Saltatio Mortis - Zirkus Zeitgeist (2015)
Genre: Rock / Alternative
Release: 14.08.2015
Label: We Love Music (Universal Music)
Spielzeit: 125 Minuten
Pressetext:
Dem herrschenden Zeitgeist in den Rachen geschaut. Die acht Spielleute blicken rockend mittelalterlich und kritisch fragend auf unsere Welt und unsere Gesellschaft. Neugierig und unbefangen toben sich "Saltatio Mortis" kunstvoll mit ihren mittelalterlichen Instrumenten und einem ordentlichen Pfund Rock so modern wie noch nie durch unsere Welt und halten dem Zeitgeist den sprichwörtlichen Spiegel vor. Wer sich darin erkennt oder auf den Schwanz getreten fühlt, dem gehört es nicht anders. Spielmannsrock der Extraklasse! Vorhang auf und Manege frei für den „Zirkus Zeitgeist“.
Kritik:
"Wo ist der Spaß
Wo bleibt der Leichtsinn
Wo sind die Clowns in dieser Welt
In dieser Welt"
Bei einem versierten Rundumblick in die weite Welt, egal ob via Zeitung, Radio, Fernseher oder Internet, kann man sich diese Frage beinahe täglich stellen. Krieg, Hungersnot, Mord, Gewalt und Rassismus sind alltäglich, beinahe omnipräsent geworden, egal wohin man blickt. An nahezu jeder Ecke erfährt man von neuen Katastrophen, es entstehen von Jahr zu Jahr neue Ängste und Sorgen und auch die eigene, kleine Welt scheint sich immer schneller zu drehen. Der temporeiche Fortschritt ist unaufhaltsam und eilt mit großen Schritten voran. Wer nicht mithält bleibt auf der Strecke und wird in diesen Zeiten gnadenlos überrannt und allein zurückgelassen. Alles und jeder muss funktionieren, immer weiter laufen, darf nie stehenbleiben. Wir leben in einer neuen Moderne, in einer Zeit, in welcher Spaß, Freiheit und Leichtigkeit oftmals keinen Platz mehr haben können und dürfen. Es scheint schlichtweg keine Zeit mehr zu sein, für Fantasie und Träumerei. All dies wird von immer mehr neuen, schrecklichen Ereignissen und der Hetze durch das eigene Leben automatisch ausgeklammert und ausgeschlossen, vor die Mauern der Vorsicht, Panik und des Perfektionismus, hinter welchen die Menschheit jeden Tag etwas mehr erkaltet und vereinsamt. Schon mit ihrem letzten Album "Das Schwarze IXI", gingen die Spielleute von "Saltatio Mortis" gänzlich neue Wege. Einige Fans der treuen Anhängerschaft begrüßten diesen Umstand als willkommene Art der Weiterentwicklung, andere wiederum schimpften über angebliche Wandlung, Veränderung und Verrat. Neben klassisch angehauchtem Material, wie mittelalterlich angehauchten und instrumentierten Geschichten, waren auch ungewöhnlich direkte Statements, wie beim harten "Wachstum Über Alles", zu vernehmen. Die Musiker nehmen ihren Auftrag der Aufklärung als Spielmänner wahr, kritisieren, rütteln auf und gehen den einst eingeschlagenen Weg auf "Zirkus Zeitgeist" konsequent weiter. Was genau sich verändert hat und wie viel "Saltatio Mortis" noch in der neuesten Veröffentlichung steckt, gilt es in den folgenden Zeilen zu erfahren.
