Joachim Witt - Thron (2016)
Genre: Rock / Alternative
Release: 09.09.2016
Label: Ventil Records (Soulfood)
Spielzeit: 47 Minuten
Pressetext:
Joachim Witt hat sich im Laufe der Dekaden einen Ausnahmestatus unter Deutschlands Musikern erarbeitet. Er darf ungeniert Genres wechseln, Stile mischen und sich selbst immer wieder neu erfinden, ganz, wie ihm der Sinn steht seine Fans bleiben ihm treu. Weil sie wissen, dass sich hinter dem künstlerischen Wandel noch immer derselbe Mensch verbirgt. Ein Mensch, der - genau wie wir durch alle Stimmungslagen getrieben wird. Joachim Witt vermag es jedoch wie kein Zweiter, sie mit ungebremster Intensität zu vermitteln. Deshalb ist es auch bei seinem inzwischen 16. Studioalbum Thron gar nicht notwendig, sich erst umständlich auf die Musik einlassen zu müssen Witt packt einen mühelos dort, wo es weh- oder wohltut. Es ist, wie er sagt, zu weiten Teilen ein Album für die schwierige Zeit, in der wir leben. Kampfgeist und Beinahe-Resignation liegen auf Witts Thron dicht beieinander. Du wirst dich erholen vom Herbst , versichert er im Song Lebe dein Leben ; ein Satz, der in seinem Minimalismus die ganze Wahrheit des Prinzips Hoffnung umschreibt. Unterschwelliger Humor darf natürlich auf keiner Witt-Platte fehlen: Wenn Joachim zu zwingenden Mosh-Rhythmen Alle nicken singt, ist das als selbstironischer Verweis auf seine Bayreuth -Trilogie zu verstehen.
Auch wenn Joachim Witt sich mit den neuen Songs auf keine eindeutige Soundkategorie festlegen lässt, klingt Thron mit all seiner Intensivität und auch Intimität wie ein in sich fest geschlossenes Werk - mit vielen Facetten. Das gute, alte Melotron darf in mehreren Songs den Klangteppich auslegen; es gibt ausgiebige Gitarrensoli, auf die ein David Gilmour stolz wäre. In Tag für Tag greift Witt in den Strophen zu eher jazztypischen Harmonien (Stichwort maj7 ), um dann einen Powerchord-Refrain zu präsentieren, für den der nicht 1:1 übersetzbare Begriff epic am treffendsten ist. Hier trifft großes Können auf spielerische Freiheit. Zusammen mit Produzent und Mitautor Bassel Hallak hat Joachim Witt ein Album aus dem Boden gestampft, dass so stimmig und rund geworden ist, als habe er Jahre der Planung damit verbracht.
Kritik:
"Tag für Tag versuche ich den Grund zu sehen
Warum geht es nicht anders, ich kann mich nicht gewöhnen
Tag für Tag verschwindet Glück ins trübe Licht
Ich kann mich nicht gewöhnen und trotzdem lebe ich"
Was war das vor einigen Jahren noch für ein nervenaufreibender Medienrummel: Zahlreiche Beschwerden, Hasstiraden und sogar Morddrohungen, boten die Grundlage für einen Shitstorm der besonders aggressiven Art. Ganz gleich ob virtuelles News-Journal, soziales Medium oder Video-Plattform - nahezu jeder schien sich zu einem vorschnellen Urteil berufen. Der Auslöser: NDW-Koryphäe Joachim Witt und sein Musikvideo zum Song "Gloria", in welchem Soldaten mit nationalem Abzeichen schonungslos Gräueltaten begingen und so ein düsteres, doch nicht minder realistisches Szenario des Schreckens auf die heimischen Bildschirme projizierten. Das zugehörige Album "Dom" chartete dennoch erfolgreich und der ruhmreiche Siegeszug schien gerade erst begonnen zu haben. War der Hamburger bereits in der Vergangenheit immer wieder für die ein oder andere musikalische Kooperation zu haben, so hatte sich auch dieser Tage nichts an seiner Neugierde und Experimentierfreude geändert. Im Gegenteil, sie schien erneut erwacht zu sein. Mit "Kein Weg Zu Wei" folgte ein Duett mit Martin Engler, dem Frontmann der Gothic-Rock-Formation "Mono Inc.", inklusive anschließender Tour und vereinzelten Festival-Auftritten. Das Streitross war gesattelt, das Feuer des goldenen Reiters wieder entfacht. Nur ein Jahr später macht Witt sich ungewohnt elektronisch auf die Suche nach dem "Neumond" oder begab sich via "Pledge"-Kampagne in die Tiefen des eigenen "Ich". Sowohl das stimmige 2014er-Werk, als auch der experimentelle Selbstversuch erzielten groß Erfolge und ließen die treue Anhängerschaft nicht nur wieder auferstehen, sondern vergrößerten sie regelrecht auf ein Vielfaches. Diesem Umstand scheint es auch zu verdanken zu sein, dass der kreative Fluss des Grandseigneur deutschsprachiger Musik auch 2016 einfach nicht abebben will und so startete jüngst die nächste Unterstützer-Aktion. "Thron", so der majestätisch anmutende Titel der aktuellen Veröffentlichung, ließ im Vorfeld lediglich durch das zuvor live performte "Tag Für Tag" die eventuelle Gangart erahnen und doch sollte das angepeilte Budget schon bald erreicht sein. Der oftmals steinige Weg zur königlichen Erhabenheit war also geebnet und auch die Single "Lebe Dein Leben" verfehlte ihr Ziel nicht und schlug in der Community großteilig wie eine Bombe ein. Welch musikalische Gefilde der wandelbare Altmeister in seinem neuesten Album durchfährt, lest ihr jetzt.
