Unheilig - Gipfelstürmer (2014)
Genre: Pop / Rock
Release: 12.12.2014
Label: Vertigo Berlin (Universal Music)
Spielzeit: 64 Minuten
Pressetext:
Drei Jahre sind seit dem letzten Studioalbum von Unheilig vergangen. Dazwischen resümierten der Graf und seine Band die letzten 15 Jahre Unheilig auf einer Werkschau, dem ersten Best Of Album der langen Karriere. Nun erscheint endlich ein komplett neues Studioalbum! Es ist das achte und trägt den Namen „Gipfelstürmer“. Auch die neuen Songs folgen einem thematischen Konzept. Die atemberaubende und zerklüftete Welt der Berge bildet den inhaltlichen Rahmen für die Themen der Songs. Natürlich ohne dabei die emotionalen Seiten des Lebens zu vernachlässigen und auch weiterhin seinen ganz Stil zu perfektionieren, hat der Graf die längere Schreibpause dazu genutzt, seine Bilder, Gedanken und Träume in neue spannende Geschichten zu verpacken.
Kritik:
"Es ist Zeit zu gehen
Wir danken euch für all die Jahre
Auch wenn es weh tut, ist es Zeit für uns zu gehen
Wenn es am Schönsten ist"
Aus diesen Zeilen, diesem Lied spricht der Abschied. Doch ist es nicht einfach nur pure Melancholie, keine Geschichte die hier erzählt wird und somit keine Fiktion. Viel mehr sind es Worte des Dankes für Treue, Zusammenhalt und gemeinsam Erlebtes. Die Musik gewordene Wehmut, ein Blick ganz weit zurück auf die Vergangenheit und in die nachfolgende Zukunft. Ein Entschluss der Folgen nach sich zieht, der schöpferische letzte Gruß, der melodiöse Abgang von den Brettern, die die Welt bedeuten. Abschied nehmen und doch gemeinsam feiern. Die Kernaussage aus der neuesten Single-Auskopplung und Track Nummer 3, des neuen Albums "Gipfelstürmer" von "Unheilig". Vor einigen Jahren bekannt geworden durch "Geboren Um Zu Leben" aus dem Erfolgsalbum "Grosse Freiheit", veränderte sich die Machart der Musik, als auch das Publikum. Aus der heimischen schwarzen Szene, direkt in den Chart- und Pophimmel. Die Folgen: "Unheilig" wurde omnipräsent. Egal ob im Radio oder Fernsehen, in der Werbung und in Interviews. Die letzten Jahre des Aufstiegs waren für die Aachener Formation sicher ein wahrer Sturm auf den Gipfel, nach ganz oben. Mitt Oktober dann der Schock für viele Fans: Die Band hört auf. Für immer und "garantiert ohne Comeback", so der Graf in vielen Stellungnahmen. Man wolle sich mehr Zeit für das eigene Privatleben nehmen, welches all die Jahre zu kurz gekommen sei, eventuell aber dennoch weiterhin im Hintergrund des Musikbusiness tätig sein. Gemeinsam mit allen Fans und Freunden der Band, wolle man die nächsten beiden Jahre den Abschied mit einer großzügig angelegten Tour, sowie einem Abschlusskonzert feiern und somit "Danke" sagen. Das nun vorliegende Werk soll das letzte und nach eigenen Aussagen "beste Album" sein, welches der Graf je geschrieben hat. Doch gab es nicht schon einige Gruppen in der Vergangenheit, welche sich verabschiedet und dann überraschende Rückkehr gefeiert haben? Ist bei einem neuen Release die Aussage, nun das bisher "beste Album" seiner Karriere zu veröffentlichen, nicht mittlerweile zur standarisierten Marketingstrategie geworden? Ersteres zu beantworten und ein mögliches Comeback zu hinterfragen und es als klugen Schachzug zu werten, steht jedem frei und soll hier nun nicht Thema sein. Doch ob "Gipfelstürmer" wirklich das "bisher beste und stärkste Album" der Bandhistorie darstellt, ist hier nun zu lesen.
