Samsas Traum - Poesie: Friedrichs Geschichte (2015)
Genre: Rock / Alternative
Release: 02.10.2015
Label: Trisol Music Group (Soulfood)
Spielzeit: 54 Min.
Pressetext:
Seit nunmehr 19 Jahren konfrontieren uns SAMSAS TRAUM mit außergewöhnlicher Musik und interessanten Texten. Die Band um den kontrovers diskutierten und charismatischen Frontmann Alexander Kaschte hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten in jeder erdenklichen Stilrichtungen ausgetobt und gehört zu den letzten deutschen Formationen, die in einer an Belang- und Einfallslosigkeit verendenden Musiklandschaft noch zu überraschen wissen - sowohl qualitativ als auch inhaltlich.
'Poesie: Friedrichs Geschichte' ist eine solche Überraschung: ein thematisch schwieriger Quantensprung, der bombastischer als je zuvor und gerade deshalb kompromisslos nach SAMSAS TRAUM klingt, eine Stunde Klangkunst, die man so schnell nicht vergisst. Wie es der Titel bereits verrät: Erzählt wird die Geschichte Friedrichs, die Geschichte eines in der Zeit des Nationalsozialismus aufwachsenden Jungen, dessen große Leidenschaft das Schreiben von Gedichten ist. Von seinem Umfeld als verhaltensgestört, von den Ärzten als schizophren eingestuft, ereilt ihn das Schicksal unzähliger anderer behinderter und psychisch kranker Menschen - sein Leben wird im Namen der Euthanasie in der NS-Tötungsanstalt Hadamar auf schrecklichste Weise beendet.
Mit 'Poesie: Friedrichs Geschichte' verabschiedet sich Kaschte, in dessen Musik und Texte in den letzten Jahren zunehmend politische und ethnische Themen Einzug fanden, von der nebulösen, egozentrischen und mittlerweile fast ekelerregend sinnentleerten Welt musikalischer Subkulturen; ein Abschied, der längst überfällig war. Kaschte, stets darum bemüht, seine Zielgruppe nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu bilden und Wissen vermitteln, ist endlich an dem Ort angekommen, an dem er am besten aufgehoben ist, an einem Ort, den nur die Wenigsten ertragen können: in der Realität. Die den Principal Studios (Unheilig, H-Blockx, Die Toten Hosen, Kreator) geschuldete, glasklare Produktion von 'Poesie: Friedrichs Geschichte' unterstreicht diese Entwicklung eindrucksvoll und steht dem Album hervorragend zu Gesicht.
Kritik:
„Nimm den Besen in die Hand
Kehre mit ihm alle Straßen
Feg’ den Dreck aus diesem Land
Wir machen sauber
Gründlich, lupenrein
Jag’ sie alle durch den Schornstein
Sauber“
Es sind kalte, harte und menschenverachtende Worte. Hasserfüllte Zeilen aus blinder Wut, ein Aufruf zu grausamer, kollektiver Hetze. Düstere Umschreibungen, welche direkt einer grausamen Geschichte entstammen könnten. Umso erschreckender, dass vor gar nicht allzu langer Zeit diesen Worten, Taten folgten und ein wahrer Albtraum für viele unschuldige Menschen zur Realität wurde. Nach einigen Jahren meldet sich das Urgestein um die polarisierende Szene-Ikone Alexander Kaschte mit einer überraschenden Veröffentlichung der anderen Art zurück. Doch werden einige Anhänger des Käfer-Königs die fiktiven Charaktere und malerische Fantasie-Welten auf diesem Album vergebens suchen. „Samsas Traum“ sind aufgewacht, haben ausgeträumt und Fabeln opfern sich für einen ungeschönten Blick auf die Wirklichkeit. Die Flucht in surreale, andersartige Sphären, die Flucht vor dem Alltag und dem Hier und Jetzt scheint gescheitert. Doch ist dies eine Art der Notwendigkeit und gerade aktuell besonders wichtig, verschließen doch zu viele immer noch ihre Augen vor dunkler Vergangenheit und neuen Problemstellungen, anstatt sich ihrer anzunehmen, umzudenken und Einsatz zu zeigen. Mit „Poesie: Friedrichs Geschichte“ widmet sich Kaschte dem wohl dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte, legt den Finger direkt in die Wunden der Zeit, kapselt sich von Ursprüngen ab, bereit aufzurütteln und tut damit einen wichtigen Schritt in der heilen Musik-Landschaft. Wie sich das Erwachen in ebenjenem Albtraum anhört und anfühlt, lest ihr nun.