Ein wabernder Teppich aus zurückhaltender, doch auffallend prägnanter Elektronik lässt kurzweilige Erinnerungen an die vorletzte Veröffentlichung erwachen, schon wenig später durchbricht jedoch ein taktgebender Drum-Rhythmus die bedrohlich wirkende Synthetik. Beschwörend legt Witt seine markante Stimme auf die Strophen und bettet diese in die mal mahnende, mal aufrüttelnde Message von "Einheit". Aufpeitschende, groß angelegte Choräle erheben sich in cineastischer Manier im epochalen Refrain, schaffen treffend eine fast schon apokalyptische Endzeitstimmung aus purer Angst und instrumentieren somit den aktuellen und nicht minder wichtigen Aufruf zu mehr Menschlichkeit, Zusammenhalt und Gemeinsamkeit. Ein eindrucksvoller Einstieg, wie er eingängiger und kraftvoller nicht sein könnte. Eine sanfte Klaviermelodie ist dann im Folgenden die Basis für "Geh Deinen Weg", welches in seiner Gesamtheit Power-Ballade und typische Witt-Nummer zugleich ist. Wie von den vorherigen Alben bereits gewohnt, übernimmt der sympathische Hanseat hier eine distanzierte, doch gleichzeitig auch umso nahbarere Perspektive ein und wird seiner Aufgabe als erfahrener Künstler und Mensch gerecht, den Empfänger in Zeiten der Schwäche zu stärken und diesem Mut zuzusprechen. Insbesondere der mitreißende, energetisch intonierte Refrain trägt zur klaren Aufbruchstimmung bei und befeuert zusätzlich zu Selbstreflexion, vor allem aber Durchhaltevermögen, Beständigkeit, Vertrauen und Glaube an das eigene Ich und Tun. Das rockig-orchestrale Arrangement aus lauten und leisen Tönen, verleiht den letzten Feinschliff. Der Sound im Hier und Jetzt, mit leichten „Dom“-Anleihen im Kern und doch immer unverkennbar noch der Alte geblieben: Wie Phönix aus der Asche! Das sich Witt auf „Thron“ auch Geschehnissen aus dem Hier und Jetzt annehmen würde, offenbarte er schon in den ersten Minuten seines 2016er Releases. „Rain From The Past“ bleibt dieser Ausrichtung sowohl thematisch, als auch inhaltlich treu. Behutsame Streicher tragen die resignierenden Zeilen durch die ersten Minuten, erst später fusioniert die symphonische Melange dann mit Schlagzeug, Bass und Gitarre. Anders als vielleicht vermutet, präsentiert sich hier lediglich der Hauptteil in englischen Lyrics, paart sich später mit Kinder-Chören. Dass die Menschheit dieser Tage scheinbar unaufhaltsam und blind auf die nächste Wand zusteuert und offensichtlich nichts aus der Vergangenheit gelernt hat, haben bisher nur die wenigsten erkannt. Dunkle Wolken bilden und verdichten sich mehr und mehr, der besungene „Regen der Vergangenheit“ droht unnachgiebig herbeizuströmen und jedwedes aufkeimen wollende Licht in sich zu ersticken. Die Uhren ticken, der Zeiger schreitet erbarmungslos voran… Wer hält ihn noch auf, wann erwachen wir? Die Entscheidung liegt nach wie vor bei uns. In ähnlichem Fahrwasser ist dann auch „Tag Für Tag“ vorzufinden, wenn auch stilistisch um einiges düsterer. Unter schwer schleppendem Takt, festigen sich trostlose Zukunftsvision und bittere Melancholie. In musikalischer Hinsicht gibt man sich wieder reduziert, die harte Saitenarbeit dominiert das vorherrschende Klangbild und hält temporär aufflammende Synth-Elemente an der kurzen Leine. Diese gibt man erst im Refrain wieder frei und entfacht so die wegweisenden Signallichter, für einen schwermütigen Nachtflug über die klaffenden Wunden dieser Gesellschaft.