Das Album beginnt, seit "Zelluloid" typisch für die Band, mit einem üppigen, geradezu epischen Intro. "Der Berg" ruft, die klanglich gewaltig in Szene gesetzte Dampflok pfeift, lädt den Hörer ein auf eine Reise und fährt schließlich ab. Ein druckvoller Sound mit orchestraler Einbindung gibt den Takt an, die treibende Reise ganz hoch hinaus, ist fast greifbar und entlädt sich in einem ausladenden Klangteppich, welcher grenzenlose Weite und Freiheit versprüht. Gegen Mitte setzt die Stimme des Grafen ein, am Ende gesellt sich ein Chor dazu, welcher den Song langsam ausklingen lässt und dem Hörer die Tür öffnet. Die Tür zu den Geschichten auf "Gipfelstürmer". Wie auch schon auf den beiden Vorgängern, beginnt das Album mit einem der selten gewordenen Rock-Songs. "3, 2, 1, Los!", erklingt die Stimme des Grafen, in dunklem Ton. Im Hintergrund erklingen aufgesetzt wirkende, dürftige Synthie-Sounds. Direkt im Anschluss die Gitarre. Doch wie auch schon auf "Lichter der Stadt", um einiges an Kraft und Härte beraubt, der Sound wirkt blass und seltsam nach hinten gedrückt. Weit hinter die klar dominierende Stimme und die elektronische Komponente. Doch auch wenn die Strophen recht knapp gehalten sind und somit wenig inhaltlicher Input zum tragen kommt, wissen diese durch Thematik, Machart und Intonation recht gut zu überzeugen. Besonders im großflächig angelegten Refrain entfaltet sich "Hinunter Bis Auf Eins" und zeigt seine Qualitäten. Es ist der Traum vom fliegen, den wohl jeder schon ein oder mehrmals in seinem Leben gehegt hat. Alles hinter sich lassen, springen, Flügel ausbreiten und abheben. Letztlich ein überzeugend starker Song, mit Avancen an die alten Zeiten, wenn auch etwas schmalbrüstig und gezähmt präsentiert. Es folgt eingangs zitiertes "Zeit Zu Gehen". Da in der Einleitung schon Inhalt und Sinngehalt ausgeführt wurden, konzentriere ich mich nun auf den musikalischen Part. Das Lied präsentiert sich wehmütig, doch keinesfalls schleppend. Die orchestrale Melodie ist von Streichern geprägt, der Refrain lädt zum mitsingen ein und ist einprägsam. Melodisch als auch textlich wird hier aufgetrumpft, wenn auch Pop-lastig aufgebaut, werden auch hier dezente Erinnerungen an frühere Werke geweckt. Im Kontext zum bevorstehenden Abschied, ein Song auf Nummer sicher. Dennoch überzeugend!Mit dem vierten Stück, "Die Weisheiten Des Lebens", zeigt das Album zum ersten Mal einen wirklichen Schwachpunkt auf. Textlich äußerst anspruchs- und einfallslos, werden hier bekannte Lebensweisheiten zitiert und wirr aneinander gereiht. Lediglich der Refrain ist hier Eigenkomposition, wenn auch relativ nichtssagend und beliebig. Gleiches offenbart die Melodieführung. Seicht, extrem poppig und gegen Ende durch den Einsatz eines Kinderchores unnötig verkitscht. Von der Machart her, hätte dieser Song ebenso gut auf dem Vorgänger Platz finden können. Zu sehr nach Schema F, einer der schwächsten Titel. Nicht nur auf "Gipfelstürmer", sondern in der gesamten unheiligen Laufbahn. "Zwischen Licht und Schatten" kommt sehr organisch, fast schon unplugged daher. Auf das wesentliche reduziert und getragen von einer simpel gehaltenen Piano-Melodie, wird hier der Abschied eines geliebten Menschen besungen. Die Konzentration auf eine gesetzte Instrumentalisierung, als auch ein gehaltvoller Text, statt epochalem Klang-Bombast, tuen dem Song mehr als gut. Einfach und doch wirkungsvoll und berührend. Definitiv eine gelungene Ballade, welche sich erst nach mehrmaligem Hören entfaltet, mit der Zeit aber etwas an Faszination verliert. Es fehlt das gewisse Extra, das Besondere. Durch "Glück Auf Das Leben" geht es wieder zurück Richtung in gewohnte Bahnen. Gut, doch auf eine gewisse Art routiniert getextet und arrangiert. Ein schöner, etwas farbloser Pop-Song, leider ohne besonders bleibenden Eindruck. Man könnte sagen, es macht sich das Gefühl des "schon einmal gehört"-habens breit. Dennoch grundsolide. Ein erneuter Synth-Teppich breitet sich aus und auch wenn hier leicht die Gitarren durchklingen, so gibt auch hier die Elektronik im wahrsten Sinne des Wortes den Ton an. Klingt der Song wie das Material von früher? So "Wie In Guten Alten Zeiten"? Etwas. Lyrisch auf ordentlichem Niveau, wird auch hier die Erinnerung und das gemeinsame zelebrieren dieser besungen. Musikalisch geht es hier etwas temporeicher zu, als bei den vorangegangenen Titeln. Eine echte Up-Tempo-Nummer oder gar ein Rock-Song wie in den besungenen, guten alten Zeiten, ist es aber nicht geworden. Schade, ein kleiner Zusatz an Schnelligkeit und dosierter Härte, hätte der Nummer gut zu Gesicht gestanden.