Aus der Stille heraus erklingt fröhliche Zirkusmusik, eine lebhafte Momentaufnahme eines typischen Vorzeige-Jahrmarktszenarios. Kurze Zeit später schwillt der Lautstärkepegel erheblich an, die gerade eben noch ruhigen Wellen brechen los und über den ahnungslosen Hörer herein. Der Opener "Wo Sind Die Clowns?" greift die eingangs erwähnte Thematik gelungen auf und umschreibt das aktuelle, wahnsinnige Weltgeschehen, mit kritischem Blick. Der Sound kommt äußerst punkig daher, zu unterstützend eingesetzten Dudelsäcken, gesellen sich schnelle Riffs und ein moderner Text zu aktuellen Gegebenheiten. Am ehesten lässt sich dieses Stück mit "Früher War Alles Besser", vom letzten Album aus dem Jahre 2013 vergleichen. Im gleichen Fahrwasser angesiedelt, kommt dann der zweite Track "Willkommen In der Weihnachtszeit" daher, dessen Inhalt auf einem Album mit Sommer-Release genauso gekonnt deplaziert wirkt, wie Schokoladen-Nikoläuse, Lebkuchen und winterliche Dekoration in den Supermärkten, viele Monate vor den eigentlich Festivitäten. Und auch der längst verschobene Sinngehalt, weit weg von Nächstenliebe, Geselligkeit und tiefer Besinnung, hin zum zügellosen Konsumrausch, wird hier satirisch aufs Korn genommen und gelungen karikiert. Bedeutend ruhigere und vor allem ernstere Töne werden dann mit dem, vorab veröffentlichten, dritten Song angeschlagen. Beschäftigte sich das wütende "Krieg Kennt Keine Sieger" vom vorherigen Album noch mit den grausamen Folgen des Krieges, so lässt sich "Nachts Weinen Die Soldaten" als eine Art Momentaufnahme oder Vorgeschichte sehen. Erneut widmen sich die Musiker hier dieser heiklen Thematik mit dem nötigen Respekt und erzählen in dieser Ballade zu ergreifenden Melodien, welch schreckliche Ängste und Schicksale die Menschen erleiden, auf deren Rücken die perfiden Machtspiele, resultierend aus Politik und Religion, seit jeher ausgetragen werden. Auch "Des Bänkers Neue Kleider" nimmt sich aktuellen Geschehnissen an und thematisiert die Skandale, rund um die Bankenkrise. Gerade hier macht sich der stark angezogene Härtegrad bemerkbar, welcher sich besonders durch intensives Drumming im eingängigen Mitsing-Refrain bemerkbar macht und leichte Erinnerungen an den Brecher "Nur Ein Traum" wach werden lässt.
Mit dem nachfolgenden "Maria" besinnt sich die Band dann teilweise auf ihre Wurzeln und bedient sich historischem Liedgut, dessen Inhalt durch die gelungene Umtextung jedoch in einen völlig anderen Kontext gesetzt wird und erheblich zum nachdenken anregt. Musikalisch äußerst ohrwurmig arrangiert und mit einem echten Gänsehaut-Refrain arrangiert, gibt dieser Titel einen kritischen, wenn auch provozierenden Denkanstoß dazu, was wohl aus dem Christentum und Religion geworden wäre, hätte sich Maria dazu entschieden ihr Ungeborenes abzutreiben? Heißer Diskussionsstoff, welcher definitiv anecken wird und soll. "Saltatio Mortis" nehmen hier wie so oft kein Blatt vor den Mund... Und das ist gut so! Eine Ode an den, oftmals lediglich aus temporärer Euphorie geborenen und zuweilen recht überzogenen Nationalstolz, bietet dann "Wir Sind Papst". Die bissige Hommage, an die populäre Titelseitenschlagzeile einer wohlbekannten Tageszeitung, kokettiert ironisch mit den kollektiven Verhaltensweisen, als auch der typisch deutschen, fehlenden Unbeschwertheit, in Zeiten von Großereignissen wie etwa der Fußball Weltmeisterschaft. Gekonnt greift man hier die Fragen "Nationalstolz nur auf gewisse Zeit?" oder "Nur wenn es weltweit erlaubt ist und alle tun?" auf und enttarnt die Denkmuster dieser Art als den schieren Stumpfsinn, welcher sie sind. Harte, doch in heutiger Zeit mehr als berechtigte Gesellschaftskritik, regnet es dann auch im folgenden "Augen Zu". Hier greift man die traurige, doch alltägliche Charakteristik des Wegschauens auf. Sobald fremdes Leid oder unerwünschte Umstände das Leben erschweren und sich den Weg ins Blickfeld bahnen wollen, verschließen immer noch (zu) viele Menschen die Augen vor der grausamen Wahrheit. Selbstschutz und Egoismus, anstatt Nächstenliebe, Verständnis, Beistand und Hilfe, heißt das Motto, welches oftmals grausame Realität ist. Hauptsache, im eigenen Leben läuft alles rund, scheint hier die Devise zu sein. Die Spielleute verstehen es auch hier, die aktuellen Geschehnisse dieser Zeit aufzugreifen, zu filtern und anzuprangern. Nicht immer nur Schuld abweisend und mahnend, doch immer universell und aufrüttelnd.