Die Leichtigkeit im Sinn und den Optimismus vor Augen, auch wenn es nicht immer einfach ist. „So Oder So“ lässt sich der nächste Track wohl am treffendsten beschreiben, welcher von den relativ simplen, doch zugleich effektiven Akkorden einer Akustik-Gitarre unterlegt wird. Es hat ein bisschen etwas von glückseliger Einsamkeit und Fernfahrer-Feeling, wenn Witt im lockeren Jargon aus der Ich-Perspektive singt und fernab jeglichen Trubels Zeit für sich und klare Gedanken findet. Die Heimat über die Autobahn gerade erst verlassen und weiter nach vorn Richtung Ostsee. Persönlich, frei von Pathos, menschlich und irgendwie freundschaftlich gewährt Witt dem Hörer einen Einblick in sein Innerstes und seine Gefühlswelten. Überraschend positiv und abgeklärt scheint die Sichtweise des Musikers, die Fähigkeit auch nach schweren Rückschlägen nach vorn blicken zu können schier beeindruckend und von innerlicher Ruhe und Kraft zeugend. Ein lobenswertes Charakteristikum, dessen Verinnerlichung und Aneignung sich lohnt. Erinnerungen an „Pop“ und die NDW-Ära werden immer wieder wach, es ist pure Beschwingtheit in ihrer reinsten und glaubhaftesten Form. Lehrstück und Auflockerung zugleich. Die „Bayreuth“-Trilogie: Eine stilistische Reihe, die unter treuen Anhängern und Szene-Gängern wohl auf ewig unvergessen bleiben wird. Anno 1998 schlägt man das wohl dunkelste Kapitel des eigenen Schaffens auf und wandelt fortan auf den neuerlichen Pfaden der sogenannten „Neuen Deutschen Härte“, einer Genre-Abspaltung, die von Härte und Provokation lebt. Auch der Meister höchstselbst wahrt scheinbar noch heute die ein oder andere positive Erinnerung an den Wandel, bindet charakteristische Versatzstücke immer wieder in neue Titel ein. Eine augenzwinkernde Hommage an diese Schaffensphase, liefert man sodann mit „Alle Nicken“. Exotische Klänge bilden das rein instrumentale Intro, danach brechen überraschend rau die Gitarren los. Die Strophen noch charmant geflüstert, erhebt Witt im Chorus deutlich seine Stimme, wandelt zwischen humoristischer Selbstironie und halsbrecherischen Soli, wenn Joachim mit dem eigenen Alter und Rockstar-Bühnenpräsenz kokettiert. Ein gelungener Brecher und klarer Favorit für die kommenden Live-Shows! Einen sphärischen Moment der Ruhe schafft danach „Winterwald“, einem durchgängig elektronisch angelegten Stück, welches durch seine loungige Art einen Anflug wohltuender Spiritualität zu versprühen vermag. Die verschachtelten Text-Passagen werden gesprochen vorgetragen, der Inhalt wirkt zuweilen nicht direkt klar ersichtlich, die Wortspiele sind vielschichtig und klug.
Nach kühler Atmosphäre und wärmendem Inhalt, geht es mit „Wenn Du Mich Rufst“ zu einer emotionale Ballade über. Der Verlust einer alten Liebe ist hier das Hauptthema, in klassischer Manier von sanften Streichern untermalt. Während der einzelnen Strophen sorgt zusätzliche Percussion für ein breiteres Spektrum, dennoch mangelt es dem Song in jeder Hinsicht an Abwechslung, weswegen der Funke von Beginn an nicht so recht überspringen will. Ähnlich arm an Höhepunkten das eingängig-gefällige „Weit Ist Der Weg“, das hauptsächlich von Bass und Drums untermalt wird und sich schließlich im Refrain etwas temporeicher aufschlüsselt. Besonders der weibliche Gesang entfaltet sich im Laufe des Titels immer mehr als leicht störendes Element, welches den tiefen Grundton des Sängers an einigen Stellen eher unvorteilhaft blockiert, als diesen bereichernd unterstützen zu können. Die uninspiriert wirkende Melodie drückt den Eindruck weiterhin in die Belanglosigkeit. Schade. Wie es um ein Vielfaches besser geht, zeigt dann die aktuelle Single-Auskopplung „Lebe Dein Leben“. Eine betörende Frauenstimme gibt die Melodie vor, ein unterschwellig pochender Beat wiederum den Rhythmus. Als dramaturgisch punktgenau eingesetzt erweisen sich die ergreifenden Gitarren-Akkorde, in direkter Kombination mit den tief berührenden Lyrics, die direkt unter die Haut gehen. Eingängigkeit