Joachim Witt - Ich (2015)
Genre: Pop / Rock / Alternative
Release: 06.05.2015
Label: SPV
Spielzeit: 57 Minuten
Pressetext:
Zurück in der Realität bedeutet für mich, mit größtmöglicher Kreativität an meinem Album "ICH" weiter zu arbeiten! Der Titel "ICH" hat vor allem damit zu tun, den Liedern ein höchstes Maß an persönlicher Energie einzuhauchen. Ich produziere, komponiere und instrumentiere weitgehend selber, arrangiere selber, texte und singe aus eigener Feder und denke dabei an die Unabhängigkeit der Kreativität! Ich bin und bleibe "ICH"! Willkommen im neuen Jahr! DU hast nun die Möglichkeit, als direkter Unterstützer über die Plattform http://www.pledgemusic.com/projects/joachimwitt bei Entstehung des Albums „ICH“ aufzutreten, wenn DU das neue Album direkt bei mir über Pledge Music vorbestellst. CROWDFUNDING ist das Zauberwort und hat schon viele, viele Freunde gefunden. Neben dem neuen Album “ICH” gibt es noch weitere ausgesuchte Raritäten und Spezialitäten aus meiner musikalischen Geschichte, die direkt auf meiner Pledge Seite zu finden sind. Ausgesuchte und persönliche Dinge, die es in der Form von mir bisher nicht gegeben hat und die teilweise auch einmalig sind! Ich hoffe, Euch gefällt was ich auf http://www.pledgemusic.com/projects/joachimwitt zusammengestllt habe und ich freue mich auf Eure Rückmeldungen und Meinungen dazu.
Geben und nehmen, “DU” und “ICH”!
Kritik:
"Über das Meer flüchtet der Wind
Nimmt alles mit was nicht mehr stimmt
Doch meinen Mut lässt er bei mir
Auf jeden Fall ein gutes Quartier"
Noch im Herbst 2014 ließ Joachim Witt seine Fans unversehens über die Social Media-Plattform "Facebook" wissen, dass er derzeit am Layout für sein kommendes Album arbeiten würde. Einige Wochen später dann, befragte er seine Community auf diesen Seiten, was sie denn vom Modell des sogenannten "Crowdfunding", über die anbietende Website "PledgeMusic.com" hielten, was von eben jener Fanbase mit großem Wohlwollen und allgegenwärtigem Versprechen zur Mithilfe bei der Realisierung des Projekts in den Kommentaren quittiert wurde. Schon zahlreiche Kreative mit den unterschiedlichsten Bekanntheitsgraden, aus diversen Ländern, aus der Videospiel- bis hin eben zur Musikbranche, sind in den letzten Jahren diesen Weg geganen. Mal mehr, mal weniger erfolgreich.
Und tatsächlich entschied sich der Künstler dazu, auf der von ihm sympathisierten Seite mit der Finanzierung seines neuesten Werks an den Start zu gehen. So hatten seine Unterstützer, hier "Pledger" genannt, ab Mitte Dezember letzten Jahres fortan die Möglichkeit, sich auf entsprechender Seite ein eigenes Konto einzurichten und Witts Projekt bis zu einem angepeilten Datum finanziell zu unterstützen und somit letzten Endes zu realisieren. Doch sind es keine bloßen Spenden, wie schon in der oben eingefügten Projektvorstellung erwähnt. Viel mehr besteht hier ein gleichwertiger Austausch von Exklusivitäten, besonderen Angeboten und raren Stücken, der Hintergedanke dem Finanzierenden etwas außergewöhnliches für seine Zuversicht entgegen bringen zu wollen. Also eine ganz besondere Art der gegenseitigen Wertschätzung und Anerkennung, nicht distanziert sondern nah, nicht allein sondern gemeinsam etwas Neues aus kollektiver Leidenschaft, Überzeugung und auf Basis von gegenseitigem Vertrauen zu erschaffen. Von Künstler zu Fan und von Fan zu Künstler. Auf der Seite waren fortan so einige Angebote verfügbar, welche stetig akutalisiert wurden. Vom großen bis zum kleinen Geldbeutel war hier für jeden Suchenden das passende Stück dabei, vom einfachen Download als MP3-Datei, über signierte Alben mit und ohne Widmung, T-Shirts, VIP-Pässe für kommende Konzerte, bis hin zum Backdrop der vergangenen "Neumond"-Tour, einem Bühnenoutfit und sogar die Möglichkeit eines Skype-Chats mit dem Altmeister. Und schon wenige Monate nach Start der Kampagne konnte man vermelden: Finanzierungsziel erreicht!