Doch wollen "Saltatio Mortis" nicht nur dazu aufrufen, die Augen zu öffnen. Auch sie selbst verschließen sich selbst nicht vor Kritik und nehmen sich dieser im nächsten Song an. Etwas fernab der gegenwärtigen Gesellschaftskritik und somit leicht abgespalten vom Kontext dieses Konzept-Albums, präsentiert sich dann das nächste Stück. Gleich schon zu Beginn, donnern straighte Riffs und melodiöse Sackmelodien nach vorne, eben direkt "Geradeaus". Dank der eingangs erwähnten Beschreibung, ließe sich vielleicht Kritiklosigkeit und Unbeschwertheit vermuten, doch wird der Hörer schnell eines Besseren belehrt. Der Song lässt sich als klares Statement an alle Neider und Gegner der Band verstehen, welche die neuen Stilistiken schlecht reden und "Saltatio Mortis" den Verrat an ihren alten Tugenden vorwerfen. Zuweilen recht destruktive, denn konstruktive Kritik, ließ sich gerade in den letzten Monaten in den sozialen Medien finden, anstatt end- und sinnlose Diskussionen zu führen, räumt man hier selbstsicher auf. Die Band geht ihren eigenen Weg, blickt stets furchtlos nach vorn und scheut weder Scheitern, noch Kritik. Mit großem Punk-Einschlag und eingängiger Melodie, geht man schwarzhumorig auf alle Vorwürfe der letzten Zeit ein und gibt ein klares Zeichen. Aufmerksame Ohren dürften in den Strophen viele Anspielungen auf bekannte Klassiker der Band finden, sehr gelungen. Die Spielmänner wissen, wer sie sind und was sie tun. Eine Entspannungspause gönnt man dem Hörer dann mit "Erinnerung", welches eine weitere Ballade markiert und traurig-schön arrangiert daherkommt. Die Vergänglichkeit alles Schönen, das gelegentlich nostalgische Zurückdenken, der Wunsch oftmals alles Geschehene nochmals erleben und die Zeit manchmal zurückdrehen zu können, ist hier Thema. Sanft instrumentiert und zerbrechlich durch Frontmann Alea vorgetragen, ein echter Gänsehautmoment! Rockiger wird es dann hingegen mit "Trinklied", welches gerade bei den kommenden Konzerten gut ankommen dürfte. Ein Refrain zum mitsingen und durchweg eingängige Melodien, zeichnen auch diesen Titel ein, wenn auch hier die ein oder andere kritische Breitseite an den "Freund alter Tage", den berüchtigten Alkohol, nicht fehlen darf. Zwar fröhlich aufseiten der Spielweise, mahnen die Spielleute hier zum gemäßigten, statt übermäßigem Konsum, ohne den Zeigefinger zu sehr zu erheben oder gar von sich selbst die Schuld zu weisen. Ebenso wie beim vorangegangenen "Maria", gibt es mit dem temporeichen "Rattenfänger", einen erneuten Ausflug zu den Wurzeln. Zurückgeschraubte Gitarren-Melodien, kommen hier den Klängen der rhythmischen Dudelsäcke zugute, welche hier hauptsächlich Takt gebend sind und die Melodie führen und die Geschichte eines treulosen, freien Spielsmanns auffassen. Einem sehr speziellen, schwierigen und äußerst heiklen Thema, hat sich die Band dann bei "Todesengel" angenommen. Die Künstler beweisen hier großen Mut und wagen sich an eines der wohl dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte heran: Die jüdischen Geschwister Eva und Miriam Kor, wurden im Jahre 1944 in ein Konzentrationslager nach Auschwitz deportiert und dort für grausame Zwillings-Experimente, durch den Lagerarzt Mengele missbraucht und gequält. Beide überleben die Tat glücklicherweise. Jahrzehnte später gründet Eva in den USA ein jüdisches Zentrum, um über den Holocaust zu informieren und die Ereignisse selbst verarbeiten zu können. Dann wird das scheinbar Unmögliche möglich: Eva vergibt ihrem Peiniger. "Saltatio Mortis" begeben sich hier auf einen schwierigen Pfad, welchen sie dennoch zu beschreiten wissen: Zu Lasterbalks ausgefeilten Textzeilen, gesellen sich in den Strophen harte Gitarrenwände und ein ausladender, höchst emotionaler Refrain. "Vermessung Des Glücks" leitet dann das nahende Ende des (Standard-)Albums ein, überzeugt erneut mit Ohrwurm-Qualitäten allererster Güte und erzählt von vernachlässigten und aus den Augen verlorenen Träumen, Wünschen und Zukunftsplänen. Ein indirekter Aufruf, zur Verfolgung und Verwirklichung innerer Sehnsüchte, bevor diese durch die, unbarmherzig voranschreitende Zeit der Gegenwart, irgendwann der Vergangenheit angehören und zu nicht mehr als einer Erinnerung werden. Gerade das Spiel mit den Worten "vermessen" und "vermissen", sticht hier als besonders ausgefeilt und gelungen heraus. Definitiv eine der besten, neuen Nummern auf diesem Album. Mit "Abschiedsmelodie", steht dem Hörer dann eine weitere und letzte Ballade ins Haus, welche gleicheitig das Album beschließt und einer der dramatischen Höhepunkte ist. Wie aus dem Titel leicht hervorgeht, handelt dieses Stück von einer zerbrochenen Liebe zweier Menschen, welche die Erinnerung dennoch aufrechterhalten und einander nicht vergessen können. Traurig und zerbrechlich wird der Text hier vorgetragen, die Instrumentierung reduziert und doch melodiös und einprägsam. Ein wunderschöner Abschluss, für dieses Werk.