wird hier groß geschrieben und so setzt sich dieser tanzbare Hit mit seiner positiven Essenz schon nach kurzer Zeit in den Gehörgängen fest. Langsam baut sich Spannung auf, nur um sich dann in seinem Hauptteil aus Fröhlichkeit und Ausgelassenheit zu ergeben. Genieße jeden Augenblick frei von Angst und Zweifel, tue, was allein du für richtig hältst und weiche niemals von deinem eigenen Idealen ab. Der passende Soundtrack, um sich auch im größten aller Selbstzweifel nicht zu verlieren, jeden wertvollen Moment festzuhalten, zu verinnerlichen und zu feiern. Die Reise endet so, wie sie begonnen hat. Aufbrausende, immer lauter werdende Synthie-Sounds rollen den Teppich aus und ebnen die letzten Meter des zu beschreitenden Wegs. Lang und steinig ist er gewesen, zeigte nicht selten auch die dunklen Seiten des Seins und doch steht er auch unverzichtbar für alles, was einen jeden ausmacht, der am Ende auf seinem ganz eigenen „Thron“ Platz findet. Mit jedem gesprochenen Wort von Witt, steigert sich beinahe sekündlich die hohe Intensität des Orchesters. Treibendes Drumming und feine Klavier-Einschübe verfeinern das Gesamtbild und entladen sich final in einem ausschweifenden Refrain. So und nicht anders muss das Gefühl klingen, auf dem höchsten Platz angekommen zu sein, erfüllt zu sein und Frieden zu finden. Die Antwort, wie der Hörer den höchsten Sitz erreichen kann, liegt zwischen den Zeilen und doch muss sie jeder für sich selbst herausfinden, sich von seinem Instinkt und Gefühl leiten lassen und manches Mal weise wählen. Der perfekte Abschluss für ein Epos der ganz besonderen Art.
Tracklist:
01. Einheit
02. Geh Deinen Weg
03. Rain From The Past
04. Tag Für Tag
05. So Oder So
06. Alle Nicken
07. Winterwald
08. Wenn Du Mich Rufst
09. Weit Ist Der Weg
10. Lebe Dein Leben
11. Thron
Fazit:
Joachim Witt auf dem Weg zum Thron: Auch 2016 präsentiert sich der goldene Reiter als äußerst facettenreich und wandelbar. Deutlich eingängiger als noch im letzten Jahr mit "Ich", wandelt das Urgestein deutschsprachiger Musik mit "Thron" auf verschiedensten Pfaden und legt seinen Fokus dabei klar auf auszeichnende Markenzeichen und Stärken. Die Titel sind durch die Bank weg eingängig, hochwertig produziert und durchdacht, die Texte aktuell, aussagekräftig und kritisch. Auch in musikalischer Hinsicht wird dem Hörer hier einiges geboten, von schwerem Bombast, reduzierter Melancholie und poppiger Attitüde, bis hin zu kräftigem Rock und sanften Balladen. Dabei wirkt die neueste Veröffentlichung des Hamburgers jedoch keineswegs unfertig oder zusammengewürfelt, viel mehr scheint ein gelungener Querschnitt durch alle bisher bereisten Genres und Phasen vorzuliegen. So ist "Thron" mehr abgerundeter Zusammenschluss und logische Quintessenz eines begnadeten Musikers, denn einfalls- und zielloser Suche eines Umherirrenden. Das Beste aus allen Jahren gebündelt und geeint, nicht angestaubt, sondern ausgebaut. Der klare und zielorientierte Weg eines gereiften Künstlers, vor allem aber Menschen, als greif- und hörbare Werkschau mit reichlich inhaltlichem Mehrwert und seelischem Tiefgang. Ein Blick zurück und hinter die Kulissen, zeitgleich aber auch nach vorn und in die Zukunft, die hier nicht immer nur die eigene ist. Selbstbezogenes Wehklagen, Mitleid und trauernde Ratlosigkeit sind hier nicht zu erwarten, motivierende Phrasen die mehr sind als nur das und ein standhafte Glaube an das Gute hingegen schon. Ehrlich, unverstellt, nahbar, mahnend, motivierend, kreativ, reflektierend, melancholisch, positiv... Einfach Witt. Ein intensives Album, welches abermals beweist, dass mit einem festen Willen und Können, nach der "Neuen Deutschen Welle" noch mehr kommen kann und Herrn Witt die Frage nach dem "Wohin?" beruhigt abnimmt, denn eigentlich ist er dort schon lange angekommen, auf seinem ganz eigenen und vor allem wohlverdienten "Thron". Respekt und Danke dafür!
Informationen:
http://www.joachimwitt.de
https://www.facebook.com/joachimwittmusik/