Kaum hat die Dampflok mit vorherigem Song wieder etwas an Fahrt aufgenommen, wird sie mit der nächsten Ballade genauso schnell wieder entschleunigt, fast ausgebremst. "Alles Hat Seine Zeit". Betitelt wie das zuvor veröffentlichte Best-Of-Album, geführt von einer eingängigen Klavier-Melodie und gegen Ende elektronisch untermalt und angehoben. Die gebotenen Zeilen sprechen Mut zu, erklingen vertraut, sanft und tröstend. Unterm Strich ein nettes, wie auch gefälliges Lied. Leider fehlt auch hier das gewisse Extra, ein denkwürdiger Moment und somit der Antrieb es öfter hören zu wollen. "Unheilig" gehen hier, wie bei den meisten der vorigen Tracks zu sehr auf Nummer sicher. Somit wirkt dieses Stück wie eines von vielen und geht in der gesamten Diskografie unter. Rhythmische Keyboard-Sounds erklingen, dann die Drums. Im Mid-Tempo besingt der Graf einen besonderen Menschen, welcher immer da ist und Rückhalt gibt, das "Echo". Textlich berührt der Frontner hier, die instrumentale Seite ist hier leicht unpassend, oder zumindest arg gewöhnungsbedürftig. Durch die Strophen zieht sich ein erheblicher Hauch Disco-Fox, angrenzend zum modernen Schlager. Und auch wenn hier mehr Einsatz der Saiten-Fraktion gut gepasst hätte, zündet "Echo" besonders im Refrain, durch den geschickten Einsatz der Synths. Gelungen und doch bekommt man das Gefühl nicht los, das hier wie bei so vielen anderen Songs, mehr drin gewesen wäre. "Mein Berg" bezieht sich auf die Wege, Wirren, Schwierigkeiten, aber auch Freuden des eigenen Lebens. Thematisch und mithilfe bildhafter Vergleiche treffend auf das Panorama der Berglandschaft bezogen, wirkt der Text über den Weg und lässt gegen Ende eine besondere Art des Gemeinschaftsgefühles aufkommen. Soundtechnisch wird hier eine Symbiose aus Ballade und Pop-Rock-Song geboten, welche sich klanglich bis zum Finale steigert. Doch will der Funke nicht ganz überspringen, die gewollte Epik oder der ganz großes Gänsehaut-Moment bleibt leider aus.
Eine verzerrte Melodie macht sich breit und erhebt sich langsam, bis sie von krachenden Gitarrenwänden durchbrochen wird. "Goldrausch" rockt straight nach vorne und lässt "Gipfelstürmer" um einiges an Tempo und Kraft gewinnen. Eine nette Abwechslung, wenn auch inhaltlich dünn. Gesang und Stilistik erinnern ähnlich wie bei "Eisenmann" vehement an die NDH-Urgesteine von Rammstein. Ordentlich, doch wirkt es zwischen all den poppigen und balladesken Nummern gezwungen, so als müsste immer eine kleine Anzahl dieser Art auf ein UH-Album. Einfach damit sie darauf enthalten sind und das "Rock" in der Genre-Einstufung "Pop-Rock" überhaupt zum tragen kommt. Dennoch: Recht empfehlenswert. Mit "Held Für Einen Tag" ist dann die erste, halbwegs richtige Pop-Rock-Marke zu verzeichnen. Recht sanft im Beginn, doch im Refrain mit nach vorn preschenden, Bombast verheißenden Gitarren. "Nächstenliebe" und das gegenseitige Helfen, respektvolle Achten mit- und untereinander ist hier Thema. Leicht unspektakulär, doch in der Endnote "Gut". "Dem Himmel So Nah" geht dann exakt in gleiche Richtung wie etwas "Alles Hat Seine Zeit". Musikalisch geerdet und herunter komprimiert, textlich gewohnte Kost, dezent langatmig und fad, ganz ohne Höhepunkt oder gar Überraschungseffekt. Durch "Wir Sind Die Gipfelstürmer" bekommt das Rock-Lager ein letztes Mal Zulauf. Treibender Rhythmus durch die Strophen hinweg, metallisch durchbrochen und ein passabler Refrain mit Mitsing-Garantie. Hart, melodisch, gut hörbar. "Hand in Hand" kennzeichnet dann das letzte Lied. Elektronisch unterlegte, Drum dominierte Strophen sowie mit dunkler Stimmfarbe gesungene Lyrics, lassen hier abschließend noch einen Song härteren Grades erahnen, der Refrain nimmt diese Illusion dann und wirkt gegensätzlich, leicht deplatziert. Somit fällt die Zuordnung sowie Wertung schwer. "Der Gipfel" geleitet den Hörer aus dem Album. Reichlich vorhersehbar, da hier nicht wie gewohnt die Melodie des Intros ohne Lyrics aufgegriffen, sondern so gut wie deckungsgleich übernommen wird. Somit hat man das Intro quasi gleich zwei Mal auf "Gipfelstürmer". Auch wenn dies arg lieb- und einfallslos erscheint, werte ich daher dem Intro gleich.