Die "Limited Deluxe Edition" im Digipack, enthält ganze drei weitere Songs als Bonus. Ersterer ist "Gossenpoet", welcher ähnlich dem "Rattenfänger" ausgelassen instrumentiert ist und von der Freiheit eines Spielmanns erzählt. Der zweite Track "Mauern Aus Angst" kommt da deutlich tiefgründiger und ernster daher. Die Lyrics handeln von dem schmalen Grad, vom Drahtseilakt, zwischen Selbstschutz und Isolation aus reiner Furcht und Vorsicht. Nachdenklich und teilweise bedrückend im Text, schwer und hart in der Melodie. Das letzte Stück, "Gaudete", kommt dann zum Abschluss wieder um einiges anders daher. Hier steht deutlich der Spaß im Vordergrund. Durch Chor-artige Gesänge eröffnet, wandelt sich dieser Song anschließend zu einer punkigen, spaßigen Nummer zum rocken. Ein echter und vor allem lohnender Mehrwert, in dieser Edition. Ein weiteres, nicht zu verachtendes Highlight dieser Edition, sind die Cover-Versionen befreundeter Bands, welche sich hier anlässlich des Jubiläums die Ehre geben. Unter anderem interpretieren hier nahmhafte Bands wie "Subway To Sally", "Schandmaul" und "Fiddler's Green", sowie Genre-fremde Künstler wie "Lord Of The Lost", "Unzucht", "Ost+Front" und die Chart-Stürmer "Unheilig" die Songs der Mittelalter-Rocker. Die Versionen der Weggefährten sind durchweg gelungen und zeigen gänzlich neue Variationen auf. Der Kauf dieser Edition lohnt!
Tracklist:
01. Wo Sind Die Clowns?
02. Willkommen In Der Weihnachtszeit
03. Nachts Weinen Die Soldaten
04. Des Bänkers Neue Kleider
05. Maria
06. Wir Sind Papst
07. Augen Zu
08. Geradeaus
09. Erinnerung
10. Trinklied
11. Rattenfänger
12. Todesengel
13. Vermessung Des Glücks
14. Abschiedsmelodie
Fazit:
"Saltatio Mortis" verfolgen den, vor einigen Jahren eingeschlagenen Weg, konsequent und erweitern ihr Konzept, um einige Akzente. Der Fokus der einzelnen Songs liegt auf "Zirkus Zeitgeist", wie es der Titel schon vermuten lässt, mehr denn je auf aktuellen Geschehnissen unserer Zeit. Der beliebte Mittelalter-Anteil ist selbstverständlich immer noch enthalten, jedoch ein wenig zurückhaltender und weniger dominant in den Melodien, als auf den vorherigen Alben der Band. Gekonnt greifen die Spielmänner auch äußerst heikle Thematiken auf und appelieren oftmals an den Hörer, die Scheuklappen abzulegen, hin- anstatt wegzusehen und legen den Finger in die facettenreichen Wunden unserer Zeit. Die Produktion ist gewohnt kräftig. Sowohl Gitarren, Bass und Drums kommen hier bestens zur Geltung, ebenso satt klingt das historische Instrumentarium aus den Boxen. Die Band weiß um ihre Aufgabe und nimmt diese nur zu gerne wahr, verlagert und verstrickt Altes mit Neuem, inhaltlich wie musikalisch. Wer "Das Schwarze XIX" mochte, wird auch dem neuen Album einiges abgewinnen können, wenn auch einige Durchgänge nötig sein dürften. Kritiker hingegen bekommen auch hier garantiert erneut Diskussionsstoff geboten, doch dürfte das die Spielleute nicht sonderlich stören, geht ihr Weg doch stets "Geradeaus". Ein gelungenes Album, mit anspruchsvollen und kritischen Texten, sowie einer gekonnten Weiterentwicklung und Verquickung von anspruchsvoller Lyrik, Mittelalter und modernem Rock. Klare Empfehlung!
Informationen:
www.saltatio-mortis.com/
https://de-de.facebook.com/saltatiomortisofficial/