Wie im Pressetext bereits erwähnt, erzählt das Album die Geschichte des Jungen Friedrich, welcher seitens seines näheren Umfelds im Verhalten als gestört, sowie auffällig angesehen wird und in Folge dessen zusammen mit anderen, psychisch und körperlich kranken Menschen in eine NS-Anstalt in Hadamar deportiert wird. Sein großes Talent und zugleich Erfüllung findet er nur im schreiben von Gedichten, was ihn und die anderen jedoch nicht vor einem grausamen Schicksal retten kann…
Die Einleitung erfolgt durch das Instrumental-Stück „Es Ist Der Tod“, welches einer wahren Ouvertüre gleicht und durch seine imposante Instrumentierung, mit mächtigem Schlagwerk, Fanfaren und Streichern, als einleitendes Intro musikalisch gleich zu überzeugen weiß. Dieses baut sich in seinem Verlauf immer weiter auf, mündet in einer krachig-melodiösen Fusion aus hämmernden Piano-Klängen und Gitarren-Sounds, öffnet die Pforten und ebnet so den Weg in das neue Werk von „Samsas Traum“. Dumpfes Klopfen und eine unheilvoll brodelnde Elektronik vermischen sich und leiten dann äußerst rhythmisch den Opener „Sauber“ ein. Das komplexe Konstrukt aus bedrohlicher Atmosphäre, düsteren, doch eingängigen Klängen, als auch einem punktgenauen Text voller Finesse, weiß den Hörer schon nach wenigen Takten mitreißen und vor allem -fühlen zu können. Dezent eingesetzte Chöre, raue Riffs, zwischengelagerte „Sieg Heil!“-Rufe und ein synthetischen Solo gegen Ende, schaffen anschließend weiteren Raum auf der Emotions-Palette. Ein erster Gänsehaut-Moment, welchem noch viele mehr folgen sollen. Klanglich zuerst typisch kommt „Ich Schrieb Gedichte“ daher, welches jedoch schon nach einigen Sekunden nicht nur Vertrautes aufzuweisen, sondern auch individuelle Neuerungen im Band-Kosmos zu bieten hat. Erzählt wird in den Strophen hier aus der Ich-Perspektive, was schlagartig noch mehr Tiefe verleiht. Während Kaschte den Text spricht, dröhnen ein weiteres Mal laute E-Gitarren und Bläser an das Ohr des Hörers. Friedrich gibt die Bezeichnungen seiner Eltern und Mitmenschen wieder, spricht immer wieder von seinen Deformierungen, Makeln, seiner Krankheit und dem Bevorstehendem. Vor allem der bitterböse, da an einen Kinderreim angelehnte, Refrain sorgt hier für einen schalen Beigeschmack. „Der Mönchberg (Heinrichs Gedicht)“ nimmt anschließend den Platz des dritten Songs ein. Mit erheblichem Streicher-Einsatz wird hier über die Anstalt, die dortigen Gepflogenheiten und Arbeiten berichtet. Gerade der cineastisch angehauchte Refrain, mausert sich mit fortschreitender Dauer, immer mehr zu einem dramatischen Höhepunkt.
Die Geschichte des Konzepts wird mit dem, vorab via „Soundcloud“ veröffentlichten, „Wir Fahren In Den Himmel (Und Ich Kotze Angst)“ weitergesponnen. Eine der auffälligen Neuerungen wird gerade hier besonders hervorgehoben: Während Kaschte die Zeilen, welche den Prozess der Ausweisung mit Bussen auf dem langen Weg in die Anstalt thematisiert, langsam und eindringlich vorträgt, zeigt sich die Melodie, nahezu nur aus elektronischen Elementen bestehend, als monoton und repetitiv, doch das ohne langatmig und -weilig zu wirken. Lediglich kurze, sanfte Klavier-Passagen verleihen der, ungemein passenden, Tristesse abweichende Nuancen. Desto weiter die Spielzeit voranschreitet, umso bedrohlicher die Atmosphäre, umso präsenter die Angst der Leidtragenden, bis am Ende ein weiteres Mal die Saiten losbrechen und ein packendes Finale bescheren. Mit dem nächsten Stück „Fingerkränze“ gönnt die Band dem Hörer zwar klanglich, doch keinesfalls emotional, einen kleinen Moment der Ruhe. Flehend und geradezu nach Hoffnung schreiend, kommt diese ergreifende Ballade daher und weiß ebenfalls den Hörer schon nach kurzer Zeit zu fesseln. In den Strophen erneut reduziert instrumentiert, steigert sich die Melodie bis zum epochalen Refrain, mit Streicher-Einsatz und abschließendem Gitarren-Solo. Die vorherrschende Hilflosigkeit und grausame Einsamkeit durch Isolation, sowie das Sehnen nach einer Bezugsperson, wird hier ein weiteres Mal durch die treffende Kombination aus einfühlsamer Musik und intelligentem Text mehr als treffend gezeichnet, für den geneigten Hörer greifbar gemacht.