Erfolg auf ganzer Linie für beide Seiten also und der endgültige Startschuss für das neue Album. Kurz, aussagekräftig und einprägsam mit "ICH" betitelt. Entstand der Vorgänger "Neumond" noch in Zusammenarbeit mit Mono Inc.-Fronter Martin Engler, so ist die aktuelle Veröffentlichung die erste seit dem 2004er Werk "Pop", welche Witt ganz allein und ohne externe Einwirkung ausarbeitete. Vom Songwriting als Basis, bis hin zum Einspielen der jeweiligen Instrumente und der gesamten Produktion nahm der goldene Reiter alles in die eigene Hand und weist als Ergebnis, laut eigenen Aussagen, nun wieder eine sehr persönliche Platte vor. "ICH" - Ein Titel wie er in Anbetracht dessen nicht treffender sein könnte.
Den Einstieg in Joachim Witts neuestes Werk bildet "Über Das Meer", welches mit einigen anderen Updates wie etwa einem persönlichen Videogruß, schon vorab als Demo-Version für alle Pledger zum Dowloand zur Verfügung stand. Laut krächzende Rufe eines Krähenschwarm begrüßen den Hörer, schon kurz danach schließt sich der Sound einer Gitarre an und gibt eine prägnante Melodie im gediegenen Tempo vor. Die Grundstimmung ist hier, wie auf vielen folgenden Titeln dieser Neuveröffentlichung, melancholisch gehalten. Doch trägt genau dieser Grundsatz als Fundament in Witts Texten wie so oft eben nicht ausschließlich nur eine Art von tiefer Trauer in sich, sondern beherbergt vor allem die Selbstreflexion, den Blick auf die eigene Vergangenheit und Erlebtes, als auch auf Gegenwärtiges und Zukünftiges in sich. Oft ist klanglich und lyrisch ein Um- oder Aufbruch festzustellen, frisch aufgebrachter Mut und wieder aufkeimende Kraft, ähnlich einer Reinigung von Geist und Seele, von Schmutz und Wunden alter Tage. Schon im ersten Refrain lässt sich sagen: Es ist vielmehr auditive, Musik gewordene Hoffnung. Der Wille mit dem Unveränderlichen leben zu lernen und mit den dunklen Kapiteln zu schließen, neue Energie zu beziehen und Wege zu beschreiten, auf welchen man zuvor noch nicht ging. Abschied und Neuanfang. Denn dafür ist es selten zu spät.
Das anschließende "Was Soll Ich Dir Sagen" behandelt ebenfalls die Thematik des Abschieds, nur auf eine gänzlich andere Weise. Zwar geht der Sound hier im mittleren Tempo deutlich mehr nach vorne als noch beim balladenhaften Opener, doch verheißen Text und Art des Vortragens eine aussichtslose Atmosphäre. Ist die Melodieführung auch recht eingänig und geht ins Ohr, so ist eigentlicher Inhalt von Grund auf berührend und bedrückend. Die Leere und Angst vor der folgenden, schweren Zukunft ist fast greifbar. Das lyrische Ich hat sich mit der Situation abgefunden, sich mit dem Zerfall des bisher Bestehenden angefreundet, aufgegeben. Es ist eine einvernehmliche Trennung beider Seiten, ein Abschied ohne Wiedersehen, frei von Hoffnung und jeglicher Zukunft. Dominiert von größtenteils elektronischen Einflüssen, Takt gebendem Drumming und dem dezenten Klang eines Klaviers, dafür mit zurückgefahrenen Gitarren, präsentiert sich "Warten Auf Wunder" als dritter Titel, bevor "Bitte Geh Mir Aus Dem Weg" anschließend wieder Gebrauch von limitierterer Instrumentierung macht und die Gitarre erneut in den Vordergrund rückt. Textlich spielt Witt gerade hier seine Stärken und sein Talent voll aus, seine dunkle Stimmfarbe verleiht dem Ganzen den richtigen Audruck und arbeitet die Ernsthaftigkeit dieser Zeilen im Einklang mit der Tonweise vollends aus. Der Hörer fällt ganz langsam, Stück für Stück, in die Tiefen der von Witt geschaffenen Gefühls-Welten, aus Trostlosigkeit und Verzweiflung. Lässt sich immer weiter fallen und in diesen Strudel aus Nachdenklichkeit sinken. Um einiges aufrüttelnder, in der Thematik ist das folgende "Hände Hoch", ganz nebenbei bemerkt das Motto der kommenden Herbst-Tour. Wieder dominiert das Schlagzeug und gibt den Takt vor, zu welchem sich in Kombination mit einer westernlastig anmutenden Gitarre, ein gleichsam leichtfüßiger Akkord gesellt. Gerade der Refrain birgt hier großes Mitsing-Potenzial für baldige Shows, textlich schlägt man anders als in den vorangegangenen Songs, eher in die kritische anstatt die persönliche Kerbe, ein Hauch von Widerstand und Revolution liegt in der Luft. Einer der absoluten Ohrwürmer von "ICH".
