation und Spielfreude, die zu "Kunstraub"-Zeiten streckenweise verloren schien, für welche die Mannen seit jeher aber wie kaum ein anderer Genre-Vertreter stehen. Rockende Hymnen, große Melodien und viel Gefühl, auf der perfekt ausbalancierten Gradwanderung zwischen damals und heute. Dass die Vagabunden anno 2016 ihrem selbst auferlegten Credo treu bleiben und viel mehr zurückzugeben denn zu nehmen bereit sind, unterstreicht neben den zahlreich geäußerten Danksagungen vor allem das findige Gehör für Fan-Wünsche, jede Menge Herzblut und derart liebevoll organisierte Veranstaltungen, wie das "Uferlos"-Konzept dieser Tage. "In Extremo" sind zurück und sind dabei besser, als jemals zuvor! Davon zeugt auch und vor allem dieser Abend, wie ich für mich resümiere. Zufrieden gebe ich mein leeres Glas zurück und hole mir meinen Mantel an der Garderobe ab. Als ich hinaus an den Anleger trete, bemerke ich die als Weihnachtsmann verkleideten Mitarbeiter, denen noch immer daran gelegen ist, dass jeder Besucher sein eigenes "Underberg" erhält. Ich steige die steile Rampe zur Altstadt empor, lass alle Eindrücke nochmals auf mich wirken, blicke zurück und lächele schließlich zufrieden, während ich langsam das Rheinufer Richtung Hohenzollernbrücke entlanglaufe… 2016… Was für eine Zeit - Danke ihr Sieben!
Setlist:
01. Herr Winter Stammt Vom Kaukasus
02. Nur Ihr Allein
03. In Diesem Licht
04. Viva La Vida
05. Moonshiner
06. Feuertaufe
07. Lebensbeichte
08. En Esta Noche
09. Ave Maria
10. Frei Zu Sein
11. Gaukler
12. Störtebeker
13. Küss Mich
14. Sternhagelvoll
15. Aufs Leben
16. Rasend Herz
17. Siehst Du Das Licht
18. Sieben Köche
19. Quid Pro Quo