Zuerst ebenso friedlich, wie gezügelt arrangiert, ist „Richard, Warum Zitterst Du?“. Das der Schein trügerisch ist, wird jedoch schon nach wenigen Sekunden klar, als der dunkel gestimmte Bass einsetzt und Alexander Kaschte beginnt, den zugehörigen Text, aus der Sicht eines Anstalt-Bediensteten, in spöttischem Unterton vorzutragen. Verächtlich denunziert er den jungen Richard, verhöhnt ihn aufgrund seiner Beeinträchtigung immer wieder und lebt aus der Ich-Perspektive, welche den Hörer noch näher am Geschehen teilhaben lässt, seine Allmachtsfantasien aus, spielt Gott und mit der psychischen Verfassung seines Gegenübers. Explizit der Refrain, welcher mit seinen rauen, aggressiven Wortfetzen „Richard, wo willst du hin?“, im völligen Kontrast zum gespielt gefälligen Ton der einzelnen Strophen steht, hat es in sich und verdeutlicht die allgegenwärtige Aussichtslosigkeit und Bedrohung ein weiteres Mal.
Streicher und ein Horn leiten dann „Im Keller Wohnt Der Krieg“ ein. Schon bald setzt schnelles Riffing ein und ebnet den schweren Weg für den lyrischen Inhalt, welcher von der Gefangenschaft in den unergründlichen Tiefen der Anstalt und Untersuchung der Patienten erzählt, erst schleppend gesprochen, dann hämmernd und eindringlich besungen. Dem schließt sich mit „Gorgass“ wohl einer härtesten Songs des Albums an, sich dem leitenden Arzt der Heilerziehungsanstalt, Hans Bodo Gorgaß widment, welcher im Rahmen des „Euthanasie“-Konzepts für die Vergasung der Patienten in Hadamar verantwortlich zeichnete. Kaschte erzählt hier aus dem Blickwinkel ebenjener Person, welche die Schuld an der Ausführung der Ermordung vieler Unschuldiger trägt. Selbstgerecht, kalt, sich selbst immer wieder in Schutz nehmend und keiner Schuld bewusst, berichtet er von seinen vergangenen Vergehen, durch blinden Gehorsam auf Befehle, immer versucht sich und seinen erfolgten Freispruch und die eigenen Handlungen durch leere Worthülsen zu verteidigen. Die dünne Maske fällt alsdann im bestialisch umgesetzten Refrain, mit dem sich wiederholenden „Dreh auf! Dreh auf, dreh ganz weit den Hahn auf!“ und das Spiel mit den Worten „Gorgass“ und „Gas“. Anschließend bäumen sich wieder morbide Elektro-Sequenzen, gepaart mit treibendem Drumming und Einstreuung von Piano-Spuren auf: „Leiche 10 000“ leitet zur Tötungs-Thematik durch den Ofen und dem nahenden Ende über, auf welches man die Protagonisten Stück für Stück mit furchteinflößender, emotionaler Nähe durch das Album begleitet hat. Die Atmosphäre ist geradezu erdrückend, scheint sich der Erzähler trotz seiner Furcht, durch einen realistisch-kühlen Blick mit seinem Schicksal ohne Zurück abgefunden zu haben. Konträr dazu präsentiert sich der Refrain, welcher durch die helle Farbgebung der Melodie für einen kurzen Moment Willens scheint, das Geschehen aufzuklaren, scheinbar Hoffnung im undurchdringlichen Dunkel spenden will, doch schon bald erneut von einer synthetischen Klang-Welle überrollt und im Keim erstickt wird. Nahtlos schließt sich „Es Tut Uns Leid“ an, welches die Information des Sterbefalls durch standarisierte Rundschreiben an die Familien der Betroffenen beschreibt. Bürokratisch und kühl erklingen hier die immer gleichen, geheuchelten Mitleidsbekundungen nach Schema F. Kaschtes unnachahmliche Art der gesanglichen Interpretation, verleiht den scheinheiligen Worten zusätzlichen Nachdruck, nicht zuletzt im wütend anmutenden Refrain, immer wieder durch ein einheitliches und unglaubwürdiges, da pflichtgemäß-liebloses „Es tut uns leid!“ durchzogen. Nach einem wahren Gewitter von einem Album, dringt das letzte Stück „Was Weißt Du Schon Von Mir (Mein Name Ist Friedrich)“ an das Ohr des Hörers. Ganz gemächlich und vorsichtig, rieseln die gedämpften Akkorde eines Klaviers, wie nahezu kaum spürbare Regentropfen nieder und schaffen erneut, doch nun zum letzten Mal auf dieser Reise, ein trübes, expressiv belastendes Ambiente. Gleichsam setzten Streicher und die Worte Alexander Kaschtes ein, bereit das Verborgene ansatzweise sichtbar zu machen. Doch wird kein Wort, welches auch nur im Ansatz versuchen wird dieses zu dokumentieren, den Empfänger je das fürchten, fühlen, erleiden und erleben lassen können, was dem namensgebenden Charakter und so vielen anderen, unschuldigen Menschen zu dieser Zeit widerfahren und zum traurigen Schicksal geworden ist. "Was weißt du schon von mir?“… „Nichts, nicht annährend“, so müsste hier die Antwort lauten und eine eventuell aufkeimende Art der direkten Identifikation niederringen. Und spätestens nach diesen abschließenden Worten von „Poesie: Friedrichs Geschichte“, sollte der Konsument vor seinem Abspielgerät genau dafür dankbar sein…
Tracklist:
01. Es Ist Der Tod
02. Sauber
03. Und Ich Schrieb Gedichte
04. Der Mönchberg (Heinrichs Gedicht)
05. Wir Fahren In Den Himmel (Und Ich Kotze Angst)
06. Fingerkränze
07. Richard, Warum Zitterst Du?
08. Im Keller Wohnt Der Krieg
09. Gorgass
10. Leiche 10 000
11. Es Tut Uns Leid
12. Was Weißt Du Schon Von Mir (Mein Name Ist Friedrich)
Fazit:
Mit ihrem neuesten Werk beschreiten "Samsas Traum" gänzlich neue Pfade, lyrisch wie auch oftmals musikalisch und sprengen damit die schon lange verhassten, von der schwarzen Szene angelegten Ketten. Fernab von verträumten Märchen, fantastischen Welten und erdachten Figuren, findet das akutelle Schaffen fortan ausnahmslos in der ungeschönten Realität statt. "Poesie: Friedrichs Geschichte" ist als ernsthaftes Konzept-Album mit einem festen Handlungsstrang zu verstehen, doch funktionieren alle Titel auch als einzelne Parts und wissen mehr als stark und überzeugend ganz für sich allein zu stehen. Die Melodien sind trotz der vorherrschenden Thematik ungemein eingänig und rhythmisch gehalten. Sie überzeugen ebenso wie die äußerst intelligenten Texte, welche alles andere als klischeebeladen oder oberflächlich recherchiert, denn viel mehr scharf-, sowie tiefsinnig sind und als perfekt ausgefeilt daherkommen. Alexander Kaschte wagt sich hier auf schwieriges Terrain und musikalisches Neuland, nimmt als eine von (zu) wenigen Persönlichkeiten seine Berufung als Künstler wahr und will für mehr als nur Unterhaltung stehen, sondern erinnern und aufrütteln. Für diesen Sprung und den außerordentlichen Mut zu ebenjenem Schaffen, als auch die brilliante, virtuose Umsetzung in Wort und Klang, gebührt diesem Musiker nur der größte Respekt und Erfolg. Losgelöst von bewährten Gewohnheiten, kredenzt man dem Hörer musikalisch und textlich gar völlig neue, umso härtere Kost, legt den Finger direkt in die Wunde und klingt dabei zwar frisch und neu, doch dabei unverkennbar. "Samsas Traum" gehen mit ihrem neuen Album alles andere als auf Nummer sicher, leisten keine maschinelle Auftragsarbeit, sondern senden stattdessen einen Weckruf hinaus an die Gesellschaft, welcher sicher nicht jedem Fan behagen oder gefallen, doch dafür polarisieren und wahrgenommen werden wird. Auf seine eigene, atmosphärische Art zeichnet Kaschte bedrückende, weil realitätsbehaftete Bilder der Angst und des Leida, gemahnt anders- und einzigartig an die Grausamkeiten der Vergangenheit und erzählt innovativ aus dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte und erschafft so etwas nie Dagewesenes. Muss so etwas sein? Ja, es muss! In Zeiten wie diesen, mehr als je zuvor. "Poesie: Friedrichs Geschichte" ist nach vielen, langen Jahren der musikalischen Durststrecke voller Anbiederungen, Kopien und Einfallslosigkeiten ein bedeutsames, wie mutiges Werk. Unterhaltung, Denkstoff und Lehrstück zugleich. Pur, polarisierend, nachhaltig, zukunftsgewandt, intelligent und mit einer Botschaft ausgestattet. Es ist genau das, was diese Art des Ausdrucks schon lange Zeit nicht mehr war, doch eigentlich immer sein sollte, das was so oft fehlt: Kunst.
Informationen:
http://www.alexanderkaschte.com https://www.facebook.com/samsastraum.offiziell