Eine große Palette an Emotionen, mit einem erheblichen Melancholie-Einschlag bietet dann der nächste Track "Lagerfeuer". Wie der Songtitel schon erahnen lässt, breitet sich dem geneigten Hörer hier ein wohliger Klangteppich, warmer Grundstimmung in Einklang mit tiefer Sehnsucht aus. Mit jeder verstreichenden Minute dringt mehr Wehmut durch die einzelnen Zeilen, der Rückblick auf alte Zeiten und denkwürdige Momente des Glücks, der Hoffnung und Gemeinsamkeit ist die gesamte Dauer über spürbar. Der Wunsch und das Sehnen eben danach, geradezu omnipräsent, wenn sich zu sanften Klängen Witts klagende Stimme gesellt. Großes Gefühlskino also auch hier. Musikalisch ebenfalls andächtig ruhig gehalten, dafür aber mit einer gehörigen Portion Gesellschaftskritik, zeigt sich "Wie Viel Mal Noch". Wie auch auf einigen anderen Liedern des Langspielers, ist die Instrumentierung auch hier eher limitiert, die Strophen werden abermals von der Gitarre dominiert, der Refrain besticht durch dezente Chöre im Background, neben Witts nachhallender Stimme. "Tod Oder Leben" beinhaltet dann zusätzlich leichte Elektronik, welche sich gemeinsam mit Joachims markantem Gesang und verzerrten Gitarren gegen Ende stimmig ins Gesamtkonzept einfügen. Ganz im klassichen Witt'schen Stil kommt "1971 Oder Ein Mädchen Aus Amerika" im Anschluss daher. Die Lyrics werden teils gesprochen statt gesungen und präsentieren sich in einer Mischung aus Deutsch und Englisch. Die kernigen, erdigen Gitarrensounds aus den vorherigen Songs sind einer recht speditiven Pop-Melodie gewichen und geben persönliche Einblicke, in eine ehemalige Liebe und beschwingte Zeit. Deutlich finsterer als alles bisherige ist dann "Es Wirbeln Die Äste", welches sich stark von den anderen Titeln unterscheidet. Zu einem von Witt beschwörend vorgetragenem Text, gesellen sich dunkle, wavige Einflüsse und später die Klänge eines Klaviers. Einfach anders und eines der außergewöhnlichsten Stücke unter den Neuzugängen.
Ebenso, wenn auch weniger düster, gestaltet sich "Alles Was Ich Bin". Der Text wird in alter Witt-Manier wie bei den vorherigen Titeln zu den wiederkehrenden, ruhigen Gittaren-Klängen gesprochen. Es ist wohl eines der persönlichsten Stücke auf "ICH". Die ergreifenden Worte einer Verabschiedung, einem sphärischen Dialog mit einem geliebten Menschen gleich. Weltenschmerz gepaart mit Ehrlich- und Dankbarkeit, reduziert instrumentiert. Überraschend aufbrausend kommt gegen Ende dann "Ole (Klub)" daher. Die Stimmung verfinstert sich schlagartig und schwillt mit pochenden, fast technoiden Tönen bedrohlich an. Ähnlich so manchem Klassiker in der Diskografie, wie etwa der "Bayreuth"-Reihe, hagelt es bissigen Sarkasmus und erneut harte Kritik an der Gesellschaft. Während sich im Hintergrund Chöre erheben, erklingt zusammen mit scharfen, synthetische Salven Witts mahnende Stimme. Diese unheilvollen Gewitterwolken werden vom anschließenden "Nachtflug" vertrieben, welches auch gleichzeitig den Abschluss des Albums markiert. Wie auch schon die letzten Nummern auf "ICH", präsentiert sich dieser als recht elektrolastig. Zu einer getragenen Klaviermelodie treiben, für dieses Album leicht untypische, energetisch beschwingte Beats diesen Song voran. Doch behalten sie die Stimmung bei, wahren den Charakter und erzeugen passend zur Thematik ein entspanntes, losgelöstes Gefühl der absoluten Leichtigkeit.
