Lindemann - Skills In Pills (2015)
Genre: Rock / Metal / Alternative
Release: 19.06.2015
Label: Warner Music Germany
Spielzeit: 44 Minuten
Pressetext:
"Lindemann" sind Till Lindemann und Peter Tägtgren. Till Lindemann ist der Sänger von Rammstein, die bis heute ca. 17 Mio. Tonträger verkauft haben und damit eine der weltweit erfolgreichsten und respektiertesten Rockbands der Neuzeit sind. Peter Tägtgren ist nicht nur der Mastermind von Hypocrisy und Pain, sondern auch renommierter und hochdekorierter Metal-Produzent (u.a. Amon Amarth, Dimmu Borgir, Sabaton, Children of Bodom, Cradle of Filth etc.).
Kritik:
„I hate my life and I hate you
I hate my wife and her boyfriend, too
I hate to hate and I hate that
I hate my life so very bad
I hate my kids, never thought
That I’d praise abort“
Deutschlands erfolgreichster Rock-Export pausiert derzeit, doch ist dieser Umstand für die Fans der Berliner NDH-Rocker noch lange kein Grund Trübsal zu blasen. Erst vor kurzem legte Gitarrist Richard Z. Kruspe mit seinem Solo-Projekt „Emigrate“ sein zweites Album nach und Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz ging mit seiner Biografie „Der Tastendicker“ auf große Lese-Tour durch viele Städte. Während sich „Rammstein“ gegen Ende des Jahres im Proberaum einfinden und die Zukunft der Band besprechen wollen, macht auch Frontmann und Sänger Till Lindemann von sich hören. Nach seinem erfolgreich veröffentlichten Gedichtband „In stillen Nächten“, fusionierte er jüngst mit „Hypocrisy“-Kopf Peter Tägtgren, welchen er zufällig bei einem Auslandsaufenthalt in einer Bar kennenlernte. Unter dem knappen, aber umso aussagekräftigeren Projekt-Namen „Lindemann“, stellen die beiden Musiker nun ihre höchst explosive Mischung aus provokanten Texten und harten Riffs vor. Wie das klingt und warum „Skills In Pills“ nicht nur eines der polarisierendsten, sondern auch besten Alben 2015 ist, erfährt man in den folgenden Zeilen.
Eine Kreuzung aus kreischender Gitarrensaite und beißender Elektronik, empfängt den Hörer und gibt auch sogleich die Marschrichtung des kommenden Spektakels vor. Die gemäßigte Lautstärke währt allerdings nicht lange und so bricht nach einigen Sekunden eine metallische Welle los, bereit alles zu überrollen, was sich ihr auch nur ansatzweise in den Weg zu stellen versucht. Zu sich erhebenden Chören im Hintergrund, haucht Till Lindemann seine Passagen, mit verzerrter Stimme. Erst im zweiten Block der jeweiligen Strophen, gibt er sich dem klaren Gesang in alter Manier hin und setzt dann immer wieder energetisch zum Höhepunkt, dem Refrain, an. Gewohnt bissig, besingt der lyrische Großmeister des Bizarren, hier diverse Wirkungen und die daraus resultierenden Nachteile der Pillensucht. Natürlich nicht ohne eine gewisse Prise schwarzen Humors oder Augenzwinkern. Gegen Ende vermengt sich der organische Metal-Anteil, mehr und mehr mit den synthetischen Elemente und ergibt sich in einem wilden Dubstep-Finale. Was für ein Einstand! An diesem Konzept hält man auch im folgenden „Ladyboy“ fest, welches sich als tanzbarer Brecher präsentiert und mit einem hohen Maß an Eingängigkeit zu glänzen vermag. Textlich bewusst brisant, doch kompositorisch anspruchsvoll und recht komplex gehalten, ist dann schließlich „Fat“. Zu Orgel-Melodie und einer ganzen Armada an wuchtigen Streichern, erzählt Lindemann hier von den Vorzügen einer korpulenten Gespielin. Mit