Der Deluxe-Variante im Digi-Pack liegt eine zweite CD mit Produktionsdemos bei. Diesen Bonus gab es ebenfalls beim Vorgänger "Lichter Der Stadt", als auch in der Box-Variante zu "Grosse Freiheit". Die Demos letztgenannter Edition, glänzten als Gegenstück zu den gereiften, finalen Studio-Versionen mit gänzlich anderen Strukturen in Text und Melodie. Ein völlig anderes Erlebnis als die Albumproduktionen und ein durchaus gelungener Zusatz. Die Versionen auf CD 2 vom Vorgänger-Album als auch von "Gipfelstürmer", unterscheiden sich kaum bis minimal von den fertigen Versionen und lassen bei identischen Texten und Melodieführungen die Frage aufkommen, ob es sich überhaupt um originale Demo-Versionen handelt. Diese sind durch die Bank weg unspektakulär und unterscheiden sich fast ausschließlich in Sachen Instrumentalisierung, grenzen sich vom Hauptwerk also kaum ab. Entweder sind die Songs komplett akustisch arrangiert, oder Schlagzeug als auch Gitarre wurden durch den Computer und somit elektronische Versionen ersetzt. Es herrschen also nur sehr geringfügige Unterschiede, welche die Demos somit uninteressant machen. Aufgrund der hohen Ähnlichkeit und keiner nennenswerter Unterschiede, bleibt eine Wertung von CD 2 komplett aus.
Tracklist:
01. Der Berg (Intro)
02. Hinunter Bis Auf Eins
03. Zeit Zu Gehen
04. Die Weisheiten Des Lebens
05. Zwischen Licht Und Schatten
06. Glück Auf Das Leben
07. Wie In Guten Alten Zeiten
08. Alles Hat Seine Zeit
09. Echo
10. Mein Berg
11. Goldrausch
12. Held Für Einen Tag
13. Dem Himmel So Nah
14. Wir Sind Die Gipfelstürmer
15. Hand In Hand
16. Der Gipfel (Outro)
Fazit:
Zeit zu gehen? Ja, vielleicht ist es das wirklich. Nach einer umfangreichen Karriere, inklusive stolzer Diskografie sowie guten Live-Ablegern in Bild und Ton, macht sich ein wenig Ermüdung breit. Gefiel der Sound zu Zeiten von "Grosse Freiheit" noch, rutschte schon der Nachfolger in Sachen Texte, Melodien, Arrangements und Kreativität gewaltig Richtung Kitsch und Ideenlosigkeit ab. Zu sehr wird auch auf "Gipfelstürmer" versucht, es möglichst allen Anhängern recht zu machen, doch die Balance zwischen den einzelnen Stilistiken scheitert. Zu vorhersehbar sind die Abläufe, geradezu schablonenhaft werden hier beim Publikum beliebte Spektren abgedeckt, doch stets auf ganz große Nummer sicher und kommerziellen Erfolg gebürstet. Lyrics als auch Klänge wirken teils inspirationslos, überraschungsarm und nach genau gewählten Schemen erbracht. Oft hat man das Gefühl das alles vorher schon ein oder mehrere Male gehört zu haben. Nur um einiges besser. Dennoch finden sich auch ein paar ordentliche Nummern auf dem Album, welche aber weder an die alten Zeiten heranreichen, noch wirklich Neues bieten. Vielleicht haben "Unheilig" ihren Zenit mit "Grosse Freiheit" einfach überschritten? Vielleicht war der Erfolgsdruck seitens Plattenfirma zu hoch? Vielleicht fehlten letzten Endes Muse und frische Ideen, oder gar Kreativitätspausen? Das "beste Album" dieser Formation ist es für mich persönlich ganz sicher nicht, zu wenige Überraschungen und packende Momente, zu wenige Ohrwürmer, zu wenige denkwürdige Passagen. "Gipfelstürmer" bietet oftmals gewohnte Kost und gemessen an den Erwartungen somit leider weit zu wenig, ein solides und gut produziertes Werk ist es dennoch. Zögerern sei vor dem Kauf eine Hörprobe empfohlen.
Informationen:
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