Tracklist:
01. Über Das Meer
02. Was Soll Ich Dir Sagen
03. Warten Auf Wunder
04. Bitte Geh Mir Aus Dem Weg
05. Hände Hoch
06. Lagerfeuer
07. Wie Viel Mal Noch
08. Tod Oder Leben
09. 1971 Oder Ein Mädchen Aus Amerika
10. Es Wirbeln Die Äste
11. Alles Was Ich Bin
12. Ole (Klub)
13. Nachtflug
Fazit:
In einigen Facebook-Posts und Interviews zuvor, verkündete Joachim Witt vorab dass der geneigte Hörer dieses Mal kein Album wie "DOM" oder gar ein "Neumond 2" zu erwarten habe. Und besser könnte man sein aktuelles Werk "ICH" nicht beschreiben. Ganz im Sinne des namensgebenden Titels, geht dieses Mal nicht nur das gesamte Songwriting mit all seinen Texten und Kompositionen auf Witts eigenes Konto, auch die durch Pledge-Einnahmen finanzierte Produktion, sowie das Einspielen aller zu hörenden Insturmente liegt allein beim Künstler selbst. In welche Richtung das Endprodukt gehen würde, wusste bis dato keiner der zahlreichen Unterstützer. Spannung und Erwartungen dürften gerade dank der letzten beiden Veröffentlichungen aber allerorts hoch gewesen sein. Doch machte Witt im Vorfeld keine falschen Versprechen, bricht jedoch sicher mit so mancher Erwartung seitens seiner Hörerschaft. "ICH" ist vor allem eines: Weniger eingängig als seine Vorgänger. Die gesamte Instrumentierung ist recht limitiert und besinnt sich weniger auf Bombast und Epochales, als auf das wesentliche, den Kern. Häufig beherrschen nur Gitarre und Joachims Stimme die Songs, gelegentlich untermalt von dezenter Elektronik im Hintergrund. Der Fokus liegt deutlich mehr auf Inhalten, als auf ganz großen, ohrwurmigen Melodien. Die Texte: Oft von großer Melancholie beseelt, so manches Mal kritisch und bissig, gelegentlich verschachtelt und kryptisch. Ähnlich wie manches Werk aus Witts vorangegangenem Backkatalog, ist "ICH" nicht sofort für jeden direkt zugänglich. Das Album sucht und benötigt seine ganz spezielle Art der Aufmerksamkeit, braucht Zeit und mehrere Durchgänge, um sich in den Gehörgängen festzusetzen. Gerade Fans der letzten beiden Alben werden anfangs ihre Schwierigkeiten haben, mit dem 2015er Werk richtig warm zu werden. Denn "ICH" ist oftmals weder melodisch noch textlich leichte Kost, selten direkt eingängig, will und sollte an einigen Stellen anecken und zum nachdenken anregen. Verschiedene Meinungen auf den Plan rufen und vielleicht sogar spalten, wird es auf jeden Fall. So wie Joachim Witt es immer getan hat. Es ist die Kunst einen Blick zurück auf die Vergangenheit mit allen Erlebnissen und Gefühlslagen zu werfen, diese detailliert für den Hörer zu sezieren und doch gleichzeitig nach vorn in die Zukunft zu blicken. Eine konstante Weiterentwicklung gewohnter Stilistiken, doch Entfremdung von Altem und künstlerische Neugeburt zu gleich. "ICH" ist an manchen Stellen sperrig, zugänglich, ungewohnt, vertraut, alt und neu. Es ist persönlich, unmaskiert und voll emotionaler Tiefe. Oft reflektierend und kritisch. Nicht nur so manchem Umstand und der Gesellschaft gegenüber, sondern vor allem auch sich selbst. Es sind wahre, intensive Weisheiten für Herz und Hirn, oft entsprungen aus Leid, Trauer, Schmerz, Zorn, Sehnsucht und manchmal auch Hoffnung. Ein reichhaltiger Erfahrungsschatz, ohne mahnende Moral, dafür aber mit Vermittlung von Zuversicht und der beruhigenden Aussicht darauf, das alles einmal gut wird, wenn man es nur zulässt. "ICH" ist eine ungeschönte Retrospektive einer Künstlerseele und das öffentlich gemachte Relikt eines Mannes, welcher wahrhaft schon viel erlebt und ertragen, doch erfolgreich durchlitten hat. "ICH" ist ehrlich. Zu 100% Witt. Hände hoch!
Informationen:
http://www.joachimwitt.de
https://de-de.facebook.com/joachimwittmusik