roher Ausdrucksweise, erschafft er immer wieder Bilder in des Hörers Kopf, ohne sich dabei vor Klischees zu scheuen oder gar ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Ein gefundenes Fressen für Kritiker und Zartbesaitete, am äußersten Rand der absoluten Geschmacklosigkeit. Kein Wunder, lotet der, nach außen hin oft exzentrisch wirkende Künstler, doch seit Anbeginn die Grenzen dessen aus, was in der heilen Musikwelt als unmöglich und unaussprechlich gilt. Das Spiel mit dem Feuer, so wie es die Fans kennen und schätzen. Chapeau! Brodelnde Keyboard-Sounds eröffnen dann auch „Fish On“, welches sich in Ton und Wort ebenso wenig zurückhält, wie seine bisherigen Vorgänger. Thematisch fühlt sich der geneigte Kenner der Ost-Berliner, hier ein wenig an den Klassiker „Laichzeit“, vom Debüt-Album „Herzeleid“, aus dem Jahre 1997 erinnert. Zu fiependen Industrial-Klängen, peitscht die harsche Brachialität voran und mündet in einem dezent weicheren, aber treibenden Hauptteil, mit hypnotischer Sogwirkung. Gerade in Momenten wie diesen, spielt der Frontmann seine Stärken vollends aus, stellt lüsterne Vergleiche zwischen Angelsport und Frauen-Fang auf. Grotesk, düster und doch hymnenhaft.
Doch das Gespann beherrscht auch die ruhigeren Klänge, wie es zuerst mit „Children Of The Sun“, einer Nummer im Mid-Tempo, sowie später mit weiteren Titeln unter Beweis stellen wird. Zwar stampft auch dieser Song mit beträchtlich roher Schlagseite voran, jedoch lässt man hier zum ersten Mal auf diesem Werk, einen Hauch bedächtiger Melancholie verspüren. Vor allem im Refrain trumpft der Sänger hier erneut auf und intoniert eindrucksvoll verzweifeltes Wehklagen. Dramaturgie pur. Zu Beginn fast ausschließlich im akustischen Gewand gehalten, ist „Home Sweet Home“. Dezent arrangiert, erklingt die Melodie sanft und vermag es, die reflektierenden und nachdenklichen Worte, perfekt einzuhüllen und somit zu hingebungsvoll zu unterstreichen. Ein wohl dosierter Gegensatz, inmitten all der Obszönitäten und donnernden Gitarren-Kraft. Ein kluger Schachzug und fast schon meditativer Ruhepol, um für die nahende Wiederkehr allen Unheils, geschickt zu sensibilisieren. Fernab von Heimatgefühlen und Weltschmerz, kommt dann „Cowboy“ daher. Die richtige Atmosphäre, wird bereits eingangs durch das laute Wiehern der Pferde und nachhallende Schüsse eines heißen Colt-Duells gegeben. Die elektronische Komponente, fusioniert abermals mit Stakkato-Riffs, die genauso aus den Boxen knallen, wie das Sample einer Peitsche. Seiner verlorenen Zeit scheinbar nachtrauernd, singt Lindemann von verwehten Sehsüchten und zerfallenen Träumen seiner Jugend. Wer wollte nicht schon einmal in Kindheitstagen, ein Gesetzloser oder gar Held sein? Die Uhren ticken erbarmungslos und am Ende muss sich doch jeder seinem Schicksal fügen. Doch der gerade aufkeimenden Verletzlichkeit, wird mit „Golden Shower“ destruktiv entgegengewirkt. Freudig entfacht das schamlose Duo, einen wahren Reigen fragwürdiger Skurilitäten, in seinem ganz eigenen Kabinett des Ekels. Perversionen rund um das Thema der Natursekt-Spiele, bilden hier das Grundgerüst und auch vor einigen anderen Fantasien wird nicht haltgemacht, von aggressiven Shouts unterstrichen. Was für den einen deutlich zu viel ist und deutlich über die Stränge schlägt, macht für den anderen gerade den Reiz an diesem Projekt und dessen Themen aus.
Bombast und einen leicht cineastischen Unterton, bietet dann das ergreifende „Yukon“. Wie auch die musikalische Palette von „Lindemann“, sind hier die Grenzen zwischen purer Schönheit und todbringender Gefahr schwimmend. Passend untermalt wird der Gesang von einer tragenden Melodie eines Pianos, mächtige Pauken und ein Streicher-Ensemble suchen sich folgerichtig ihren Weg an die Ohren und erschaffen einen einzigartigen Mix aus Rock und Klang-Epos. Eine der wohl verstörendsten Kompositionen, ist sicher „Praise Abort“, welches vorab als Single veröffentlich wurde und selbstredend für einiges an Gesprächsstoff unter erhitzten Gemütern gesorgt hat. Manisch preist der Fronten hier das Wunder der Abtreibung an. Eine reine Ode an den Hass auf alles, was die eigene Lebensweise und das Sein, auf sämtliche Art beeinflusst oder scheinbar bereichert. Ein starker Ohrwurm und ein brisanter Seitenhieb, alle Achtung. Geisterhafte Kinder-Chöre gegen Ende und verzerrte Sequenzen, runden dieses bitterböse Stück dann gebührend ab, bevor mit dem Bonus-Track „That’s My Heart“ der Closer erklingt. Das dieser lediglich den limitierten Editionen beiliegt, ist äußerst fragwürdig, zumal sich dieser als eine der gewaltigsten und vor allem besten Songs auf „Skills In Pills“ präsentiert. Nahezu zart und zerbrechlich, flüstert Lindemann hier die Zeilen und widmet sich zum Schluss keinem geringeren Thema als der Liebe, in seiner reinsten und schönsten Form. Eine traurig-schöne Power-Ballade, zusätzlich unterstützt durch eine Frauenstimme im Hintergrund. Perfekter könnte dieses Album nicht beschlossen werden, Erfolg auf ganzer Linie.
Tracklist:
01. Skills In Pills
02. Ladyboy
03. Fat
04. Fish On
05. Children Of The Sun
06. Home Sweet Home
07. Cowboy
08. Golden Shower
09. Yukon
10. Praise Abort
11. That’s My Heart
Fazit:
Ganz im Geheimen und nahezu ohne Vorwarnung, steht anno 2015 das Projekt "Lindemann" mit seinem Erstling "Skills In Pills" in den Startlöchern, bereit auf die Welt losgelassen zu werden. Was "Rammstein"-Frontmann Till Lindemann und Produktionsgenie Peter Tägtren ihren Hörern hier kredenzen, sucht wohl in sämtlichen Plattenläden und Musiksammlungen seines gleichen. Nach dem "Depeche Mode"-Cover "Stripped", wendet sich der Berliner nach langer Zeit wieder den Vorzügen der englischen Dichtkunst und Sprache zu, schreckt dabei natürlich nicht vor Tabubrüchen oder Klischees zurück, setzt ein klares Zeichen und sich selbst an die Spitze der erfolgreichsten Veröffentlichungen im Jahr 2015. Durch harte, elektronisch zuckende oder auch sanfte Melodien und einer Riege an einfachen, einprägsamen und dennoch schwarzhumoriger Grausamkeiten, erschafft das Duo eine außergewöhnliche Mischung diverser Stilistiken. Zwar nicht annähernd so anspruchsvoll oder gar poetisch wie bei seiner Hauptband, vermag es der Berliner, einen Hit nach dem anderen in die Fan-Scharen zu feuern. Ganz ohne glattgebügelt zu wirken oder auf einen fahrenden, erfolgsversprechenden Zug aufspringen zu wollen, gelingt dem Künstler-Kollektiv ein spaßiges Werk, das bewusst an Grenzen geht, weh tun will und auch soll. All denen, welche die Richtung der Musiker auch sonst verfolgen, wird es gefallen und diejenigen, die sich auch sonst darüber echauffieren, werden es weiterhin tun. Alles beim Alten.
Informationen:
www.skillsinpills.com/
https://www.facebook.com/Lindemann/